Protokoll der Sitzung vom 16.11.2011

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Tja, das war nichts mit zwei Dritteln.)

Damit ist der Erweiterung der Tagesordnung um diesen Tagesordnungspunkt bei Gegenstimmen der Fraktion der SPD, der CDU, der Fraktion DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Zustimmung der Fraktion der NPD nicht zugestimmt worden.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 3: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Gesetzes über den Beitritt zum Staatsvertrag über die Einrichtung einer Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder, Drucksache 6/29.

Gesetzentwurf der Landesregierung Entwurf eines Gesetzes über den Beitritt zum Staatsvertrag über die Einrichtung einer Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder (Erste Lesung) – Drucksache 6/29 –

Das Wort zur Einbringung hat die Justizministerin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung legt Ihnen den Entwurf eines Gesetzes über den Beitritt zum Staatsvertrag über die Einrichtung einer Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder vor. Diese Gemeinsame Überwachungsstelle steht im Zusammenhang mit der Ihnen allen bekannten sogenannten elektronischen Fußfessel. Das gesetzliche Fundament für diese virtuelle Leine gilt seit rund einem Jahr. Seit dem 01.01.2011 können Gerichte die elektronische Fußfessel als weitere Weisung in der Führungsaufsicht anordnen.

Wir in Mecklenburg-Vorpommern waren die Ersten, die eine Fußfessel aufgrund einer richterlichen Entscheidung angelegt haben. Das war Anfang März 2011. Inzwischen wurde einem zweiten Probanden die elektronische Fußfessel angelegt und noch in dieser Woche soll es zu einem dritten Einsatz kommen.

Lassen Sie mich anhand unserer praktischen Erfahrungen kurz auf Handhabung und Wirkung der elektronischen Fußfessel eingehen. Von außen sehen die Fußfesseln wie normale Plastikuhren aus, die sich einfach unter dem Hosenbein verstecken lassen. Tatsächlich verbirgt sich im Inneren der Fessel jedoch ein GPSSender ähnlich wie bei einem Navigationsgerät. Die Fußfessel empfängt damit zunächst GPS-Signale, ermittelt den Standort der Probanden und gibt diesen dann per Mobilfunk an die jeweilige Überwachungsstelle weiter. So kann der Standort des Betroffenen rund um die Uhr überwacht und kontrolliert werden.

Es besteht auch die Möglichkeit, dem Probanden bestimmte Gebiete zuzuweisen, in denen er sich aufhalten muss oder die er zu meiden hat. Mithilfe der elektronischen Fußfessel kann die Einhaltung der räumlichen Beschränkung überwacht werden. Bei Zonenverletzungen wird Alarm ausgelöst. Der Fußfesselträger selbst wird durch Vibration der Fußfessel darauf aufmerksam gemacht, dass er eine für ihn verbotene Zone betritt. Dadurch hat er Gelegenheit, sofort die Zone wieder zu verlassen. Tut er dies nicht, schreitet die Polizei unmittelbar ein.

Auch der Versuch, die Fußfessel abzustreifen oder zu beschädigen, löst einen solchen Alarm aus. Diese Meldungen nimmt gegenwärtig noch die Einsatzleitstelle des Polizeipräsidiums in Rostock im Auftrag der Führungsaufsichtsstelle entgegen.

Für den praktischen Einsatz der Fußfessel sind zwei Überwachungsstellen erforderlich: zum einen die technische Überwachungsstelle für die technische Speicherung und Verarbeitung der bei der Überwachung anfallen- den Daten und zum anderen die fachliche Überwachungsstelle für die inhaltliche Bewertung auflaufender Ereignismeldungen. Beide Überwachungsstellen müssen rund um die Uhr 365 Tage im Jahr besetzt sein, denn

nur so ist im Bedarfsfall ein schnelles Eingreifen gesichert.

Die Bundesländer haben sich nun entschlossen,

die elektronische Aufenthaltsüberwachung gemeinsam umzusetzen. Die Federführung liegt beim Bundesland Hessen. Die technische Überwachungszentrale wurde bei der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung eingerichtet. Grundlage hierfür ist eine Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Land Hessen und den übrigen Bundesländern. Diese Verwaltungsvereinbarung habe ich nach Ermächtigung durch den Ministerpräsidenten am 31. Mai 2011 für unser Land unterzeichnet.

