Protokoll der Sitzung vom 02.02.2012

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 18: Beratung des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gemeinsam und auf Augenhöhe – neues Konzept zur Weiterentwicklung der Theater- und Orchesterstruktur in Mecklenburg-Vorpommern erarbeiten, Drucksache 6/265.

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsam und auf Augenhöhe – neues Konzept zur Weiterentwicklung der Theater- und Orchesterstruktur in Mecklenburg-Vorpommern erarbeiten – Drucksache 6/265 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Berger von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Über eine Frage können wir hier sicherlich heute schnell Einigkeit erzielen: Die Theater- und Orchesterstruktur in Mecklenburg-Vorpommern muss weiterentwickelt werden.

Es gibt dazu, wie Sie wissen, ein Diskussions- und Eckpunktepapier, das eine Landesregierung, die weitgehend identisch mit der aktuellen ist, vor nicht allzu langer Zeit vorgelegt hat. Inzwischen wissen wir aber auch, dieses Papier hat überhaupt nichts gebracht. Die Theater- und Orchesterstruktur in Mecklenburg-Vorpommern kann mit

diesen Eckpunkten nicht weiterentwickelt werden, vielmehr missbrauchen Sie den Begriff „Weiterentwicklung“. Dass das Eckpunktepapier ein solcher Misserfolg wurde, lag auch am Verfahren. Dieses war der Sache nicht dienlich, denn die Stimmen der Theater und der Kommunen wurden nicht vernommen und auch nicht berücksichtigt.

Wer aber von oben herab festlegen will, es gebe da im Land bestimmte Kooperationsräume, ohne in diese Räu- me hineinzuhorchen, der wählt den falschen Ansatz. Räumliche Strukturen und Zusammenhänge entstehen nicht per Festlegung, sie entwickeln sich. Das Eckpunktepapier nimmt viele Entwicklungen und Realitäten nicht zur Kenntnis, es kann als gescheitert bezeichnet werden. Gescheitert ist es zu Recht, denn auf das entscheidende Problem für die Theater und Orchester im Land gingen Sie nicht ein. Entscheidend ist nämlich, die Rahmenbedingungen stimmen nicht.

Führen wir uns diese Rahmenbedingungen noch einmal vor Augen: Es gibt bekanntlich einen festen Betrag für alle Theater im Land. Der hat sich seit 1995 nicht verändert. Seit 17 Jahren ist dieser Betrag, ist die Höhe der Mittel für die Theater aus dem Landeshaushalt eingefroren. Diese Mittel werden bekanntlich von den Zuweisungen nach Finanzausgleichsgesetz vorab abgezogen. Wenn wir also genau sind, handelt es sich damit nicht einmal um Zuschüsse des Landes im engeren Sinne, sondern um Mittel der Kommunen. Der Vorwegabzug ist darin nur ein erster Verteilungsschritt.

Was wir nun vorschlagen, ist eigentlich minimal. Wir wollen, dass zu den zusätzlich erwähnten FAG-Mitteln noch weitere 3,58 Millionen Euro bereitgestellt werden, landesweit 3,58 Millionen Euro, überlebensnotwendig für die Theater und Orchester. Das entspricht auch genau der Summe, die anderenfalls als Soforthilfe nötig wäre, um Insolvenzen abzuwenden. Das Staatstheater Schwerin hat damit schon den Anfang gemacht. Diese 10 Prozent Steigerung beziehen sich auf einen Zeitraum von 17 Jahren. So viel Bescheidenheit ist selten.

Meine Damen und Herren, die Beschränkung der Theaterfinanzierung auf den FAG-Topf müssen wir jetzt aufbrechen. Einerseits entsteht durch die Bindung an die FAG-Mittel der Eindruck, das Land betrachte die Förderung der Theater und Orchester gar nicht als seine eigene Aufgabe. Was aber ist Ländersache, wenn nicht die Kultur?

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hinzu kommen unerwünschte Nebenwirkungen, denn was wir dem einen Theater geben, nehmen wir dem anderen – eine Konstruktion, die ein Gegeneinander der Standorte fördert. Aktuell werden die einzelnen Theater zum Beispiel genötigt, gemeinsame Verwaltungsgesellschaften zu gründen. Denn machen das nur die anderen, das eigene Theater aber nicht, dann gibt es am Ende weniger Geld. Nicht alle Zusammenschlüsse, die auf diese Weise zustande kommen, sind jedoch automatisch sinnvoll, denn das Kriterium ist nicht sachlich oder auch inhaltlich, das Motiv ist vielmehr die pure finanzielle Not.

Wir wollen ein Bekenntnis des Landes zur Förderung der Theater und Orchester aus seinen ureigenen Mitteln. Ein Bekenntnis, das sich eben nicht nur in Worten erschöpft, sondern dazu führt, dass Theater und Orchester in Meck

lenburg-Vorpommern finanziell endlich angemessen

ausgestattet werden. Es muss vorbei sein damit, dass wir bei den Theatern so tun, als hätten sich seit 1995 die Betriebskosten nicht verändert, als hätten sich die Lebenshaltungskosten der Angestellten nicht verändert. Das Ende der Möglichkeiten für die Theater, irgendwo zu sparen, ist lange erreicht.

