Protokoll der Sitzung vom 24.09.2002

Herr Innenminister, Sie sind zuständig für den Katastrophenschutz. Über Dritte und Vierte werden Sie in diesem Fall informiert? - Das ist doch nicht zu glauben!

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das Innenministerium ist die oberste Fachaufsichtsbehörde. Nach dem Katastrophenschutzgesetz wären Sie, Herr Innenminister, verpflichtet gewesen, der unteren Katastrophenschutzbehörde, also dem Landkreis Bad Münder, zur Seite zu springen und vor Ort ein Schadensmanagement durchzuführen, damit es dort nicht zu Kommunikationsschwierigkeiten kommt.

Meine Damen und Herren, jetzt noch ein Wort zur Kompetenz und vor allem zu der Frage, ob man zuständig ist oder nicht. Ich möchte jetzt etwas aus einem Bericht des Bundesinnenministeriums zitieren. Am 9. November 2001 sind in einem Gefahrenbericht Vorkehrungen zum Schutz der Bevölkerung bei Großschadenslagen empfohlen worden. Darin ist ganz klar gesagt worden, dass bei großflächigen Gefahrenlagen das zuständige Innenministerium eine verstärkte Koordinierungsaufgabe wahrzunehmen und eine Koordinierungsstelle einzurichten habe. Zudem hat die Schutzkommission gefordert, dass die Bevölkerung vom zuständigen Ministerium schnell und flächendeckend über den

Schadensfall und Katastrophenschutzmaßnahmen informiert werden muss. - Meine Damen und Herren, das steht im Bericht des Bundesinnenministeriums. Sie aber haben Bad Münder erstmals nach sechs Tagen besucht und vor Ort nur gesagt, dass Sie dort rumsitzen und sich informieren lassen wollten. Sie haben die Menschen vor Ort im Stich gelassen. Die Menschen haben Angst gehabt und geglaubt, dass sie tatsächlich gefährdet sind.

(Frau Körtner [CDU]: Die haben heute noch Angst!)

Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, dass Sie bis zum heutigen Tage nicht vernünftig eingeschritten sind und Ihre Fachaufsicht nicht wahrgenommen haben. Das, meine Damen und Herren, darf zum Wohle der Menschen in Bad Münder, aber auch bei Katastrophenfällen insgesamt nicht so weitergehen.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schultze.

(Möllring [CDU]: Jetzt entschuldigen Sie sich mal!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir war klar, dass die Fraktion der Grünen versuchen wird, aus solch einem Ereignis eine Antichemieund eine Antichlordebatte zu machen.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Das, Frau Harms, reicht aber nicht aus. Auch wenn es in Zukunft weniger Chlor gäbe und Chlor substituiert würde, müssten gefährliche Güter transportiert werden. Sie wissen ja, dass das von einem Gift ausgehende Gefährdungspotenzial immer von der Menge abhängt.

(Schröder [GRÜNE]: 40 Tonnen sind ein bisschen viel!)

Wenn Benzin und viele andere tägliche Dinge mit Güterwagen transportiert werden, dann ist es jederzeit möglich, dass ein Unfall passiert. Von daher müssen wir nach diesem Ereignis untersuchen, welche noch besseren Vorbereitungen in Zukunft getroffen werden müssen. Es ist doch völlig klar,

dass jeder Unfall auf seine Ursachen und seine Wirkungen hin untersucht werden muss.

Zum Kollegen Schünemann muss ich nichts sagen. Es war der krampfhafte und untaugliche Versuch, Mitglieder der Landesregierung in dieses Ereignis mit hineinzuziehen, was aber überhaupt nicht notwendig gewesen wäre. Herr Schünemann, hätten Sie sich einmal den 13 Seiten langen Schadensbericht der Feuerwehr, der den Zeitraum vom Eintritt des Schadensereignisses bis zum 20. September umfasst, angesehen, dann hätten Sie hier eine solche Rede nicht gehalten. Es ist völlig an den Haaren herbeigezogen, wenn Sie behaupten, dass die Landesregierung irgendetwas unterlassen habe. Die zuständigen Kräfte hatten die gesamte Entwicklung jederzeit im Griff.

