Protokoll der Sitzung vom 14.11.2013

Das Kernproblem ist doch nicht diese Frage, Frau Oldenburg, sondern das Kernproblem, das haben wir schon vor Monaten erörtert –

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das kennt nur der Bildungsminister.)

das haben Sie selber aufgeworfen, dieses Kernproblem –, das Kernproblem ist, dass der erhebliche Anteil derjenigen, die keine Berufsreife erwerben, derzeit an unseren Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen unterrichtet wird. Nur 12 von 40 haben überhaupt die Möglichkeit, also 12 von 40 Schulen, die Berufsreife anzubieten, darauf stützt sich die Debatte um die Vorlaufklassen oder gegebenenfalls auch um ein zehntes freiwilliges Schuljahr, und das ist die entscheidende Maßnahme.

Wir haben im Zusammenhang mit der Debatte zur Inklusion gesagt, wir werden dieses Thema angehen. Zu diesem Schuljahr sind vier weitere Schulen an den Start gegangen, Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen, an denen man die Berufsreife erwerben kann, und zum nächsten Schuljahr werden noch mal mehr als zehn hinzukommen. Man muss sich doch politisch nicht wundern, wenn es an den Förderschulen gar nicht die Möglichkeit gibt, die Berufsreife anzubieten, dass die Schüler, die dort zur Schule gehen, sie auch nicht erwerben. Das ist relativ logisch.

Also liegt in einem Zwischenschritt aus meiner Sicht die richtige Antwort – übrigens, ich glaube, auch von Ihnen in diese Richtung vorgeschlagen –, über Vorlaufklassen oder über das freiwillige zehnte Schuljahr – das war nun nicht Ihr Vorschlag, aber die Vorlaufklassen – an diesen Schulen überhaupt die Berufsreife zu ermöglichen, und dann bekommen die Schülerinnen und Schüler auch die Berufsreife.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Genau. Das war mein Vorschlag, der abgelehnt wurde. Der wurde abgelehnt.)

Nein, Frau Oldenburg, der wurde nicht abgelehnt, da habe ich Ihnen damals …

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Der wurde abgelehnt.)

Frau Oldenburg, wollen wir beide noch mal ins Protokoll schauen? Ich glaube, ich habe damals gesagt,

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Sie waren nicht da.)

dass ich Ihren Antrag sachlich prüfen werde und dass sehr viel dafür spricht, diese Maßnahme umzusetzen. Und Sie wissen ganz genau aus den Beratungen im Bildungsausschuss, dass dies bereits vorgesehen ist, und Sie wissen auch in welchem Umfang. Das heißt, das ist die Kernbaustelle, die wir haben in diesem Bereich, und ich bin dafür, solche Maßnahmen, wenn man sie einmal identifiziert hat, auch umzusetzen, sie wirken zu lassen, und nicht alle zwei Monate zur Lösung desselben Problems noch mal andere Maßnahmen zu ergreifen, die das Problem aber nicht lösen, weil sie nur dazu führen, dass die Schüler, die nach neun Jahren die Berufsreife erwerben und freiwillig einen Beruf ergreifen wollen, dann zehn Jahre in der Schule sitzen. Dadurch erhöhe ich die Quote derjenigen Schüler ohne Berufsreife um genau null Prozent, weil es die sind, die sowieso die Berufsreife schon haben.

Deswegen ergibt dieser Vorschlag auch keinen Sinn, meine Damen und Herren, deswegen bitte ich um Verständnis, dass ich die Koalitionsfraktionen doch motivieren möchte, den Antrag abzulehnen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Marc Reinhardt, CDU: Motivation.)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Reinhardt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen! Ich sehe es ganz ähnlich wie der Bildungsminister, aber ich möchte trotzdem mit etwas Positivem beginnen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das ist ja was!)

Frau Oldenburg, es ist ja in Punkt I, glaube ich, da haben Sie zumindest in I.1. das ganz treffend beschrieben, was uns alle umtreibt, und das haben wir nicht zuletzt auch durch den Schulfrieden in der Inklusion immer wieder bekräftigt, dass wir es tatsächlich wollen, dass wir die Anzahl der Schüler, die unsere Schulen ohne Schulabschluss verlassen, deutlich senken wollen.

