Protokoll der Sitzung vom 25.04.2013

Auch bei den Vorschlägen zur Erreichung der Gesundheitsziele sehe ich noch Verbesserungsbedarf. Dazu wird dann meine Kollegin Jacqueline Bernhardt Ausführungen machen. Darauf möchte ich Sie schon neugierig machen

und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Koplin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Barlen für die Fraktion der SPD.

Ja, sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der eigentliche Wert von Gesundheit offenbart sich uns allen oft erst dann,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wenn man krank ist.)

wenn sie nicht oder besser gesagt nicht mehr da ist. Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes, das sind nur wenige Beispiele, bei denen sich viele akut Betroffene heute sicher wünschen, in Vergangenheit mehr für die eigene Gesundheit getan zu haben, also insbesondere gesünderes und ausgewogenes Essen, mehr Bewegung im Alltag, weniger Alkohol und Zigaretten.

Und das ist dann aber leider eine späte und möglicherweise auch zu späte Einsicht, denn ganz viele Faktoren für Gesundheit im Alter, für körperliche und geistige Beweglichkeit, emotionales Wohlergehen, die werden bereits in der frühen Kindheit und zum großen Teil sogar schon im Mutterleib gelegt, in einem Alter also, das nicht von Selbstbestimmtheit, sondern von Abhängigkeit vom Vorbild und vom Verhalten insbesondere der Eltern bestimmt ist. Stichworte sind hier Rauchen in der Schwangerschaft, natürliche Geburt und Stillen, Erziehung des Essverhaltens und Erziehung zur Hygiene, Anreize für Sport, Bewegung, Kreativität oder aber auch die emotionale und soziale Wärme im Elternhaus, die Kinder natürlich am dringendsten brauchen, um stark zu sein gegen die Härten und Unwägbarkeiten, die jedes Leben mit sich bringt.

Meine Damen und Herren, in dieser frühen Phase des Lebens geht es also um nicht weniger als die wesentlichen Voraussetzungen für Glück und Eigenständigkeit, für die spätere Teilhabe am Sozial- und Arbeitsleben und für die Fähigkeit, Rückschläge auch verkraften zu können, ohne zur Flasche, zu Drogen oder im schlimmsten Fall zum Strick zu greifen. Bei diesem Verständnis von ganzheitlicher Prävention auch schon im Kindes- und Jugendalter kommt insbesondere – Ministerin Schwesig ist darauf eingegangen – den Eltern und Erziehungsberechtigten eine enorme Verantwortung zu.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und von diesen primären Verantwortungen kann und soll und wollen wir auch niemanden befreien, sondern höchstens gezielt dabei unterstützen. Denn das Gesundheitsbewusstsein der Bezugspersonen und deren Haltung zu einer gesunden Lebensweise entscheiden ganz maßgeblich über die Entwicklung der Kinder. Im engsten sozialen Umfeld muss doch vermittelt werden, dass der Mensch nicht von Kartoffelchips alleine lebt, dass Probleme in der Familie und mit Freunden besprochen werden müssen und nicht mit Pillen erstickt werden können oder dass die virtuellen Freunde aus dem Internet in der Not wahr

scheinlich nicht tausend, sondern eher hunderttausend auf ein Lot gehen.