(Frau Harms [GRÜNE]: Niemand hat etwas gegen den Einsatz der Feuer- wehrleute gesagt, Herr Kollege! Un- glaublich!)

Deshalb sage ich noch einmal: Wir müssen uns nach dem Eintritt des Schadensfalls - weshalb er eingetreten ist, untersuchen derzeit die Staatsanwaltschaft und das Eisenbahnbundesamt - zunächst einmal bei der Feuerwehr, bei der Polizei, beim Bundesgrenzschutz und auch bei denjenigen Kräften bedanken, die sehr schnell entschieden haben, dass die Menschen aus der unmittelbaren Nähe des Unglücksorts evakuiert werden müssen, ohne zuvor ein Ministerium in Hannover zu fragen. Die wussten das vor Ort viel besser. Das hat auch funktioniert. Deshalb sollten wir so etwas nicht sagen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Schünemann, da Sie hier aus der Presse zitiert haben, will ich Ihnen sagen, dass ich Ihnen hier zehn Stunden lang Artikel vorlesen könnte. Wenn Sie Widersprüche sehen, dann sollten Sie, wenn Sie eine Landesregierung angreifen wollen, nicht solche Sekundärquellen benutzen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Das ist doch unglaublich! Hört, hört!)

- Sie waren doch gar nicht da, als der Innenminister in der Versammlung war. Er hat es so nicht gesagt. Ich bin da gewesen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Kommen Sie mal zu einer Bürgerversammlung nach Bad Münder und halten diese Rede!)

- Frau Harms, ich bin in Bad Münder gewesen, und ich habe den Bericht der Feuerwehr mit ihm besprochen, auch mit anderen Abgeordneten. Ich habe mich heute Morgen noch einmal beim Gesundheitsamt erkundigt und erfahren: Bisher sind ungefähr 800 Bürgerinnen und Bürger zur Blutuntersuchung gewesen. Es gibt noch keine komplette Auswertung. Nach der Auswertung, die wir bisher kennen, ist damit zu rechnen, dass etwa 15 % der Untersuchten höhere Leberwerte haben. Das Gesundheitsamt hat noch einmal bestätigt, dass hier keine dauerhaften Schäden eintreten werden.

Auch die Untersuchung der 380 oder 400 Feuerwehrleute und Einsatzkräfte hat ein ähnliches Bild gebracht. Darunter sind sogar noch 9 %, bei denen man - so steht es in einem Flugblatt der Stadt auch noch ganz andere Ursachen für die höheren Leberwerte annehmen kann.

Insofern sage ich noch einmal: Es war ein Unfall, und es war viel Glück mit diesem Schadensereignis verbunden, weil es sich auf freier Fläche und nicht in einer Stadt ereignet hat. Es ist kein Mensch ums Leben gekommen, es wurde niemand schwer verletzt.

(Frau Vockert [CDU]: Wollen Sie das jetzt etwa noch beschönigen?)

Sie wollen aus einem Umfall eine Katastrophe herbeireden und sie der Landesregierung ans Zeug flicken. Das ist Ihre Position.

(Zustimmung bei der SPD)

Nun noch eines zur Frage, mit welcher Sachlichkeit wir diese Dinge behandeln sollten. Wir werden uns am Freitag im Wirtschaftsausschuss - das haben wir vor eineinhalb Wochen dort besprochen einen ausführlichen Bericht aus der Sicht der Beteiligten geben lassen. Ich glaube, andere Ausschüsse werden das auch tun. Das ist auch der Sache angemessen. Sie sagen hier und auch sonst, wenn irgendwo etwas passiert, immer wieder: Was in Niedersachsen schief geht, muss man doch irgendwie der Landesregierung ans Zeug flicken. Das geht hier nicht.

