Antrag der Fraktion DIE LINKE „Ja“ zu Zivilklauseln an Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern – Drucksache 6/1947 –
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn muss ich feststellen, dass das Thema „Zivilklauseln an den Hochschulen“ kontrovers diskutiert wird, weil es sich um wichtige gesellschaftliche Bereiche wie Frieden, die Gewährleistung von Menschenrechten sowie um Fragen der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit und ihre juristische Bewertung handelt. Ich werde mich dabei auf die Grundsätze konzentrieren und damit die vorhandene Diskussion an den Hochschulen aufgreifen.
Die Universität Bremen fasste im Jahr 1986 erstmals einen Beschluss, wonach jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung beziehungsweise Zielsetzung vom Akademischen Senat der Universität abgelehnt werden muss. Das heißt, Forschungsthemen und die dafür angebotenen Finanzmittel abzulehnen, wenn sie Rüstungszwecken dienen. Auch die TU Berlin, die Hochschulen Dortmund, Konstanz, Oldenburg und Tübingen führten Zivilklauseln ein.
Inzwischen gibt es an vielen Hochschulen bundesweit Zivilklauseln. Besonders stolz bin ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Universität meiner Heimatstadt Rostock seit 2011 ebenfalls eine Zivilklausel in ihrer Grundordnung verankert hat.
Dort heißt es in Paragraf 3 Absatz 5 im Leitbild der Universität, ich zitiere: „Lehre, Forschung und Studium an der Universität sollen friedlichen Zwecken dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im Bewusstsein der Nachhaltigkeit bei der Nutzung der endlichen natürlichen Ressourcen erfolgen.“ Ende des Zitats.
An weiteren Hochschulen gehen Bestrebungen von den Studierenden aus, Zivil- beziehungsweise Transparenzklauseln einzuführen. Entsprechende Arbeitskreise gibt es bundesweit an circa 30 Hochschulen. Sie sind in einer bundesweiten Initiative zusammengeschlossen, die von den Wissenschaftsinitiativen und den Gewerkschaften GEW und ver.di unterstützt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Tatsache ist, mit Rüstungsforschung wird viel Geld verdient. Das stellt sich als Hürde für die Einführung einer Zivilklausel dar. Rund 8 Millionen Euro vergab das Bundesverteidigungsministerium in den Jahren 2006 bis 2009 jährlich an Drittmitteln an Hochschulen für wehrtechnisch relevante oder militärische Forschung – und ich meine hier, von einigen 10.000- bis zu Millionen-Euro-Beträgen.
„Der Tagesspiegel“ vom 10. Juni nennt als Beispiel die Universität Kiel, an der 15 sogenannte wehrtechnische Projekte angesiedelt sind. Darüber hinaus war im Etat des Bundesverteidigungsministeriums für 2012 fast 1 Mil- liarde, ich betone es noch mal, liebe Kolleginnen und Kollegen, 1 Milliarde Euro für Forschung, Entwicklung und Erprobung von Militärtechnologien vorgesehen. Dieses Geld fließt hauptsächlich an die Forschungsinstitute der Bundeswehr, an die Rüstungsindustrie und an Forschungseinrichtungen wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
Der Bedarf an Rüstungsforschung ist groß. Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, „Made in Germany“ auf Waffen und Ausrüstungen in den Krisengebieten dieser Welt sind mit Blick auf unsere Geschichte, die Geschichte unseres Landes nicht wirklich zu rechtfertigen.
(Dr. Margret Seemann, SPD: Das Land, in dem Herr Al-Sabty lebt, das ist sein Land. – Zuruf von Heinz Müller, SPD)
Bei den Aufträgen geht es nicht nur um Technik, Ausrüstung, Waffen, auch Bereiche der Geisteswissenschaften sind betroffen. Ich nenne hierfür Beispiele:
Das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel entwickelt zum Beispiel Strategien zur Bekämpfung der Taliban in Afghanistan.
