In diesem Zeitraum von vier Tagen hatten wir in Bad Münder ein massenhaftes Fischsterben. In den Tagen nach dem Zusammenstoß der beiden Güterzüge mussten Betriebe evakuiert werden. Wir hatten jeden Tag eine neue Anzahl von Menschen, die an sich Symptome festgestellt hatten, die auf den Stoff Epichlorhydrin zurückzuführen sind. Und wir hatten jeden Tag offizielle Entwarnungen, in der Luft sei nichts, es sei nichts festgestellt worden, oder, um die Worte des Kollegen Schulze zu benutzen, man habe alles jederzeit im Griff.
Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ist natürlich maßlos beschädigt worden; denn der Kontrast zwischen den offiziellen Entwarnungen auf der einen Seite und den erkennbaren Folgen dieses Ereignisses auf der anderen Seite lässt nur den Schluss zu, dass Standardmessungen mit einer relativ hohen Messtoleranz nicht richtig sind, sondern dass die Symptome entscheidend sind und dass dieses Ereignis weitreichende Folgen für die Gesundheit der Betroffenen haben kann, was auch zu einem hohen Maß an Beunruhigung bei den eingesetzten Kräften von Feuerwehr und Polizei geführt hat.
Es ist eben nicht richtig, Herr Kollege Schultze, dass die Feuerwehr schlichtweg begeistert ist von dem, was da passiert ist. Von den 420 Feuerwehrleuten, die dort eingesetzt waren, hatten nur 40 einen Vollschutz, und die anderen machen sich zu Recht Gedanken darüber, ob der Kontakt mit dieser Chemikalie auch für sie nachteilige Folgen haben kann. Es beruhigt gerade nicht, Herr Kollege Schulze, wenn man nach einer Woche hört, man könne ECH im Urin in den ersten zwei Tagen messen. Diese Zeit ist leider vorbei. Und es beruhigt gerade nicht, wenn man hört, dass die Blutproben zwar genommen werden, es aber an geeigneten Untersuchungsmethoden fehlt, um diesen Stoff im Blut festzustellen.
Und es beruhigt schon gar nicht, wenn wir uns den Streit um Zuständigkeiten zwischen den Behörden, den wir hier erleben durften, anschauen. Ich will Ihnen einmal auszugsweise eine Pressemeldung des Sprechers der Bahn, Herrn Frohns, vom 20. September wiedergeben, in der es heißt:
„Alle weiteren Maßnahmen wie die Information der Bevölkerung und die Einleitung aller eventuell notwendigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr liegen nicht mehr in den Händen der Bahn, sondern in denen der allgemeinen Gefahrenabwehrbehörden.“
Andererseits erklärt Herr Jüttner in seiner Kritik, das sei alles Aufgabe der Bahn, sie sei für das Bahngelände zuständig, und sie hätte das nicht ausreichend koordiniert. Dann erklärt Herr Bartling bzw. ein Sprecher des Innenministeriums gegenüber der Presse: Wir konnten ja nicht eingreifen. Der Landkreis hat noch nicht den Katastrophenfall erklärt.
Wir wollen nicht das Opfer Ihres Zuständigkeitsstreits sein, zumal das Gefahrenabwehrrecht durchaus die Möglichkeit gibt, dass das Land über § 102 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes selbst tätig wird und eingreift, Experten des Landesgesundheitsamtes und des Landesamtes für Ökologie frühzeitig an Ort und Stelle schickt. Wir haben vorgeschlagen, eine Task Force auf Landesebene einzurichten. Das wäre ein konkreter Ansatz für Folgen und Konsequenzen aus diesem Zuständigkeitsdesaster.
Des Weiteren brauchen wir schnellere und richtige Informationen über den Gefahrstoff, der transportiert wird. Es reicht eben nicht, auf irgendwelche
Ferner brauchen wir die Kompetenz der Feuerwehren, selbst die Oberleitungen zu erden, damit die Einsatzkräfte sofort anfangen können zu löschen und nicht darauf warten müssen, dass der Notfalldienst der Bahn eintrifft.
Wir müssen bei der Bahn klären, ob es zutrifft, dass sie aus Kostengründen bei der Bremsprobe den zweiten Mann, den Hintermann, eingespart hat und deswegen nicht gewährleistet ist, dass nur ausreichend erprobte Züge auf die Strecke geschickt werden. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. h. c. Schultze, Sie tun der Stadt Bad Münder, den Menschen und auch der ganzen Debatte keinen Gefallen, wenn Sie den Eindruck erwecken, Sie hätten die Sache im Griff.