Die fachliche Überwachung soll bundesweit in der Gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder konzentriert werden. Anfang des Jahres 2012 soll sie ihre Tätigkeit im hessischen Bad Vilbel aufnehmen. Die derzeit noch von Polizeibeamten unseres Landes wahrgenommenen Aufgaben gehen dann auf diese Gemeinsame Überwachungsstelle über. Dort laufen dann auch die Meldungen für die Fußfesselträger aus unserem Land auf. Inhaltlich werden diese Meldungen nach den Vorgaben unserer Führungsaufsichtsstelle bewertet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nur eine gemeinsame Stelle kann eine einheitliche Praxis bei der Umsetzung und Überwachung der Täter gewährleisten, und zwar über die Ländergrenzen hinweg. Die Übertragung der notwendigen Befugnisse von der zuständigen Führungsaufsichtsstelle unseres Landes auf die länderübergreifend tätige Gemeinsame Überwachungsstelle stellt eine hoheitliche Aufgabe dar. Die Übertragung kann daher nur durch einen Staatsvertrag erfolgen. Die vier vertragsschließenden Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen haben den Staatsvertrag am 29. August 2011 unterzeichnet. Gleichzeitig habe ich die Beitrittserklärung gegenüber dem Hessischen Justizministerium abgegeben.

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle ist es mir wichtig, die gute Zusammenarbeit zwischen der Polizei und dem seit dem 1. April 2011 errichteten Landesamt für ambulante Straffälligenarbeit hervorzuheben.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Die Zusammenfassung der drei Säulen der ambulanten Straffälligenarbeit, nämlich zentrale Führungsaufsichtsstelle, Soziale Dienste der Justiz und Forensische Ambulanz in einem Landesamt hat sich bewährt. Das zeigen nicht zuletzt unsere Erfahrungen im Umgang mit der elektronischen Fußfessel in der Praxis.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss meiner Ausführungen noch deutlich sagen, das zentrale Ziel der Landesregierung ist die Steigerung der Sicherheit der Allgemeinheit und der Schutz der Bevölkerung insbesondere vor rückfallgefährdeten Gewalt- und Sexualstraftätern. Alle unsere Schritte waren und sind an diesem Ziel ausgerichtet. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung durch die elektronische Fußfessel und die Einrichtung einer gemeinsamen Kontrollstelle sind weitere Bausteine in diesem Sicherungskonzept.

Natürlich wissen wir, dass die virtuelle Leine kein Allheilmittel ist. Sie gibt uns aber ein zusätzliches Instrument

an die Hand, um Rückfalltaten so weit wie möglich zu verhindern und den Schutz der Öffentlichkeit weiter zu verbessern. Ich bitte Sie daher um Ihre Unterstützung für dieses Vorhaben. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Danke schön, Frau Kuder.

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 30 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir dem Instrument der Sicherungsverwahrung kritisch gegenübergestanden haben oder immer noch gegenüberstehen, ist bekannt. Bekannt sind auch die einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes und

des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, die unsere Auffassung im Wesentlichen bestätigen. Eine verfassungs- und menschenrechtskonforme Regelung steht noch aus. Da es aber bei dem geplanten Beitritt Mecklenburg-Vorpommerns zur Gemeinsamen Überwachungsstelle der Länder auch um andere Fälle geht, will ich das Thema nicht weiter ausführen und es, sagen wir mal, mit dem Hinweis darauf belassen.

Meine Damen und Herren, DIE LINKE unterstützt selbstredend alle Maßnahmen, die den Schutz der Bevölkerung vor rückfallgefährdeten Straffälligen und die Resozialisierung verbessern. Dieses „Und“ ist mir sehr wichtig, kommt es doch in der öffentlichen Debatte oft allzu kurz. Dabei sind doch beide Punkte Ziele und Aufgaben des Strafvollzuges. Um das zu erreichen, können länderübergreifende Lösungen durchaus sinnvoll sein. Die Landesregierung hat im Rahmen der Justizministerkonferenz schon diverse Pflöcke eingeschlagen, alles ist so weit vorbereitet, es fehlt nur noch ein Ja des Parlamentes. Dieses Ja wird es von meiner Fraktion geben, wenn unter anderem folgende, zum Teil auch eher kleine Fragen und Probleme hinreichend geklärt sind:

Erstens. Auch wenn die Kosten für den Landeshaushalt bei Beteiligung aller Bundesländer nicht übermäßig groß sind, möchte ich schon wissen, ob andere Maßnahmen in der Justiz deswegen auf der Kippe stehen.

