Protokoll der Sitzung vom 26.10.2012

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU und SPD auf Drucksache 6/1220. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktionen der CDU und SPD auf Drucksache 6/1220 einstimmig angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 36: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Wohnungsmarktbericht für Mecklenburg-Vorpommern erstellen, Drucksache 6/1224.

Antrag der Fraktion DIE LINKE Wohnungsmarktbericht für Mecklenburg-Vorpommern erstellen – Drucksache 6/1224 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE Frau Lück.

(Vizepräsidentin Silke Gajek übernimmt den Vorsitz.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel des Antrages ist, ein regional differenziertes Bild des Wohnungsmarktes zu erhalten. So können unterschiedliche Handlungs

strategien aufgezeigt und regionale Handlungsbedarfe abgeleitet werden, wie man den geänderten Wohnbedarfen gerecht werden kann und wie es auch mit der Stadt- und Dorferneuerung weitergehen muss. Es gilt, Wege zu finden, alle Regionen des Landes sozusagen als attraktive Wohnstandorte und damit als Lebensorte zu erhalten.

Ich verweise auf die Landesverfassung: Artikel 17 verpflichtet uns, das Land, die Gemeinden und die Kreise, im Rahmen der Zuständigkeit darauf hinzuwirken, jedem angemessenen Wohnraum zu sozial tragbaren Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Weiter heißt es: „Sie unterstützen insbesondere den Wohnungsbau und die Erhaltung vorhandenen Wohnraums. Sie sichern jedem im Notfall ein Obdach.“ Die Verankerung des Rechts auf Wohnen als Staatsziel in unserer Landesverfassung ist gut. Das ist nicht in allen Bundesländern so. Es ist an der Zeit, dieses Recht auch mit Leben zu erfüllen, schließlich ist seit 2007 das Land allein für die soziale Wohnraumförderung zuständig.

Die Situation auf dem Wohnungsmarkt in unserem Land ist ja sehr unterschiedlich. Das wissen Sie auch alle. Wir haben Orte mit angespanntem Wohnungsmarkt, in dem bezahlbare und kleine Wohnungen knapp sind. In den Hansestädten mit Hochschulstandorten tendiert der Leerstand von drei Prozent bis gegen null. Dort sind Studienanfänger verzweifelt auf Zimmersuche. In Greifswald steigen die Mieten deutschlandweit am schnellsten. Bei Neuvermietungen sind es um die zehn Prozent, die sozusagen mehr berappt werden müssen. Auch in den Bade- und Urlaubsorten entlang der Küste fehlen bezahlbare Wohnungen. Kurzum, in gefragten Städten und guten Lagen steigen die Mieten, die Grundstücks- und Immobilienpreise, und das mit großer Dynamik.

Und dann gibt es genau die Kehrseite. Wenige Kilometer weiter, aber vor allem in strukturschwachen, von größeren Städten weit entfernten ländlichen Räumen steigt der Wohnungsleerstand. In Einzelfällen steht in kommunalen und auch in genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen jede fünfte Wohnung leer. Dort sinken Häuser und Grundstücke im Wert, lassen sich nur schwer oder nicht verkaufen und müssen deshalb aufgegeben werden. Mietsteigerungen lassen sich kaum durchsetzen, weil sie den Fortzug und damit auch den Leerstand befördern.

Die Landesregierung wird noch in diesem Jahr die 5. Landesprognose zur Bevölkerungsentwicklung vorlegen, sich vornehmen auch. Im Jahr 2030 werden voraussichtlich nur noch 1,4 Millionen Menschen in Mecklenburg-Vorpommern leben. Das sind noch einmal 230.000 Einwohnerinnen und Einwohner weniger als heute und 550.000 weniger, als es 1990 waren. Die Anzahl der Haushalte geht zurück und damit natürlich auch die Wohnungsnachfrage.

Immer mehr Menschen leben allein und fragen vor allem kleinere Wohnungen nach – und das ist das Entscheidende. Der Altersdurchschnitt steigt weiter und wird im Jahr 2030 bei 50,5 Jahren liegen. Die Lebenserwartung steigt. Der Anteil der Hochbetagten verdoppelt sich und damit natürlich auch der Bedarf an barrierefreien Wohnungen. Und da die Situation auf dem Wohnungsmarkt und die demografische Entwicklung unmittelbar zusammenhängen, werden diese Unterschiede auch zunehmen.

