Jürgen Gansäuer
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte ein paar Bemerkungen machen, weil wir uns seit langer Zeit in der Sozialkammer der EKD mit diesem Thema beschäftigen, das, ganz zu Ende gedacht, ein zutiefst ethisches, natürlich gesundheitspolitisches und auch ökonomisches Thema ist.
Zunächst einmal sind wir uns einig darüber, dass wir Reformen brauchen. Das ist auch von Herrn Schwarz richtig dargestellt worden. Allerdings, Herr Schwarz, jetzt ohne Polemik: Ich bin völlig Ihrer Auffassung in diesem Zusammenhang. Wenn aber eine Techniker-Krankenkasse versucht, etwas Innovatives zu entwickeln, wenn es dieser Krankenkasse dann aber von der Bundesregierung untersagt wird und wenn man sich danach nur quälerisch bereitfindet, dieser Techniker-Krankenkasse ein Stück weit entgegenzukommen, dann demonstriert man natürlich genau das Gegenteil von Reformwillen. Das muss man an dieser Stelle auch deutlich sagen.
Ich darf Sie auch an etwas anderes erinnern, was die Reformfähigkeit anlangt. 1998 hat es ein Zuzahlungssystem gegeben. Ich erinnere mich noch gut an die Reden von Gerhard Schröder, der gesagt hat: Die Leute haben eh nichts zu beißen. Warum brauchen sie dann auch noch vom Staat und vom Gesundheitssystem finanzierte Gebisse? - Das hat er sehr polemisch gemacht. Ich lasse das jetzt mal beiseite. Tatsache ist aber, dass damals die Krankenkassen eine halbe Milliarde DM Guthaben hatten und heute 5 Milliarden - in D-Mark - Defizit haben. Tatsache ist auch, meine Damen und Herren, dass Sie in diesem Zusammenhang die Zuzahlung, die wir damals sozial gestaffelt eingeführt haben, zum großen Teil rückgängig gemacht und auf diese Art und Weise den Kassen einen großen Teil ihrer Finanzierungsmöglichkeiten genommen haben.
Was ist heute notwendig? - Ich sage Ihnen jetzt schon voraus: Wenn Sie keinen Systemwechsel vornehmen, wenn Sie in dieses System nicht mehr Wettbewerb und nicht mehr Durchsicht hineinbringen, damit z. B. der Krankenkassenversicherte überhaupt erst einmal erfährt, welche Kosten er auslöst, dann werden Sie im Abstand von ein, zwei Jahren immer wieder deckeln müssen. Das kann man Reform nennen, aber es ist in Wahrheit keine Reform. Denn die Menschen werden älter, und die gesundheitstechnischen Möglichkeiten werden
immer teurer. So fährt das ganze System gegen die Wand.
Meine einfache Forderung - das ist die Erkenntnis im Übrigen bei uns in der Kammer über alle Parteigrenzen hinweg -: mehr Wettbewerb, mehr Durchsichtigkeit und mehr Markt!
Es kann doch nicht sein, dass wir ein System weiter fördern, bei dem ständig zulasten Dritter Rechnungen ausgestellt werden. Das wird auf Dauer nicht gut gehen. Es ist im Übrigen alles andere als etwa vergleichbar und systemimmanent mit unserer sozialen Marktwirtschaft. Lassen Sie uns deshalb vernünftig darüber reden. Aber eine Lösung muss dringend gefunden werden. Da gebe ich Ihnen völlig Recht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, mindestens unter den mit diesem Problem befassten Ausschusskollegen ist eines klar, das ich nur noch einmal zu Protokoll geben will: Die CDU-Fraktion stimmt dem Sparkassenneuordnungsgesetz zu - das muss ich nicht näher begründen -, und wir begrüßen darüber hinaus auch ganz ausdrücklich die Fusion von Kreis- und Stadtsparkasse in Hannover. Sie ist strukturpolitisch geboten, ökonomisch vernünftig und regionalpolitisch konsequent.
Alles andere als regionalpolitisch vernünftig und konsequent sind aber die Regelungen über die Zusammensetzung z. B. des neu zu bildenden Verwaltungsrates, und hochgradig peinlich - anders kann man es nicht bezeichnen - ist die Regelung im Hinblick auf den Vorsitz des Verwaltungsrates.
Darauf werde ich noch näher eingehen.
Die Region Hannover ist gerade einmal ein Jahr alt geworden, meine Damen und Herren. Die Bürger erleben nicht weniger, sondern mehr Bürokratie. Sie erleben nicht Kostenentlastungen, sondern, wie in der letzten Woche groß berichtet wurde, allein im Abfallbereich eine Kostensteigerung um 30 %, was ökonomisch ausgesprochen gut in die Zeit passt. Das kann man ja wohl nicht bestreiten.
Genau in einer solchen Zeitphase spaltet nun der Landesgesetzgeber in Gestalt der Mehrheitsfraktion die Region Hannover wieder in den Altkreis Hannover - diese Formulierung befand sich sogar in der Vorlage - und die Landeshauptstadt Hannover auf, indem unterschiedliche Vorschlagsmodalitäten gesetzlich festgeschrieben werden, wie das
im Übrigen bei keiner anderen Sparkassenfusion der Fall gewesen ist, die nicht mehr Region, sondern weniger Region bedeuten und die nicht zusammenführen, sondern auf Dauer gesetzlich spalten. Ich sage Ihnen schon an dieser Stelle: Ich habe Respekt vor dem Wähler. Deshalb werde ich mich hier auch nicht als Wahrsager betätigen und sagen, dass die Wahl so oder so ausgehen wird. Das finde ich immer reichlich dümmlich, von wem auch immer. Ich sage nur: Die Zahl der Abgeordneten in diesem Teil des Hauses wird sicherlich etwas geringer sein, und in diesem Teil werden ein paar Leute mehr sitzen.
Dann zählen wir zusammen, und wenn wir es geschafft haben, dass auf unserer Seite mehr sitzen, werden wir dieses Gesetz so nicht akzeptieren, sondern werden es ändern.
Das bedauere ich sehr, Herr Möhrmann, denn ich habe im Ausschuss ja wirklich mehr als offen unsere Bereitschaft zur Mitarbeit und unsere Kompromissbereitschaft erklärt. Sie sind darauf leider nicht eingegangen; dann muss man halt mit den Konsequenzen leben.
Genau dies, meine Damen und Herren, nämlich eine zusätzliche Spaltung, ist in Wahrheit ja auch die Intention des Oberbürgermeisters von Hannover, der beispielsweise am 27. September - ich könnte auch andere Beispiele nennen - in der Neuen Presse erklärt hat, die Region Hannover sei nur ein Zwischenschritt. Er hat wörtlich hinzufügt:
„Wie das Land muss auch die Region lernen,“
- das Land muss lernen, verehrter Herr Fraktionsvorsitzender, und auch die Region muss von Herrn Schmalstieg lernen; von Herrn Schmalstieg lernen heißt - - - Den Rest lasse ich mal weg.
„dass das Zentrum dieser Region die Landeshauptstadt ist.“
Das weiß eigentlich jeder Klippschüler, das müssen wir uns von Herrn Schmalstieg nicht sagen lassen, meine Damen und Herren.
Eigentlich hätte er etwas anderes zu tun, als den Landtag und die Regionsversammlung zu belehren. Wenn ich allein an seinen Haushalt denke - damit hat er genug zu tun.
Auch das, was er hier im Landtag geleistet hat, ist nicht geeignet, uns zu belehren zu können. Aber wie dem auch sei.
