Protokoll der Sitzung vom 05.04.2017

Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 7/467 –

Änderungsantrag der Fraktion der AfD – Drucksache 7/469 –

Das Wort zur Berichterstattung hat der Vorsitzende des Bildungsausschusses Herr Reinhardt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser etwas hitzigen Debatte kommen wir jetzt zu einem auch sehr wichtigen Thema. Ich verspreche aber, mich als Ausschussvorsitzender um Sachlichkeit zu bemühen.

Der Landtag hat den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und CDU auf Drucksache 7/144 in seiner 6. Sitzung am 25. Januar 2017 beraten und ihn federführend zur Beratung an den Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur und zur Mitberatung an den Innen- und Europaausschuss sowie an den Finanzausschuss überwiesen.

Der Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und CDU stellt fest, dass für die kreisfreien Städte im Land die kostenlose Schülerbeförderung bis zur örtlich zuständigen Schule nicht gilt, die gesetzlich in den Landkreisen und damit auch in den großen kreisangehörigen Städten vorgesehen ist. Zudem gibt es im Landkreis Vorpommern-Rügen bisher eine Praxis bei der Kostenübernahme für die Schülerbeförderung, die nicht mit den gesetzlichen Regelungen übereinstimmt.

Der Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und CDU stellt außerdem fest, dass die vorgeschriebene mittelbare Wahl der Schülersprecherinnen und Schülersprecher durch den jeweiligen Schülerrat oft durch die Schülerinnen und Schüler selbst als nicht ganz demokratisch empfunden wird.

Der Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und CDU macht ferner deutlich, dass der Bildungsgang „Berufs

begleitende Erzieherausbildung“ bisher nicht in Paragraf 128a Absatz 3 Satz 1 Schulgesetz aufgenommen wurde. Deshalb können die entsprechenden Schülerkosten- und Förderbedarfssätze für Ersatzschulen bisher nicht in dem dort geregelten vereinfachten Verfahren schuljährlich den Tarifentwicklungen des Vorjahres angepasst werden.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Der Bildungsausschuss hat in seiner 4. Sitzung am 22. Februar zu dem Gesetzentwurf eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Die Ergebnisse und die Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse bitte ich der Drucksache 7/441 zu entnehmen.

In der 7. Sitzung am 22. März hat der Bildungsausschuss den Gesetzentwurf abschließend beraten. Der Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und CDU sieht vor, in Paragraf 113 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 Schulgesetz den grundgesetzlichen Beförderungsanspruch von Schülerinnen und Schülern des Landes auf die kreisfreien Städte zu erweitern. Hinsichtlich der Schülerbeförderung in den kreisfreien Städten ist mit konnexen Mehrkosten für die kreisfreien Städte zu rechnen, welche vom Land Mecklenburg-Vorpommern auszugleichen sind. Die Höhe der Kosten kann noch nicht konkret abgeschätzt werden.

Des Weiteren sieht der Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und CDU vor, die Möglichkeit der Direktwahl der Schülersprecherin beziehungsweise des Schülersprechers zu eröffnen. Dabei wird grundsätzlich an der Wahl durch den Schülerrat festgehalten. Bei Vorliegen eines entsprechenden Beschlusses der Schülervollversammlung kann jedoch eine Direktwahl der Schülersprecherin oder des Schülersprechers und der Stellvertretung aus der Mitte des Schülerrates durchgeführt werden. Diese Option soll insbesondere zu einer Stärkung der demokratischen Prozesse an der Schule beitragen.

Außerdem sieht der Gesetzentwurf vor, dass der zum Schuljahr 2016/2017 erstmalig angebotene Bildungsgang „Erzieherin und Erzieher berufsbegleitend“ mit einem entsprechenden Kostensatz in Paragraf 128a Absatz 1 Nummer 8 Schulgesetz aufgenommen wird. Die Beschlüsse des Bildungsausschusses sehen ergänzend zum Gesetzentwurf Regelungen zur Jahrgangsstufenzugehörigkeit der Schülersprecher vor sowie die Annahme einer Entschließung, in der die Rechtsauffassung des Landkreises Vorpommern-Rügen zur Schülerbeförderung als rechtswidrig eingestuft wird und die Landesregierung aufgefordert wird, die notwendigen fach- und rechtsaufsichtlichen Maßnahmen zu ergreifen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, dem Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlussempfehlung und auch der Entschließung zuzustimmen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Ann Christin von Allwörden, CDU)

Vielen Dank, Herr Reinhardt.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu

keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Herr Dr. Jess.

Frau Präsidentin! Werte Abgeordnetenkollegen! Liebe Landsleute! Wir debattieren heute abschließend über die Änderung des Schulgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern. Dabei geht es um die Paragrafen 82, 128a und 113, wie eben bereits ausgeführt.

