Protokoll der Sitzung vom 03.06.2015

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Doch.)

und dass die Zweigstellen, die hier so vehement verteidigt worden sind, mehr als nur auf wackligen Füßen stehen.

Am 2. Juni 2015 entschied das Oberverwaltungsgericht Greifswald über die Rechtmäßigkeit der Zweigstellenverordnung Mecklenburg-Vorpommern. Das Amtsgericht Stralsund hatte gegen diese Verordnung geklagt, da es hierin einen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz sah. Das Oberverwaltungsgericht Greifswald erklärte daraufhin die Klage für zulässig. In der Begründetheit gestand man der Landesregierung grundsätzlich zu, eine Zweigstellenverordnung zu erlassen, jedoch wurden die Paragrafen 1 und 2 der Zweigstellenverordnung für unwirksam erklärt. Das Land habe mit der Zweigstellenverordnung gegen das höhere Bundesrecht des Paragrafen 21e Gerichtsverfassungsgesetz verstoßen. So wurde mit der Zweigstellenverordnung die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Zweigstellen abschließend und ausnahmslos geregelt. Für die Geschäftsverteilung sei jedoch das Gerichtspräsidium zuständig. Was nun weiter geschieht, weiß noch niemand. Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Lesen Sie doch mal das Urteil!)

Macht die Landesregierung von ihrem Recht der Revision Gebrauch, bleibt die Situation auf mindestens ein Jahr unberechenbar. Zum Beispiel könnten die Anwälte regelmäßig die Zuständigkeiten des jeweiligen Richters infrage stellen. Das würde Prozessverlängerung bedeuten. Möglich wäre aber auch, die Zweigstellenverordnung neu zu regeln und dabei die Rechte der Präsidien über die Zuständigkeiten der Zweigstellen zu wahren. Dabei könnte rauskommen, dass die Präsidien die gleichen Zuständigkeiten übernehmen, die jetzt in der Verordnung fixiert sind. Es könnte aber auch sein, dass die Zweigstellen weniger Aufgaben zugewiesen bekommen. Unterm Strich wissen wir es nicht.

Was wir aber bereits heute sagen können: Mit der Zweigstellenverordnung würde ein wesentlicher Eckpfeiler der Gerichtsstrukturreform kippen. Es steht zu befürchten, dass durch den erheblichen Verwaltungsaufwand einer Zweigstelle eine Konzentration der Aufgaben auf die Hauptstandorte erfolgen wird. Eine faktische Aushöhlung der Zweigstellen wäre die logische Folge. Und Sie, meine Damen und Herren der Koalition, die stets betont haben, dass durch die Zweigstellen die Gerichtsstandorte bestehen bleiben, sollten heute in Betracht ziehen, dass die Standorte, wie zum Beispiel in Bergen, nicht so starke Zweigstellen sein könnten, oder Parchim, oder Anklam, oder Demmin, oder Greifswald und Neustrelitz. Das müssen Sie dann auch Ihren Wählerinnen und Wählern erklären.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Die stehen aber nach wie vor unter Gesetzesvorbehalt, Frau Borchardt.)

Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist...

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sie müssten da auch mal bei der Wahrheit bleiben.)

Zu Ihrem Zwischenruf, Herr Dr. Nieszery: Die Zweigstellen stehen drin im Gesetz, das ist richtig.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

Der Streitpunkt geht darum, welche Aufgaben übertragen werden können.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das heißt, kein Präsidium kann jemals eine Zweigstelle streichen. Das wissen Sie auch.)

Und nun werde ich Ihnen mal vorlesen, was geregelt worden ist in den Paragrafen 1 und 2. Da steht nämlich drin, dass die Zweigstelle in Anklam zum Beispiel Strafsachen des Jugendrichters machen kann. Das könnte auch bedeuten, dass das Präsidium des Amtsgerichtes Pasewalk sagt, nein, Anklam wird diese Aufgabe nicht übernehmen, sondern wir machen das am Gerichtsstandort. Das bedeutet, auf Deutsch gesagt, dass weniger Aufgaben in den Zweigstellen vorhanden sein werden und damit ein Tod auf Raten vorprogrammiert ist.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das stimmt doch gar nicht. – Stefanie Drese, SPD: Nein.)

Natürlich ist das vorprogrammiert, das wissen Sie doch selber. Genau Ihre Koalitionsfraktionen,

(Heinz Müller, SPD: Oh, immer die alte Platte!)

Ihre Abgeordneten, haben Sie doch damit gefangen, dass wir starke Zweigstellen

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

haben werden in Zukunft,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

und die sind infrage gestellt. Das ist nun mal Fakt

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Warten Sie es doch mal ab, wie die Präsidien es organisieren, Frau Borchardt!)

und daran kommen Sie auch nicht vorbei.

