Kommen wir aber zu den Punkten, wo wir meinen, dass etwas geschehen muss. Naheliegend ist natürlich die Lebensmittelüberwachung. Die derzeit auf Länderebene organisierte Lebensmittelüberwachung muss den Marktstrukturen angepasst werden. Sie muss national organisiert und wirklich unabhängig sein. Sehen wir uns das Beispiel von Lebens- und Futtermittelunternehmen, die für einen überregionalen Markt oder Handelsketten für Lebensmittel produzieren, an. Das sind Bereiche, die die Länder selbstverständlich nicht eigenständig bewältigen können. Der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung stellte in einem Gutachten zur „Organisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes“ klar, ich zitiere: „Bezogen auf das Lebensmittelrecht gibt das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit dem Staat auf, durch wirksame Gesetze, Behördenstrukturen und Kontrollsysteme für unbedenkliche Lebensmittel zu sorgen. Der Bund ist dann verantwortlich, wenn dieses Ziel nicht ausreichend auf Länderebene oder stattdessen besser auf Bundesebene erreicht werden kann.“ Zitatende.
Der Bund hat laufend zu beobachten, ob die Lebensmittelüberwachung durch die Länder die grundrechtlich verbürgten Rechtsgüter Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit ausreichend schützt. Ergeben sich Anhaltspunkte für Mängel in sicherheitsrelevanten Bereichen, die die Länder systembedingt nicht mehr lösen können, muss der Bund selbst Abhilfe schaffen. Gesamtverantwortung bei der Lebens- und Futtermittelsicherheit trägt der Bund auch nach außen, insbesondere als Mitglied der Europäischen Union. Ihr gegenüber hat er zu verantworten, dass das Unionsrecht bei der nationalen Rechtsetzung und beim Verwaltungsvollzug ordnungsgemäß umgesetzt wird. Der Bund ist auskunftspflichtiger Ansprechpartner und haftet gegenüber der EU.
Meine Damen und meine Herren, die Vergangenheit zeigt, dass in Sachen Lebensmittelsicherheit auch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Länder nur bedingt weiterhilft. Hier sind ganz klar nationale Regelungen erforderlich.
Ein weiterer Punkt ist die Einführung umsatzorientierter Bußgelder. Diese Forderung geht in die Richtung, die der Landwirtschaftsminister auch schon gefordert hat, und sie ist völlig richtig.
Ich weiß nicht, was Sie wollen. Wir haben vom Prinzip her in keiner Weise vor, hier den Minister zu kritisieren. Ich weiß nicht, worauf Sie hier laufend hinaus wollen.
Im aktuellen Pferdefleischskandal handelt es sich um einen Fall ausgeprägter Wirtschaftskriminalität. Dieser muss man mit einem ausgeprägten Sanktionssystem in Form härterer Strafen und Bußgelder begegnen. Es ist einleuchtend, dass die abschreckende Wirkung von Strafen und Bußgeldern äußerst gering ist, wenn Unternehmen, selbst wenn sie überführt und verurteilt werden, trotzdem noch Gewinne erzielen. Strafe soll ein wirklicher Verlust und kein Weniger an Gewinn sein. Nur dann hat ein großer Konzern ein starkes Interesse an geeigneten Strukturen zur Qualitätssicherung, nur dann wirkt die Strafe auch abschreckend, meine Damen und Herren.
„Abschreckung“ ist im Übrigen ein gutes Stichwort. Bisher ist es so, dass strafrechtlich lediglich Einzelpersonen zur Verantwortung gezogen werden können. Das wirft aber Probleme auf, wenn es darum geht, wer in einem Unternehmen für verbraucherschutzrelevante Straftaten verantwortlich ist. Häufig lässt sich das nämlich nicht nachweisen. Eine Abschreckung in strafrechtlicher Hinsicht ist also kaum zu erwarten. Erforderlich ist es deshalb, eine strafrechtliche Unternehmenshaftung einzu- führen.
Ein wesentlicher Punkt, der Einfluss auf die Verbraucherschutzpolitik hat, ist der freie Binnenmarkt innerhalb der Europäischen Union. Die Europäische Union hat natürlich richtigerweise erkannt, dass Liberalisierungsmaßnahmen auf europäischer Ebene eine stärkere Überwachung der wichtigsten Verbrauchermärkte erfordern. Der Markt für Lebens- und Futtermittel ist zweifellos einer dieser wichtigen Verbrauchermärkte. Ganz wesentlich sind deshalb stärkere Garantien hinsichtlich Markttransparenz und verbesserter Rechtschutzverfahren.