Ich finde die Schuldzuweisung auch verfrüht, aber es gibt doch Fakten. Es ist völlig klar: Feuerwehrleute sind in einen Einsatz gegangen, waren nicht ausreichend ausgerüstet,
waren nicht ausreichend informiert. Es gab eine Situation, bei der die Bahn als Hauptverantwortliche nicht erklären konnte, was sie eigentlich transportierte, was in den Brandfall involviert war. Es gab keine genauen Erkenntnisse über den Inhalt des einen Waggons. Die Folgen des Brandereignisses waren relativ schwierig zu erkennen. Das kann man doch nicht alles vom Tisch wischen und jetzt gleichzeitig behaupten, man habe natürlich alle Erkenntnisse gehabt.
Wir haben die Erkenntnis, dass das Katastrophenmanagement insgesamt nicht so funktioniert hat, dass die Sicherheit der Bevölkerung so gewähr
leistet war, wie es möglich gewesen wäre, wenn die Kräfte richtig zusammengewirkt hätten. Also muss es in diesem Bereich Konsequenzen geben. Die Zuständigkeiten müssen anders organisiert werden. Hier sind schon die richtigen Fragen gestellt worden, nur kann man aufgrund der gegenwärtigen Erkenntnislage noch nicht alle Antworten geben.
Ich sage als Betroffener einer anderen Situation, als Nachbar eines zukünftigen Atommüllendlagers: Die Gemeinde Vechelde hat die Transportrisiken im Zusammenhang mit Atomtransporten, die täglich da vorbei laufen, untersuchen lassen. Es wurde eine wissenschaftliche Studie über die mögliche Beherrschbarkeit der Folgen durchgeführt. Sie, Herr Minister, haben die Transportfrage auf Weisung der Bundesregierung aus dem Genehmigungsverfahren herausgenommen. Bei uns diskutieren die Menschen jetzt darüber, was passieren würde, wenn bei uns ein Transport von Atomelementen in einen solchen Unfall verwickelt würde. Im gegenwärtigen System gibt es keinen Schutzmechanismus. Das ist nur eine bittere Erkenntnis, die weit über Bad Münder hinausgeht.
Ich fordere eine Analyse, bei der die Katastrophenszenarien, die bis jetzt nicht beherrscht werden können, überprüft werden. Da ist die Landesregierung aufgefordert, sich nicht nur auf eine Verteidigungsposition zurückzuziehen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass es bei dem schweren Unglück in Bad Münder nicht zu einem Katastrophenfall gekommen ist. Es wäre eine Katastrophe geworden, wenn der Unfall z. B. in einem bewohnten Gebiet stattgefunden hätte.
Deswegen sollte das Sprechen von Katastrophen etwas zurückgenommen werden. Man sollte sich konkret mit dem Geschehen auseinander setzen.
Meine Damen und Herren, dass das nicht geschieht, macht insbesondere der Beitrag von Herrn Schünemann deutlich.
(Frau Harms [GRÜNE]: Ich wusste noch nicht, dass Bad Münder unbe- wohnt ist! - Schröder [GRÜNE]: Das ist eine ganze Siedlung!)
- Ich komme gleich zu den Einzelheiten, verehrte Frau Harms. Sie wissen aber wohl auch, wo der Bahnhof liegt. Deswegen ist das ein kleiner Unterschied.
Meine Damen und Herren, ich möchte gerne auf die Rede von Herrn Schünemann eingehen, denn dadurch wird deutlich, wie man mit diesen Themen umgeht. Er stellt Behauptungen in den Raum, die einfach nicht wahr sind. Es wird z. B. behauptet, dass Herr Bartling lieber zum Joggen gegangen ist. Ich habe mich dienstlich in Göttingen aufgehalten. Das können Sie überprüfen.
Das ist der Umgang mit Wahrheit. Sie wollen einen bestimmten Eindruck erwecken. Das ist die Politik, meine Damen und Herren von der CDUFraktion, die Sie hier andauernd betreiben.
