Protokoll der Sitzung vom 23.04.2002

Nein. Vielleicht kann ich das erst zu Ende bringen. - Ich will damit nur auf Folgendes hinweisen: Ich finde eine Auseinandersetzung über diese Position wichtig. Aber ich finde, dass wir sie nicht so führen sollten, dass wir immer versuchen, einen Satz möglichst so zu interpretieren, dass er möglichst weit weg von dem ist, was man gesagt oder geschrieben hat. - Das gilt für mich, weil ich Ihnen das, was ich eben vorgeführt habe, ausdrücklich nicht unterstelle. Aber Wehr- und Zivildienst machen in Deutschland nach unserer Verfassung Männer. Wenn ich für etwas anderes gestanden hätte, hätte ich es sagen oder schreiben müssen.

Ich finde es auch nicht vernünftig, den Versuch zu unternehmen, das freiwillige Engagement dagegen auszuspielen. Auch den Zivildienst kann man nicht gegen Freiwilligkeit ausspielen.

Nur damit klar ist, was wir machen, weise ich auf Folgendes hin: In Niedersachsen stehen erstmals 2 Millionen DM - oder umgerechnet in Euro - für die Unterstützung des Ehrenamtes im Haushalt. Gegen diesen Haushalt hat die CDU-Fraktion gestimmt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU: Was ist Ihre Position?)

- Sie haben doch eben gefragt, was wir tun. Sie wissen, dass der Justizminister in dem Bereich etwas macht.

(Frau Vockert [CDU]: Wie viele An- träge zum Thema Ehrenamt haben Sie schon gestellt?)

Ich will hier nur vorführen, in welchen dummen und unsinnigen Streit wir geraten, wenn wir die Auseinandersetzung nicht so betreiben, wie Frau Pothmer sie vorhin begonnen hat. Ich bin nachdrücklich der Überzeugung, dass die unterschiedlichen Auffassungen hier ausgetragen werden können. Aber mir geht es auch darum, dass wir die Auseinandersetzung in der Sache redlich führen.

Herr Kollege Gansäuer, lassen Sie uns doch vereinbaren, dass in Zukunft wenigstens wir beide, die wir uns gut kennen, auch hier im Landtag die Art und Weise, wie wir uns außerhalb des Parlamentes miteinander verhalten, zum Tragen kommen lassen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Kollege Mühe.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will am Anfang für die SPD-Fraktion Folgendes klarstellen, und insoweit befinden wir uns selbstverständlich im Konsens mit dem Ministerpräsidenten: Solange die Gleichstellung der Frauen in zahlreichen Bereichen unserer Gesellschaft nicht hergestellt ist, ist für uns die Debatte über ein Pflichtjahr für Frauen völlig indiskutabel.

(Beifall bei der SPD - Frau Pothmer [GRÜNE]: Gilt das auch für den In- nenminister, Herr Kollege?)

- Verehrte Frau Pothmer, die SPD ist eine demokratische, liberale und vielfältige Partei. Dazu gehört auch, dass einzelne Mitglieder unserer Partei - auch Minister - zu bestimmten Positionen ihre eigene Meinung haben können. Das ist mehrfach deutlich geworden. Herr Bartling hat das für sich selbst auch so deutlich gemacht. Wir vereinnahmen nicht alle für jede Position.

Meine Damen und Herren, es ist deutlich geworden, dass die Familienarbeit ein Hindernis für die berufliche Entwicklung vieler Frauen und ihre Erwerbstätigkeit ist. Viele werden in Abhängigkeit gebracht. Solange „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in unserem Lande nicht umgesetzt ist, solan

ge nach wie vor Frauen für die gleiche Arbeit schlechter als Männer bezahlt werden, ist für uns das soziale Pflichtjahr für Frauen undiskutabel.

Meine Damen und Herren, uns ist vorgeworfen worden, wir hätten in dem Bereich zu wenig getan. Der Aktionsplan des Landes Niedersachsen zur Förderung von Ehrenamt, bürgerschaftlichem Engagement und Selbsthilfe ist auf zwölf DIN-A-4Seiten zusammengefasst. Sie können nachlesen, in wie vielen Punkten das Land aktiv geworden ist, um das Ehrenamt und die Freiwilligenarbeit zu stärken, und wie viel Geld es dafür im Haushalt bereitgestellt hat. Also auch insoweit geht der Vorwurf ins Leere.

Ich meine, dass das, was der Ministerpräsident mit seiner Aktion „Gemeinsinn“ auf den Weg gebracht hat, ein wichtiger Baustein für eine breit angelegte öffentliche Debatte zu diesem Thema ist. Wir brauchen die Debatte darüber, wie das Wir-Gefühl, wie die Identifikation zu unserem Staat ist.

(Frau Vockert [CDU]: Wir brauchen keine Sonntagsreden! Wir brauchen dafür auch finanzielle Mittel!)

Es geht darum, in der Bevölkerung und insbesondere bei jungen Menschen das Bewusstsein zu stärken: Dies ist unser Staat! Dies ist unsere Gesellschaft! Dies ist mein Staat! Dieser Staat leistet unglaublich viel für mich und die Gesellschaft. Damit mein Staat das leisten kann, muss ich mich auch verantwortlich in diesen Staat einbringen und etwas dafür tun.

Was ist mit der Freiwilligenarbeit, mit dem Ehrenamt, meine Damen und Herren? - Im Sport, in der Kultur, in der Jugendarbeit, im Sozial- und Ökologiebereich ist sie absolut das Richtige. Das steht völlig außer Frage. Wir müssen wie im Jahr 2001 Überzeugungsarbeit leisten. Wir müssen diesen Diskussionsprozess fortsetzen. Ehrenamtliche Arbeit lohnt sich - nicht materiell, aber individuell, für den Einzelnen und für die gesamte Gesellschaft. Sie fördert die Persönlichkeit. Sie fördert soziale und andere Kompetenzen. Sie ist ein Stück Horizonterweiterung.