(Zuruf von Frau Körtner [CDU])

- Aber, Kollegin Körtner, es ist doch veranlasst. Alle diejenigen, sich betroffen fühlen, haben sich gemeldet. Es sind Blutproben genommen worden, es ist registriert worden, es wird mit der Medizinischen Hochschule ein Gesundheitsprogramm entwickelt, und nach einigen Wochen oder Monaten

je nachdem, was die Mediziner für richtig halten wird weiter untersucht werden. Das werden wir auch weiter zu verfolgen haben.

(Dr. Stratmann [CDU]: Das ist doch nicht mehr als selbstverständlich, dass das passiert! - Möllring [CDU]: Schwache Verteidigungsrede! - Glo- cke des Präsidenten)

- Ist meine Redezeit zu Ende? – Ein Satz noch!

Wenn es noch ein Satz ist, ist es in Ordnung.

Dann möchte ich zum Abschluss nur noch folgenden Satz aus dem Bericht der Feuerwehr von Donnerstag, 19. September, zitieren:

„Wie vermittelt man Öffentlichkeit und Medien sachdienlich die gegenwärtig völlig unspektakulären gesundheitlichen Folgen des Schadensereignisses?“

Das haben die Fachleute vor Ort formuliert und nicht ein Journalist, der gerne schreiben möchte, dass hier möglicherweise nicht alles in Ordnung war.

(Schünemann [CDU]: Sie müssen sich mal den Bericht aus Schleswig- Holstein durchlesen! - Glocke des Präsidenten)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich muss das noch sagen dürfen. Ich bekenne mich dazu und sage, dass wir alle dafür verantwortlich sind, diese Ursachen zu ermitteln, die Folgen weiter zu beobachten und den Menschen, die betroffen sind oder sich betroffen fühlen, zu helfen, auch wenn sie sich nur betroffen fühlen. Aber ich frage mich, ob solch schwerwiegenden Dinge im Rahmen eines solchen Tagesordnungspunktes zu behandeln sind.

(Kethorn [CDU]: Das wollt ihr nicht gern, das ist klar!)

Es wäre richtiger, wie es ja vorgesehen ist, das morgen ausführlicher zu machen. Sie haben die Dringlichkeit hineingebracht, um sich sozusagen die Hände an der Angst zu wärmen, die natürlich in der Öffentlichkeit entstanden ist.

Wir müssen auch untersuchen, auf welche Weise die Öffentlichkeit informiert werden kann.

(Frau Harms [GRÜNE]: Über Infor- mation!)

Darüber können wir in den Ausschüssen ja weiter diskutieren.

(Beifall bei der SPD - Möllring [CDU]: Schwacher Beitrag!)

Das waren mindestens acht Sätze. - Jetzt hat der Abgeordnete Schröder das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Montag, 9. September, wurde ich abends genauso wie meine Nachbarn aufgefordert, Türen und Fenster zu schließen und im Haus zu bleiben. Am Samstag, 14. September, hatte ich im Briefkasten die erste offizielle Information, ein Flugblatt meiner Bürgermeisterin. Einleitend wird darin wieder einmal betont, es bestehe keine Gefahr. Dieses Flugblatt schließt mit dem Satz, es hätten sich bereits 125 Menschen mit gesundheitlichen Symptomen gemeldet.

In diesem Zeitraum von vier Tagen hatten wir in Bad Münder ein massenhaftes Fischsterben. In den Tagen nach dem Zusammenstoß der beiden Güterzüge mussten Betriebe evakuiert werden. Wir hatten jeden Tag eine neue Anzahl von Menschen, die an sich Symptome festgestellt hatten, die auf den Stoff Epichlorhydrin zurückzuführen sind. Und wir hatten jeden Tag offizielle Entwarnungen, in der Luft sei nichts, es sei nichts festgestellt worden, oder, um die Worte des Kollegen Schulze zu benutzen, man habe alles jederzeit im Griff.