Markttransparenz bedeutet einerseits Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln. Die EU-Verordnung zur Rückverfolgbarkeit bei Lebensmitteln legt fest, dass ab 1. Januar 2005 der Werdegang sämtlicher Lebensmittel dokumentiert werden muss, und zwar lückenlos: jeder Verarbeitungsschritt und jedes verwendete Betriebsmittel in der Produktion, jede Bezugsquelle, jede Zwischenlagerung, einfach alles. Es ist erforderlich, dass diese Verordnung
zwingend umgesetzt wird. Das wäre ein richtiger Schritt in Richtung Verbraucherschutz und hier ist auch das Land in der Pflicht.
Markttransparenz erfordert aber auch, dass die Namen der Firmen und Produkte veröffentlicht werden, die bei amtlichen Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen aufgefallen sind.
Es ist bisher so, dass der Leumund eines Unternehmens schwerer gewichtet wird als Verbraucherinteressen. Dieser Zustand ist unhaltbar, zumal seriöse Unternehmen nach einer solchen Bekanntmachung stets bemüht sein werden, sich durch umfangreiche Aufklärungen und Verbesserungen zu rehabilitieren.
Der Verbraucher muss umfassend informiert werden, und zwar in einem bundesweit einheitlichen System. Nur dann kann er seine Marktmacht nutzen und das marktwirtschaftliche System selbst steuern.
Ein effektiver Rechtsschutz ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Häufig werden Verbraucher getäuscht oder betrogen, sehen sich aber in einem kommenden Prozess einem riesigen Konzern gegenüber. Da ist es doch selbstverständlich, wenn viele Menschen sich eingeschüchtert fühlen und trotz Täuschung oder Betruges den Prozess scheuen und eine bittere Pille schlucken müssen.
Meine Damen und Herren, ich bin gespannt auf die Auseinandersetzung, die Debatte hier im Landtag und hoffe, dass Sie unserem Antrag zustimmen. – Danke schön.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine verbundene Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Ums Wort gebeten hat der Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Herr Dr. Backhaus.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin zunächst erst mal dankbar, nachdem wir diese Phase der Diskussion in der Öffentlichkeit ein Stückchen hinter uns gelassen haben, dass wir heute über das Thema Lebensmittelsicherheit, Futtermittelsicherheit hier im Hohen Hause reden können. Für mich ist eins klar: Ich bin meiner Fraktion dankbar, dass wir dieses Thema heute auf der Tagesordnung haben. Lebensmittelsicherheit, Futtermittelsicherheit hat für uns in diesem Land allerhöchste Priorität.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir uns mal anschauen, wie die Lebenserwartung ist, und gehen dann mal ins 18. Jahrhundert zurück oder in das 17., so in Richtung,
tatsächlich 1863, dann lag die Lebenserwartung bei um die 40 Jahre für Männer und Frauen. Wenn wir uns das
heute anschauen – und das sage ich hier auch ganz bewusst vor dem Hintergrund dieser Diskussion –, dann ist es ja hocherfreulich, dass wir mittlerweile bei über 80 sind. Und die Lebenserwartung steigt weiter an, in 50 Jahren im Übrigen im Durchschnitt um weitere zehn Jahre. Und welche Ursachen hat das?
Zum einen natürlich die gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen. Ja, die ärztliche Versorgung ist ja viel, viel besser geworden in Deutschland. Dann ist außerdem das Thema Bildung. Aber ein Thema ist auch die schwere körperliche Arbeit, die in der Form nicht mehr so stark vorhanden ist, und dann sind wir automatisch bei den Lebensmitteln.
Ja, und ich wage zu behaupten, auch heute und hier in diesem Hohen Hause, die Lebensmittel in Deutschland waren noch nie so sicher wie heute. Und wenn man sich überlegt, worüber wir hier reden – man hat ja schon ein Problem, immerzu diese Vokabularien in den Mund zu nehmen –, ein Skandal nach dem anderen, ob das Pferdefleischskandal ist, der ist hier ja schon genannt worden, der Eierskandal, der Futtermittelskandal. Dann hatten wir am Wochenende zum Teil auch in den Medien einen Putenfleischskandal – also innerhalb von vier Wochen vier Skandale.
Und wenn man ganz real hinter die Kulissen schaut und das auch mit Sach- und Fachkompetenz sich anschaut, dann nehme man zur Kenntnis, dass von den Lebensmitteln und von den Futtermitteln ausgehend, die in Mecklenburg-Vorpommern zur Anwendung gekommen sind, zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr bestanden hat, und darauf bin ich stolz. Und ich glaube, ich darf an dieser Stelle auch mal den Dank aussprechen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter in den Landkreisen –
jawohl – oder auch im LAiV in Rostock, die im Übrigen die letzten vier Wochenenden komplett durchgearbeitet haben. Die haben eine hervorragende Arbeit in dieser schwierigen Situation geleistet. Jetzt können Sie mal klatschen, aber alle Mann.