Meine Damen und Herren, wie das Lernen von Herrn Schmalstieg praktiziert wird - das möchte ich an dieser Stelle auch noch gerne sagen -, macht - ich könnte dafür viele Beispiele anführen - eines deutlich: Während Hannover ein neues Stadion bekommt - was wir begrüßen -, muss die Region die maroden hannoverschen Krankenhäuser übernehmen, bei denen sich ein Investitionsbedarf von gigantischem Ausmaß angehäuft hat. Die Landeshauptstadt Hannover in Gestalt des Oberbürgermeisters benutzt die Region in Wahrheit nur als Zahlmeister für die selbst verschuldete Finanzpolitik in Hannover. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.
Ich finde das besonders schade; denn ich selbst habe mich, wie Sie ja wissen, in meiner Partei besonders engagiert dafür verwandt, dass es diese Region Hannover so gibt. Wir haben dieses Gesetz hier ja auch gemeinsam verabschiedet.
Mit anderen Worten, meine Damen und Herren: Dieses Gesetz ist so unsinnig, wie es in negativem Sinne auch einmalig ist. So hat z. B. der Rat der Landeshauptstadt Hannover nach diesem Gesetz ein Vorschlagsrecht für die Besetzung der Hälfte des neuen Verwaltungsrates. Diejenigen Abgeordneten, die aus dem Altkreis Hannover kommen, den es ja verfassungsrechtlich überhaupt nicht mehr gibt, haben ein Vorschlagsrecht für die andere Hälfte des Verwaltungsrates. Pikant aber ist noch, dass das Vorschlagsrecht des Rates der Landeshauptstadt Hannover auf der Basis des Kommunalwahlergebnisses der Landeshauptstadt Hannover erfolgt, während die Regionsabgeordneten aus dem ehemaligen Landkreis Hannover - den es aber, wie gesagt, nicht mehr gibt - ihre Vorschläge auf der Basis des Regionswahlergebnisses im Altkreis Hannover machen müssen. Zu berücksichtigen ist bei diesen Vorschlägen zunächst einmal die regionale Herkunft innerhalb der Region, darüber hinaus aber auch der Parteienproporz und nach § 12 des Sparkassengesetzes, lieber Herr Plaue,
auch noch die wirtschaftliche Sachkunde. Wir beide sind lange genug in der Politik tätig. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, was dabei auf der Strecke bleibt.
Bemerkenswert ist, meine Damen und Herren, dass diese Schnitzeljagd - so will ich das einmal bezeichnen - bei keiner anderen Sparkassenfusion in Niedersachsen und in Deutschland insgesamt festgeschrieben worden ist.
Hier wird eine wirklich hochgradig peinliche Lex Schmalstieg verabschiedet. Ich finde es beschämend, dass Sie sich als Landesgesetzgeber mehrheitlich für so etwas hergeben.
Hinzu kommt ein weiteres Problem, das auch unsere rechtlichen Bedenken begründet: Die Zusammensetzung des Verwaltungsrates würde anders aussehen - insbesondere mit Blick auf die kleinen Parteien, Herr Hagenah -, wenn nicht zwei unterschiedliche Wahlergebnisse zu Grunde gelegt würden, sondern wenn, wie bei allen anderen Fusionen auch, das Wahlergebnis des jeweiligen Gewährträgers die Basis wäre. Dies ist rechtlich problematisch.
Ich habe jetzt ein Problem, Herr Präsident. Wie viele Minuten Redezeit habe ich eigentlich noch?
Gut, meine Damen und Herren, dann verzichte ich auf das Zitat. Die Uhr läuft leider nicht mehr.
Meine Damen und Herren, regionalpolitisch geradezu absurd ist, dass der direkt gewählte Regionspräsident - das muss man sich mal so richtig auf der Zunge zergehen lassen - nur zweieinhalb Jahre Vorsitzender des Verwaltungsrates sein darf, die andere Hälfte der Wahlperiode der Vorsitz aber Herrn Schmalstieg überlassen wird. Herr Möhrmann, ich sage Ihnen: Das hat schon keine politische Dimension mehr, sondern eine neurotische Dimension.
Jeder von der SPD, den ich bisher getroffen habe, hat mir dies auch bestätigt. Wir alle wissen auch, worüber wir reden.
Mit Ausnahme des Unterbezirksvorsitzenden. Er genießt ja in Hannover Immunität. Das ist klar.
Meine Damen und Herren, einen solchen Blödsinn zu beschließen, können Sie von uns erwarten, aber wir werden diesen Blödsinn nicht mitmachen. Das kann ich Ihnen hier versichern.
Man muss sich die praktischen Auswirkungen einmal auf der Zunge zergehen lassen, meine Damen und Herren. Der Gewährträger der neuen Sparkasse ist die Region Hannover. Der Vorsitzende des Verwaltungsrates dieser Sparkasse ist dann aber zweieinhalb Jahre lang der Oberbürgermeister Schmalstieg, der dann in den Sitzungen des Verwaltungsrates dem gewählten Regionspräsidenten das Wort erteilen darf. Einen solchen hirnrissigen Quatsch werden wir nicht mitmachen.
Ich sage Ihnen das noch einmal: Wer die Region Hannover will - ich will sie nach wie vor -, der darf sie nicht auf eine so merkwürdige und abenteuerliche Weise neuerlich spalten, nur weil Herr Schmalstieg dutzende von Gesprächen geführt und auf subtile Art und Weise den Versuch unternommen hat, seine Genossen - offensichtlich mit Erfolg - zu beeinflussen. Das werden wir als Teil des Landesgesetzgebers nicht mitmachen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Meiner Meinung nach wäre es konsequent gewesen, wenn man gleich den Namen „Schmalstieg“ in das Gesetz hinein geschrieben hätte. Dann hätte man gleich gewusst, woran man ist.
- Der Name Schmalstieg steht darin? Das können Sie aber noch beantragen.
Meine Damen und Herren, peinlicher kann es nun wirklich nicht mehr werden.
Deshalb sage ich an dieser Stelle, meine Damen und Herren: Wenn dieses Gesetz in der vorliegenden Form verabschiedet wird - daran haben wir keinen Zweifel -, dann missbrauchen Sie diesen Landtag zugunsten eines einzelnen Mannes unter den Gesichtspunkten, die er immer wieder ins Feld führt. In Wahrheit trägt er ja die Region nur nach außen hin mit. Im Binnenverhältnis - das wissen wir aus vielen Informationen - hat er die Region aber immer bekämpft und wollte er sie am Ende eigentlich auch nicht mehr, als er gemerkt hat, dass sie Wirklichkeit zu werden drohte.
Deshalb kann ich Ihnen nur sagen: Wir werden dieses Gesetz nicht mittragen. Ich werde Sie bei jeder anderen Sparkassenfusion, die es in den nächsten Jahren noch zuhauf geben wird, fragen, wie Sie mit den Wünschen der dortigen Leute umgehen, wenn Sie dieses Präjudiz heute schaffen. Diese Frage werden Sie dann beantworten müssen. Ich hoffe, dass Sie es nach dem 2. Februar nicht mehr werden tun können. Jedenfalls werde ich alles dafür tun.
Abschließend noch ein ernsthaftes Wort. Ich hoffe, dass wir das trotz unterschiedlicher Meinung über die Parteigrenzen hinweg so sagen können. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz persönlich und für meine Fraktion bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beiden Sparkassen bedanken. Sie haben in den letzten Jahrzehnten eine exzellente Arbeit abgeliefert. Sie haben mit dem Management wesentlich dazu beigetragen, dass Gewinnerträge erwirtschaftet werden konnten. Ich wünsche ihnen sehr, dass sie das von uns allen gemeinsam geteilte Ziel, nämlich die Erhaltung der Arbeitsplätze, tatsächlich erreichen werden. In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Ausbildungsplätze noch mit erwähnen.