Zweitens. Ich möchte auch sicher sein, dass die technische Überwachung tatsächlich klappt. Auch wenn die elektronische Aufenthaltsüberwachung mittels GPS erfolgen soll, werden wir angesichts der Diskussion um Funklöcher hellhörig und wir wissen doch alle, auch bei GPS-Empfang gibt es Ausfälle.

Drittens. Welche Aufgaben und Befugnisse die gemeinsame Stelle hat, ist im Gesetzentwurf und im Staatsvertrag ausführlich beschrieben. Vor allem aber möchte ich wissen, wie das Überwachungssystem in Mecklenburg-Vorpommern konkret umgesetzt werden soll. Werden hierzu im Landesamt für ambulante Straffälligenarbeit gesondert Personalstellen geschaffen

oder wer ist zuständig und trägt am Ende die Verant- wortung? Wird es diesbezüglich einen Einsatzplan geben?

Viertens. Letztlich ist auch interessant zu erfahren, von welchen Einsatzmöglichkeiten der elektronischen Aufenthaltsüberwachung die Landesregierung noch Gebrauch machen will.

All diese Fragen möchten wir im parlamentarischen Verfahren geklärt haben, denn wir dürfen eines nicht zulassen, dass wir in der Bevölkerung den Eindruck vermitteln, dass das System sicher ist, und wir selbst daran zweifeln. Deshalb werden wir der Überweisung in den Europa- und Rechtsausschuss zustimmen und gehen davon aus, dass die Justizministerin unsere Fragen beantworten wird und wir gemeinsam eine sachliche Debatte führen werden. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt Herr Köster von der Fraktion der NPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die politische Klasse hier im Land hat ein Problem. Sie hat das Problem, dass sie es unterlassen hat über viele, viele Jahre,

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

die sogenannte Sicherheitsverwahrung auf rechtlich vernünftige Beine zu stellen, und musste dann anerkennen, dass die europäische Rechtsprechung die bisherige Form der Sicherheitsverwahrung als rechtswidrig anerkannt hatte. Dadurch ist die politische Klasse indirekt mitbeteiligt, dass hochkriminelle und hochgefährliche Sexualstraftäter wieder auf die Menschen losgelassen werden. Und nun wird erneut den Bürgern hier in Mecklenburg-Vorpommern Sand in die Augen gestreut.

Ich verweise in diesem Zusammenhang nur auf eine Presseerklärung des neuen rechtspolitischen Sprechers der CDU-Landtagsfraktion Herrn Andreas Texter, Zitat: „,Wir stellen mit dem Gesetz sicher, dass sich Mecklenburg-Vorpommern von Anfang an an der elektronischen Aufenthaltsüberwachung beteiligt. Damit wird die Bevölkerung vor rückfallgefährdeten Straftätern mit ungünstiger Sozialprognose geschützt, auch wenn diese aus der Haft oder dem Maßregelvollzug entlassen sind. Gleichzeitig unterstützt die Überwachung durch ihre präventive Wirkung die Resozialisierung,ʻ so Andreas Texter.“

Sie streuen den Menschen Sand in die Augen, weil Sie angeben, dass nun alles in Sicherheit wäre. Dass GPS,

(Heinz Müller, SPD: Nein, Resozialisierung klappt nicht immer. Das sieht man bei Ihnen.)

dass GPS nicht einwandfrei funktioniert, ist jedem bekannt, der ein Navigationsgerät im Auto verwen- det. Weiterhin ist eindeutig die Meinung der NPDFraktion: Kinderschänder haben auf der Straße nichts zu suchen,

(Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Gewalttäter gegen Frauen auch nicht.)

sie müssen zumindest für ihr Leben lang weggesperrt werden. Wir lehnen die Resozialisierung der Kinderschänder ab.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Drese von der Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die elektronische Aufenthaltsüberwachung ist ein weiteres Element zum Schutz der Bevölkerung vor rückfallgefährdeten Gewalt- und Sexualstraftätern. Mit dem Staatsvertrag erfolgt ein großer Schritt zur gemeinsamen Überwachung der entlassenen Täter. Durch die länderübergreifende Zusammenarbeit soll ein flächendeckendes elektronisches Überwachungssystem aufgebaut werden.

Im Rahmen der elektronischen Aufenthaltsüberwachung können entlassene Straftäter gerichtlich angewiesen werden, ein elektronisches Band zur Feststellung ihres Aufenthaltsortes mittels GPS zu tragen. Die elektronische Fußfessel ist kein Ersatz für die geschlossene Unterbringung von gefährlichen Straftätern.

(Heinz Müller, SPD: Sehr richtig.)