Wenn das aber nicht geleistet wird im sozialen Umfeld, im Elternhaus, dann müssen – und auch das hat Ministerin Schwesig ausgeführt –, dann müssen öffentliche Hilfesysteme in Kita, Schule, Verein, bei der Begleitung der Eltern und anderenorts wirksam werden, um den betroffenen Kindern eben doch ihre individuelle Chance auf das Lebensglück zu geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau das ist die Art sozialer Gerechtigkeit, deren Erreichung im Großen und Ganzen wir durch viele Maßnahmen im Kleinen und Speziellen anstreben. Das zieht sich durch alle Bereiche der Politik der SPD-geführten Landesregierung durch und eben auch im Bereich der Kinder- und Jugendgesundheit. Viele Beispiele sind von Frau Schwesig in der Debatte genannt worden, konzertierte Aktionen, Landesaktionsplan, die Landesvereinigung für Gesundheitsförderung, die Projekte durch die Landesregierung unterstützt bekommt, das Aktionsbündnis für Gesundheit, in dem Ministerin Schwesig und auch das Gesundheitsministerium eine sehr aktive Rolle einnehmen – das war in der letzten Woche auf der Kinder- und Jugendgesundheitskonferenz auch in Rostock zu erleben – oder eben auch bei den soeben aktualisierten Gesundheitszielen für Kinder und Jugendliche.

Diese Gesundheitsziele für Kinder und Jugendliche bringen mich zu dem vorliegenden Bericht, den wir heute diskutieren und für dessen Vorlage ich Ministerin Schwesig sehr herzlich danken möchte.

Meine Damen und Herren, was bringt uns ein solcher Bericht? Eine fundierte Gesundheitsberichterstattung ist in unseren Augen die entscheidende Planungsgrundlage bei der Frage, inwieweit wir in Mecklenburg-Vorpommern durch geeignete Maßnahmen dem dargelegten Anspruch gerecht werden, möglichst allen Kindern einen guten Start in ein gesundes und erfülltes Leben zu ermöglichen. Und nur, wenn wir gute Daten darüber haben, in welchen Bereichen des Lebens der Kinder und Jugendlichen sich die Lage verbessert hat und wo es weitere Herausforderungen gibt, können wir letztlich die wirksam und auch messbaren Instrumente zur Intervention bestimmen und können wir starke Partner für die Umsetzung dieser Maßnahmen im Land gewinnen.

Die Daten, Fakten und Befunde des vorliegenden Berichts sind von Ministerin Schwesig sehr ausführlich beleuchtet worden. Verhaltene Freude beziehungsweise, sagen wir eher, Optimismus möchte ich zum Ausdruck bringen bei der Wirksamkeit aller Initiativen für mehr Zahngesundheit, auch bei der mittlerweile sehr guten Beteiligung an den Vorsorgeuntersuchungen mit teilweise erheblichen Abstrichen beim rückläufigen Konsum von Tabak und Alkohol, Frau Ministerin ist darauf eingegangen – das ist keinesfalls als Entwarnung, höchstens als Verbesserung zu verstehen und zugleich Motivation, die laufenden Projekte und Initiativen wie zum Beispiel HaLT fortzusetzen –, und natürlich Optimismus ganz global bei der generell immer noch sinkenden Kindersterblichkeit.

Mit Sorge ist allerdings der konstant überhöhte Anteil von Kindern mit Übergewicht und Adipositas zu betrachten, ebenso die Anzahl der Kinder und Jugendlichen mit Auffälligkeiten beim psychosozialen Verhalten, motorischen Problemen und erheblichen Verzögerungen bei der

Sprachentwicklung. Und in diesem Zusammenhang kommen die letzte Woche präsentierten neuen Gesundheitsziele für Kinder und Jugendliche zum genau richtigen Zeitpunkt, Ministerin Schwesig ist darauf eingegangen.

Und, lieber Kollege Koplin, Sie haben ja selber das umfassende Begleitmaterial zu den neuen Kinder- und Jugendgesundheitszielen angesprochen, die eben nicht nur parolenhaft ein Ziel benennen, sondern ganz detaillierte Zwischen- und Unterziele formulieren, und auch für alle Lebensbereiche der Kinder und Jugendlichen – Kita, Schule, Verein – darüber hinaus in den Kommunen entsprechende Maßnahmen empfehlen.