An der TU Dresden haben Psychologen für die Bundeswehr untersucht, wie viele Soldatinnen und Soldaten nach dem Auslandseinsatz traumatisiert sind.
Der Forschungsbereich 700 an der Freien Universität Berlin untersucht die sogenannte „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“,
und ich meine hier, die Möglichkeit, wie man in destabilisierten Regionen der Welt Regime installieren kann, die dem Westen genehm sind. Diese Art der geisteswissenschaftlichen Forschung bereitet in Wirklichkeit den Krieg vor und versucht, ihn zu legitimieren.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich entwickeln staatliche Hochschulen keine Waffen oder forschen an ihrem effektiveren Einsatz. Das ist mit den gesellschaftlichen Anforderungen und mit ihren eigenen Ansprüchen unvereinbar. Aber gerade in diesem Bereich sind die Grenzen fließend. Ultraschall kann sowohl für die Heilung als auch als Waffe eingesetzt werden, ein Navigationssystem über GPS kann für Fluggeräte, wie zum Beispiel Drohnen, oder für Bombenziele genutzt werden. Das macht deutlich, dass es keine klare Grenze gibt.
Forschungsergebnisse können sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden. Daher ist Transparenz nötig. Es muss auch transparent sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Forschungsaufträge zu erkennbaren militärischen Zwecken angeboten werden. Bei Aufträgen vom Bundesverteidigungsministerium und der Rüstungsindustrie kann man von militärischen Zwecken ausgehen, oder wenn Erkenntnisse vorliegen, dass Forschungsvorhaben oder Forschungsergebnisse vorwiegend einen militärischen Nutzen haben. Hier muss man im Einzelfall entscheiden.
Die Gegner der Zivilklausel lehnen diese wegen des sogenannten Dual-Use-Effekts ab. Hier meine ich die Doppelverwendung von Forschungsergebnissen für zivile und militärische Zwecke. Ein Beispiel hierfür ist die Sicherheitsforschung. Die entwickelten Sicherheitstechnologien und ihre Produkte und Dienstleistungen lassen sich immer auch militärisch oder geheimdienstlich nutzen. Deshalb sollen die Hochschulen in einem demokratischen Verfahren feststellen, ob damit die Zivilklausel verletzt ist oder nicht. Bei eindeutigen Rüstungs- oder militärisch relevanten Vorhaben ist diese Frage mit Ja zu beantworten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Lehre kann betroffen sein. So bietet die Universität Kassel in Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen Dualstudiengänge an. Ein Kooperationspartner ist hier die Firma Krauss-Maffei Wegmann GmbH. Und wer es nicht weiß,
das ist der führende Hersteller von Leopard-2-Panzern. Dieses Unternehmen liefert gegenwärtig im Auftrag der Bundesregierung und unter massiver Kritik Panzer an Saudi-Arabien und Katar. Wie Sie wissen, sind das instabile Regionen.
Der Punkt 1 unseres Antrages ist eine Bitte an die Hochschulen. Es ist deshalb eine Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir die Hochschulautonomie in Bezug auf ihre Grundordnungen respektieren. Die Zivilklausel ist eine freiwillige Selbstverpflichtung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen zur friedlichen und zivilen Lehre und Forschung. Solch eine Selbstverpflichtung ist ein klarer Ausdruck von Hochschulautonomie und gleichzeitig ein Zeichen dafür, dass die Hochschulen ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen.
In Punkt 2 des Antrages wird die Prüfung einer Verankerung der Zivilklausel in unserem Landeshochschulgesetz gefordert. In Niedersachsen gab es eine solche Regelung im Landeshochschulgesetz. Eingeführt hatte diese die SPD-geführte Regierung unter Gerhard Schröder. Die nachfolgende CDU-FDP-Regierung unter Christian Wulff schaffte sie wieder ab. Hoffentlich revidiert das die gegenwärtige rot-grüne Regierung wieder.
