… Kinder und Jugendliche genießen als eigenständige Personen den Schutz des Landes, der Gemeinden und Kreise vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung. Sie sind durch staatliche und kommunale Maßnahmen und Einrichtungen gegen Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige und körperliche Verwahrlosung und gegen Misshandlung zu schützen.“
Und Absatz 4: „Kinder und Jugendliche sind Träger von Rechten, deren Ausgestaltung die Persönlichkeit fördert und ihren wachsenden Fähigkeiten und Bedürfnissen zu selbstständigem Handeln entspricht. Land, Gemeinden und Kreise fördern die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an der Gesellschaft.“ Zitatende.
Genau solch ein Grundrecht, welches Schutz- und Teilhaberechte festlegt, wollen wir nicht nur in unserer Lan
desverfassung verankert haben, sondern und vor allem in dem höchsten Gesetz von Deutschland, dem Grundgesetz. Darum ringen wir seit mehreren Jahren hier im Landtag Mecklenburg-Vorpommern, dass sich die Landesregierung dafür einsetzen möge, dass die Kinderrechte ins Grundgesetz kommen. Wir waren da auch gemeinsam bis zur 6. Legislaturperiode unterwegs, dann ebbte das Engagement von SPD und CDU in der 6. Legislaturperiode ab.
Es blieb bei Appellen und den Vorwürfen, dass es uns an der Ernsthaftigkeit bezüglich des Themas fehle,
Nun, dass wir Ihnen heute erneut den Antrag vorlegen, belegt unsere Ernsthaftigkeit mit dem Thema und dass wir nicht lockerlassen. Zum Zweiten waren jetzt zwei Bundesländer wirklich daran interessiert, das Thema im Bundesrat voranzutreiben. Nun raten Sie mal, welche Länder das waren!
Genau, Thüringen und Brandenburg haben die Bundesratsinitiative zur Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz in den Bundesrat eingebracht,
Ein abermaliger Beweis, dass es heute nicht ein bloßer Antrag von einer Oppositionsfraktion ist, der pro forma gestellt wird, nein, dieses Thema liegt uns zutiefst am Herzen.
Warum kämpfen wir so vehement für die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz? Sie könnten uns vorhalten, dass wir damit eine Personengruppe bevorzugen. Warum nicht auch ein Grundrecht für Senioren, warum gerade diese Altersgruppe? Zum einen, weil Deutschland mit der Unterzeichnung und dem Inkrafttreten der UNKinderrechtskonvention am 5. April 1992 sich hierzu verpflichtet hat. Daraus folgt dann auch für uns der zweite Grund: Bis heute wird bei Entscheidungen in Politik, Verwaltung und Rechtsprechung das Kindeswohl nicht ausreichend berücksichtigt.
Als Landtag, konkret als Mitglieder des Sozialausschusses, konnten wir uns hierzu in diesem Raum vor zwei Wochen wieder einmal selbst ein Bild machen, als wir
eine Anhörung zu dem Thema Armut durchgeführt haben. Experten bestätigten uns durch die Reihe weg, was wir jahrelang wissen und was in einem reichen Land wie Deutschland einfach nur beschämend ist: In Mecklenburg-Vorpommern lebt jedes dritte bis vierte Kind und jeder dritte bis vierte Jugendliche in Armut oder ist von dieser bedroht. Und wie reagiert Politik? Wobei ich als LINKE sagen muss, dass das Thema bei uns oberste Priorität hat und wir wieder um Lösungen kämpfen, aber der Tenor dort: Wir stehen noch am Anfang der Armutsbekämpfung in Mecklenburg-Vorpommern. Von politisch gewollter Kindeswohlgefährdung war die Rede.
In Deutschland sieht es da nicht besser aus. Kinder- und Jugendarmut ist ein Thema, was immer noch hinten runterfällt. Obwohl 2,3 Millionen Kinder in Deutschland in Armut leben, gab es keinen Koalitionsvertrag auf Bundesebene, der das Thema Kinderarmut auch nur einmal mit einem Wort erwähnt hätte. Jedes fünfte Kind lebt in beengtem Wohnraum, die Familien haben zu wenig Geld für gesundes Essen, Hobbys oder Urlaub. Und was machen bisher SPD und CDU? Sie schauen weg.