Meine Damen und Herren, man kann politisch auch dann etwas beschließen - das ist uns nicht neu -, wenn es einem nicht zu 100 % passt. Eine solche Lex Schmalstieg werden wir aber nicht mitmachen, meine Damen und Herren; denn so viel Blödsinn geht auf keine Kuhhaut - womit ich
aber keiner Kuh zu nahe treten möchte. - Ich danke Ihnen.
Herr Minister, mit Ihrer Rede geht es mir wie einem Betrunkenem mit der Straßenlaterne: Sie gibt ihm Halt, aber keine Erleuchtung.
Das muss ich wirklich einmal sagen.
Herrn Plaue ist ja ein schöner Lapsus passiert. Das passiert ihm ja öfter; darüber freuen wir uns ja auch. Er hat gesagt: „Wir wollen auch keine Lex Gansäuer.“ Also gibt es doch eine Lex Schmalstieg, wenn es „auch keine Lex Gansäuer“ geben soll.
Meine Damen und Herren, noch eines: Hier ist gerade gelobt worden - was richtig ist -, es handele sich um die beiden größten Sparkassen. Diese beiden größten Sparkassen mit dem größten Knowhow, das Sparkassen in Niedersachsen haben
- außer der in Osnabrück natürlich; das ist klar -, und zusätzlich die Region Hannover, die auf dieser Basis ebenfalls - das können Sie jetzt auch bestreiten - das größte Know-how hat, brauchen nun die landesgesetzgeberische Hilfe von Axel Plaue, um in Hannover klarkommen zu können. Das können Sie doch keinem Menschen erzählen! Draußen gibt es Fusionen von drei Sparkassen. Die brauchen den Landesgesetzgeber auch nicht, weil im Sparkassengesetz alles geregelt ist. Sie müssen das mal durchlesen!
Das ist eindeutig ein Kotau gegenüber Herbert Schmalstieg. Ich habe noch keinen Sozialdemokraten gefunden, der das intern bestritten hat und der das, wenn ich ihm begegne, bestreiten würde, weil alle wissen, dass Sie an dieser Stelle - ich sage das mal freundlich - den Landesgesetzgeber benutzen, um Herrn Schmalstieg ruhig zu stellen.
Nur, ich sage Ihnen jetzt schon: Sie werden ihn nicht ruhig stellen; denn er wird unterhalb der Türschwelle immer wieder gegen die Region Hannover polemisieren. Das wird er immer wieder machen.
Wenn er die Region Hannover nicht hätte, wäre er allerdings noch mehr pleite, als er es heute ohnehin schon ist. Das ist auch wahr.
Ich möchte noch eine Bemerkung zu Herrn Kollegen Meinhold machen. Ich will jetzt nicht sagen, wir sollten in diesem Hause wenigstens fair sein; denn Fairness einzuklagen, hat in diesem Hause eh nie etwas genutzt. Wenn wir aber schon nicht fair sein können, Herr Kollege Meinhold, dann sollten wir wenigstens den Versuch unternehmen, aufrichtig zu sein. Das wäre ja schon etwas.
- Nun warten Sie doch erst einmal in aller Ruhe ab!
Ich habe hier das Protokoll über die Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 6. November. Ich weiß, dass ich daraus nicht zitieren darf, aber meinen eigenen Redebeitrag darf ich zitieren. Darin steht:
„Ich möchte vorweg sagen, dass ich schon vor geraumer Zeit mitgeteilt habe, dass ich unter keinen Umständen bereit bin, in den Verwaltungsrat der Regionssparkasse einzutreten.“
Wenn ich das zu Protokoll gebe, dann können Sie hier nicht erklären, ich hätte persönliche Interessen. Das sollten Sie - am besten auch von dieser Stelle aus - zurücknehmen.
Herr Präsident, dadurch, dass ich gemäß § 71 Abs. 2 noch einmal das Wort erhalten habe, hat sich meine Wortmeldung jetzt erübrigt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern ist während der Aktuellen Stunde einmal mehr die Frage angesprochen worden: Wie ist die Entwicklung angesichts der schrecklichen Finanzsituation? - Ich wäre nicht darauf gekommen, dieses Thema noch einmal anzusprechen. Der Ministerpräsident aber hat meine damalige Tätigkeit zitiert. Herr Möhrmann hat dies auch noch einmal getan. Deshalb müssen Sie jetzt ertragen, wenn ich noch einmal in das eintauche, was war. Nun ist es ja so, dass man Vergangenheitsbewältigung als Vergangenheitsbewältigung betreiben kann, was aber ziemlich langweilig wäre und einem auch nicht viel nützt. Wenn man sich aber die Vergangenheit vor Augen führt, um daraus für die Zukunft zu lernen, kann dies durchaus etwas Vernünftiges sein. Das will ich jetzt gern versuchen.
Es ist richtig: Wir haben Ende der 80er-Jahre versucht, durch Einsparungen wieder Luft für den Haushalt zu gewinnen. Viele, die damals dabei gewesen sind, erinnern sich daran. Heiner Aller war damals als finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion dabei. Ich habe es schon häufig gesagt: Es gab niemanden, der gegen das, was wir versucht haben, mit schlimmerer Polemik vorgegangen ist. Aber nicht nur mit Polemik, die in der Politik durchaus ein probates Mittel sein mag, was ich gar nicht bestreiten will. Ich will auch nicht sagen, dass man dieses Mittel nicht anwenden darf. Er hat aber versucht - das nehme ich ihm auch heute noch ein Stück weit übel -, die Menschen emotional aufzustacheln.
Ich möchte das einmal anhand eines seiner Redebeiträge belegen. Er hat gesagt:
„Hinter den Personaleinsparungen verbergen sich nicht nur die Schicksale derjenigen, die betroffen sind oder nicht eingestellt werden, sondern
auch die Beeinträchtigungen für diejenigen, die durch verminderte Dienstleistungen des Landes und der Kommunen letztlich mittelbar betroffen werden.“
Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Dieser Satz passt nun wirklich eklatant gut zu dem, was wir derzeit in Niedersachsen im Bereich der Finanzpolitik erleben. Der passt wirklich gut!
Wir haben - er weiß, worüber ich rede – Veranstaltungen durchgeführt, z. B. beim Landesversorgungsamt, das ja zur Disposition stand, weil die Kriegsjahrgänge nun einmal wegstarben. Er hat die Leute dort aufgestachelt und gesagt: Diese unsozialen CDU-Leute freuen sich darüber, wenn Sie euch etwas antun können. - Dass ihr nicht gespart habt, dass ihr die Sparpolitik von damals nicht fortgesetzt habt, führt aber jetzt dazu, dass ihr noch viel schlimmere, unsozialere Maßnahmen ergreifen müsst.
Meine Damen und Herren, man kann es drehen und wenden, wie man will. Die Zeitungen berichten darüber. Ich muss es nicht zitieren; jeder weiß es. Noch nie in der Geschichte unseres Landes war ein Finanzminister verantwortlich für derart desolate Finanzen, wie dies heute der Fall ist. Noch nie hat ein Finanzminister noch mehr Schulden gemacht als Heiner Aller, der hier sitzt.