Meine Damen und Herren, zurück zu den Zielen. Die lassen sich insbesondere dann erreichen, wenn nicht nur die Politik sich dazu bekennt, sondern wenn alle Akteure des Gesundheitssektors, also unter anderem das Ministerium, die Krankenkassen, die Vertreterinnen und Vertreter des medizinischen und pflegerischen Sektors, die Universitäten und Hochschulen in unserem Land, viele Vereine, Verbände und vor allem natürlich auch kommunale Akteure, wenn dieses ganze Bündnis zusammensteht und konstruktiv zusammenarbeitet.

In diesem Zusammenhang lässt sich feststellen, dass sich der angesprochene Landesaktionsplan zur Gesundheitsförderung und Prävention – übrigens auch bei der Zielstellung dieser Vernetzung, die wir ja anstreben, um die Erfolge dann auch sozusagen zu erreichen –, dass sich dieser Landesaktionsplan bei der Zielstellung Vernetzung auszahlt.

Die Universität der Hansestadt Greifswald hat sich in einer aktuellen Publikation unter anderem mit dem Blick auf die Bereiche Kita und Schule mit der Situation vor und nach Verabschiedung des Landesaktionsplans beschäftigt und herausgefunden – und das ist wirklich interessant und sehr positiv –, dass die Gesundheitsämter und die weiteren Mitglieder des Aktionsbündnisses für Gesundheit eine deutlich verbesserte Situation bei der lokalen Vernetzung feststellen, beispielsweise durch eine bessere Verbindung der Gesundheitsämter mit den Kitas vor Ort.

(Heiterkeit bei Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Schwieriges Unterfangen.)

Für 2008 haben nur 31,3 Prozent der Situation dieser Vernetzung, dieser Zusammenarbeit die Note „gut“ oder „sehr gut“ gegeben. Und 2010, als sozusagen dieser Prozess auch des Landesaktionsplans weiter vorangeschritten ist, auch auf Initiative des Ministeriums die Akteure immer wieder zusammengekommen sind, um sich zu beraten, wie kann man das besser machen, bereits 2010 haben 62,6 Prozent die Note „sehr gut“ oder „gut“ verteilt.

Und Gleiches gilt neben der Vernetzung im Bereich Gesundheitsämter und Kitas auch für den Bereich Vernetzung Gesundheitsämter und Schulen, allerdings leider noch auf einem niedrigeren Niveau, aber da kann man sozusagen auf diese positive Entwicklung ja aufsetzen. 2008 gab es zu 22 Prozent Note „gut“ oder „sehr gut“ in der Untersuchung der Universität Greifswald. Und 2010 war im Bereich der Vernetzung Gesundheitsämter in den Schulen immerhin 44,5 Prozent „gut“ oder „sehr gut“ zu beobachten.

Ein weiteres Beispiel aus der Untersuchung: das Vorhandensein eines kommunalen Netzwerkes Frühe Hilfen für Mutter und Kind, ein ganz entscheidender Punkt bei der Frage, wie können wir gefährdeten Kindern sozusagen in ihrer frühesten Kindheit in problematischen Elternhäusern in den von Ihnen angesprochenen Bereichen, Herr Koplin, helfen. 2008 konstatierten mehr als ein Drittel, dass es ein solches Netzwerk Frühe Hilfen Mutter/Kind vor Ort nicht gibt, mehr als ein Drittel im ganzen Land. Und schon 2010 – also dieser Wert, der hat wirklich alle auch sozusagen aufgerüttelt und überlegen lassen, wie können wir das abstellen –, 2010 wurde eine flächendeckende Netzwerkarbeit von allen konstatiert. Das ist ein großer Erfolg auch des Landesaktionsplanes.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für Kinder mit gesundheitlichen und sozialen Risiken existieren in unserem Bundesland zahlreiche herausragende Hilfeangebote, und zwar flächendeckend. Und die bereits erwähnte Kindergesundheitskonferenz in der letzten Woche hat dies wirklich sehr eindrucksvoll bestätigt. Herr Koplin, Sie sind relativ frühzeitig sozusagen wieder gegangen,