Hier müssen wir hinschauen und die Interessen der Kinder und Jugendlichen stärker in den Blickpunkt nehmen.
Natürlich hat das auch etwas damit zu tun, wie die Interessen gesetzlich verankert sind. Aus unserer Sicht genießen die Interessen von Kindern und Jugendlichen den höchsten Rang und gehören deshalb ins Grundgesetz. Bislang werden Kinder im Grundgesetz zwar in Artikel 6 erwähnt, sie sind jedoch nur Regelungsgegenstand der Norm, also Objekte. Ihnen werden keine Rechte zugestanden. Es heißt da: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“
Kinder können anders als andere Grundrechtsträger ihre Rechte an vielen Stellen eben nicht selbst einfordern. Deshalb liegt Ihnen heute unser Antrag zur Befassung vor. Wir fordern die Landesregierung auf, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln darauf hinzuwirken, dass Kinderrechte auf höchster verfassungsrechtlicher Ebene der Bundesrepublik Deutschland verankert werden. Dafür gibt es einen klaren Ansatz, ich hatte es schon erwähnt.
Auf der Bundesratssitzung am 24. November 2017 stand der Antrag des Landes Brandenburg zu einer Entschließung des Bundesrates zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz auf der Tagesordnung. Die Länder Thüringen, Berlin und Bremen sind der Bundesratsinitiative beigetreten – so viel zu Ihrer Frage, Herr Butzki. Der Antrag der vier Länder wurde in die Ausschüsse überwiesen und derzeit wird beraten. Ich muss mich schon fragen, warum nicht auch Mecklenburg-Vorpommern bis zur ersten Befassung im Bundesrat der Bundesratsinitiative beigetreten ist. Das sollten Sie mir in der Debatte bitte erklären, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU. Auf die Begründung bin ich dann gespannt, schließlich liegt uns heute auch ein Änderungsantrag vor, der eine neue Bundesratsinitiative enthält.
Erstens ist es aus unserer Sicht schön, dass wir wieder gemeinsam ein Ziel haben, zweitens finde ich es aber schon bemerkenswert, warum keine Unterstützung der aktuell laufenden Bundesratsinitiative erfolgt und wir sozusagen wieder Zeit verstreichen lassen, bis die neue Bundesratsinitiative – immerhin 2018 – dann erfolgt.
Im Ältestenrat wurde vereinbart, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Kinder haben Rechte, sie haben besondere Bedürfnisse in Bezug auf ihre Förderung, ihren Schutz, ihre Mitbestimmung und ihre Entwicklung. Darum hat die UNO die UNKonvention über die Rechte des Kindes verabschiedet. Die UN-Kinderrechtskonvention gilt in Deutschland seit 1992 und feiert damit in diesem Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum.
Die UN-Kinderrechtskonvention ist heute die erfolgreichste Konvention der Vereinten Nationen, die von nahezu allen Staaten der Erde unterzeichnet beziehungsweise ratifiziert wurde. Das ist die gute Nachricht. Vollständig umgesetzt ist sie aber fast überall auf der Welt immer noch nicht. Deshalb gilt heute mehr denn je, diese Rechte weltweit mit Leben zu erfüllen. Für die Länder, in denen Kriege, Konflikte und Katastrophen die Rechte und das Leben von Kindern massiv einschränken, muss auf die Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention gedrungen werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, in Mecklenburg-Vorpommern ist die UN-Kinderrechtskonvention gelebte Praxis. Kinder- und Jugendpolitik, die Förderung und der Schutz von Kindern und Jugendlichen sind wichtige Bestandteile der Entwicklung unseres Landes und Kernanliegen der Landesregierung. Wir haben Kinderrechte auch bereits seit längerer Zeit in unserer Verfassung verankert. Die Landesverfassung von Mecklenburg-Vorpommern enthält in Artikel 14 Absatz 4 seit 2006 gesonderte Kinderrechte. Sie sind heute schon zitiert worden.
Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil im April 2008 festgehalten, dass Kinder Träger von Grundrechten sind und Eltern ihr Handeln am Wohl der Kinder auszurichten haben. Vor diesem Hintergrund hat die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern bereits Ende 2011 gemeinsam mit den Ländern Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen einen Antrag mit dem Titel
„Entschließung des Bundesrates Kinderrechte im Grundgesetz verankern“ in den Bundesrat eingebracht, denn um die Rechtsstellung und das besondere Schutzbedürfnis der Kinder klarer zum Ausdruck zu bringen, waren und sind wir der Überzeugung, dass Kinderrechte auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ihren Platz finden sollen. Von daher bedarf es dieser Initiative der Linksfraktion nicht. Wir sind seit Jahren an diesem Thema dran und hier ebbt auch gar nichts ab. Deshalb erlauben Sie mir, mit dem historischen Abriss fortzufahren, da dieser sehr wichtig ist, um zu verstehen, wie mühselig Politik sein kann, und eine Antwort auf Ihre Frage zu geben.
Der Bundesrat hat unserem Antrag in seiner 890. Sitzung am 25. November 2011 zugestimmt. Die damalige Bundesregierung ist dieser Entschließung der Länderkammer leider nicht gefolgt. Sie war der Ansicht, dass die vom Bundesrat geforderte ausdrückliche Normierung von Kinderrechten im Grundgesetz Kindern nicht mehr Rechte verschaffen würde, als ihnen jetzt schon von Verfassung wegen zustehen.
Diese Sichtweise halte ich für falsch. Kinder werden im Grundgesetz nur als Objekte der Pflege und Erziehung der Eltern benannt, es fehlt eine ausdrückliche Normierung der staatlichen Schutzpflicht gegenüber Kindern. Deshalb haben sich im weiteren Verlauf die Jugend- und Familienminister der Bundesländer im Mai 2014 einstimmig und nachdrücklich für die Stärkung der Kinderrechte auf Schutz, Förderung und Beteiligung ausgesprochen, und zwar auf allen Ebenen und Handlungsfeldern im Bereich der Gesetze und ihres Vollzugs. Dies bedeutet, dass eine weitere Stärkung der Kinderrechte von den Fachministerien der Länder einvernehmlich verfolgt wird.
Unterstützung kam von der 87. Konferenz der Justizminister und Justizministerinnen. Die sogenannte JuMiKo hat im November 2016 einstimmig zugestimmt, die Aufnahme der Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Zudem wurde der Vorschlag der Jugend- und Familienministerkonferenz begrüßt, in einer gemeinsamen BundLänder-Arbeitsgruppe die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz zu prüfen. Diese Arbeitsgruppe ist unter Beteiligung der zuständigen Bundesressorts dabei, Vorschläge zu erarbeiten.
Parallel dazu hat Nordrhein-Westfalen am 31. März 2017 im Bundesratsplenum einen Gesetzentwurf zur Normierung von Kinderrechten im Grundgesetz eingebracht. Der Gesetzentwurf sah vor, Artikel 6 des Grundgesetzes um einen neuen Absatz 5 zu den Kinderrechten zu ergänzen. Die konkrete Formulierung konzentriert sich auf zwei zentrale Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention, das Kindeswohlprinzip und das Recht auf Beteiligung. So soll bei allem staatlichen Handeln, welches Kinder betrifft, das Kindeswohl maßgeblich berücksichtigt werden. Zudem soll jedes Kind bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte betreffen, einen Anspruch auf Gehör und Berücksichtigung seiner Meinung haben. Ergänzt wird dies durch die ausdrückliche Verpflichtung der staatlichen Gemeinschaft auf den Schutz und die Förderung von Kindern sowie die Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen.
Ich halte diese Regelungen wie viele meiner Ministerkolleginnen und -kollegen im Sinne der Kinder und Jugendlichen für stark und klar. Im Moment ist diese Initiative aus Nordrhein-Westfalen mit Verweis auf die zu erwar
tenden Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Eis gelegt. Dass in der Zwischenzeit die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen gewechselt hat, hat diesen Prozess auch nicht gerade beschleunigt.
In diese Lücke stieß im November 2017 ein Antrag des Landes Brandenburg mit dem Titel: „Entschließung des Bundesrates zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz“, auf den sich ja auch der Antrag der Linksfraktion heute bezieht. Dieser Antrag aus Brandenburg ist aber aufgrund der bestehenden Mehrheitsverhältnisse, der ungeklärten Regierungssituation in Berlin sowie einer weiteren inhaltlichen Vorbereitung des Themas derzeit nicht mehrheitsfähig. Eine Ablehnung des Antrages im Bundesrat war daher zu erwarten.