Protokoll der Sitzung vom 12.11.2014

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.)

Und deswegen brauchen wir einen wirksamen, gesetzlich normierten Rückkehranspruch in Vollzeit. Bislang geht das nur im unmittelbaren Zusammenhang mit der Elternzeit. Ist die Rückkehr in Vollzeit zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht möglich, weil beispielsweise ein Kind noch gesundheitlich so instabil ist, dann gelingt es den betroffenen Beschäftigten oft nicht, eine einvernehmliche vertragliche Lösung mit dem Arbeitgeber herbeizuführen, und der Zug ist abgefahren.

Das Teilzeit- und Befristungsgesetz räumt zwar die Möglichkeit ein, einen Antrag auf Erhöhung der Arbeitszeit zu stellen, allerdings liegt das Entscheidungspotenzial dabei eindeutig beim Arbeitgeber. Und meine Erfahrung aus der Zeit als Betriebsrat ist, dass sich im Zweifel immer betriebliche Gründe finden lassen, um die Ablehnung eines solchen Antrages zu rechtfertigen.

Will man also ernsthaft an diesem Zustand etwas ändern, dann muss man mit einer Gesetzesänderung entweder an dieser Stelle ansetzen oder alternativ bereits in Paragraf 8 klarstellen, dass es ein Recht auf befristete Teilzeit aus Betreuungsgründen gibt,

(Torsten Renz, CDU: Wir wollen ja nicht nur befristete Teilzeit, wir wollen ja auch die Erhöhung.)

egal ob damit die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen gemeint ist.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Nächster Punkt: Wer beklagt, dass Frauen oft in Beschäftigungsverhältnissen tätig sind, aus denen sie ohne finanzielle Unterstützung, sei es nun durch die Familie oder den Staat, ihre Existenz nicht bestreiten können, der muss sich auch noch mal die Vermittlungspraxis der Bundesagenturen und Jobcenter genauer anschauen. Die Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände hat das getan und im Ergebnis einer Konferenz im Jahr 2013 noch einmal darauf hingewiesen, dass Frauen viel zu häufig in Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse mit geringer Entlohnung und geringer Stundenzahl vermittelt werden, und gefordert, diese Praxis zu überprüfen und zu beenden. Ich halte das auch für nachvollziehbar, vor allem dann, wenn man sich noch einmal vergegenwärtigt, dass sich diese Beschäftigungsverhältnisse allzu oft eben nicht als Wiedereinstieg mit sich anschließender Aufstiegsperspektive,

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

sondern als ungewollter Klebeeffekt mit dem Verbleib in Teilzeitbeschäftigung und Hilfebedürftigkeit verbinden.

Letzter Punkt: Erhöhung der beruflichen Mobilität. Wer Teilzeitbeschäftigte jetzt auch als Land dabei unterstützen will, dass sie ihrem Wunsch nach Vollzeit näherkommen, der muss die Arbeitgeber natürlich für flexible und familiengerechte Arbeitszeitmodelle gewinnen, weil wenn das gelingt, dann ist das Betreuungsproblem häufig schon gelöst.

Alles Weitere dann in der Debatte. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales. Bitte, Frau Hesse.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Kind und Job unter einen Hut zu bekommen, die Pflege eines Angehörigen mit dem Berufsalltag in Einklang zu bringen, das kann für den Einzelnen oder meist die Einzelne zur Mammutaufgabe werden. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine große und wichtige Aufgabe für die Gesellschaft, für die Politik.

Auch und gerade für mich steht dieses Ziel ganz oben auf der Agenda. Es ist also schön zu wissen, dass auch die Fraktion DIE LINKE mehr will in Sachen Vereinbarkeit. Und ich freue mich, dass ich die Gelegenheit habe, nun auch meine Anliegen vorzutragen.

