Wir haben in der Aktuellen Stunde heute davon gesprochen „Europa tut gut“, wir sind ein Bundesland mitten in Europa, wir sind abhängig von den europäischen Beziehungen. Insofern liegt es doch auf der Hand, dass wir uns auch mit solchen Fragestellungen beschäftigen.
Und deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Suhr, sage ich jetzt etwas, was ich eigentlich nicht sagen wollte, aber nach Ihrer Rede, in der Art und Weise, wie Sie sie vorgetragen haben, muss ich sagen, hätte ich mir eine solche Kritik an außenpolitischen Entscheidungen auch vor 15 Jahren gewünscht, als unter Bruch des Völkerrechts der Kosovo überfallen worden ist. Das ist ausgeblieben aus nachvollziehbaren Gründen, denn es war ein grüner Außenminister.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, gegenseitiges Aufrechnen oder einseitige Parteinahme helfen in solchen Fällen nicht weiter und angesichts der seit Wochen andauernden und sich immer weiter zuspitzenden Situation im Konflikt Russland/Ukraine und angesichts der schrecklichen Bilder aus Odessa, angesichts der Toten und Verletzten muss jetzt alles getan werden, dass die Waffen in der Ukraine endlich schweigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob der vorliegende Antrag und die Wortmeldungen der GRÜNEN-Fraktion zum Konflikt vernünftig sind oder zur Konfliktlösung beitragen, das wage ich zumindest zu bezweifeln.
Ich sehe darin eher ein auf einseitiger Betrachtung ba- sierendes parlamentarisches Säbelrasseln, das keinem nutzt.
Am 05.03. dieses Jahres lesen wir, ich zitiere Herrn Suhr: „Russland-Tag zu diesem Zeitpunkt völlig falsches Signal“. Am 28.04. dieses Jahres lesen wir unter der Überschrift, ich zitiere wieder Herrn Suhr: „Russlandreise des Ministerpräsidenten – Verhalten gegenüber Russland unglaubwürdig … Es passt nicht zusammen, dass Deutschland Sanktionen und die Verstärkung von NATOManövern in der Ostsee unterstützt und gleichzeitig deutsch-russische Wirtschaftsbeziehungen gefeiert werden.“ Zitatende.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da scheint in der Tat einiges nicht zusammenzupassen, allerdings in der Argumentationskette der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Sanktionen gegenüber Russland sind das Gegenteil von Deeskalation und NATO-Manöver und der Ruf nach Aufrüstung und weiterer Erweiterung des NATO-Einflusses sind keine Einladung an Russland zum Dialog,
es sei denn, man verfällt wieder in die Logik des Kalten Krieges. Und wenn der oberste Kommandeur des NATOBündnisses feststellt, dass sich Russland nicht wie ein Partner verhält, ist das zwar richtig, jedoch nicht verwunderlich. Russland, das wird in diesem Konflikt deutlich, will sich mit aller Deutlichkeit als großmachtpolitischer Akteur in den internationalen Beziehungen zurückmelden. Die neue Militärdoktrin Russlands kopiert dabei in wesentlichen Teilen die der USA.
Die Doktrin „Joint Vision 2020“ sieht für die amerikanische Interessenwahrung eine weltweite US-amerikanische
Dominanz durch die Fähigkeit zu globalen Militärschlägen vor. Auch wenn Russland nicht annähernd in der materiellen Lage ist, amerikanische Militärressourcen gleichzusetzen, so glaubt es sich dank seines Raketenkernwaffenpotenzials dazu in der Lage, ein gewisses Maß an strategischer Parität halten zu können. Und die Ukraine? Die Ukraine ist im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union längst aktiv in das westliche Militärbündnis eingebunden. Auch unter dem Dach der NATO-Ukraine-Kommission besteht bereits seit 1997 eine weitverzweigte Struktur militärischer Kooperationen. Und auch die militärische Kooperation zwischen der Bundesrepublik und der Ukraine funktioniert bestens.
Im Zeitraum von 2010 bis 2014 wurden 55 Maßnahmen, darunter gemeinsame Ausbildungsvorhaben in Deutschland und in der Ukraine durchgeführt. Die von den USA nach dem Zerfall der Sowjetunion Russland zugesagte Garantie, keine weitere Erweiterung der NATO in Richtung Osten vorzunehmen, ist auch damit längst ad absurdum geführt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um Missverständnissen vorzubeugen, Russland und Putin betreiben eine gefährliche Großmachtpolitik. Aber das Muster – und das meine ich mit einseitiger Parteinahme –, das Muster, hier der Friedensnobelpreisträger Obama, dort der Despot Putin, greift nach Auffassung meiner Fraktion nicht, denn die Verurteilung von Großmachtpolitik erlangt erst dann Glaubwürdigkeit, wenn sie aufhört, einseitig und selektiv zu sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb greifen auch der Antrag und die Argumentation der GRÜNEN zu kurz, dort fährt man nicht hin, mit denen redet man nicht. Was ist das für ein Politikansatz? Nein, „Dialog statt Konfrontation“ ist das Gebot der Stunde. Der Antrag und die Argumentation der GRÜNEN greifen auch vor dem historischen Hintergrund des Konflikts zu kurz. Auch darüber sollte man vielleicht eine Minute nachdenken, bevor man einen solchen Antrag stellt.