Wichtig ist in unserem Antrag im Punkt 3: Die Hochschulen unseres Landes leiden unter einer chronischen Unterfinanzierung. Wir haben diesen Punkt in der letzten Landtagssitzung diskutiert. Dabei ist auch klar geworden, dass sich zunehmend eine Abhängigkeit der Hochschulfinanzierung von Drittmitteln entwickelt hat. In Bezug auf militärische Forschungsaufträge kann das bedeuten, dass man sie wegen der Knappheit der Mittel aus der Grundfinanzierung annehmen muss – kurz gesagt –, selbst wenn man das aus ethischen Gründen nicht will.
Ich betone es noch mal, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine auskömmliche Grundfinanzierung der Hochschulen ist ein guter Schutz gegen den Missbrauch von Wissenschaft. In allen Fällen, wo es Zivilklauseln gibt, sind sie rechtsgültig. Daraus kann man schließen, dass sie auch aus juristischer Sicht nicht zu beanstanden sind. Das halte ich für eine gute Ausgangsposition, um sie an allen Hochschulen in unserem Land einzuführen. – Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frieden bezeichnet zum einen den Zustand der inneren und äußeren Sicherheit, zum anderen ist damit aber auch eine menschliche Haltung und gesellschaftliche Praxis gemeint, die mit Bewusstheit auf eine möglichst gewaltfreie Lösung von Konflikten ausgerichtet ist. Entsprechend dieser inneren Differenziertheit und Komplexität des Friedensbegriffes arbeiten viele Akteure daran mit, Frieden zu schaffen, zu sichern und zu erhalten.
Für die äußere Sicherheit und die insoweit erforderliche Gefahrenabwehr ist nach der Ordnung des Grundgesetzes die Bundeswehr zuständig. Sie ist nach Artikel 87a Grundgesetz grundsätzlich auf Friedenssicherung im Sinne defensiver Aufgaben orientiert. Ob die Realität in jedem Fall der Verfassungslage entspricht, ist dabei nicht unumstritten. Bisher ist der Einsatz der Bundeswehr jedoch sowohl rechtlich als auch politisch in vollem Umfang demokratisch legitimiert. Wie wichtig und buchstäblich hilfreich die Bundeswehr in außerordentlichen Situationen werden kann, erlebten wir gerade in diesen Tagen im Zusammenhang mit den katastrophalen Überflutungen, die auch Mecklenburg-Vorpommern bedrohten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erwähnte soeben die Komplexität des Friedensbegriffs. Frieden kann nicht im Äußerlichen verbleiben. Er betrifft immer zugleich und wahrscheinlich auch zuallererst die innere Einstellung und Gesinnung von Menschen. Ob Menschen in sich selbst Frieden entwickeln und mit anderen zusammen in Frieden leben können, hängt von vielen Bedingungen ab, auf die der Staat nur indirekt Einfluss hat. Eines der Übungsfelder für den Streit der Argumente, für friedlichen Austausch und für menschliche Begegnungen sind auch die Hochschulen und Forschungsinstitute unseres Landes. Sie arbeiten über ethnische, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg am Projekt „Wahrheit“. Dieses Projekt kann nur im ständigen Dialog gelingen. So wirken die wissenschaftlichen Einrichtungen an den geistigen Voraussetzungen für eine friedliche Gesellschaft mit. Die Hochschulen und auch die außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind somit längst Orte, an denen Frieden und Völkerverständigung gelebt wird.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Universität Rostock entschieden hat, in ihrer Grundordnung zu verankern, dass Lehre, Forschung und Studium friedlichen Zwecken dienen und das Zusammenleben der Völker bereichern sollen. Ich begrüße diese Entscheidung der Universität außerordentlich und wünsche mir, dass andere Hochschulen dieses Landes diesem Vorbild folgen. Ob jedoch die Einführung einer solchen sogenannten Zivilklausel den Hochschulen gesetzlich oktroyiert werden sollte, ist eine ganz andere Frage. Dagegen steht vor allem das Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre – nicht unbedingt expressis verbis, sondern dem Geiste nach.