Meine Damen und Herren, um es auch Ihnen, Herr Schack, deutlich zu machen, sage ich es jetzt noch einmal einfach. Selbst wenn alle freiwilligen Leistungen des Landes gestrichen würden, stünden wir immer noch vor der Notwendigkeit - so sehr haben Sie nämlich den Haushalt an die Wand gefahren -, viele hunderte Millionen Schulden zu machen. In dieser Feststellung liegt die ganze Tragödie dieses Haushalts. Es nützt Ihnen nämlich nichts, wenn Sie durch Veräußerungen einmalige Einnahmen bewirken. Der Haushalt ist strukturell nicht in Ordnung. Das haben Sie leider nie begriffen.
Meine Damen und Herren, es macht zwar wenig Sinn, aber ich möchte doch darauf hinweisen, das
all das irgendwann einmal begonnen hat. 14 Tage vor der Regierungsübernahme gab Joke Bruns viele kennen ihn - ein Interview und erklärte, dass er in Gerhard Schröders Schattenkabinett als Finanzminister vorgesehen sei. Mit ihm gebe es keine Politik der Verschuldung. Zur Verwirklichung des Zehn-Punkte-Programms sei es auch nicht notwendig, neue Schulden zu machen.
Meine Damen und Herren, dann hat man die Regierung übernommen, hat 1,6 Milliarden DM an Rücklagen verpulvert und trotzdem mehr Schulden gemacht.
- Das ist relativ einfach, meine Damen und Herren. Ich kann es Ihnen zeigen. Das ist nicht eine Frage der Semantik, sondern eine schlichte Feststellung der Tatsache, dass Sie die nicht in Anspruch genommenen Kreditermächtigungen - um es klar zu sagen - Ihrerseits 1990 und 1991 in Anspruch genommen haben. Das ist nicht zu bestreiten.
Die Dinge gingen aber noch weiter. 1991 schrieben die beiden Staatssekretäre Neuber und Scheibe einen Brief, aus dem ich jetzt zitieren möchte:
„Es läßt sich vielmehr erkennen, daß neue Politik ganz überwiegend additiv zu alten Programmen und Maßnahmen verwirklicht werden soll. Dies widerspricht der ausdrücklichen politischen Ansage der Landesregierung.“
Jetzt kommt der letzte Satz. 1991 bereits haben diese Leute Sie auf die Situation aufmerksam gemacht.
„So läßt sich auch die Absicht,“
- so haben sie geschrieben
„die Neuverschuldung in der Legislaturperiode auf unter 10 Milliarden zu begrenzen, nicht verwirklichen.“
In der Tat: Die beiden haben Recht gehabt.
Nun wird in der Diskussion immer wieder die Frage gestellt: Wie ist die damalige Finanzpolitik eigentlich zu bewerten gewesen? - Bezüglich dieser Frage habe ich mir gedacht, dass ich nicht die
CDU oder irgendeine Presse zitieren sollte, sondern das, was die Sozialdemokraten selbst dazu geschrieben haben. Das ist die Mipla für das Jahr 1991, die ich hier in den Händen halte. Sie wurde unterschrieben von Gerhard Schröder als Ministerpräsident. Ich zitiere aus der Statistik – Kreditfinanzierungsquote - folgenden Satz, lieber Herr Schack:
„Die Grafik zeigt, daß es auch nach dem Förderzinseinbruch 1987 gelungen ist, den kontinuierlichen Abbau des kreditfinanzierten Anteils an den Gesamtausgaben des Landes fortzusetzen.“
Vielen Dank. Das war das beste Kompliment, das man uns für unsere Finanzpolitik machen konnte.
Wie gesagt: von Gerhard Schröder selbst unterschrieben.
Wir haben damals gedacht: Wir müssen einmal versuchen, uns auch abseits all dieser Dinge, die wir kennen, ein objektives Urteil über die tatsächliche Finanzsituation des Landes geben zu lassen. Wir haben das RWI gebeten - größter Anteilseigner ist das Land Nordrhein-Westfalen, parteipolitisch ja hoffentlich noch unverdächtig; „leider“ kann ich aus Sicht der CDU nur sagen -, ein Gutachten zu erstellen. Aus diesem Gutachten aus dem Jahr 1994 möchte ich jetzt einmal zitieren. Dort heißt es:
„Niedersachsen hat damit nach Nordrhein-Westfalen, das seine Nettokreditaufnahme relativ stärker reduzierte, den striktesten Konsolidierungskurs unter den Flächenländern eingeschlagen.“
Dann befasst sich das Institut damit, wie das nach dem Regierungswechsel gemacht worden ist. Dazu heißt es:
„Die im Finanzplanungszeitraum vorgesehenen Mehrausgaben des Landeshaushaltes der neuen Landesregierung dienen zu fast 50 % der Finanzierung von Landesbediensteten. Die Personalausgabenquote wird danach von 41,3 auf 43,4 % steigen,“
„während andere Bundesländer bereits eine restriktivere Personalpolitik angestrebt haben.“
Meine Damen und Herren, diese Dinge sind eindeutig.
Wissen Sie, was man in der Folgezeit und in der Zwischenzeit erlebt hat, war wirklich mehr als skurril. Ich habe hier einen Artikel in der Hand. Ich darf doch noch einmal Ihren früheren Finanzminister Swieter zitieren, Gott hab‘ ihn selig.
In dem Artikel sagt er:
„Ab 1994 mache ich keine neuen Schulden.“
Meine Damen und Herren, wenn ich jetzt nicht im Plenum wäre, würde ich sagen, was ich von solchen Zitaten halte. Es ist wirklich eine Verhohnepipelung der niedersächsischen Bevölkerung gewesen, die schlimmer nicht sein konnte.
Aber es geht weiter. Hier habe ich die Rede von Herrn Ebisch aus dem Monat März 1996 in der Hand, in der er sagt:
„Wenn die Entwicklung so weitergeht, dann werden wir 1998 bei knapp 65 Milliarden DM angekommen sein, einer für mich immer noch unvorstellbaren Summe, die insbesondere unsere Kinder und Kindeskinder belastet.“
Er hat sich nicht vorstellen können, dass wir inzwischen bei 80 Milliarden angekommen sind, meine Damen und Herren!
Nun noch eines, auch wieder nicht aus einem CDU-Papier. Ich zitiere aus der Broschüre, die die Landesregierung, Arbeitsgruppe Personalkostenreduzierung, im Jahr 1996 herausgegeben hat, damals vom Innenminister herausgegeben und gedruckt. Ich sage das jetzt ganz ohne Kommentar, Herr Möhrmann. Darin steht:
„In den Stellenplänen der Ressorts und in den Wirtschaftsplänen für die Landesbetriebe sind für das Haushaltsjahr 1995 insgesamt“
- merken! –
„183 501 Stellen ausgewiesen. Die Zahl der Stellen in der Landesverwaltung wurde seit dem Haushaltsjahr 1990 von 173 781 um 9 720 auf den vorgenannten Stellenbestand erhöht.“
Meine Damen und Herren, das ist deshalb interessant, weil in der Mipla von heute - damit Sie es auch richtig begreifen -, die jetzt noch gültig ist, steht, dass man ganz stolz darauf ist, dass man von diesen fast 10 000 Stellen ungefähr 4 000 wieder reduziert hat.
Meine Damen und Herren, wir haben Sie damals gewarnt, wir haben Sie gebeten - ich habe persönliche Gespräche geführt -, das nicht zu tun. Jetzt sind sie zu viel, viel schlimmeren, unsozialeren Streichungen genötigt, als wir das damals gemeinsam vielleicht noch hinbekommen hätten!