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

sind dann vertreten worden durch Frau Bernhardt. Ich hoffe, sie hat Ihnen sehr ausführlich berichtet, wie die anwesenden Akteure aus der Praxis sozusagen diese Kindergesundheitsziele und auch die entscheidenden Punkte aus dem Kinder- und Jugendgesundheitsbericht vor Ort im ganzen Bundesland sehr tatkräftig, sehr motiviert anpacken, um dort zu Verbesserungen zu kommen. Eine wesentliche Herausforderung, die aber für alle diese vorhandenen, gut arbeitenden Akteure besteht, egal aus welchem Bereich, ist, dass Bedarf bei den Kindern und vorhandenes Angebot auch zusammengebracht werden müssen. Das ist eine der wesentlichen Herausforderungen,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kontinuierlich, kontinuierlich.)

die Angebote, genau, zusammenzubringen, und zwar dort, wo sie am dringendsten benötigt werden. Um am Ende wirksam für die Kinder- und Jugendgesundheit handeln zu können, müssen also die individuellen Problemlagen erkannt werden. Und da können auch die Zahlen eines Kinder- und Jugendgesundheitsberichtes immer nur ein Indikator sein. Wenn man weiß, wie es sich im Bereich Adipositas, Alkoholkonsum oder was auch immer verhält, weiß ich ja immer noch nicht, wie es individuell in einem Kreis, in einer Kita, in einer Stammgruppe verteilt ist.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: In einer Schulklasse.)

In einer Schulklasse auch.

Also es müssen die individuellen Problemlagen der Kinder erkannt werden, zielsicher, um dann entsprechende Maßnahmen in die Wege zu leiten. Und ohne das diagnostische Handwerkszeug, um unter allen Kindern und Jugendlichen eben solche zu identifizieren, die schlechtere Startchancen haben und die mehr an Unterstützung benötigen, ohne diese Diagnostik lässt sich nicht zielgenau arbeiten. Wenn allerdings bekannt ist durch eben

solche Beobachtungen und Diagnostik, was wo vonnöten ist, dann können die Angebote auch passgenau und wirksam zum Einsatz kommen.

Und im wichtigen, von Ministerin Schwesig eben auch schon angesprochenen Bereich Kita ist meines Erachtens sehr anschaulich, dass wir genau diesen Ansatz stringent auch in der Gesetzgebung verfolgen. Im Kindertagesstättenförderungsgesetz, kurz KiföG, haben die Gesundheitsförderung und der Kinderschutz allgemein einen sehr hohen Stellenwert. Da geht es um Bewegung, gesunde Ernährung, Zahngesundheit,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Elternarbeit.)

die ganz wichtige Elternarbeit.

Danke, ich habe hier also richtig eine Souffleuse. Frau Gajek, ich freue mich sehr,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist immer das, was mir so fehlt.)

dass Sie schon meine Reden auswendig gelernt haben, bevor ich sie gehalten habe. Also das ist richtige Fan- kultur.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Beifall Egbert Liskow, CDU – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich habe sie noch nicht gelesen.)

Abgesehen von der Tatsache, dass natürlich auch die aktuell laufende Verbesserung der Eltern-Kind-Relation und die Erhöhung der Zeit für mittelbare pädagogische Arbeit im KiföG letztlich zu mehr Zeit für die Kleinen, zu mehr Aufmerksamkeit und zu besserer Vorsorge führen, haben wir im Zuge der letzten Novelle zusätzlich ein Screening, das Dortmunder Entwicklungsscreening, für den Kindergarten eingeführt.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da bin ich jetzt keine Souffleuse.)

Und bei diesem Screening, meine Damen und Herren, geht es genau darum, jene Kinder zu finden, die hinsichtlich ihrer sozialen, emotionalen, kognitiven, körperlichen Entwicklung Aufholbedarf haben

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und damit Gefahr laufen, im späteren Leben Mühe zu haben, im späteren Leben beeinträchtigt zu werden.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)