Protokoll der Sitzung vom 13.06.2002

stimmungen ermöglichen es künftig, gegebenenfalls den Verursacher bestimmter gentechnischer Verunreinigungen hierfür in Anspruch zu nehmen? Welche Beweislast kommt dabei auf die Beteiligten zu?

Ohne zufrieden stellende Klärung dieser Fragen bleibt das Vorhaben der Kommission ein Putsch, der zugunsten von Konzernrenditen in Kauf nimmt, dass gentechnikfreie Landwirtschaft mit gentechnikfreien Lebensmitteln und damit eben auch ökologischer Landbau in Zukunft nicht mehr möglich sein werden.

(Zuruf von Oestmann [CDU])

Deswegen, Herr Oestmann, bitte ich dieses Haus und auch Sie: Lassen Sie uns das tun, wofür wir gewählt worden sind. Lassen Sie uns die Interessen der Menschen vertreten, die genau das mit großer Mehrheit - und zwar zu 95 % in Europa - nicht wollen. - Danke sehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Kollege Kethorn.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Klein, Sie haben in Ihrem Entschließungsantrag im Bereich der Bio- und Gentechnologie am Ende einige Detailfragen aufgeworfen. Erlauben Sie mir, vorab ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur Gen- und Biotechnologie vorzutragen.

Wir sind uns sicherlich darüber einig, dass Biowissenschaften Lösungsmöglichkeiten für zahlreiche globale Probleme im Zusammenhang mit Gesundheit, Alter, Ernährung, Umwelt und mit nachhaltiger Entwicklung bieten, dass die Bio- und Gentechnologie die Leittechnologie der nächsten Jahrzehnte sein wird und uns in der Genom- und Proteonforschung, in der Bioinformatik, im Pharmaund Medizinbereich, in der Landwirtschaft, in der Lebensmittelherstellung und beim Umweltschutz zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten bietet. Für all diese Punkte müssen wir entsprechende politische, von der Gesellschaft akzeptierte Rahmenbedingungen schaffen.

Was sind die Schlüsselfaktoren für eine optimale und zukunftsgerichtete Entwicklung? - Wir benöti

gen eine erstklassige Forschung sowie deren Vernetzung, wir benötigen eine öffentliche Förderung und eine Mobilisierung des privaten Kapitals, aber sicherlich auch strenge Sicherheitsregelungen. Wir benötigen jedoch auch - das wurde von Ihnen angesprochen, Herr Klein - eine gesellschaftliche Akzeptanz durch Transparenz und Wahlfreiheit. Aber auch die Rechtssicherheit und Nachwuchsförderung sind sicherlich Punkte, die hier angesprochen werden müssen.

Sie wissen, meine Damen und Herren, dass die CDU/CSU-geführte Bundesregierung in den 90erJahren mit dem Gentechnikgesetz und dem BioRegio-Wettbewerb Voraussetzungen für eine wirklich positive Entwicklung in diesem Bereich geschaffen hat. Die Politik der rot-grünen Bundesregierung zur Bio- und Gentechnologie zeigt aber deutliche Schwächen auf. Das haben die Debatten der letzten Wochen im Bundestag deutlich gemacht.

(Zuruf von Klein [GRÜNE])

Die grüne Gentechnik, Herr Klein, lehnen Sie aus ideologischen Gründen ab und haben eine diesbezügliche Entwicklung ausgebremst. Bei der Forschung fehlt es an Planungssicherheit. Auch Regelungen zur Nutzung genetischer Informationen sind längst überfällig. In den letzten Jahren, in denen sie die Regierungsverantwortung getragen haben, sind sie jedoch nicht eingeführt worden.