Um es gleich zu sagen, Gesetze sind kein Allheilmittel, erst recht nicht, wenn es um individuelle Lebens- und Arbeitswelten geht. Nicht alle Betriebe, Unternehmen, Institutionen arbeiten gleich, nicht alle Familien sind gleich organisiert. Allgemeingültige Lösungen sind da schwer zu finden, geschweige denn zu verordnen. Gesetze können da bestenfalls einen Rahmen schaffen. Solche Gesetze, Herr Foerster sagte es, gibt es bereits, zum Beispiel das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, und in der vergangenen Woche hat der Bundestag zu dem das Elterngeld Plus beschlossen. Auch eine gesetzliche Regelung für ein Rückkehrrecht zur ursprünglichen Arbeitszeit nach einer befristeten Teilzeitbeschäftigung wegen Kinder oder Pflege ist bereits in den Bundestag eingebracht.

Meine Damen und Herren, ob die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingt, ist vor allem eins, eine Einstellungsfrage. Will ein Arbeitgeber seinen Leuten mehr Flexibilität ermöglichen oder nicht? Sieht er die Zufriedenheit seiner Belegschaft als Erfolgsfaktor oder nicht?

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da muss aber noch viel passieren.)

Setzt er darauf, seine Leute langfristig an das Unternehmen zu binden oder nicht? Wir müssen es in die Köpfe bekommen, dass die einfache Regel, wer etwas gibt, bekommt auch etwas dafür, auch im Arbeitsleben gilt. Es gibt Unternehmen, die das sehen, und in diesen Unternehmen versucht man auch, Wege zu finden, die für alle Beteiligten zufriedenstellend sind.

Es gibt aber auch Unternehmen, für die die Suche nach solchen Wegen schwieriger ist als für andere. Das ist gerade in den für Mecklenburg-Vorpommern typischen Branchen Gastronomie, Tourismus und Gesundheitswesen der Fall. Für den Hotel- und Gaststättenbereich betreiben wir diese Suche nun in einem Projekt. Unterstützt von meinem Haus und dem Bundesarbeitsministerium wollen die DEHOGA und die Gewerkschaft NGG unter dem Titel „Guter Gastgeber, guter Arbeitgeber“ Ansätze entwickeln, wie Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsbedingungen und Qualifizierung verändert oder angepasst werden können.

An den gerade genannten Branchen lässt sich aber auch dieses festmachen: Bei allen berechtigten Rufen nach mehr Flexibilität und Entgegenkommen, dürfen wir die Betriebe nicht überfordern. Die Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeiter sind das eine, die unternehmerischen Erfordernisse das andere.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier gilt es, eine Balance zu finden. Aus meiner Sicht wäre es deshalb durchaus problematisch, einen generellen Rechtsanspruch auf Ausweitung der Arbeitszeit zu etablieren, Unternehmen also zu verpflichten, die Arbeitszeit Einzelner unabhängig vom Bedarf auszuweiten. Das kann im Umkehrschluss dazu führen, dass ein anderer seinen Job verliert. Und ob so eine gerechte Lösung aussieht, wage ich zu bezweifeln.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Landesregierung verlässt sich bei dem Thema „Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben“ nicht darauf, dass Appelle gehört werden. Zwei große Aktionsprogramme aus Mitteln des ESF, die sich unter anderem Home-Office-Möglich- keiten, dem Spannungsfeld Pflege und Beruf und der Vereinbarkeit für Alleinerziehende widmen, sind seit 2010 gestartet. Und auch für die neue Förderperiode planen wir, dem Thema Vereinbarkeit mit Blick auf den Arbeitsmarkt einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Daneben arbeiten das Kompetenzzentrum Vereinbarkeit Leben in MV als zentrale Fachstelle im Land und die Lokalen Bündnisse für Familien intensiv an diesem Thema.

Wenn Sie nun beispielsweise fordern, die Bundesagentur und die Jobcenter sollen künftig nur in existenzsichernde Jobs vermitteln, dann klingt das erst mal gut. Aber das würde heißen, eine Person dürfte nur dann in eine Teilzeitstelle vermittelt werden, wenn sie davon dann auch ohne jedwede Unterstützung ihren Lebensunterhalt bestreiten könnte. Das dürfte bei Teilzeitjobs eher die Ausnahme sein. Und die Alternative hieße dann: arbeitslos bleiben.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Das ist eine Frage der Stundenzahl.)