Sie wollen Eindrücke erwecken, aber das wird Ihnen nicht ermöglicht. Wir werden Ihnen stattdessen beweisen, was tatsächlich passiert ist. Diese Politik der Eindruckserweckung ist letztlich der Grund dafür, warum Sie auch weiterhin nur 34 % der Stimmen erhalten werden.
Meine Damen und Herren, wenn man das Einsatzgeschehen analysiert, stellt man zunächst fest, dass die Einsatzkräfte der Feuerwehr ihre Aufgabe schnell, zielstrebig und auch professionell erledigt haben. Für diesen gefahrvollen Einsatz danke ich der Feuerwehr.
Lassen Sie mich vorab eines unmissverständlich klarstellen: Wenn sich herausstellt, dass diese Einsatzkräfte und die Bevölkerung Gesundheitsgefährdungen ausgesetzt worden sind, die man hätte vermeiden können, dann werden wir die Ursachen aufdecken und auch die Verantwortlichen benennen.
als wäre die Landesregierung dafür verantwortlich, dass dieser Unfall überhaupt passiert ist. Das ist der Tenor Ihrer Reden.
(Schröder [GRÜNE]: Unsinn! - Frau Harms [GRÜNE]: Ich habe länger über die Bahn gesprochen als über die Landesregierung! - Weitere Zurufe von den GRÜNEN - Schünemann [CDU]: Warum waren Sie eine Wo- che lang nicht da? - Weitere Zurufe von der CDU)
Meine Damen und Herren, kein Einsatz, kein Schadensfall gleicht dem anderen. Auch dieser Schadensfall im Mündener Bahnhof weist Besonderheiten auf, aus denen wir Lehren ziehen müssen. So wird zu fragen sein, warum zunächst Messdaten vorgelegen haben, aus denen nicht auf eine Gefährdung der Bevölkerung geschlossen werden konnte, warum also am Unfallort unmittelbar nach dem gelöschten Brand nichts mehr feststellbar war. Ungefähr einen Tag später hatten Personen, die sich weit entfernt aufgehalten hatten, anscheinend gesundheitlichen Schaden genommen.
Meine Damen und Herren, all das werden wir nüchtern und objektiv analysieren. Es nützt überhaupt nichts, für diesen Fall ein Geschrei zu erheben, das jegliche sachliche Auseinandersetzung übertönt. Genau das versucht aber die Opposition mit ihren Vorstößen. Sie will nichts anderes, als der Landesregierung die Schuld in die Schuhe zu schieben. An Aufklärung sind Sie genauso wenig interessiert wie an der Optimierung unserer Gefahrenabwehr. Ihnen geht es nur darum, in der Landesregierung einen Schuldigen zu finden und den Wahlkampf in dieser Art fortzusetzen. Sie werden damit keinen Erfolg haben.
(Beifall bei der SPD - Frau Körtner [CDU]: Wir wollen eine organisierte Verantwortung! - Weitere Zurufe von der CDU und von den GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Bartling, Sie haben eben etwas überzogen.
Wir sind uns in diesem Hause alle darüber klar, dass niemand versucht, darzulegen, dass Sie, der Umweltminister oder jemand anderes diesen Unfall von vornherein hätte verhindern können. Wir leben in einer Industriegesellschaft und wissen alle, dass es derartige Unfälle gegeben hat und wieder geben wird. Das ist nicht das Entscheidende. Es ist auch nicht das Entscheidende, dass man nach einem solchen Unfall eine groß angelegte medizinische und physiologische Untersuchung durchführt. Das ist wichtig, aber es ist nicht das Entscheidende. Das Entscheidende, wenn derartige Unfälle eintreten, ist, dass die Folgen gering gehalten werden. Die Folgen können jedoch nur dann gering gehalten werden, wenn jeder seine ihm übertragene Verantwortung übernimmt und erfüllt.
Es gibt in Niedersachsen einen Minister, der für die Umwelt zuständig ist. Dieser verfügt in seinem Ressort über Fachpersonal. Er hat davor gescheut und es versäumt, dieses Fachpersonal wenige Minuten oder Viertelstunden nach dem Unfall an diesen Ort zu schicken, damit sie dort beratend eingreifen. Ich habe gegenüber der Presse gesagt, dass der fachkundige Mann mit dem Hut gefehlt hat, den man fragen kann, der mit der Thematik und der Chemie umgehen kann. Herr Minister Jüttner, es wurde an dieser Stelle wieder einmal deutlich, dass Sie verantwortungsscheu sind!