Meine Damen und Herren, wir dürfen von der Biotechnik als Leittechnologie der Zukunft nicht nur in Sonntagsreden sprechen,

(Zustimmung von von der Heide [CDU])

sondern wir müssen auch im Alltag, meine Damen und Herren, dafür sorgen, dass Deutschland nicht den Anschluss an die rasante weltweite Entwicklung verliert. Wir sind unter Rot-Grün auf dem besten Weg dahin.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, im Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden durchaus Elemente der grünen Gentechnik angesprochen. Die Gentechnik findet vorwiegend in der Landwirtschaft und in der Tier- und Pflanzenzucht Anwendung. Weitere Entwicklungen in der Nahrungsmittelherstellung sowie in der Tierseuchenbekämpfung sind auf den Weg gebracht worden. Mit der Anwendung der Gentechnik bei Pflanzen

und Tieren erwarten wir Entlastungen für die Umwelt, Vorteile für die Verbraucher, aber am Ende auch neue Einkommensquellen für die Landwirtschaft. Beispiele sind Pflanzen mit veränderten Inhaltsstoffen für die industrielle Produktion. Ich denke hier vor allem an die nachwachsenden Rohstoffe, aber auch an die Hilfs- und Aromastoffe für die Nahrungsmittelherstellung. Bereits heute werden 60 % mit genetischen Methoden hergestellt.

Meine Damen und Herren, es wurde auch von Herrn Klein vorgetragen, dass seit 1998 EU-weit ein faktisches Moratorium für das In-VerkehrBringen von genetisch veränderten Organismen besteht.

(Vizepräsidentin Litfin übernimmt den Vorsitz)

Wir brauchen jetzt aber ein Zukunftsprogramm für die Entwicklung der biotechnischen Potenziale in Europa und in der Bundesrepublik. Daher hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in den letzten Wochen einen Entschließungsantrag in den Bundestag eingebracht, und darüber wurde eine Debatte geführt. In diesem Antrag wird gefordert, dass das De-facto-Moratorium hinsichtlich der Zulassung und des In-Verkehr-Bringens von genetisch veränderten Organismen aufgehoben wird - allerdings unter bestimmten Regelungen und Rahmenbedingungen.

Die Transparenz für die Verbraucher muss verbessert werden, indem die Kennzeichnungsregelungen in Europa und in Deutschland im Interesse der Entscheidungsfreiheit - und die wollen wir - für Verbraucher praktikabel weiterentwickelt werden. Wir möchten bei gentechnischen Veränderungen von Tieren aber auch die ethischen Aspekte berücksichtigt wissen. Auch der Tierschutz soll gewährleistet sein.

Meine Damen und Herren, aufgrund der Inhalte des Entschließungsantrags, der zurzeit auf Bundesebene vorliegt, müssen wir auch den Entschließungsantrag der Grünen bewertend abklopfen und untersuchen, ob die Forderungen, Herr Klein, die Sie in diesem Antrag vorgebracht haben, entsprechend umgesetzt werden können.

(Zuruf von Klein [GRÜNE])

In Ihrem Entschließungsantrag erwarten Sie, Herr Klein, dass Landwirtschaft auch weiterhin ohne Gentechnik möglich ist. Dazu kann ich uneingeschränkt Ja sagen. Wir wollen ebenfalls, dass diese

Unterscheidung auch zukünftig möglich ist. Denjenigen, die konventionell, also ohne Gentechnik wirtschaften wollen, muss gewährleistet werden, dass sie das können. Aber wir müssen den anderen, die Chancen darin sehen, die Möglichkeit geben, diese in Anspruch zu nehmen.

(Beifall bei der CDU)

Weiterhin fordern Sie, Herr Klein, dass konventionelles Saatgut grundsätzlich keine Verunreinigungen mit GVOs - also gentechnisch veränderten Organismen - enthalten. Sie nennen jetzt den Grenzwert von 0,1 %. Ich kann an dieser Stelle nicht beurteilen, ob es 0,1, 0,3 oder 0,7 % sein müssen. Auf jeden Fall drängen wir auf eine europaweit einheitliche Regelung. Es bringt überhaupt nichts, bundesweit 0,1 % anzusetzen, wenn EU-weit z. B. 1 % möglich ist. Sie kennen die Ströme des Saatguts genau. Es wird am Ende niemandem etwas bringen, sich auf 0,1 % einzuschießen, wenn europaweit 1 % möglich ist.

(Zuruf von Klein [GRÜNE])

Es wäre mir auch recht, wenn wir 0,1 % festschrieben. Aber es muss eine europaweite Regelung geben. Sonst haben wir am Ende ein Ergebnis, das wir nicht wollen.