Um all diese Fragen in den nächsten Tagen zu prüfen,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Warten Sie es doch mal ab!)

stelle ich hiermit im Namen meiner Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag, das Gesetz gemäß Paragraf 50 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung noch einmal in den Rechts- und Europaausschuss zu überweisen und somit eine heutige Schlussabstimmung zu verschieben.

(Vincent Kokert, CDU: Ja, richtig.)

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Borchardt.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Stefanie Drese für die Fraktion der SPD.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Jetzt wird hier ein bisschen was geradegestellt.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Um die Frage gleich vorwegzunehmen: Mit dem gestrigen Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist der Gegenstand des Volksbegehrens nicht weggefallen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

Ich bin froh, dass das OVG mit der Entscheidung noch gestern in Teilen für Klarheit gesorgt hat. Das Oberverwaltungsgerichtsurteil richtet sich demnach nicht gegen das Gerichtsstrukturneuordnungsgesetz, sondern gegen die untergesetzliche Zweigstellenverordnung. Die Landesregierung ist dort in guter Absicht bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Zweigstellen über das Ziel hinausgeschossen, aber ganz wichtig ist, dass die vom Parlament im Gesetz verankerten Zweigstellen gerade nicht infrage gestellt werden.

(Heinz Müller, SPD: Aha! – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Hört, hört!)

Sehr geehrte Damen und Herren, Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes ist es, die vom Landtag im Oktober 2013 beschlossene Gerichtsstrukturreform rückgängig zu machen und damit die durch das Gerichtsstrukturneuordnungsgesetz aufgehobenen Gerichte einschließlich ihrer Bezirke wieder einzurichten. Dem, meine Damen und Herren, werden wir nicht zustimmen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

Die Gerichtsstrukturreform ist sachlich richtig und notwendig. Sie bleibt entscheidend für eine zukunftsfähige Justiz unseres Landes. Ziel der Gerichtsstrukturreform ist es, langfristig bedarfsgerechte und tragfähige Strukturen zu schaffen. Nur dann kann es gelingen, auch in Zukunft die gewohnt hohe Qualität der Rechtsprechung in angemessener Zeit zu sichern.

Zum einen ist da die demografische Entwicklung. Der in der Vergangenheit erfolgte Bevölkerungsrückgang in Mecklenburg-Vorpommern wird sich auch weiterhin fortsetzen, und zwar unterschiedlich in den jeweiligen Regionen. So wird unser Land im Jahr 2030 nur noch rund 1,45 Millionen Einwohner haben. Diese Entwicklung macht auch vor dem Geschäftsanfall bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften nicht halt.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wohl wahr.)

Dort ist von weiter rückläufigen Eingangszahlen auszugehen. Hinsichtlich der Amtsgerichte weist MecklenburgVorpommern bezogen auf die Einwohnerzahl schon heute die höchste Gerichtsdichte auf. Bereits jetzt ist es an den kleinen Standorten nur unter besonderen Anstrengungen möglich, die große Bandbreite der amtsge

richtlichen Aufgaben effizient zu erfüllen. Effiziente Gerichtsstandorte müssen aber eine gewisse Mindestgröße haben, um auf allen Arbeitsebenen der Justiz, sprich Richter, Rechtspfleger und Servicebereiche, auch im Vertretungsfall die Aufgaben in einer angemessenen Frist erfüllen zu können. Daran sind die zukünftigen Strukturen der Amtsgerichte auch angesichts rückläufiger Eingangszahlen, der zunehmenden Notwendigkeit der Spezialisierung und des demografischen Wandels ausgerichtet.

Zum anderen muss sich das Land auf weiter zurückgehende Finanzmittel einstellen. Der Umstand geringerer finanzieller Zuwendungen von Bund und EU sowie künftig sukzessive wegfallende Mittel aus dem Solidarpakt II

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

und der Länderfinanzausgleich erfordern eine Anpassung.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

Dabei sind etwaige Konsequenzen aus der von Bayern und Hessen betriebenen Klage gegen den Länderfinanzausgleich, die unter anderem Nehmerländern vorwirft, sich mehr zu leisten als sie selbst, noch gar nicht berücksichtigt. Dass die gegenwärtige Gerichtsstruktur in unserem Land angesichts des fortwährenden Bevölkerungsrückgangs und der konstant zurückgehenden Finanzmittel nicht auf Dauer ohne Anpassung bestehen kann, liegt auf der Hand.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Amtsgerichte sind für die Bürger auch weiterhin mit zumutbarem Aufwand erreichbar.

(Heinz Müller, SPD: So ist es.)