Protokoll der Sitzung vom 19.09.2014

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 76. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratungen vereinbarungsgemäß fort.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich unserem Kollegen Burkhard Lenz ganz herzlich zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU,

DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –

Wo gehen wir hin

nach der Sitzung? – Burkhard Lenz, CDU:

Ich fahre auf eine ganz einsame Insel. –

Herr Lenz, das verraten

wir nicht, ne? –

Gratulationen)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 28: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Gemeinnützige Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung im Land sichern, auf Drucksache 6/3254. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 6/3300 vor.

Antrag der Fraktion DIE LINKE Gemeinnützige Schuldner- und Verbraucher- insolvenzberatung im Land sichern – Drucksache 6/3254 –

Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 6/3300 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Koplin für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen bieten Beratungs- und Hilfeangebote für verschuldete oder überschuldete Familien und Einzelpersonen an. Die Beratungsleistungen erfolgen sowohl in finanzieller Hinsicht als auch zu sozialpädagogischen Fragestellungen.

In den 24 Beratungsstellen werden die persönlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Situationen der Hilfesuchenden geklärt, es wird die Verschuldungssituation festgestellt und die Rechtmäßigkeit der Forderungen geprüft. Die Beraterinnen und Berater führen Verhandlungen über Schuldenregulierung oder Schuldennachlässe. Sie klären über weitergehenden Beratungsbedarf auf, so unter Umständen zu notwendiger Ehe- und Familienberatung, Sucht- und Drogenberatung oder zu arbeitsrechtlichen Problemen. Sie geben Anleitung zum wirtschaftlichen Verhalten, leiten geeignete Maßnahmen zur wirtschaftlichen Konsolidierung der Betroffenen ein und leiten unter Umständen Aktivitäten ein, damit Schuldnerinnen und Schuldner ein Verbraucherinsolvenzverfahren durchlaufen können. Was die 77 Beraterinnen und Berater im Land Mecklenburg-Vorpommern leisten, ist hoch zu würdigen.

Für mehr als 21.000 Ratsuchende geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die nackte Existenz. Bedenkt man deren persönliches familiäres Umfeld wird schnell klar, dass es sich um gut und gern annähernd 50.000 Menschen handelt, die die Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen in Anspruch nehmen beziehungsweise deren Existenz eng an die Beratungs- und Hilfeleistungen gekoppelt ist. Wenn man hinzu noch bedenkt, dass allein im Jahr 2013 100 Millionen Euro Schulden derjenigen in Rede standen, deren Fälle 2013 neu aufgenommen wurden, wird auch die volkswirtschaftliche Bedeutung von Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungen deutlich.

Mit unserem Antrag begehren wir zweierlei: Zum einen wollen wir die Arbeit der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen würdigen und zum anderen wollen wir diese Beratungsstellen im Land unbedingt sichern. Letztgenanntes ist, Herr Ringguth, aufgrund von akuten Bedrohungslagen in der Beratungslandschaft dringend geboten. Ich möchte nur einige Beispiele nennen. Im Juni dieses Jahres erklärte die Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstelle in Schwerin vom Diakoniewerk Neues Ufer, dass sie schließen wird.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aufgrund des Mikrozensus.)

In Waren hat die Perspektive e. V., Trägerin einer solchen Beratungsstelle, in Aussicht gestellt zu schließen. Im Kreistag Ludwigslust-Parchim wird verdienstvollerweise versucht, mit einer Soforthilfe von 40.000 Euro Ein- brüche bei den Beratungsangeboten abzuwenden. Die Caritas in Neubrandenburg hat angekündigt, sich aus der Fläche zurückzuziehen und demnächst die Beratungsleistungen in Friedland und Stavenhagen einzustellen. Allein dieser Aspekt, Waren wird geschlossen und man zieht sich um Neubrandenburg aus der Fläche zurück, macht deutlich, dass ein Radius von mehr als 50 Kilometern zu einem weißen Fleck wird. Eine solche Entwicklung, sehr geehrte Damen und Herren, dürfen wir nicht hinnehmen, aber eben diese Entwicklung kommt auch nicht von ungefähr und aus heiterem Himmel.

Seit dem Jahr 2000 wurden mehr als 20 Prozent der Beratungsangebote in Mecklenburg-Vorpommern abgebaut und allein in den letzten beiden Jahren wurden Beratungsstellen in Rostock und Greifswald geschlossen. Was Greifswald betrifft, wurden auf einen Schlag 516 Klientenakten zugemacht.

Die akute Bedrohung der Beratungslandschaft der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung jedoch hat mehrere Gründe. Auf einen Grund will ich gleich eingehen, weil vielleicht das Gegenargument kommt, die Fallzahl pro Beraterin oder Berater würde ja tendenziell sinken. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Fälle komplexer werden, langwieriger werden, und auch die Kurzberatungsleistungen erheblich ansteigen. Hinzu kommt, dass die Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen mehr Aufgaben zugesprochen bekommen, aber nicht das Geld dafür mitgeliefert wird.