Wir wissen, es waren mal 15,8 – der Minister hat es im vorherigen Tagesordnungspunkt ausgeführt –, wir sind jetzt bei 11,9. Ich denke, wir sind alle der Meinung, dass das viel zu hoch ist. Es ist ja auch so, dass die Koalition im 50-Millionen-Paket einiges an Maßnahmen ergriffen hat und ergreifen will – darauf wird dann mein Kollege Butzki noch etwas näher eingehen –,

(Andreas Butzki, SPD: Ja, das stimmt.)

womit wir diesem Ziel nachkommen wollen. Es muss ja irgendwann das Ziel sein, dass wir in den bundesdeutschen Durchschnitt, der zwischen sechs und sieben Prozent liegt, oder lieber noch da darunter kommen, denn jeder, der die Schule mit einem Schulabschluss mehr verlässt, ist natürlich für uns ein Gewinn.

Und dann habe ich mich natürlich, als ich das das erste Mal gelesen habe – Sie haben es jetzt erklärt, was Sie da vorhaben mit der Verlängerung der Schulpflicht von neun auf zehn Jahre –, habe ich mich gefragt – weil, Sie haben das selbst ausgeführt, es ja nach der Verordnung die Möglichkeit gibt, den Antrag zu stellen, und viele machen davon auch Gebrauch –, wie sich daran jetzt etwas verbessert hat. Wir schaffen ab, dass ein Antrag gestellt werden muss, und sorgen dafür, dass 150 Schüler, die den Abschluss schon in der Neunten gekriegt hätten, ihn dann in der Zehnten kriegen.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Sie kennen das Schulgesetz nicht, genau wie der Minister.)

Wie wir dadurch jetzt irgendwie einen mehr zum Schulabschluss führen, das ist mir nicht wirklich deutlich geworden aus diesem Antrag. Und da sehe ich das genauso wie der Minister, das sollten wir eigentlich so belassen, vor allem, wenn wir uns in Deutschland umgucken. Auch die Mehrheit der Bundesländer macht es nach meinen Recherchen,

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Nee, nee, eben nicht!)

nach meinen Recherchen macht es die Mehrheit der Bundesländer so – Nun ist die Frage, was ist eine Mehrheit, ne? –, macht es nach neun Jahren. Es gibt auch sehr viele Bundesländer, wo es nach zehn Jahren möglich ist mit ziemlich vielen Ausnahmeregelungen. Insofern scheint mir das hier nicht sehr konsistent zu sein und wir sollten dann lieber an den Maßnahmen weiterarbeiten, an denen wir auch seit Jahren dran sind.

Es gibt ja Unterstützungssysteme, wir haben das heute auch schon gehört, ob das Produktives Lernen ist, ob das Produktionsschulen sind, ob es das Berufsvorbereitungsjahr ist oder – und das ist, glaube ich, für die nächsten Jahre ein wichtiger Punkt – dass wir gerade den Schülerinnen und Schülern zu Hilfe kommen, die Lernschwierigkeiten haben, dass wir dort die Förderstundenanzahl erhöhen und, und, und – und dafür sorgen, dass sie halt innerhalb der neun oder dann auch zehn Jahre einen Abschluss erreichen. Sie haben gesagt, und es ist ja in der Tat auch so, dass es Schüler gibt, die machen das erst nach elf oder zwölf Jahren. Ihrer Argumentation folgend, müsste ich dann die Schulpflicht schon fast auf zwölf Jahre anheben, um wirklich auch alle mitzunehmen. Insofern, glaube ich, ist das keine Forderung, der wir uns anschließen können, und ich werde auch meiner Fraktion empfehlen, das abzulehnen.

Ich will zum Schluss noch, weil das in Ihrer Begründung auftaucht, da geht es auch um die Volkshochschulen, und es gibt ja in der Tat, …

Ich sehe Sie, Frau Oldenburg, meine Augen sind noch ganz in Ordnung.