Und Aflatoxin ist ja auch schon angesprochen worden. Ich glaube, auch im Interesse der Allgemeinheit, ich habe es auf dem Weltverbrauchertag gesagt und das ist auch meine innere Überzeugung: Die beste Währung auf dieser Welt ist Vertrauen. Wenn es kein Vertrauen gibt, kann man auch die Zukunft nicht gestalten. Und wenn man sich diese sogenannten Skandale anschaut, dann wird eines deutlich: Hier geht es nicht um Lebensmittelsicherheit, sondern es geht um Gewinnmaximierung und es geht in diesem globalisierten Markt um Gewinnabschöpfung.
Das ist das ganz klare Ziel und da sind die großen Lebensmitteleinzelhändler, alle fünf, die wir in Deutschland haben, alle kräftig dabei, hier auch an diesem Prozess mitzuwirken.
Und eines will ich an dieser Stelle auch betonen: Jeder Lebensmittelunternehmer oder jeder Landwirt, wenn Sie sich heute das Lebensmittelgesetzbuch und das Futtermittelgesetzbuch anschauen, die sind zusammengefügt, dann hat heute Futtermittel Lebensmittelqualität. Ein Segen ist das für Deutschland, für die Menschen wie auch für die Tiere. Und dieses Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ist maßgeblich durch die Sozialdemokraten entwickelt und bestimmt worden und wir haben ein sehr hohes Niveau.
Ich appelliere hier und heute noch mal an alle lebensmittel- und futtermittelverarbeitenden Unternehmen, ihrer Verantwortung für die Allgemeinheit gerecht zu werden. Die erste Bürgerpflicht ist, die Verantwortung für die Lebensmittel und die Futtermittel zu übernehmen.
Darauf fußend setzt im Übrigen dann die staatliche Kontrolle an. Die sogenannten Lebensmittelskandale sind alle entweder durch die Eigenkontrollsysteme – ist hier ja von den Vorrednern schon gesagt worden, durch die Eigenkontrollsysteme – oder aber insbesondere durch die staatliche Kontrolle aufgedeckt worden. Jawohl, was im Zusammenhang mit dem Pferdefleisch passiert ist, hat ursprünglich in der staatlichen Kontrollüberwachung in Irland stattgefunden und wir sind in diesen Prozess ja zum Glück schnell mit eingebunden worden. Ich weise ausdrücklich darauf hin, wir haben ein diensthabendes System, das rund um die Uhr geht. Und ich darf Ihnen tatsächlich noch mal mitteilen, jawohl, es vergeht fast kein Tag, wo nicht irgendwelche Schnellwarnungen eingehen. Allein im Zusammenhang mit dem Pferdefleisch sind es 19 Schnellwarnungen und 6 Schnellwarnentwürfe gewesen, die bei uns auf den Rechnern waren. So könnte ich andere Beispiele nennen.
Und ich will in dem Zusammenhang auch unterstreichen, dass die Lebensmittelkontrolle und -überwachung in den Bundesländern nach wie vor ein enges Zusammenspiel hat. Selbstverständlich müssen wir weitere Maßnahmen einleiten, darauf komme ich nachher noch mal kurz.
In Deutschland wurden im Übrigen im Zusammenhang mit dem Pferdefleisch immerhin 2.170 Proben genommen. In denen sind in 150 Fällen DNA-Spuren von Pferdefleisch gefunden worden im Verarbeitungsfleisch.
Und, Frau Borchardt, ich will an dieser Stelle schon mal unterstreichen, die EU-Verordnung, die Sie angesprochen haben, das ist richtig, aber das Grundproblem ist, dass es für Verarbeitungsfleisch in Europa heute keine Deklarationspflicht gibt. Das ist ein Punkt, den wir ändern müssen. Wir wollen bei jeder einzelnen Komponente, ob es ein Futtermittel ist oder ein Lebensmittel ist, dass jede einzelne Komponente, die in ein Futtermittel oder in ein Lebensmittel eingegeben wird, ganz klar deklariert wird und dann auch rückverfolgbar ist. Das fehlt heute und das habe ich seit Jahren gesagt,
zur hundertprozentigen Deklaration, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher als mündige Bürger ihre
Verantwortung wahrnehmen können und dann auch klar bestimmen können, für welche Produkte sie sich entscheiden.
Im Übrigen ist das auch die beste Wirtschaftspolitik. Und regionale Qualität ist immer erste Wahl. Auch das ist mir sehr, sehr wichtig.
Und ich will auch betonen, auch hier hat es ja Diskussionen gegeben, in Bezug auf Phenylbutazon, also Schmerzmittel oder Medikamente, die hier in dem Pferdefleisch gefunden worden sind, kann ich hier und heute unterstreichen, wir haben bei den Proben, die wir gemacht haben in Mecklenburg-Vorpommern, nämlich insgesamt 53, wir haben für Pferdefleisch DNA geprüft und wir haben 13 Positivfunde gehabt, aber für Phenylbutazon hat es keinen Nachweis in Mecklenburg-Vor- pommern gegeben.