(Regine Lück, DIE LINKE: Leider!)

Ich möchte dazu nur zwei Beispiele nennen: Einmal die Ausstellung der Bescheinigungen für Pfändungsschutzkonten, wo also Girokonten umgewandelt werden in ein Konto, das vor Pfändungen geschützt wird. Das ist ver

bunden mit Beratungsleistungen, ist verbunden mit der Prüfung auf Berechtigung und natürlich mit der Ausstellung selber. Und ich möchte darauf verweisen, dass ab 1. Juli dieses Jahres Verbraucherinsolvenzverfahren durch die Beratungsstellen auch vor Gericht vertreten werden können, was mit zusätzlichen Leistungen verbunden ist.

Ein zweiter Grund, den ich erwähnen will: Den Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungen wird seit 1999 eine Anpassung an die Sachkostenentwicklung verweigert. Aus den Sachkosten werden finanziert: Miete und Mietnebenkosten, Technik, PC-Hardware, zum Teil PCSoftware, Büromaterialien, Korrespondenzen,

(Regine Lück, DIE LINKE: Bisher hat es keiner zur Kenntnis genommen.)

Telefonkosten, kleinere Reparaturen, Wartungs- und Werterhaltung. Das alles seit 1999 für 6.136 Euro! Mal nachgerechnet, wie sich die Teuerungsrate seither entwickelt hat,

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nämlich durchschnittlich um 1,607 Prozent pro Jahr, müsste normalerweise für die Sachkosten eine Zuwendung von 7.668 Euro erfolgen. Mithin sind die Beratungsstellen, was die Sachkosten betrifft, um 22,5 Prozent unterfinanziert.

Ein dritter Grund: Durch einen Wechsel des Zuwendungsverfahrens reduziert die Landesregierung auf raffinierte Weise seit einiger Zeit den Gesamtfinanzierungsanteil. Vorher hat sie Folgendes gemacht: Sie hat die Einwohnerzahl durch den Betreuungsschlüssel von 1 : 25.000 geteilt, hat somit die Zahl der notwendigen Beraterinnen- und Beraterstellen ermittelt, das waren 64, und diese Summe multipliziert mit den förderfähigen Kosten. Am Ende stand die benötigte Fördersumme. Der nunmehr angewandte Trick besteht darin, dass man eine politisch definierte Fördersumme bereitstellt und durch die alte Stellenanzahl teilt. Mithin kommt es zu einer Reduzierung der Landesförderung pro Vollzeitberaterstelle um 5.800 Euro. Die soll nunmehr von den Trägern beziehungsweise den Kommunen kompensiert werden.

(Regine Lück, DIE LINKE: Wo die Kommunen so viel Geld haben!)

Wo die Kommunen so viel Geld haben, Frau Lück.

Also letztendlich führt das dazu, dass der Finanzierungsanteil des Landes an den Gesamtkosten für die Beratungsstellen von 50 Prozent auf 43,15 Prozent gesunken ist. Das wiederum hat zur Folge, dass einige Beratungsstellen, also die Träger, ihren Eigenanteil erhöhen müssen. Der beträgt in einem Fall sogar 17 Prozent. Aus welchen Mitteln die das leisten, ist mir schleierhaft. Das ist schon ein Kunststück, möchte ich meinen.

Mit unserem Antrag unterbreiten wir Lösungsvorschläge, sehr geehrte Damen und Herren, für die Sicherung des Bestandes der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen. Wir sprechen uns für eine Ad-hoc-Hilfe zum Erhalt der Beratungsstellen aus. In diesem Jahr werden noch 201.000 Euro benötigt, im nächsten Jahr 450.000 Euro. Die Deckungsquelle für diese Mittel liefern

wir gleich mit: Titel 1103 575.01 wäre eine Möglichkeit, die notwendigen Mittel bereitzustellen. Das Geld dafür ist vorhanden, es ist also eine Frage, ob es den politischen Willen dazu gibt.

Darüber hinaus schlagen wir vor, dass die Förderrichtlinie ab 2016, also mit dem neuen Haushalt, verändert wird, dass dann in der Förderrichtlinie steht, dass sich das Land nicht „bis zu 50 Prozent“, sondern „mit 50 Prozent“ an der Finanzierung der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen beteiligt. Und darüber hinaus schlagen wir vor, dass neben dem Einwohnerschlüssel von 1 : 25.000 Indikatoren zur Feinsteuerung der Zuwendung innerhalb der Region, innerhalb des Landes also, in Betracht kommen, wie zum Beispiel, dass Regionen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit bedacht werden, dass man schaut, welchen Anteil es an Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfängern gibt, wie hoch die Armutsquote in den Regionen ist und wie sich die Anzahl der Verbraucherinsolvenzen entwickelt.