… da gibt es in der Tat eine Menge, die dann im späteren Leben an den Volkshochschulen ihren Schulabschluss nachholt. Da gab es auch, das kann ich verraten, innerhalb der Koalition das Bestreben, mit dem nächsten Doppelhaushalt vielleicht darauf hinzuwirken, dass das kostenneutral erfolgen kann, dass man seinen Schulabschluss quasi kostenlos nachholen kann. Das ist bloß schwierig, weil wir alle wissen, die Volkshochschulen sind in kommunaler Selbstverwaltung, und leider hat auch jede Volkshochschule eine andere Gebührenordnung, eine andere Honorarordnung. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, wo wir in den nächsten Jahren als Land gemeinsam mit den Landkreisen ansetzen können, um zu versuchen, dieses Problem zu lösen und zu sagen, wir wollen dort ein weiteres Instrument schaffen, wo tatsächlich eine Kostenfreiheit hergestellt wird, sodass man dann, wenn man es in den neun, zehn oder elf Jahren nicht geschafft hat an der Schule, später noch mal seinen Schulabschluss nachmachen kann.

Insofern glaube ich, das von Ihnen Vorgeschlagene hilft nicht bei dem Problem, die Schulabbrecherquote zu senken, und deshalb werden auch wir Ihren Antrag ablehnen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Abgeordnete Frau Berger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn Menschen eine Idee haben, die nicht von vornherein als abwegig oder verwerflich eingestuft werden kann, und sie bitten darum, diese Idee möge geprüft werden, dann ist es zunächst einmal schwer, dazu Nein zu sagen.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Genau. – Burkhard Lenz, CDU: Kann ich mir gleich an die Nase fassen.)

Auch bei dem vorliegenden Antrag der Fraktion DIE LINKE hätte ich mir gewünscht, jetzt sagen zu können an dieser Stelle, okay, wir prüfen diesen Antrag, anschließend warten wir das Ergebnis der Beratung ab und sprechen dann weiter. Aber so einfach ist es hier nicht, denn der Antrag wirft eine Reihe weiterer Fragen und Probleme auf, die aus meiner Sicht besser vorher angesprochen und geklärt werden sollten, bevor etwas geprüft wird, denn auch eine Prüfung verschlingt Ressourcen, die vielleicht an der einen oder anderen Stelle sinnvoller eingesetzt werden können. Deshalb möchte ich bereits an dieser Stelle meiner Rede den Antrag auf Überweisung in den Bildungsausschuss stellen.

An welchen Stellen ich genaueren Beratungsbedarf habe, möchte ich Ihnen erklären. Sie schreiben im vorletzten Satz der Begründung, die Trennung zwischen Vollzeitschulpflicht und Berufsschulpflicht sei die Ursache der von Ihnen beschriebenen Probleme – hohe Abbruchquo

te beziehungsweise die geringe Qualifikation der Schülerinnen und Schüler – und kommen dann zu dem Schluss, die Aufhebung der Trennung könne hier Abhilfe schaffen. Auch der Konjunktiv Irrealis täuscht nicht darüber hinweg, dass Sie sich doch schon entschieden haben, wie die Prüfung ausfallen möge. Mit einer solchen Beschreibung ist aus meiner Sicht keine ergebnisoffene Prüfung mehr möglich.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Frau Berger! Frau Berger!)

Die richtige Herangehensweise wäre, erst einmal zu schauen, ob das Instrument überhaupt zum Problem passt und ob die vorgeschlagene Maßnahme tatsächlich wirksam ist. Da bestehen aus meiner Sicht Zweifel, ob diese Maßnahme tatsächlich zu dem von Ihnen beschriebenen Ziel passt, weniger Schulabschlüsse auf der einen Seite und auf der anderen Seite bessere Qualifikationen der Schülerinnen und Schüler zu erreichen, unabhängig davon, was ansonsten für Ihren Vorschlag „Verlängerung der Schulpflicht um ein Jahr“ sprechen könnte. Denn an dieser Stelle reden wir über Menschen, über Jugendliche, die in ihrer persönlichen Entwicklung auf einige Schwierigkeiten gestoßen sind und die es des- wegen schwerer haben als andere, in einer bestimmten Zeit – Sie haben es angesprochen – bestimmte Qualifikationen zu erreichen.