Die Menschen zieht es in die größeren Städte, dort ist die Infrastruktur besser, dort brummt sozusagen das Leben. Von Schrumpfung überdurchschnittlich betroffen sind natürlich die ländlichen Räume. Die Spirale der Landflucht dreht sich schneller. Ich frage: Wollen wir das hinnehmen und zusehen oder wollen wir aktiv gestalten?

Meine Fraktion will gestalten. Und um gestalten zu können, brauchen alle Akteure verlässliche Grundlagen für ihr Handeln. Kommunen brauchen Daten, um Stadt- und Dorferneuerung zu planen. Prognosen von Wohnungsnachfrage und zum Leerstand sind Grundlage für Investitionsentscheidungen, für die Modernisierung, den Neubau oder auch für den Abriss von Wohnungen.

(Torsten Renz, CDU: Ja, das machen wir doch in Güstrow schon alles. In Güstrow machen wir das schon alles. Der ist überflüssig, der Antrag.)

Sind Defizite zwischen Angebot und Nachfrage bekannt, kann das Land Förderpolitik neu ausrichten, Herr Renz, und genau darum geht es. Das Land kann dann Förderpolitik neu ausrichten oder Förderbedarfe gegenüber dem Bund auch fundiert begründen.

(Torsten Renz, CDU: Wollen Sie sagen, dass das Land zurzeit blind handelt? Ein harter Vorwurf.)

Deshalb sehe ich das Land in der Pflicht, konzeptionell tätig zu werden. Andere Länder machen es vor. So verfügt Thüringen über einen aktuellen Wohnungsmarktbericht, erstellt vom unabhängigen wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Beratungsunternehmen empirica im Auftrag des Ministeriums für Bau, Landesentwicklung und Verkehr.

In Sachsen-Anhalt ist alle zwei Jahre dem Fachausschuss des Landtages ein Bericht zur Stadtentwicklung und zum Stadtumbau Ost sowie zur Mieten- und Wohnungsentwicklung vorzulegen. Das beschloss der Landtag im Oktober 2006.

Warum sollte das, wenn es in Thüringen und in Sachsen möglich ist, nicht auch bei uns umgesetzt werden? Derzeit verlässt sich das Wirtschaftsministerium auf die wohnungswirtschaftlichen Daten des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen, in dem sozusagen genossenschaftliche und kommunale Wohnungsunternehmen organisiert sind.

Wir haben im Land etwa 850.000 Wohnungen. Davon werden grob gerechnet ein Drittel, aber wirklich nur ein Drittel, von kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen bewirtschaftet, ein Drittel von privaten Vermietern vermietet und ein Drittel von Eigentümerinnen und Eigentümern selbst bewohnt.

(Torsten Renz, CDU: Was wollen Sie damit sagen?)

Damit wird mit Daten gearbeitet, und das ist das Entscheidende, Herr Waldmüller, damit wird mit Daten gearbeitet, die zwei Drittel des Wohnungsbestandes nicht berücksichtigen. Das können wir doch nicht hinnehmen. Das kann doch wirklich nicht unser Ernst sein!

(Torsten Renz, CDU: Wieso nicht?)

Ein Grund für die Gebäude- und Wohnungszählung im Jahre 2011 war die Tatsache, dass die Bevölkerungs- und Wohnungszahlen auf zunehmend unsicheren Fortschreibungen basieren. Die erhobenen Daten im Zensus 2011 sollen einmal Grundlage wohnungspolitischer und raumplanerischer Entscheidungen sein, wichtige Informationen für gezielte Marktbeobachtung liefern, den Wohnungsmarkt natürlich transparenter machen, unter Hinzuziehung der Bevölkerungs- und Altersentwicklung für Prognosen zur Wohnungsnachfrage genutzt werden und natürlich auch Grundlage für Investitionsentscheidungen in Gebäuden und an Wohnungen sein.

Mein Fazit: Liegen die Ergebnisse des Zensus 2011 vor, wäre es doch töricht, sie nicht zu nutzen für einen Wohnungsmarktbericht, und soweit kommunale Dinge vorliegen, auch kommunale Daten dann vorliegen, sollten auch die mit einfließen.

So verfügen nur einige wenige Städte über Wohnungsmarktberichte, Prognosen zur Wohnungsnachfrage und aktuelle Stadtentwicklungskonzepte. Aber längst nicht alle 44 Städte unseres Landes, die im Jahr 2002 Strategien für den Stadtumbau entwickelten und Integrierte Stadtentwicklungskonzepte aufstellten, überwachen sie oder schreiben sie fort. Das wird eben nicht von allen gemacht,

(Torsten Renz, CDU: In Güstrow aber ja.)

denn solche Planungen werden in der Regel über Städtebaufördermittel finanziert, und die reichen doch nie und werden natürlich auch immer weniger, wie Sie wissen.