(Klein [GRÜNE]: Dafür wollen Sie sich nicht einsetzen!)

- Wir möchten uns gerne dafür einsetzen; das ist gar keine Frage.

In einem weiteren Punkt fordern Sie, dass die Erzeuger des verunreinigten Saatgutes die Kosten und Auflagen zur Gewährleistung des so genannten Reinheitsgebotes zu tragen haben. Sie wissen selbst nicht, wie die Beweisführung aussehen soll. Wie sicher eine Beweisführung ist, kann ich von hier aus nicht beurteilen. Ich meine, dass wir alle diese im Moment nicht beurteilen können. Wenn es in der Tierwelt eine „Fremdbefruchtung“ gibt, werden die Verantwortlichen herangezogen und müssen für die entstandenen Schäden aufkommen. Ob das in der Pflanzenwelt möglich ist - hier geht es letztendlich um eine Fremdbestäubung -, kann ich nicht sagen. Ich meine, dass diese Detailfragen nicht im Plenum erörtert werden sollten, sondern unter Hinzuziehung von Experten im Agrarausschuss bzw. im Unterausschuss für Verbraucherschutz. Diese Punkte werden wir heute nicht abschließend klären können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, abschließend möchte ich feststellen, dass wir die Chancen der Bio- und Gentechnik nutzen und verbessern wollen. Wir wollen allerdings auch - das ist unsere Aufgabe - die Risiken, die dabei entstehen, minimieren. Die werden wir sicherlich nie ganz wegbekommen. Wir sollten aber auf jeden Fall in dem Maße minimieren, was realistisch möglich ist. Ferner wollen wir, dass die Transparenz für die Verbraucher sichergestellt wird. Mehr Transparenz muss da sein. Insofern unterstützen wir in diesem Punkt Ihren Antrag.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, wollen wir Ihren Entschließungsantrag im Agrarausschuss beraten. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Goede, bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen versucht, einen rasant fahrenden Zug zu stoppen. Es geht um die Nutzung der grünen Gentechnik, wie Herr Kollege Klein ausgeführt hat. Wir werden diesen Antrag, Herr Kollege Klein, in den Ausschüssen - das hat Herr Kethorn eben auch schon angedeutet - gründlich diskutieren und dann auf die Sinnhaftigkeit und Praktikabilität prüfen.

Ich bin nämlich mit der Verbraucherministerin Frau Künast der Meinung, dass es ein Leben vor der Gentechnik - das ist ein Zitat von ihr - nicht mehr geben wird. Innerhalb der EU - davon ist hier auch schon gesprochen worden - gibt es seit 1998 ein Moratorium hinsichtlich der Zulassung neuer Produkte mit gentechnisch veränderten Organismen, an das sich alle Mitgliedsstaaten mit Rücksicht auf die Bedenken der Verbraucher und Umweltschützer halten. Dieses Moratorium läuft im Jahre 2003 aus.

Auch wir wollen, dass mit der grünen Gentechnik verantwortungsvoll umgegangen wird, dass die Chancen, die sie bietet, genutzt werden, Risiken abgewogen werden, aber unbedingt, Herr Kollege Klein, Rechtssicherheit umfassend hergestellt wird. Da besteht in der Tat Handlungsbedarf.

Ich begrüße sehr, dass die Zeit des Moratoriums von der EU genutzt wurde. So stellt sie voraussichtlich im Sommer zwei neue Richtlinien zu gentechnisch veränderten Organismen vor, die auch von Umweltschützern wie Greenpeace positiv bewertet werden. Damit werden die Grenzwerte für Lebens- und Futtermittel angeglichen. Beide unterliegen denselben strengen Auflagen. Für unbeabsichtigte Kontaminationen von Produkten konventioneller Fertigung sieht die Richtlinie einen Schwellenwert von 1 % vor, der erlaubt bleiben soll.