Gestatten Sie mir deshalb einen Blick zurück: Im Dezember 1991 besiegelten der Präsident der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, Boris Jelzin, der Präsident der Ukraine, Leonid Krawtschuk, und der Vorsitzende des Obersten Sowjets der Republik Weißrussland, Stanislaw Schuschkewitsch, das Ende der UdSSR. Noch bevor damals der noch amtierende Präsident der UdSSR, Michail Gorbatschow, von diesem völkerrechtlich fragwürdigen Beschluss erfuhr, wurde US-Präsident Bush senior unterrichtet, der diesen Schritt logischerweise begrüßte. Das allerdings ist zu vernachlässigen. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass mit diesen Beschlüssen, die im Dezember 1991 gefasst wurden, eine Reihe von Fragen eben nicht gelöst wurden und damit neue Konflikte heraufbeschworen wurden.
Zum Beispiel das Problem der Altschulden der UdSSR, die zu diesem Zeitpunkt rund 70 Milliarden Dollar be-
trugen, blieb ungeklärt und wurde der Russischen Föderation, heute Bestandteil dieses Konfliktes, allein auf- gebürdet. Die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung in den Unionsrepubliken wurden nicht geregelt, Willkür wurde Tür und Tor geöffnet. Die Krim wurde der Ukraine zugeschlagen, es gab Streit um die Grenzen zwischen den ehemaligen Unionsrepubliken und auch in ihrem Inneren: Grusinien, Georgien, Abchasien und Südossetien, Moldawien, Transnistrien, Ukraine, Krim, Russland und Tschetschenien und so weiter und so weiter. Eigenen Machtinteressen folgend wurde ein Land in ein Desaster gestürzt und die Folgen dieses Desasters müssen wir heute auch in Europa ausbaden.
US-Präsident Clinton erklärte dazu auf einer Tagung der NATO-Stabschefs am 25. Oktober 1995, ich zitiere: „In den letzten zehn Jahren hat die Politik gegenüber der UdSSR und ihren Verbündeten überzeugend die Richtigkeit des von uns eingeschlagenen Kurses zur Beseitigung einer der stärksten Weltmächte und eines sehr starken Militärblocks bewiesen.“ Zitatende. Nachlesen können Sie dies alles in dem Buch „Mein Chef Gorbatschow“ von Nikolai Ryschkow, der von 1985 bis 1991 Ministerpräsident der UdSSR war.
Wenn man sich mit diesem Konflikt beschäftigt und wenn man Kritik an einer Reise des Ministerpräsidenten unseres Landes übt, muss man sich auch mit diesen Tatsachen auseinandersetzen, um nicht einseitig zu wirken. Man fährt nicht dorthin, man redet nicht mit denen oder wie die GRÜNEN-Europaabgeordnete Harms es unverantwortlich findet, nein, das ist kein Angebot zur Konfliktlösung und Ihre Kritik am Ministerpräsidenten auch nicht.
Der Ministerpräsident hat daher recht, als er am 26.04. erklärte: „Ich halte es für wichtig, gerade in schwierigen Zeiten den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen“. Zitatende. Und der gescholtene außenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, sagt in einem Zeitungsinterview am 2. Mai, ich zitiere: „Die Alternative zum Reden ist Schießen“, Zitatende.
(Gelächter bei Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und weil dem so ist, Herr Saalfeld, was ich überhaupt nicht lustig finde und schon gar nicht lächerlich, will ich noch mal darauf hinweisen, dass es bei den Geiseln, um die es geht – und die Geiselnahme verurteile ich –, um keine OSZE-Geiseln ging, sondern es waren Militärbeobachter, die dort unterwegs waren.
Das muss man alles mal benennen und nicht einfach darüber hinweglächeln und den Ministerpräsidenten aus Unkenntnis auf historische Dinge hier kritisieren. Und weil dem so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, sage ich,
Vernunft ist das Einzige, was zählt, und Ihr Antrag ist kein Beitrag zu einer vernünftigen Lösung in diesem Konflikt. – Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vorsitzende der SPDFraktion in diesem Hause, Herr Dr. Norbert Nieszery, ist leider erkrankt. Er kann deshalb heute, morgen und auch übermorgen nicht an der Sitzung des Landtages teilnehmen. Ich würde gern die Gelegenheit nutzen, ihm von dieser Stelle aus baldige und vor allen Dingen vollständige Genesung zu wünschen.
Ja, Sie nicht, und ich glaube, das würde Norbert Nieszery auch sicherlich nicht gut finden, wenn Sie ihm noch zuklatschen, Herr Pastörs. Das haben wir nicht nötig, aber bei den Demokraten ist das guter Stil, und ich freue mich, dass ein solcher guter Stil hier stattgefunden hat.
Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, Norbert Nieszery ist nicht anwesend, kann nicht anwesend sein. Er hat aber zu diesem Tagesordnungspunkt einen Redebeitrag vorbereitet und mich gebeten, diesen Redebeitrag hier vorzutragen. Dieser Bitte komme ich selbstverständlich gern nach, und in diesem Sinne:
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kann ich bis auf die Begründung respektieren. Selbstverständlich können die GRÜNEN in Bezug auf die Russlandreise des Ministerpräsidenten anderer Auffassung sein. Einige Punkte möchte ich aber in aller Deutlichkeit klarstellen: Natürlich fand diese Reise in enger Abstimmung mit der Bundesregierung und der Deutschen Botschaft in Russland statt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, seien Sie versichert, die Staatskanzlei ist durchaus in der Lage, eine solche Reise gewissenhaft und kompetent vorzubereiten. Damit ist auch klar, dass Ministerpräsident Sellering nicht gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gehandelt hat, wie ihm dies mehrere selbstberufene Kommentatoren unterstellt haben. Allein diese Anwürfe sind aberwitzig.
Ministerpräsident Sellering ist nach Sankt Petersburg in die Partnerregion von Mecklenburg-Vorpommern gereist. Er ist dort zu Gesprächen mit dem Gouverneur des Leningrader Gebiets, Alexander Drozdenko, sowie mit dem Bevollmächtigten des Präsidenten der russischen Föderation für den Nordwestbezirk, Wladimir Bulawin, zusammengetroffen und er hat an einem Wirtschaftsempfang der Firma Nord Stream zu Ehren des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder teilgenommen. Sinn und Zweck seiner Reise war es also, Wirtschaftskontakte zu knüpfen und zu vertiefen. Mir erschließt sich nicht, was daran kritikwürdig sein soll.
Sie werden mir ja wohl zustimmen, wenn ich diese Kontakte und Gespräche des Ministerpräsidenten als außenpolitisch unbedenklich, aber wertvoll für die Wirtschaft unseres Landes bewerte. Und bei aller Kritik an den
derzeitigen außenpolitischen Verhaltensweisen Putins gilt spätestens seit den Erfahrungen im Kalten Krieg, es ist immer besser, in einer angespannten Lage miteinander zu reden, als den Kontakt abzubrechen. Ich plädiere daher auch entschieden dafür, die Kontakte nach Russland aufrechtzuerhalten und sogar zu intensivieren, anstatt in eine trotzige Verweigerungshaltung zu verfallen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mecklenburg-Vorpommern hat ein hohes Interesse daran, die Wirtschaftskontakte zu seinen Partnern im Ostseeraum zu pflegen und auszubauen. Russland ist von jeher ein wichtiger Partner für uns. Erst vor wenigen Tagen hatte Yusufov, ein Russe, den Zuschlag für die Volkswerft in Stralsund erhalten. Dazu haben auch Sie, Herr Suhr, die Landesregierung mehrfach aufgefordert. Er ist damit an drei Werftstandorten in unserem Land aktiv und sorgt für viele qualifizierte Arbeitsplätze.
Unser Ministerpräsident ist ausschließlich den Interessen des Landes Mecklenburg-Vorpommern verpflichtet und diese Interessen hat er in Russland überzeugend vertreten. Gespräche und Kontakte sind elementare Formen der Diplomatie und der Verständigung, krawallige Sprüche und altkluge Reden dagegen sind völlig kontraproduktiv.
Ich glaube ja, dass nur ein kleiner Teil der Reise des Ministerpräsidenten für diese künstliche Aufregung hier sorgt, nämlich die Teilnahme an dem Wirtschaftsempfang der Firma Nord Stream zu Ehren des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Auch hier gibt es einiges geradezurücken. An dem Empfang haben neben Ministerpräsident Sellering viele weitere Personen teilgenommen, unter anderem mehrere deutsche Politiker und der deutsche Botschafter. Wenn sich dann durch die nicht vorhersehbare Teilnahme von Herrn Putin die Möglichkeit ergeben hat, diesem die Sichtweise und Sorgen der Deutschen nachdrücklich näherzubringen, umso besser. Solch ein direkter Kontakt ist meiner Meinung nach viel zielführender als Muskelspielchen und Drohgebärden via Presse, Funk und Fernsehen.
Meine Damen und Herren, uns alle treibt die Angst vor einem ausufernden bewaffneten Konflikt in der Ukraine um. Die Situation ist so beunruhigend wie seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Allerdings warne ich davor, jetzt in altes Ost-West-Denken zurückzufallen und zu glauben, mit markigen Sprüchen sei dem Konflikt beizukommen. Notwendig sind vielmehr intensive Gespräche. Ich schließe mich daher den Forderungen von Bundesaußenminister Steinmeier nach einem intensiven Dialog auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene uneingeschränkt an.