In dieser Broschüre der Landesregierung steht weiter:
„Das Land steckt zurzeit in einer Personalkosten- sowie Zins- und Schuldenfalle, deren Wirkungen durch ihr zeitliches Zusammentreffen kumulieren und die bei im Übrigen gleich bleibenden Verhältnissen“
- jetzt kommt es
„völlige Handlungsunfähigkeit nach sich ziehen werden.“
Sie haben es im Jahr 1996 schriftlich mitgeteilt. Was haben Sie gemacht? - Nichts haben Sie gemacht! Sie haben weitergewurstelt!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann drucken Sie im Jahr 1998 ein Wahlprogramm. Wissen Sie, was Sie da hineingeschrieben haben? Man mag es wirklich kaum glauben. Ich zitiere:
„Trotzdem haben wir den Haushalt 1996 in Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen,“
- jetzt kommt es
„also ohne Fehlbetrag abgeschlossen.“
Da kann man sich wirklich nur an den Kopf fassen und fragen: Was sind das für Leute,
die nach einer solchen Broschüre von 1996 so etwas in ihr Parteiprogramm 1998 hineinschreiben? Herr Möhrmann, das kann ich nicht verstehen, und das hat nichts damit zu tun, dass ich CDU-Mann bin,
sondern das hat etwas damit zu tun, dass ich meine, dass hier der Gesichtspunkt der Redlichkeit und Aufrichtigkeit mit Füßen getreten worden ist.
Jetzt noch eine letzte Bemerkung! Wie kreativ diese Landesregierung ist, wie sie mit ihren Schulden umgegangen ist, können Sie an Folgendem sehen. Ich habe hier die Statistik über die Kreditmarktmittel, die die Landesregierung aufgenommen hat, in der Hand.
1991 - Ein Satz steht darunter: „Eine Senkung des Schuldenstandes ist vorerst nicht möglich.“
1992: „Eine Senkung des Schuldenstandes ist aus heutiger Sicht vorerst nicht möglich.“
1993: Da war man kreativ, da hat man statt „Eine Senkung des Schuldenstandes“ „Ein Abbau des Schuldenstandes“ geschrieben. Aber sonst war es genau das Gleiche.
Das zieht sich fort bis zur Mipla 2001. Hier ist sie. Ich zitiere noch einmal:
„Ein Abbau des Schuldenstandes ist aus heutiger Sicht vorerst nicht möglich.“
Seit 14 Jahren schreiben Sie das in die Mipla, und Sie tun nichts!
Meine Damen und Herren, das ist eine lange Schleifspur des finanzpolitischen Versagens. Dieser Minister hat die Zahlungen an die BEB verdrängt. Er hat verdrängt, dass Schulden irgendwann tatsächlich bezahlt werden müssen. Er hat alle guten Ratschläge ignoriert. Er hat die Vorschläge des Landesrechnungshofes, egal, ob es die Straffung der Oberfinanzdirektion,
die Privatisierung der Assistenzdienste der Polizei oder die Privatisierung der Staatsbäder war, in den Wind geschlagen. Sie alle stehen jetzt bei Roland Berger im Programm, und jetzt müssen Sie es machen - zu einem Zeitpunkt, zu dem Sie dafür weniger bekommen, als wenn Sie es schon vor einem Jahr gemacht hätten.
Meine Damen und Herren, erst jetzt bequemt sich der Finanzminister, diesen Hinweisen zu folgen.
Es ist bemerkenswert: Wir haben noch über 1 000 Mitarbeiter in der Staatshochbauverwaltung, und die privaten Ingenieur- und Planungsbüros haben keine Aufträge und müssen Insolvenz anmelden. Das ist die Situation!
Ich will dieses Sündenregister gar nicht weiter fortsetzen, was am Ende auch eine Bemerkung zur NORD/LB beinhalten würde. Ich lasse es.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin nur misstrauisch geworden; lassen Sie mich das zum Schluss sagen. In all den Kabinettsvorlagen, um die es im Zusammenhang mit den Plänen und Einsparmaßnahmen der Regierung jetzt geht, gibt es ein Datum, das mich misstrauisch gemacht hat. Das ist der 31. Mai 2003. Zu diesem Termin ist Berichtspflicht der Häuser angesagt, acht Wochen nach der Landtagswahl. Wenn Sie es aufrichtig meinen würden, wenn Sie offen wären, dann würden Sie im November einen Nachtragshaushalt auf den Tisch legen und den Menschen in Niedersachsen klaren Wein einschenken.
Nein, Herr Plaue, Sie sind zu feige, um es einmal ganz einfach zu sagen!
Jawohl, Herr Präsident.
Jawohl, ich komme jetzt zum Ende. - Herr Kollege Aller, Sie haben uns in jedem Jahr zur Haushaltsplanberatung gesagt: Letztes Jahr standen wir noch am Abgrund, dieses Jahr sind wir schon einen Schritt weiter.
Meine Damen und Herren, diese Art des Finanzminister hat dazu geführt, dass das Land Niedersachsen jetzt insgesamt am Abgrund steht. Die Menschen in Niedersachsen, die Schüler und Schülerinnen, die Studenten, die Kinder, die in die Kindergärten gehen, sind die Leidtragenden Ihrer Politik!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Vorschlägen möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Erstens. Sie sind doch des Lesens kundig. Wir haben, wenn ich mich richtig erinnere, jedes Jahr jede Menge Vorschläge gemacht.
(Möhrmann [SPD]: Das stimmt nicht! - Schurreit [SPD]: Mehrausgaben! Man kann natürlich sagen, dass man damit nicht einverstanden ist, aber wir haben sie gemacht. Zweitens. Ich möchte noch eine weitere Anmer- kung machen. Ich sage das jetzt so, wie es einmal Joke Bruns gesagt hat, allerdings zu Zeiten, als die Haushaltslage noch besser war. Sie wären heute sehr froh, wenn Sie diese Zahlen noch hätten. Sie haben sich in diese Lage hineinmanövriert. Wenn Sie sie nicht bewältigen können, dann müssen Sie abtreten, aber nicht die Opposition rufen. So ein- fach ist das! (Beifall bei der CDU - Adam [SPD]: Das war platt! - Weiterer Zuruf von der SPD)
Nun zu der Reichrechnerei. Ich habe die Mipla in der Hand, verehrter Herr Aller. Hier werden auf Seite 12 - ich vermute, Herr Golibrzuch kennt das Wachstumsraten unterlegt, die Sie für Ihre ganze Rechnung brauchen, nämlich 2001 3,5 %, 2002 4% - wir haben jetzt 0,3 % -,
jahresdurchschnittlich bis 2005 4 %. Ich will nicht näher darauf eingehen.
- Bleiben Sie doch ruhig. - Dass Opposition und Regierungsfraktionen unterschiedlicher Meinung sein können, Herr Möhrmann, das war früher so, das ist jetzt so, und das wird immer so sein. Das ist nicht das Thema. Es ist ja auch Sinn der Sache, dass wir unterschiedlicher Meinung sind. Mich ärgert jedoch an der Sache etwas anderes. Mich ärgert, dass es einen Artikel in der HAZ gibt mit dem Titel „Niedersachsen in höchster Not - Riesiges Finanzloch im Etat“. Diesen Artikel habe nicht ich geschrieben. An dieser Zeitung sind ja Sie - die SPD - Hauptgesellschafter, nicht wir.
- Nicht Sie persönlich, Herr Möhrmann, obwohl ich es Ihnen gönnen würde. Ich vermute, das wäre ganz lukrativ.
- Melden Sie sich doch einfach zu Wort. Das können Sie doch jederzeit machen. Ich höre Ihnen im Gegensatz zu Ihnen sogar zu.