Der Änderung des Paragrafen 128a bezüglich der nunmehr festgelegten Schülerkostensätze für die berufsbegleitende Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern können wir zustimmen in der Hoffnung, dass die kalkulierten Kostensätze auskömmlich sind. Ebenso unstrittig ist die Notwendigkeit der Anpassung des Paragrafen 113 bezüglich einer Gleichbehandlung der Schüler in den kreisfreien Städten Rostock und Schwerin. Hier sei noch einmal auf das Gutachten zum Thema von Professor Erbguth hingewiesen.

Allerdings meinen wir als AfD, dass diese Anpassung des Gesetzes eigentlich nur Flickschusterei ist. Die Anhörung der Gremienvertreter im Rahmen der Ausschussarbeit hat einen weitaus umfassenderen Handlungsbedarf beim Thema Schülerbeförderung aufgezeigt. Die jetzige Flickschusterei – auch der neue Änderungsantrag von der LINKEN ändert daran überhaupt nichts – schafft hinsichtlich der Finanzierung durch das Land neue Ungerechtigkeiten und beseitigt weiterhin bestehende Ungerechtigkeiten bei der Schülerbeförderung nicht. Deshalb hat die AfD-Fraktion zum Paragrafen 113 einen eigenen, separaten Entschließungsantrag eingebracht, der heute noch gesondert zu diskutieren sein wird.

Ich möchte mich deshalb in meinen weiteren Ausführungen auf die Schülerbeteiligung konzentrieren. Dabei möchte ich meine Gedanken zum Thema etwas umfassender in mehreren Punkten darlegen.

Punkt 1. Auch der Schülerrat soll die Urwahl des Schülersprechers beschließen können.

Die AfD hatte im Ausschuss den Vorschlag eingebracht, dass der bestehende Beschlussvorschlag dahin gehend erweitert wird, dass nicht nur die Schülervollversammlung, sondern auch der Schülerrat ermächtigt wird, durch Mehrheitsbeschluss eine Urwahl des Schulsprechers herbeizuführen. Warum ein solcher Vorschlag von CDU, SPD und LINKEN ohne inhaltliche Gegenargumentation abgelehnt wurde, ist schwer zu verstehen. Deshalb bringen wir heute diesen Änderungsantrag nochmals in Form einer Ergänzung des bestehenden Vorschlags ein, in der Hoffnung, dass die Vernunft siegt,

(Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

denn eine solche Ergänzung ist sinnvoll und könnte das praktische Prozedere hin zur Urwahl vereinfachen. Das würde aber voraussetzen, dass es Ihnen mit der Urwahloption auch wirklich ernst ist.

Punkt 2. Überregulierung vermeiden

Auf Initiative der Fraktion DIE LINKE wurde der Paragraf 82 Absatz 2 im Ausschuss mit Zustimmung von

CDU und SPD noch dahin gehend erweitert, dass die gewählten Schülersprecher mindestens der 7. Jahrgangsstufe angehören müssen und einer der Stellvertreter der Jahrgangsstufe 5 oder 6 zugehörig sein muss. Auf den ersten Blick könnte man meinen, eine sinnvolle Ergänzung, zumal nur Schülervertreter ab dem 7. Jahrgang in den Schulkonferenzen mitarbeiten dürfen. Aber, liebe Abgeordnetenkollegen, diese Regelungswut erinnert mich fatalerweise an die formalistische Demokratie in der DDR. Mit Ihrem Vertrauen in die Demokratiefähigkeit der Schüler scheint es nicht so weit her zu sein. Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass Schüler der unteren Jahrgänge Schülersprecher einer Schule werden? Und auch wenn dem so wäre, dann würden die Schüler wirklich etwas lernen, nämlich, dass demokratisch zustande gekommene Fehlentscheidungen auch Konsequenzen haben, und zwar für alle. Das wäre doch einmal ein positiver Lerneffekt und den wollen Sie mit Ihrer Überregulierung verhindern.

Punkt 3. Demokratie einüben, aber bedarfsgerecht

Ich habe meine Schul- und Studienzeit in der DDR verbracht. Auch damals gab es offiziell eine Schülerbeteiligung. Diese war kaderorientiert und folgte den Prinzipien des sogenannten demokratischen Zentralismus. Damals hätte ich mir mehr echte Demokratiebeteiligung gewünscht. Doch wenn ich unsere heutige Beteiligungsstruktur sehe, dann frage ich mich unwillkürlich, ob wir nicht über das Ziel hinausgeschossen sind. Die Schüler- und Elternbeteiligung in unseren heutigen Schulen regelt das Schulgesetz. Die Strukturen beginnen mit dem Klassen- oder Jahrgangssprecher, entwickeln sich über den Schülerrat der Schule, den Schülersprecher der Schule, den Kreis- beziehungsweise Stadtschülerrat bis zum Landesschülerrat. Analoge Hierarchiestufen gibt es auch bei der Elternbeteiligung. Darüber hinaus gibt es noch den Landesschulbeirat Mecklenburg-Vorpommern, in dem auch wieder Eltern- und Schülervertreter der genannten Gremien vertreten sein können.