Gerade in der technologischen Forschung ergeben sich fast zwangsläufig viele Überschneidungen zu Themen, die auch unter militärischen Gesichtspunkten relevant werden können. Es ist nicht sinnvollerweise bestreitbar, dass die Bundeswehr für die Erfüllung ihres friedens- sichernden Auftrages eine hochmoderne apparativtechnische Ausstattung benötigt. Diese muss sich auf dem jeweils neuesten technologischen Stand bewegen, was wissenschaftliche Entwicklungs- und Begleitforschung erfordert. Entsprechende Forschungsvorhaben können damit vor dem Hintergrund des Grundrechts schwerlich a priori verworfen werden.
Derzeit betreibt die Universität Rostock an der Fakultät für Maschinenbau und Schiffstechnik bis Ende 2013 ein solches Projekt zusammen mit der wehrtechnischen Dienststelle der Bundeswehr. Ob das Projekt fortgesetzt wird, ist noch nicht entschieden.
Des Weiteren hat die Hochschule Neubrandenburg eine Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr abge
schlossen und führt bis Ende November dieses Jahres ein Forschungsprojekt im Fachbereich Landschaftswissenschaften durch.
Mir liegt an der Feststellung, dass Kooperationen mit der Bundeswehr, also einer anderen demokratisch legitimierten staatlichen Stelle, für mich jeweils etwas völlig anderes sind als beispielsweise Kooperationen mit Rüstungskonzernen.
Für eine nähere hochschulgesetzliche Regelung dieses Bereiches besteht aus meiner Sicht kein zwingendes Erfordernis. Artikel 18a der Landesverfassung unterwirft ohnehin alles staatliche Handeln der Friedensverpflichtung und der Gewaltfreiheit. Als Programmsatz für friedensorientierte Forschung ist zudem auch Paragraf 5 Absatz 5 Landeshochschulgesetz in Betracht zu ziehen, der die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Verantwortung für Mensch, Gesellschaft und Natur stellt. Nach den mir vorliegenden Informationen habe ich daher keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die Wissenschaftler des Landes dieser Verantwortung gerecht werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu den Punkten 3 und 4 des Antrages der Fraktion DIE LINKE anschließen. Dabei werde ich es sehr kurz machen.
Die Grundfinanzierung der Hochschulen wird sichergestellt. Dass die Hochschulen aus finanziellen Gründen gezwungen sein könnten, militärisch relevante Forschungsprojekte zu akquirieren, ist für mich unvorstellbar. Ich halte es auch nicht für zielführend, solche Erwägungen in die Öffentlichkeit zu bringen, denn das könnte doch immerhin den Anschein erwecken, die Landespolitik würde den Hochschullehrerinnen und -lehrern Derartiges zutrauen.
Was die Friedensforschung und die entsprechende Lehre angeht, so kann ich sagen, der Friedensgedanke ist für viele human- und sozialwissenschaftliche Disziplinen leitend und wird in Fachgebieten, wie beispielsweise Philosophie, Pädagogik, Psychologie, Theologie, Soziologie, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft, um nur die wichtigsten zu nennen, ausführlich behandelt und weiterentwickelt. Weitergehende Maßnahmen sind aus meiner Sicht zwar prinzipiell nicht erforderlich, müssten aber, sofern sie ergriffen werden sollten, in den Kontext der nächsten Zielvereinbarungsverhandlungen gestellt werden. So wäre es ohne Frage denkbar, beispielsweise im Bereich der Politikwissenschaft eine Denomination eines politikwissenschaftlichen Lehrstuhls auch im Hinblick auf die Friedensforschung auszurichten. Allerdings wäre dies etwas, was man mit den Hochschulen jeweils auch zu verhandeln hätte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss den Gedanken aufgreifen, dass Frieden nicht nur etwas Äußeres, sondern etwas Inneres ist, und das könnte nach der Debatte zum Kindertagesförderungsgesetz ja vielleicht sogar nützlich sein.