In diesem Artikel heißt es, die Haushaltslage sei laut Herrn Aller dramatisch. Das ist auch nicht zu bestreiten. Jetzt sage ich Ihnen einmal, was er vor acht Monaten gesagt hat, und zwar am Schluss seiner Rede zum Haushalt:
„Wir sind davon überzeugt, dass dieser Haushalt solide, transparent und zukunftsfähig ist.“
Diese Zukunftsfähigkeit hat acht Monate gehalten. Alle Achtung! Das ist eine Leistung!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es besteht Übereinstimmung darüber, dass es keinen monokausalen Zusammenhang gibt. Der Minister hat dies ebenfalls bestätigt. Es sind eben nicht nur die Waffen, es ist nicht nur das Fernsehen, es sind eben nicht nur die Elternhäuser, und es ist auch nicht nur ein Mangel an Moral und Verantwortungsbewusstsein, sondern es sind viele andere Dinge mehr, die hier zusammenwirken. Wer also glaubt, er müsse nur irgendetwas tun - und das möglichst laut und kräftig -, der irrt gewaltig. Die Dinge, die zuallererst getan werden müssen, kann man in Wahrheit nicht anordnen, nicht befehlen und auch nicht in Gesetze packen, sondern sie müssen vielmehr leise und einfühlsam getan werden. Das kann mit Blick auf die jungen Menschen, um die es geht, in Wahrheit aber kein Staat, keine Bürokratie tun, das können auch keine Politiker, sondern nur unsere Eltern.
Meine Damen und Herren, wenn in diesem Kontext über Gewalt geklagt und das, was in Erfurt geschehen ist, zu Recht zum Anlass für diese Debatte genommen wird, dann möchte ich darauf hinweisen, dass wir alle gemeinsam - ich schließe mich an dieser Stelle mit ein - jedes Jahr Zustände hinnehmen, die über die Dimensionen dieses schrecklichen Attentats weit hinausgehen. Jedes Jahr veröffentlicht der Deutsche Kinderschutzbund Zahlen, die uns erschrecken müssen. Ich möchte sie nur einmal für das letzte Jahr vortragen: 1 Million Kinder werden jedes Jahr mit Gegenständen geschlagen, 100 000 Kinder werden jährlich sexuell missbraucht, und 1 000 Kinder werden jedes Jahr durch das Schlagen von Eltern getötet, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wenn es also nicht gelingt, Eltern in größerem Umfang dazu zu bewegen, sich wieder intensiver - das muss klar zum Ausdruck kommen - mit ihren Kindern zu beschäftigen, werden alle staatlichen und sonstigen Maßnahmen nichts bewirken.
Mit anderen Worten: Entweder schaffen wir es, mit den Eltern gemeinsam etwas zu bewegen, oder wir schaffen es eben gar nicht. Auch unter wissenschaftlicher Begleitung, Herr Justizminister, schaffen wir es nicht ohne die Eltern. Anders ausgedrückt: Die besten Gesetze und die engagiertesten Lehrerinnen und Lehrer können auf Dauer nicht das kompensieren, was in unseren Elternhäusern an Erziehung und Zuwendung versäumt wird. Gott sei Dank begreifen immer mehr Menschen, dass wir die Fähigkeit zur Toleranz, zur Mitmenschlichkeit, ja, zur Nächstenliebe, zur Friedensfähigkeit und zu sozialem Verhalten - es gab auch schon einmal welche, die dies als Sekundärtugenden diffamiert haben - nicht in die Wiege gelegt bekommen, sondern dass diese Eigenschaften erlernt, anerzogen und eingeübt werden müssen.
Meine Damen und Herren, in diesem Prozess sind Eltern und Elternhäuser ohne jede Alternative. Im SPD-Antrag - vielleicht ist es etwas missverständlich ausgedrückt; ich muss es aber dennoch erwähnen - steht:
„Es ist unsere gesellschaftliche Aufgabe, jungen Menschen die Entwicklung eines inneren Kompass zu ermöglichen.“
Wenn mit dem Wort „unsere“ unsere Politik und unser Staat gemeint sind, muss ich allerdings heftig widersprechen. Der innere Kompass, also das - ich bezeichne es einmal so - Seelengerüst von Kindern, wird Gott sei Dank mehr als von allen anderen Institutionen von unseren Eltern beeinflusst. Dazu sage ich: Das ist auch gut so. Denn unsere Kinder gehören nicht dem Staat, sondern sie sind eigenständige Persönlichkeiten mit engen Beziehungen zu den Eltern, die unvergleichbar sind und über die biologischen Gegebenheiten weit hinausgehen.
Der Staat, meine Damen und Herren, ist aufgerufen, Rahmenbedingungen zu setzen, durch die sich die Kinder positiv entwickeln und entfalten können. Er hat auszuhelfen, wo Eltern versagen, und er hat in seinem politischen und humanitären Verhalten Vorbild zu sein. Der Staat kann aber niemals auch nur annähernd die Rolle von Eltern übernehmen oder ersetzen.
Meine Damen und Herren, da wir schon mehrfach gehört haben und vielfach lesen können - Frau Harms hat es hier richtigerweise gesagt -, was uns alles empfohlen wird, möchte ich uns allen heute eine Empfehlung nicht ersparen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns wird allenthalben gesagt, junge Menschen brauchen Vorbilder, weil sie Orientierung brauchen. Wenn das richtig ist - ich glaube, es ist richtig -, dann müssen wir auch über uns reden. Ich habe mir lange überlegt, ob ich das sagen soll, was ich jetzt sagen werde. Als ich gestern aber die Zeitung aufgeschlagen habe, war ich der Meinung, dass ich es sagen müsste.
In der gestrigen Ausgabe der HAZ steht auf Seite 1 als Aufmacher ein Artikel zur Spendenaffäre der CSU. Auf der zweiten Seite wird rechts oben mitgeteilt, was mit dem Wuppertaler Oberbürgermeister geschieht und welchen Verdachtsmomenten er ausgesetzt ist. Auf der zweiten Seite unten wird getitelt: „Spendensumpf der Kölner SPD ist noch tiefer.“ Ich nenne dies nur beispielhaft, meine Damen und Herren. Wir als Politiker müssen in diesem Zusammenhang auch über uns und unser Erscheinungsbild reden; denn die Frage, inwieweit wir selbst Orientierung geben können, steht im Raum und wird von jungen Leuten massiv, vehement und auch zu Recht eingeklagt.
Meine Damen und Herren, wir erwarten viel von unseren Schulen und auch von unseren Lehrern. An dieser Stelle aber auch ein offenes Wort. Es nützt ja nichts, dass wir versuchen, nur drum herum zu reden. Wie sollen sich Lehrerinnen und Lehrer in der Grundschule selbst bei noch so gutem Willen, den ich allen Lehrerinnen und Lehrern unterstelle, bei einer Klassenstärke von 28 Kindern und womöglich auch noch Kindern verschiedener Nationalitäten dem einzelnen Kind wirklich ernsthaft zuwenden? Wer kann das eigentlich, meine Damen und Herren?
Ich sage das nicht anklagend, sondern die Aufgabe, diese hohen Klassenfrequenzen zu senken, geht uns alle an. Fest steht aber auch, dass dieser Problemkreis in den Gesprächen mit den Eltern immer wieder genannt wird.