Die Befürworter einer solchen Beteiligungsstruktur haben natürlich schnell die Floskel parat, dass damit die Schule demokratische Lebensweise einüben soll. Daran ist mir auch gelegen. Aber Schüler-, Landesschülerrats- und Schulleitungsvereinigungsvertreter machten in der Anhörung deutlich, dass das Interesse der Schüler an einer Beteiligung in den Gremien sehr gering ist. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen aus den Universitäten. Die Wahlbeteiligung der Studenten an den jeweiligen Gremienwahlen dümpelt heute in der Regel um 20 Prozent. Unterhält man sich mit Lehrern, hört man einerseits von positiven Erfahrungen mit Schülervertretungen, aber man hört andererseits auch, dass die Gremien und Schulkonferenzen mitunter nur eine Spielwiese für wenige geltungsbedürftige Jugendliche sind.

Ich kenne einen Fall aus einer Berufsschule, in der die Schüler die Wahl eines Klassensprechers abgelehnt haben und sich bei Bedarf lieber an einen Vertrauenslehrer wenden wollten. Der Vertreter der Bernostiftung sprach in der Anhörung von guten Erfahrungen mit der Schülerbeteiligung bei der Einbindung der Schüler in Alltagsangelegenheiten, da in diesen Fällen ein klarer Bezug zu persönlichen Interessen abgeleitet werden konnte. Ich denke, daran sollte man eventuell zukünftig eher denken.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Liebe Kollegen, nachdem wir den Vertreter des Landesschülerrates befragen konnten, habe ich mich selbst gefragt: Was tun wir diesen Jugendlichen eigentlich an? Er hatte auf meine Frage nach der Zeitbelastung durch seine Tätigkeit in sage und schreibe vier Hierarchieebenen und Schulkonferenzen angegeben, dass in Spitzenzeiten bis zu 40 Wochenstunden für die ehrenamtliche Tätigkeit in den Schülergremien zusammenkämen, auch mal bis nach Mitternacht. Ich frage mich: Ist das noch vernünftig?

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Im Extremfall könnte ein Schüler in allen Hierarchieebenen vertreten sein, da er als Vorsitzender eines Gremiums automatisch in das nächsthöhere Gremium aufsteigen kann, wenn nicht ausdrücklich anderes beschlossen wurde. Dass die ehrenamtlichen Tätigkeiten der Schüler während der Schulzeit stattfinden und zulasten des Unterrichts gehen, muss ich nicht erst erwähnen, denn die Schüler sind laut Gesetz vom Unterricht freizustellen. Ich hoffe, dass verständige Lehrer hier Auswüchse erkennen und korrigierend eingreifen.

(Torsten Renz, CDU: Die Eltern können ja auch mal ihre Meinung dazu sagen.)

Punkt 4. Demokratieverdruss vermeiden

Bevor mir jemand unterstellt, dass ich gegen die Einübung der Demokratie in den Schulen bin, sage ich hier ganz deutlich: Nein, gerade das bin ich nicht. Im Gegenteil, ich habe Sorge, dass wir mit dem scheinbar so tollen formalistischen Demokratieverständnis in unseren Schulen eigentlich einen Demokratieverdruss erzeugen. Denken Sie an die geringe Beteiligungsbereitschaft für Gremiumsfunktionen, denken Sie an die geringe Wahlbeteiligung bei Gremienwahlen an unseren Universitäten!

Lassen Sie mich ein Fazit ziehen:

Erstens. Mir ist natürlich klar, dass Gesetzestexte von der praktischen Ausgestaltung vor Ort leben. Entscheidend ist, wie die Praxis in den Schulen aussieht. Hier setze ich mein Vertrauen auf die Lehrer vor Ort, die mit dem richtigen Gespür die Lebensferne von Gesetzestexten wieder ins Lot bringen könnten.

Zweitens. Mir ist natürlich auch klar, dass wir hier und heute das Thema „Sinnvolle Schülerbeteiligung in den Schulen“ nicht ausdiskutieren können. Aber lassen Sie uns wenigstens den Anfang einer fairen und offenen Debatte gemacht haben. Vielleicht gelingt es uns ja in der sogenannten großen Schulgesetznovelle, die in zwei Jahren anstehen soll, eine bedarfsgerechte, schulgerechtere Ausgestaltung der Schüler- und Elternbeteiligung zu etablieren.

Drittens. Die AfD-Fraktion beantragt die getrennte Abstimmung zu den einzelnen Paragrafen beziehungsweise Antragspunkten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Butzki für die Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute in Zweiter Lesung den von den Fraktionen der SPD und CDU eingebrachten Gesetzentwurf „Fünftes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für das Land MecklenburgVorpommern“. Es zeigt sich immer wieder, dass ein Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren nicht so verabschiedet wird, wie er eingebracht worden ist. Das ist auch bei diesem Gesetzentwurf der Fall.