Schon seit einigen Jahren geht die Unterfinanzierung der Theater und Orchester an die Substanz, an die künstlerische Substanz. In der aktuellen Praxis, besser gesagt, schon seit einigen Jahren mussten in den einzelnen Einrichtungen, in den einzelnen Spielstätten natürlich Wege gefunden werden, um sich in diesem engen Rahmen noch bewegen zu können. Diese Formel, mit der Situation umzugehen, möchte ich dabei nicht Lösungsansatz nennen. Wozu die Theater da gezwungen werden, das sind keine Lösungen, das sind auch keine kreativen Lösungen, es sind vielmehr Scheinlösungen wider die Entfaltung der Kreativität.

Denn was können die einzelnen Theater und Orchester derzeit noch tun?

Variante eins: Sie setzen auf Haustarifverträge und generell niedrige Entlohnung. Da wird die Last durch die Künstlerinnen und Künstler getragen, denen ein kulturelles Angebot für Mecklenburg-Vorpommern wichtiger ist als Geld. Meine Hochachtung gilt dabei all denjenigen, die ungeachtet der geringen Wertschätzung, die ihnen da entgegengebracht wird, unverdrossen weitermachen. Die Landesregierung möchte Niedriglöhne bekämpfen und wünscht sich zu Recht einen Mindestlohn. Ich füge hinzu, dies gilt offenbar nicht für die Kultur.

Variante zwei: Wir besetzen einfach ein paar Stellen nicht. Da bleiben in einem Orchester durchgängig Stellen unbesetzt, also ist dieses Orchester eingeschränkt in seinen Möglichkeiten, es kann nicht mehr jedes Stück spielen. Ganz klar wird hier: Der endlose Zwang zum Sparen geht an die künstlerische Substanz!

Variante drei: Es gibt noch die Kommunen. Die Anteile bei der Theaterfinanzierung verschieben sich seit Jahren stetig. Die Städte und Landkreise mit eigenen Theatern übernehmen dabei einen immer größer werdenden Teil. Und noch einmal: Wir waren zurückhaltend. Der von uns beantragte zusätzliche Betrag wird gerade ausreichen, um diese strukturelle Unterfinanzierung auszugleichen, hinzu kommen noch die Aufwendungen der Kommunen für die Spielstätten. Wenn wir das berücksichtigen, wissen wir, von halbe-halbe kann bei Theatern und Orchestern längst nicht mehr die Rede sein, der deutlich größere Teil der Aufwendungen liegt nämlich bei den Kommunen.

Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluss meiner Ausführungen noch daran erinnern, was die ständige Unterfinanzierung der Theater und Orchester bedeutet: Die Substanz der Kultur ist gefährdet, das führt zu immer weniger kulturellen Veranstaltungen, zu weniger Auswahl und weniger Vielfalt, und da darf am Ende niemand überrascht sein, wenn auch weniger Publikumszuspruch entsteht.

(Tilo Gundlack, SPD: Wer geht denn ins Theater, bitte schön?)

Das ist eine Abwärtsspirale, die wir weiter in Gang halten, wenn wir weitermachen mit verfehlten Konzepten,

mit den Konzepten des Kaputtsparens. Wir können nicht verlangen, dass die Künstlerinnen und Künstler oder das Publikum oder die Kommunen es sind, die diese Abwärtsspirale allein stoppen. Wer hier handeln kann und muss, ist das Land.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Das Land ist zuständig für Kultur und aus der Kulturhoheit erwächst auch die Verpflichtung. Verpflichtung bedeutet dabei aber auch, dass alles Handeln eine Beteiligung der Theater und Orchester, eine Beteiligung der Städte und Landkreise einschließen muss. Nur so können wir zu einem dauerhaften Erfolg gelangen.

Wir brauchen die Beiträge aus Kunst und Kultur in unserem Bemühen um mehr Demokratie und Toleranz. Wir brauchen Anregungen zum Denken in ungewohnten Bahnen. Wir brauchen Freiheit vom Zwang, immer an irgendein Budget denken zu müssen. Wir brauchen viele Ideen und Möglichkeiten statt enger Grenzen. Wir brauchen die Leute, die durch ihre Kunst und Kultur zeitlose Themen in unsere Zeit und unseren Raum übersetzen. Wir brauchen Lust, Lust am Schauspiel, Lust an der Musik, Lust am Tanz. Wir brauchen all das, was eine vielfältige Theater- und Orchesterlandschaft bieten kann.