Diese jungen Menschen müssen wir nun in ihrem Bemühen unterstützen, sich zu qualifizieren, und Sie schlagen vor, ob wir das nicht durch eine formale Änderung in der Frage der Schulpflicht, also durch einen bürokratischen Kniff, erreichen könnten. Die Jugendlichen, über die wir hier reden, sind in der Regel einige Jahre in der Entwicklung verzögert, egal, ob sie auf Förderschulen gehen oder ob sie andere Schulen besuchen. Ob unsere Erwartungen und Normen, an denen ja diese Entwicklungsverzögerung fassbar gemacht werden kann, immer die richtigen sind, will ich an dieser Stelle gar nicht bewerten.

Der aktuelle Weg aber, den diese Jugendlichen gehen, ist zunächst der Erwerb der Berufsreife – in anderen Ländern heißt es „Ausbildungsreife“ –, gelegentlich im einjährigen Berufsvorbereitungsjahr. Anschließend machen sie eine Ausbildung in Werker- oder Helferberufen und im nächsten Schritt sind die Jugendlichen dann in der Lage, in einer verkürzten Lehre einen anerkannten Ausbildungsberuf zu absolvieren. Einige wenige Jugendliche schaffen auch bereits direkt nach dem Erwerb der Berufsreife die Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf.

Da die Berufsschulen in Rostock, Neubrandenburg und Schwerin mit sonderpädagogisch und berufspädagogisch qualifiziertem Personal ausgestattet sind und wir dort auf der anderen Seite auch die materiellen Voraussetzungen, wie zum Beispiel Werkstätten, haben, bin ich mir sicher, dass mit diesem derzeitigen Weg auch ein probater Weg beschritten wird. Mir scheint eine Verlängerung der allgemeinen Schulpflicht für diese Klientel zurzeit nicht zweckmäßig, denn entscheidend ist doch, dass wir den Menschen alle Chancen geben, ihre eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten zu entwickeln. Entscheidend ist, dass wir ihnen helfen, selbst Kompetenzen zu erwerben.

Das erreichen wir, indem wir unsere allgemeinbildenden Schulen mit sonderpädagogisch und berufspädagogisch

qualifiziertem Personal ausstatten, das ist zurzeit nicht der Fall, und das wiederum erreichen wir natürlich nur, indem wir Inklusion bei uns konsequent angehen und auch umsetzen.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Des Weiteren bezweifle ich, ob eine isolierte Betrachtung, ob die Konzentration auf eine einzelne bürokratische Maßnahme, und das ist die Erweiterung der Schulpflicht, für die vorliegenden Probleme tatsächlich angemessen sind.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Schulpflicht ist doch keine bürokratische Maßnahme.)

Ich möchte im Ausschuss über die Beweggründe diskutieren, darüber, wie eine Schule für alle, wie die Schule für die Zukunft tatsächlich aussehen soll. Aber auch dafür wäre mir eine umfassende Debatte, die alle Aspekte einschließt, im Bildungsausschuss, oder da wäre mir an einer solchen umfassenden Debatte im Bildungsausschuss gelegen. Wie Sie sehen, wirft dieser Antrag eine Menge Fragen und Probleme auf, die ein einfaches Ja schwer machen. Weil uns aber eine Ablehnung ohne vertiefte Diskussion zu diesen Fragen und Problemen nicht angemessen erscheint, beantragen wir deshalb die Überweisung des Antrages zur weiteren Befassung in den Ausschuss, also in den Bildungsausschuss, denn dazu haben wir schließlich die Ausschüsse, oder besser, wir sollten sie für solche Diskussionen nutzen, denn in den Fachausschüssen können Debatten und Beschlüsse dieses Parlaments in ausführlicher Beratung vorbereitet werden. So können wir erreichen, dass auch Ideen, die vielleicht noch nicht ganz ausgereift sind, aufgenommen werden und an der richtigen Stelle zur Geltung kommen.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Butzki.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt heute der Antrag der Fraktion DIE LINKE zur „Veränderung der gesetzlichen Regelungen zu Schulpflicht an den allgemein bildenden und beruflichen Schulen in MecklenburgVorpommern“ vor. Im Punkt I, der heute gar nicht vorgestellt wurde – aber wir haben einen Antrag mit Punkt I und II –, sollen wir feststellen, dass der Anteil der Schüler, die die Schule ohne Schulabschluss verlassen, hoch ist, und dass gezielte schulorganisatorische und pädagogische Maßnahmen ergriffen werden sollen, um die Situation nachhaltig zu verbessern.