Die große wohnungspolitische Unbekannte sind die Dörfer und die kleinen Städte, der ländliche Raum.

(Heinz Müller, SPD: Genau. – Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Das Wirtschaftsministerium – Herr Minister, ich will Ihnen nicht zu nahe treten – fühlt sich da doch nicht so recht zuständig. Zudem erfolgt Kommunalpolitik ausschließlich im Ehrenamt. Und das will ich Ihnen auch noch mal sagen: Ehrenamtlich ist es schwer, konzeptionell zu arbeiten, sind doch kaum die Tagesaufgaben zu bewältigen.

(Beifall Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für mich ist daher nicht nachvollziehbar, dass sich die Wohnungsabteilung im Wirtschaftsministerium auf eine Umfrage bei den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern beruft und sich damit auch noch zufrieden gibt. Demnach besteht derzeit kein besonderer Handlungsbedarf, beispielsweise bei dem Rückbau von Wohnungen. Ich frage: Wie kann das sein? Ich sagte schon, im Jahre 2030 werden noch einmal 230.000 Menschen weniger im Land leben. Die Entleerung trifft vor allem den ländlichen Raum. Unterstelle ich, dass jeweils zwei Personen im Haushalt leben, stehen dann ohne weiteren Abriss 115.000 Wohnungen leer. Wollen wir das? Das frage ich Sie alle.

(Marc Reinhardt, CDU: Wir reißen doch weiter ab.)

Die Leerstandsquote in den Verbandsunternehmen betrug in dem Jahr 2011 – und hören Sie gut zu, da Sie sich ja auch nicht täglich mit diesen Zahlen beschäftigen –, und da rechne ich Rostock, Greifswald und Wismar raus, da betraf der Leerstand neun Prozent. Es müssten also rein rechnerisch über 6.500 Wohnungen ab sofort jährlich vom Markt genommen werden, um die derzeitige Leerstandquote zu halten.

Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen schlägt Alarm. Der ländliche Raum braucht mehr Aufmerksamkeit. Geschäftsführer Roland Blank will alle berührten Ministerien an den Tisch holen, das heißt also, das Innenministerium, das Wirtschaftsministerium, das Agrarministerium und das Sozialministerium.

(allgemeine Unruhe)

Ich erwarte heute eine Antwort, ob und mit welchen Aufgaben eine interministerielle Gruppe tätig wird. Und zu guter Letzt sollen auch erste Ergebnisse der Enquetekommission „Älter werden in Mecklenburg-Vorpommern“ einfließen, Berichtsdaten für die Arbeit der Kommission genutzt werden. Also ich erwarte heute einfach eine Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen und ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Minister für Wirtschaft, Bau und Tourismus Herr Glawe.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Um es vorwegzunehmen, Frau Lück, niemand muss die Landesregierung besonders auffordern, Vorhaben umzusetzen, die bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben sind, erst recht nicht, wenn wesentliche Ergebnisse bereits jetzt und heute und seit zehn Jahren fortgeschrieben vorliegen.

(Regine Lück, DIE LINKE: Ach, das stimmt doch gar nicht! Sie haben ja nicht zugehört.)

Frau Lück, das... Jaja.

(Regine Lück, DIE LINKE: Für ein Drittel der Wohnungen liegt das vor.)

Jaja, na warten Sie mal ab!

Das in dieser Frage übergreifende Thema Demografie – das haben Sie dankenswerterweise ja zumindest erkannt und aufgegriffen – ist nicht nur in meinem Hause Bestandteil der Arbeit, sondern der gesamten Landesregierung. Es zieht sich wie ein roter Faden durch den Koalitionsvertrag. Dazu wurden bereits in der Vergangenheit mehrere Analysen und Berichte vorgelegt und hier er- örtert.

Gremien auf verschiedenen Ebenen und in allen Ministerien beschäftigen sich insgesamt mit allen Aktiven und Akteuren zu diesen Themen, in besonderer Weise zu

den Themen: kleine Städte, Entwicklung ländlicher Räume, ärztliche Versorgung, Verkehr, Berufsnachwuchs, Stadtentwicklung. Und natürlich auch zum Thema Wohnungsfragen wird naturgemäß debattiert und Einfluss genommen.