Also mit unserem Antrag, sehr geehrte Damen und Herren, haben wir das Problem deutlich gemacht. Wir haben gesagt, wo die Hintergründe sind, und wir haben Lösungsvorschläge unterbreitet. Das alles, denke ich, ist Grund genug, unserem Antrag zuzustimmen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Koplin.

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst die Sozialministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Birgit Hesse.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wege in die Verschuldungsfalle gibt es viele, und deshalb tappen leider auch zu viele Menschen hinein. Dabei spielt das Einkommen keine entscheidende Rolle. Bei den einen bringt der zusätzliche Handyvertrag, bei den anderen der Hauskauf das Fass zum Überlaufen. Jobverlust, Scheidung, Krankheit, auch diese Risiken ziehen sich durch alle Schichten. Die Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung ist ein Anlaufpunkt für all jene, die es nicht mehr schaffen, aus eigener Kraft fällige Forderungen zu begleichen.

Die Beraterinnen und Berater müssen sich auf immer unterschiedlichere Lebenssituationen ihrer Gegenüber einstellen und sie nicht nur mit wirtschaftlichem Rat, sondern meist auch psychosozial unterstützen. Das ist, und da stimme ich mit Herrn Koplin überein, eine wertvolle und qualitativ anspruchsvolle Arbeit. Im besten Fall hilft sie den Klienten, Arbeitsplätze und Wohnungen zu behalten, Familienprobleme zu verkleinern oder gar zu lösen. Kurzum, wer hingefallen ist, lernt hier, wieder aufzustehen.

Wie viele Betroffene gibt es? Wir wissen es nicht genau. Es gibt kein Instrumentarium, mit dem sich die absolute Zahl oder Quote überschuldeter Personen oder Privathaushalte genau bestimmen ließe. Es gibt lediglich Indi

katoren, wie die sogenannten Negativmerkmale, also zum Beispiel eidesstattliche Versicherungen oder Privatinsolvenzen, aus denen sich Trends ableiten lassen.

Hier im Land stellen die Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen eine jährliche Statistik auf. Seit 2006 geht die Zahl der Beratungsfälle, außer bei den Kurzberatungen, Gott sei Dank zurück. Das ist eine gute Entwicklung, denn sie geht nicht nur auf die schrumpfende Bevölkerungszahl ein, sondern auch einher mit den positiven Effekten auf dem Arbeitsmarkt.

Sehr geehrte Damen und Herren, trotz rückläufiger Zahlen hat der Landtag die Förderung der gemeinnützigen Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung 2010 um 200.000 Euro auf nun gut 1,8 Millionen Euro aufgestockt. Wir haben die Schuldnerproblematik also nach wie vor im Auge und tragen einen Teil dazu bei, ein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen zu erhalten.

Wenn die Fraktion DIE LINKE nun nach mehr Personal und damit nach mehr Geld ruft, sollte man sich auch in anderen Bundesländern umschauen, bevor man sich diesem Ruf anschließt. Nach Hamburg, Berlin und Schleswig-Holstein liegen wir mit unserer Landesförderung im Pro-Kopf-Vergleich auf Platz vier, also weit über dem Bundesdurchschnitt. Zudem liegt unserer Förderung ein Schlüssel von 1 : 25.000 beim Verhältnis Beratungskraft zu Einwohner zugrunde. Dieser Schlüssel entspricht dem, was die Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände im Bund gefordert hat. Zum Vergleich: Thüringen hat einen Schlüssel von 1 : 100.000, das Saarland begnügt sich 1 : 200.000.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Wohl und Wehe der Schuldner- und Insolvenzberatung nicht allein in öffentlicher Hand liegen. Die Eigenmittel, die die Träger an dieser Stelle einsetzen, sind gegenüber anderen Beratungsangeboten vergleichsweise niedrig. Wenn nun also das Diakonische Werk beabsichtigt, Beratungsstellen zu schließen, dann ist das auch eine verbandspolitische Entscheidung gegen die Schuldnerberatung.

Nichtsdestotrotz, auch da stimme ich mit Herrn Koplin überein, ist mir klar, dass wir uns um die finanzielle Ausstattung Gedanken machen müssen, etwa um die Angleichung der Vergütung EG9 an EG10, höhere Sachkosten und eine jährliche Dynamisierung, um Kostensteigerungen aufzufangen. Da es in der Summe in diesem Haushalt nicht mehr Fördermittel geben wird, bedeutet das ein Plus an der einen Stelle, ein Minus an der anderen Stelle. Da müssen wir diskutieren und zu dieser Diskussion sind wir bereit.