Meine Damen und Herren, auch heute Morgen habe ich gehört: Wir brauchen Wertorientierung. Werte und Normen müssen auch in unseren Schulen vermittelt werden. Meine sehr verehrten Da
men und Herren, wie soll das aber - das frage ich ohne Anklage - geschehen? Wenn in Niedersachsen 60 % des Religionsunterrichts ausfallen, dann frage ich mich: Ist das nicht eine Herausforderung an uns alle? - Wenn es gilt, dass Werte und Normen für die Gestaltung des Lebensweges junger Menschen wichtig sind, dann können wir uns mit diesen 60 % nicht abfinden.
Meine Damen und Herren, es ist geradezu zynisch, dass wir in diesem Kontext darüber diskutieren, wie wir islamischen Religionsunterricht erteilen sollen. Ich bin sehr dafür, dass wir das tun, aus vielen Gründen, die ich an dieser Stelle gar nicht erläutern kann. Zunächst einmal wünsche ich mir aber, dass wir es schaffen, in Niedersachsen 80 % oder 90 % - vorsichtig gesagt - christlich orientierten Religionsunterricht zu erteilen. Dann wären wir schon eine Ecke weiter.
Meine Damen und Herren, die AmerikanischPhilosophische Gesellschaft - ich vermute, dass Sie, Herr Pfeiffer, sie kennen - berichtet: Ein Jugendlicher bis zum 15. Lebensjahr sieht durchschnittlich 8 000 Morde und 10 000 Gewalttaten und verbringt insgesamt mehr Zeit vor dem Fernseher als in der Schule. Marion Gräfin Dönhoff schreibt in ihrem Buch „Zivilisiert den Kapitalismus“ wörtlich:
„Die erschreckende Brutalität, die unser heutiges Leben und das Heranwachsen der Kinder charakterisiert, ist vor allem auf das Fehlen ethischer Formen und moralischer Barrieren zurückzuführen. Wenn diese Entwicklung Hand in Hand geht mit einer fortschreitenden Säkularisierung, bei der hergebrachte moralische Normen und ethische Gebote in Vergessenheit geraten, endet dieser Prozess zwangsläufig in Hedonismus und Nihilismus.“
Ich füge hinzu: Er endet auch in der Gewaltanwendung. Anders ausgedrückt: Meine Damen und Herren, wo der Fernseher zum ständigen Wegbegleiter von Kindern wird und Rambos und Killer zu Babysittern mutieren, können konfliktfähige und friedfertige Kinder in Wahrheit nicht aufwachsen.
Meine Damen und Herren, deshalb müssen unsere Familien mehr sein als ökonomische Sozialverbände. Unsere Elternhäuser sind nicht nur dazu da, Kinder anzuspornen, sondern sie sind auch dazu da, sie aufzufangen, wenn sie versagen sollten. Wo für Kinder die Gewissheit, trotz persönlichen Versagens von den Eltern geliebt zu werden, verloren geht, müssen Kinder in ihrem Leben fast zwangsläufig scheitern.
Aber eine Frage bleibt: Hätte man diesen Amoklauf verhindern können, wenn alle Vorschläge, die bisher auf dem Tisch liegen, umgesetzt worden wären? - Ebenso wie meine Vorrednerin kann ich darauf keine Antwort geben. Aber eines muss klar sein, meine Damen und Herren: Eine bessere, stärkere und intensivere Vermittlung von Wertorientierung und die Hilfe für Elternhäuser - die manchmal hilflos sind - ist, wie ich finde, das Gebot der Stunde.
Helmut Schmidt hat im Zusammenhang mit der Problematik des Fernsehens einmal geschrieben - auch wenn ich ihm nicht allgemein zustimme, hat er im Kern Recht -:
„Die vom Fernsehen ausgehenden Einflüsse bedeuten in ihrer Gesamtheit nichts anderes als eine schleichende Verführung vor allem von Jugendlichen und Kindern zu Verbrechen und Gewalt.“
Neu ist diese Erkenntnis allerdings nicht. Man kann vermuten, dass die Gefahren gewaltverherrlichender Filme in Wahrheit auch nicht durch die Einrichtung von Runden Tischen vermindert werden können. Selbst wenn es gelänge, auf diesem Gebiet Fortschritte durch Runde Tische zu erzielen - was ich nachdrücklich begrüßen würde -, ist die Welt leider so, wie sie ist. Die Bilder von erschossenen und verbrannten Menschen, von zerbombten Häusern, von Krieg und Elend werden in jeder Nachrichtensendung gezeigt und machen auch vor Kinderaugen nicht Halt. Wenn diese sehen, dass Eltern in Irland und Palästina ihre Kinder geradezu dazu auffordern und ermuntern, an Gewaltaktionen teilzunehmen, und sie auch noch als Märtyrer feiern, wird uns klar, welche Dimension diese Aufgabe für uns hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Aufgabe geht weit über unsere nationalen Grenzen hinaus. Hans Küng hat einmal gesagt:
„In einer globalisierten, ökonomisierten Welt, die immer mehr zusammenrückt, reicht es nicht aus, gemeinsame ökonomische Strategien zu vertreten. Eine ökonomisierte, globalisierte Welt wird auf Dauer nur friedfertig miteinander umgehen können, wenn es ein globalisiertes Ethos gibt.“
Ich meine, dass manche Regierungskonferenz, die aus ökonomischen, finanzpolitischen Gründen sicherlich wichtig ist, gut beraten wäre, wenn sie sich auch einmal ethischen Fragen zuwenden würde.
Meine Damen und Herren, Otto Schily hat gefordert, das Alter für den Waffenbesitz auf 25 Jahre anzuheben. Ich möchte mich des Urteils, ob ich das für vernünftig halte oder nicht, enthalten. Was geht aus dieser Forderung hervor? - Andere haben sie ja auch erhoben. - Daraus geht hervor, dass diejenigen, die mit einem solchen Gerät umgehen, ein Stück weit Lebenserfahrung und Verantwortungsbewusstsein haben müssen. Ich meine, er hat Recht. Aber wie passt das mit den Debatten, die ich noch in Erinnerung habe, zusammen, in denen es um das Wahlalter 16 ging? - Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer zwischen Wahlfähigkeit und Waffenbesitzfähigkeit einen Zeitraum von fast zehn Jahren legt, der muss sich wirklich ernsthaft nach der Logik seiner Argumente fragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt 4,5 Millionen registrierte legale Schusswaffen. In dem SPD-Antrag wurde richtig beschrieben, dass es 20 Millionen illegale Schusswaffen gibt. Die Probleme bereiten nicht diejenigen, die legal im Besitz von Schusswaffen sind. Denn wenn ich den Statistiken des Innenministers und des Justizministers Glauben schenken darf, sind diese an den Straftaten mit nur 0,01 % beteiligt. Worum geht es also, meine Damen und Herren? - Es geht - ich unterstütze das nachdrücklich - darum, dass wir diejenigen schärfer bestrafen, die sich illegal in den Besitz von Schusswaffen bringen.
Ich sage klipp und klar: Das kann nicht mehr als Vergehen durchgehen, sondern nur als Straftat bewertet werden, die mindestens mit einem Jahr Freiheitsstrafe belegt werden sollte.
Abschließend, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich etwas zitieren, was einmal jemand geschrieben hat:
„Ich wünsche mir einen Aufbruch der vielen, bei dem sich der einzelne selbst wieder auf die Werte und Tugenden besinnt, auch auf die Sekundärtugenden, denen unser Volk den Wiederaufstieg nach der Katastrophe verdankt.“
Das war Hans-Jochen Vogel. Ich glaube, er hat Recht. Eine Gesellschaft, in der der Einzelne in weiten Teilen - auch der Wirtschaft - nur noch nach seiner ökonomischen und intellektuellen Verwertbarkeit beurteilt wird, wird zunehmend eine kalte und unsoziale Gesellschaft, in der wir nicht leben sollten und in der solche Ereignisse, wie wir sie in den vergangenen Monaten zur Kenntnis nehmen mussten, sicherlich kein Ende finden.