Meine Damen und Herren, diese gesamte Debatte wird uns in den nächsten Jahren begleiten. Es wird eine Debatte auf kommunaler, auf Landes- und Bundesebene sein. Es wird sicherlich auch juristische Fragen zu diskutieren geben. Insofern bin ich auf den Ausgang dieser Debatte gespannt. Die SPD-Fraktion wird sich aktiv beteiligen und im

Sinne der vom Ministerpräsidenten vorgetragenen Themen und im Sinne der Stärkung des Ehrenamtes mitarbeiten. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Pothmer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Sie waren ja nicht ganz unbeteiligt daran, dass die Debatte nicht so fortgeführt worden ist, wie ich sie eingeführt habe.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt mit dem Finger auf die CDU zu zeigen, finde ich unberechtigt. Denken Sie doch einmal darüber nach, wie Sie die Debatte geführt haben.

(Frau Harms [GRÜNE]: Weltmeister im Abstrakten!)

Ich möchte noch einmal auf die Frage zurückkommen, ob es sinnvoll ist, die Wertedebatte abstrakt zu führen. Ich finde, dass Sie genau das tun. Wenn Sie nämlich das sehr konkrete Engagement von jungen Menschen zurückweisen und mit der abstrakten Forderung nach einem sozialen Pflichtjahr beantworten, dann bin ich mir ganz sicher, dass diese jungen Menschen diesen Staat genauso empfinden, wie es Ihnen neulich entgegengebracht worden ist. Sie als Ministerpräsident eines Landes weisen die Verantwortung für den Ausbau von freiwilligen Leistungen im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich zurück. Ich finde das empörend. Der Ausbau der Infrastruktur für diesen Bereich ist genau Ihre Aufgabe!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Andere Bundesländer nehmen diese Aufgabe an und wahr. Es gibt in zahlreichen Bundesländern Landesprogramme für genau diesen Bereich. Schleswig-Holstein gehört nicht zu den reichen Bundesländern und hat trotzdem ein solches Landesprogramm; von anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg und Bayern gar nicht zu reden. Ich finde es empörend, dass Sie das einfach von sich weisen und sagen, dass Sie darin keine Verpflichtung hätten.

Ich bin auch tief davon enttäuscht, wie die Landesregierung das Jahr der Ehrenamtlichkeit genutzt

hat. Nach meiner Wahrnehmung haben Sie dieses Jahr mehr dafür genutzt, um sich selbst zu inszenieren, anstatt die Infrastruktur für freiwillige soziale Arbeit auszubauen. Das wäre aber Ihre Aufgabe gewesen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Gansäuer, noch einmal für bis zu einer Minute und 50 Sekunden. Das letzte Mal war die Redezeit etwas gedehnt.

Meine Damen und Herren, in aller Kürze: Am 6. April 2002 hat der Innenminister Bartling ein Interview gegeben und darin das soziale Pflichtjahr für Männer und Frauen gefordert. Das ist in der HAZ nachzulesen. Das ist ihm unbenommen. Man kann darüber unterschiedlicher Meinung sein; das ist nicht das Thema. Am 7. April - also einen Tag später - fordert der Ministerpräsident in einem Artikel in der Bild am Sonntag ein soziales Pflichtjahr für Deutschland. Ich habe eben freudig zur Kenntnis genommen, dass Sie nur das halbe Deutschland gemeint haben, nämlich nur die Männer.

(Mühe [SPD]: 47 %!)

Das ist in Ordnung. Jetzt haben wir wenigstens Klarheit. Insofern besteht aber immer noch ein Dissens zwischen Ministerpräsident und Innenminister. Ich weiß nicht, ob Sie von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen wollen; ich würde es an dieser Stelle nicht empfehlen. Aber es ist interessant, dass es diesen Dissens an dieser Stelle gegeben hat.

Aber etwas anderes, meine Damen und Herren, finde ich noch viel spannender: Das Staatsverständnis der SPD von heute ist wirklich hoch interessant. Über Jahrzehnte hinweg war es Tradition - das könnte ich auch historisch erklären, vermutlich besser als mancher SPD-Mann -, dem Staat alles zuzutrauen. Der Staat vertrat das Gute.

(Frau Goede [SPD]: Das unterschrei- be ich!)

Jetzt plötzlich soll es der Einzelne und der Private richten. Das ist eine hoch interessante Kehrtwendung, die inhaltlich dialektisch wirklich spannend ist. Vielen Dank dafür.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD)

- Nein, das ist so! Das ist auch in Ordnung. Ich freue mich darüber, weil wir auf diese Art und Weise eine Nähe haben, die uns das Diskutieren leichter macht. Es ist aber immerhin eine spannende Kehrtwendung. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 2: 42. Übersicht über Beschlussempfehlungen der ständigen Ausschüsse zu Eingaben Drs. 14/3270 - Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/3307

Im Ältestenrat haben die Fraktionen vereinbart, die Eingaben, zu denen Änderungsanträge vorliegen, erst am Donnerstag, dem 25. April 2002, zu beraten. Ich halte das Haus damit einverstanden, dass wir heute nur über die Eingaben beraten, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen.

Ich rufe zunächst die Eingaben aus der 42. Eingabenübersicht in der Drucksache 14/3270 auf, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. - Es gibt keine Wortmeldungen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung.

Wer den Ausschussempfehlungen insoweit zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Eine Gegenstimme. Stimmenthaltungen? - Keine Stimmenthaltungen. Damit sind sie angenommen.

Wir kommen zu