Das klingt dann nicht mehr so gut. Ich bin mir sicher, dass es eher im Interesse der Arbeitssuchenden ist, eine Teilzeitbeschäftigung zu bekommen, als ohne Job dazustehen, auch wenn sie damit auf Zusatzleistungen angewiesen sind. Außerdem, Herr Foerster sagte es bereits, gibt es auch Männer und Frauen, die gerade in der Teilzeit arbeiten wollen, um so mehr Zeit für ihre Familie zum Beispiel zu haben.

Ich möchte aber noch auf ein paar Punkte aus dem Antrag eingehen. Sie wollen einzelne Paragrafen des Teil

zeit- und Befristungsgesetzes überarbeitet sehen, ohne zu sagen, was denn nun wie geregelt sein soll. Sie fordern mehr Anstrengung für eine höhere berufliche Mobilität, ohne auszuführen, was das aus Ihrer Sicht heißen soll. Sie fordern die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Elternzeit, die ja mit dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz bereits umgesetzt ist.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Teilweise.)

Sehr geehrte Damen und Herren, eine Arbeitsmarktpolitik, die wirklich etwas erreichen will für Beschäftigte, also für die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, die sich auch um ihre Familien kümmern wollen, braucht durchdachte Lösungen, braucht Aktion. Dafür steht diese Landesregierung. – Vielen Dank.

(Beifall Stefanie Drese, SPD – Henning Foerster, DIE LINKE: Immerhin einer hat geklatscht.)

Das Wort hat nun der Abgeordnete Herr Lenz von der Fraktion der CDU.

(Torsten Renz, CDU, und Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Renz.)

Oh, Entschuldigung, natürlich Herr Renz.

(Heiterkeit bei Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da hat er sich aber äußerlich sehr verändert!)

Danke, Frau Präsidentin, für die sehr nette Begrüßung. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin ja nun schon seit 2011 arbeitsmarktpolitischer Sprecher

(Andreas Butzki, SPD: Seitdem haben sich die Zeiten verbessert.)

und ich glaube, es noch nicht erlebt zu haben, dass die amtierende Ministerin so differenziert eingegangen ist auf unterschiedliche Lösungsansätze, was Arbeitsmarktpolitik betrifft. Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen, Frau Ministerin. Sie haben mich sozusagen inhaltlich heute sehr begeistert.

(Ministerin Birgit Hesse: Oh! – Heiterkeit und Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte zu Beginn auf eine Sache eingehen. Herr Foerster, Sie wissen ja, dass Sie kollegial darauf aufmerksam gemacht worden sind – es war wirklich kollegial gemeint –, dass hier gerade im Bereich der Begründung statt über „50“ Prozent eine andere Zahl korrekt ist: 15,2. Dass Sie jetzt ans Rednerpult gehen und das als redaktionelle Änderung hier darstellen, also da muss ich sagen, da bin ich etwas enttäuscht, wie Sie das hier gemacht haben. Eigentlich war das Thema für mich durch, aber wenn Sie es schon so machen, dann will ich Ihnen sagen, aus meiner Sicht ist das keine redaktionelle Änderung, sondern eine inhaltliche Änderung. Bei diesem Fakt will ich es dann aber auch belassen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Oooh!)

Sie, DIE LINKE, stellen den Antrag „Einbahnstraße Teilzeitbeschäftigung beenden“. Ich habe das jetzt mehrmals gelesen, weil ich dachte, irgendwie klingt das Ganze nicht rund. Sie wollen also sozusagen,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Es ist ja auch kein Kreisverkehr, sondern eine Einbahnstraße.)

auch wenn es im übertragenen Sinne ist, hier das Thema Einbahnstraße erledigen, sprich, Sie setzen die Teilzeitbeschäftigung der Einbahnstraße gleich. Die wollen Sie abschaffen.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Das stimmt doch gar nicht.)

Da habe ich mir das mal so durch den Kopf gehen lassen, auch bei Wikipedia noch mal nachgeschaut, was ist überhaupt eine Einbahnstraße.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Bei Wiki?)

Ich will das mal zitieren: „Der Begriff Einbahnstraße … bezeichnet eine Straße, in der sich Fahrzeuge nur in eine Richtung bewegen dürfen.“