Weiterhin arbeitet die EU an einer Gentechnikrichtlinie und an einer Saatgutrichtlinie. Hierbei ist zurzeit ein Schwellenwert von 0,3 bis 0,7 % je nach Kulturart für unbeabsichtigte Verunreinigungen von zugelassenen Gentechnikveränderungen in der Diskussion. Diese Richtlinie hat laut Staatssekretär Alexander Müller der zuständige Staatssekretärsausschuss der Bundesregierung empfohlen, und zwar analog der Novel-Food-Verordnung.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Schwellenwerte sind auch im Hinblick auf den internationalen Saatgutverkehr erforderlich, da Spuren transgener Bestandteile in konventionellen, nicht genetisch veränderten Partien zukünftig nicht immer auszuschließen sind.

Noch einmal: Ich bin der gleichen Meinung wie unsere Verbraucherministerin Frau Künast, dass die Fakten zum Handeln zwingen. Nach Schätzung des Verbraucherministeriums in Berlin sind gentechnisch veränderte Organismen bereits in vielen Futtermitteln enthalten, und zwar in 50 % des Rinderfutters, in 30 % des Schweinefutters und in 20 % des Geflügelfutters. Auch die Verbreitung von manipuliertem Saatgut scheint international nicht mehr aufzuhalten sein. Vor allem in Amerika, Asien und Afrika werden Mais, Soja, Raps und Baumwolle angebaut.

Weltweit - ich will dabei die Gelegenheit nutzen, Herr Kollege Klein, das auch vor diesem hohen Hause klar und deutlich zu sagen - wird kommerziell Anbau transgener Pflanzen betrieben. Das ist ein Faktum. Allein 2001 haben 5,5 Millionen Landwirte aus 13 Ländern auf 52,6 Millionen ha transgene Pflanzen angebaut. Das ist Fakt; man muss auch einmal Realitäten zur Kenntnis nehmen. Von 1996 bis 2001 wurde insgesamt auf 175 Millionen ha angebaut. Weltweit gibt es mehrere 10 000 Freilandversuche mit transgenen

Pflanzen, allein 8 000 seit 1987 in den USA und mehr als 1 700 seit 1990 in Europa.

Die grüne Gentechnik - das will ich damit sagen ist also heute Realität. Die Produkte gelangen durch Importe auf den europäischen und auf den deutschen Markt. Zusatzstoffe wie Enzyme, Vitamine und Aminosäuren werden gentechnisch gewonnen. Schätzungen zufolge sind schon jetzt 60 % bis 70 % aller Lebensmittel in irgendeiner Form von der Gentechnik betroffen.

Niedersachsen ist einer der herausragenden Standorte im Bereich der Bio- und Gentechnologie in Deutschland und in vielen Bereichen auch in Europa. Dieses Know-how, meine Damen und Herren, muss am Entwicklungsstandort gehalten werden, zum einen um negative Entwicklungen im Bereich der grünen Gentechnik sicher identifizieren zu können, zum anderen um positive Entwicklungen weiter vorantreiben zu können mit dem Ziel, auch künftig in diesem internationalen Wettbewerb mitzuhalten.

Eine weitere zentrale Herausforderung ist die unbedingt zu gewährleistende Wahlfreiheit - da stimme ich Ihnen zu - der Verbraucherinnen und Verbraucher zwischen konventionellen und gentechnisch veränderten Produkten. Voraussetzungen für die Wahlfreiheit sind Kennzeichnung und Information, sodass die Verbraucher Produkte, die gentechnisch verändertes Material enthalten, eindeutig erkennen und dann selbst entscheiden können, welche Art von Produkten sie kaufen wollen.

Meine Damen und Herren, auch wir wissen, dass viele Menschen gerade dem Einsatz der grünen Gentechnik misstrauisch gegenüberstehen. Hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Mangel an Informationen, aber auch fehlendes Vertrauen gegenüber Industrie und Wissenschaft sowie unterschiedliche Werteorientierungen. Der Einsatz der grünen Gentechnik zum Wohle von Mensch und Umwelt setzt aber die Zustimmung einer breiten Öffentlichkeit voraus. Nur eine öffentliche Auseinandersetzung mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, bei der Vor- und Nachteile im jeweiligen Einzelfall vor dem Hintergrund der landwirtschaftlichen Praxis abgewogen werden, hilft weiter, um Misstrauen abzubauen.