Wir haben gemeinsam viel zu tun und sollten das parteiübergreifend versuchen, denn die Dimension, um die es hier geht, ist mit Parteibüchern nicht einzufangen. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war ja vielleicht ganz gut, dass der Ministerpräsident noch einmal erläutert hat, wie er es gemeint hat. Nur, geschrieben hat er es anders.
- Ich werde es gleich zitieren. Dort steht: „Von Siegmar Gabriel, Ministerpräsident von Niedersachsen“. Es folgt dann - wörtliches Zitat" -:
„Wer nicht zum Wehr- oder Zivildienst einberufen wird, engagiert sich ein Jahr für andere Menschen.“
Jetzt kommt der Satz:
„Ein soziales Pflichtjahr für Deutschland.“
Dabei ist auch nicht differenziert worden. Die Aussage ist ganz eindeutig.
Aber, Herr Ministerpräsident, ich nehme es ja zur Kenntnis, dass Sie es anders gemeint haben.
Sie haben es eben anders erläutert. Das ist in Ordnung. Nur, geschrieben haben Sie es so, wie ich es eben zitiert habe.
- Ich nehme das nicht so ernst. Ich lasse mich nicht von allen Leuten beleidigen, sondern nur von denen, die ich mir aussuche.
Die Debatte ist inzwischen - unabhängig von der Handbewegung des Ministerpräsidenten - in Teilen absurd. Worum geht es? - Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Wehrdienst und der zivile Ersatzdienst verfassungsgemäß sind. Das war es.
Das, was jetzt ansteht, ist ein Konzept der Politik dafür, wie denn die Wehrgerechtigkeit herzustellen ist. Dabei kann ich nur dringend davor warnen - hier bin ich übrigens mit Herrn Bartling völlig einer Meinung -, auf die politischen Populisten zu hören, die es in dieser Debatte gibt. Eine Berufsarmee ist nämlich am Ende - meine Damen und Herren, das sollten wir bedenken - immer eine teurere Armee als eine Armee, die sich im Wesentlichen aus Wehrdienstleistenden zusammensetzt.
Meine Damen und Herren, irgendwann dürften wir ja vielleicht aus unserer eigenen Geschichte auch einmal lernen! Diese Geschichte hat ja gezeigt, dass eine Berufsarmee irgendwann anfängt, so etwas Ähnliches wie ein „Staat im Staate“ zu werden. Das will ich in dieser Demokratie nicht!
Meine Damen und Herren, aber dieser Vorgang - so wichtig er auch sein mag - hat mit der Frage nach einem sozialen Zwangsdienst für Frauen - so will ich das jetzt einmal nennen - überhaupt nichts zu tun. Insofern hat Frau Pothmer Recht.
Es ist schon merkwürdig, Herr Ministerpräsident - trotz Handbewegung -, dass in einer Zeit, in der alle Parteien die Familie umwerben und bessere staatliche Leistungen versprechen, eine Diskussion hochschwappt, die Sie auch führen und die zeitgleich zu diesen Versprechungen deutlich macht, dass es offensichtlich immer noch Politiker gibt, die die Belastungen der Frauen durch die Geburt von Kindern, ihre Erziehung und die damit verbundenen Kosten sowie zum Teil massive berufliche Nachteile als immer noch nicht ausreichend erachten, um in der Gesellschaft als hinreichendes Äquivalent zu Bundeswehr und Zivildienst anerkannt zu werden.
Meine Damen und Herren, von der Tatsache, dass es fast durchweg Frauen sind, die alte, kranke, behinderte und sterbende Menschen pflegen, will ich erst gar nicht reden. Diesem Personenkreis ein soziales Pflichtjahr zuzumuten, hat mit Humanität und mit Gerechtigkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun,
sondern - so füge ich hinzu - ist zu Ende gedacht in Wahrheit nur noch zynisch.
Im sozialen Bereich - ich habe mir die Zahlen noch einmal geben lassen - sind heute etwa 90 % Frauen und 10 % Männer tätig. Nachrichtlich sage ich dazu nur: Bei den Gefängnisinsassen ist es genau umgekehrt.
Ein Weiteres ist höchst merkwürdig: Es gelingt uns bekanntermaßen nicht, einen gesamten Jahrgang zum Dienst in der Bundeswehr und zum Zivildienst einzuziehen. Das ist das Problem, über das wir in den letzten Wochen diskutiert haben. Es gelingt uns schon gar nicht, alle dazu fähigen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger entsprechend § 19 des Bundessozialhilfegesetzes zu ge
meinnütziger Arbeit zu verpflichten. In der Stadt Hannover - da habe ich mich auch erkundigt - sind es lediglich 30 % derer, die man eigentlich verpflichten könnte. Aber statt dass wir uns Konzepte einfallen lassen, wie man diese Probleme löst, sollen pro Jahrgang ca. 100 000 junge Frauen - natürlich mittels entsprechender Bürokratie; darin sind wir in Deutschland unübertroffen - zum Zwangsdienst eingezogen werden. Das verstehe, wer will, ich jedenfalls nicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf daran erinnern, dass das Jahr 2001 das Jahr der Ehrenamtlichen war. Es wurden Empfänge gegeben, Verdienstkreuze verliehen und Lobreden gehalten. Heute, wenige Monate später, wird eine Diskussion vom Zaun gebrochen, deren zwangsläufige Folge eine Minderung und Herabwürdigung des ehrenamtlichen Engagements mit sich bringen würde. Darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel.
Meine Damen und Herren, damit eines klar ist - ich sage das hier ganz persönlich -: Ich veranstalte hier keine rhetorische Trockenübung, sondern weiß aufgrund der Erfahrung während meines freiwilligen diakonischen Jahres in den Rotenburger Werken, worüber ich rede.
Menschlichkeit entsteht in diesen sensiblen Bereichen jedenfalls nicht durch die Ausübung eines zwangsweise verordneten Dienstes.
In einer freien Gesellschaft müssen wir es, so schwer es auch ist, in Wahrheit ertragen können, dass es auch Menschen gibt, die sich dem Mitmenschlichen entziehen. Diese jedenfalls staatlich zwingen zu wollen, ein Jahr lang sozusagen in diesem Sinne menschlich zu sein, hieße, Mitmenschlichkeit zu pervertieren. Wer Sterbende in einem Hospiz begleiten soll, wer körperlich und geistig Schwerstbehinderte betreuen soll und wer alte Menschen pflegen soll - darum geht es ja! -, braucht dazu eine innere Einstellung, die man nicht staatlicherseits erzwingen kann.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist es richtig - Frau Pothmer hat absolut Recht -, Freiwilligkeit wesentlich besser zu fördern als bisher. Das könnte das Land auch ganz allein tun,
- ich komme gleich zum Schluss - wenn es dies denn wollte. Der Ministerpräsident hat in der besagten Zeitung richtigerweise geschrieben, wir sollten nicht nur über die Werte unseres Gemeinwesens reden, sondern wir sollten sie auch durchsetzen. - Ich sage an dieser Stelle: Recht hat er. Allerdings hat er selbst durch aktives politisches Handeln, das er für die Landesregierung eben abgelehnt hat, die beste Gelegenheit dazu, mit gutem Beispiel voranzugehen und eben nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln, meine Damen und Herren.