Wir müssen wieder Bedingungen schaffen, unter denen sich das alles entfalten kann. Das geht, aber es geht nicht von selbst. Es geht mit einem attraktiven, kulturellen und künstlerischen Angebot, guten Leuten an den Bühnen und an den Musikinstrumenten, mit einem zahlreichen und bunt zusammengesetzten Publikum – dieser Appell geht auch an Sie –, es geht nur mit gut ausgestatteten Theatern und Orchestern. Den Anfang dazu können wir heute machen. Dazu bitte ich Sie um Unterstützung unseres Antrages.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Um das Wort gebeten hat zunächst der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur Herr Brodkorb.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, ob dieser Antrag sinnvoll ist. Das entscheiden die Fraktionen kraft ihrer Autonomie selbst.

(Zuruf von Johann-Georg Jaeger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich möchte mir wiederum schon das Recht zusprechen, zumindest der Frage nachzugehen, ob dieser Antrag in irgendeiner Form hilfreich ist für die Arbeit der Landesregierung oder für dieses Parlament.

(Torsten Renz, CDU: Ein Wink mit dem Zaunpfahl.)

Hilfreich wäre er dann, wenn die Grundlagen der Argumentation den historischen Tatsachen entsprechen würden.

(Zurufe von Johann-Georg Jaeger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das wäre die erste wichtige Voraussetzung. Und ich rege erneut an, wie in der Rede, die ich vor zwei Monaten gehalten habe, sich damit auseinanderzusetzen, wie die FAG-Reform des Jahres 1994 ausgesehen hat und warum damals Landesmittel der Theaterförderung zusätzlich in das Finanzausgleichsgesetz integriert wurden. Nur unter Leugnung oder Nichtachtung dieser Tatsache kann man sich hier vorne hinstellen und die Tatsache behaupten oder die These aufstellen, das Land würde sich nicht an der Theaterfinanzierung beteiligen, sondern es seien am Ende die Kommunen.

Darüber hinaus könnte man sich natürlich der Frage zuwenden, ob nicht auch über die Frage, wie viel Geld den Kommunen über das Finanzausgleichsgesetz zur Verfügung gestellt wird, dieser Landtag entscheidet, weil es sich nämlich um Landesgeld handelt, das den Kommunen zur Verfügung gestellt wird. Aber diese randständige Frage in diesem Zusammenhang möchte ich gar nicht weiter erörtern.

Ich werde also – und das ist der Hauptgrund dafür, warum ich diesen Antrag als in der Sache nicht hilfreich empfinde – ungefähr dasselbe sagen, was ich vor zwei Monaten hier schon einmal ausgeführt habe, als die Fraktion DIE LINKE deutlich zügiger einen Antrag mit einer ähnlichen Intention hier im Parlament gestellt hat, der damals abgelehnt wurde, und so, vermute ich, wird auch dieser Antrag abgelehnt werden. Mein Plädoyer wäre, in zwei Monaten nicht erneut mit einem solchen Antrag hier aufzutreten, weil das alle Beteiligten dazu bringen müsste, das dritte Mal innerhalb kürzester Zeit immer und immer wieder dasselbe zu sagen. Ich glaube, das Parlament hätte durchaus die Chance, auch fruchtbarere Dinge zu diskutieren.

(Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Sie haben es in der Hand gehabt, Herr Brodkorb.)

Der Antrag besteht aus drei Punkten.

Im ersten Punkt wird festgestellt, das Eckpunktepapier der Landesregierung sei gescheitert. Dem möchte ich widersprechen. Das Eckpunktepapier der Landesregierung sah zwei Prozesse vor.

Der erste Prozess: die Eingliederung der Einspartentheater in die Mehrspartentheater. Dieser Prozess ist abgeschlossen und im Sinne des Eckpunktepapiers erfolgreich. Natürlich kann man sich hier hinstellen und behaupten, es wäre nicht erfolgreich. Nur dann, bitte, meine Damen und Herren, gehen Sie zu Herrn Ott-Albrecht, dem Intendanten des Parchimer Theaters, gehen Sie zu Herrn Bordel, dem Intendanten des Theaters in Anklam, und sagen Sie ihnen vor laufenden Kameras, dass der Prozess, der von ihnen als positiv eingeschätzt wird, gescheitert sei. Ich darf vielleicht darauf verweisen, vor ein paar Wochen hat Herr Bordel sich entsprechend in der Presse geäußert. Wenn Sie es besser wissen, was für die Intendanten und diese betroffenen Theater gut ist, als diese selbst, dann, muss ich sagen, ist das zumindest etwas, was mich überrascht.

(Vizepräsidentin Regine Lück übernimmt den Vorsitz.)

Das Eckpunktepapier sah eine zweite Phase vor,

(Zuruf von Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nämlich eine Restrukturierung der Mehrspartentheater, und es sah vor, dies nach der Landtagswahl anzugehen als einen zweiten Schritt.

Wir befinden uns jetzt knapp hundert Tage nach der Ernennung der neuen Regierung und nach hundert Tagen von einem gescheiterten Konzept zu sprechen oder einem zweiten Teil, obwohl der noch gar nicht wirklich umgesetzt werden konnte, ist vielleicht etwas weitreichend, das zu behaupten.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)