Am 4. September dieses Jahres konnte man in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung nachlesen, dass der Verkauf der Fernseh- und Hörfunkbeteiligung des Stuttgarter Holtzbrinck-Konzerns an die RTL-Gruppe beim Niedersächsischen Ministerpräsidenten „offensichtlich Unbehagen“ ausgelöst habe. Der Regierungschef habe in dieser Angelegenheit, so hieß es in der HAZ weiter, jetzt einen Brief an die RTL-Spitze in Luxemburg geschrieben und in diesem Zusammenhang darum gebeten, die AVE-Holding, in der Hörfunkbeteiligungen gebündelt sind, nicht von ihrem bisherigen Standort Hannover abzuziehen.
Zwar wird in einer Pressemitteilung der Staatskanzlei in Hannover vom gestrigen Tage darauf hingewiesen, dass der Vorstandsvorsitzende der
RTL-Gruppe in Luxemburg in einem Schreiben an Herrn Gabriel darauf hingewiesen habe, dass Hannover Standort von AVE bleiben werde,
trotzdem, Kollege Reckmann, bleiben nicht wenige Irritationen übrig, die im Zusammenhang mit RTL in der letzten Zeit entstanden sind und die auch weiterhin bestehen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, jeder, der sich in der letzten Zeit mit der Entwicklung in der Medien- und Kommunikationslandschaft Niedersachsens und Deutschlands etwas näher beschäftigt hat, wird wissen, dass es auf diesem Gebiet tiefgreifende Umbrüche gegeben hat, die sich bis in die Gegenwart fortgesetzt haben. Sie hängen vor allem mit der allgemeinen negativen Entwicklung der Wirtschaft in Niedersachsen und auf Bundesebene zusammen, die wiederum für den Bereich der Printmedien und insbesondere für den Bereich der elektronischen Medien zu verschärften Wettbewerbsbedingungen geführt hat.
Der extrem negative Verlauf des Anzeigengeschäfts der Printmedien sowie die Einbrüche bei den Verkaufszahlen der Werbezeiten für die elektronischen Medien gefährden zweifelsfrei die wirtschaftliche Existenz vieler Anbieter und damit die Vielfalt und Qualität der niedersächsischen Medienlandschaft. Zudem führen beide genannten Wirtschaftsfaktoren dazu, dass die Beschäftigtenzahlen im niedersächsischen Medien- und Kommunikationsbereich mit Sicherheit nicht steigen werden, sondern im Gegenteil durch Abwärtstendenzen gekennzeichnet sind.
Wie lässt sich nun dieser Sachverhalt mit dem vereinbaren, Kollege Reckmann, was der Herr Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung im Dezember 1999 zum Ausdruck gebracht hat? Da hieß es wörtlich - ich zitiere jetzt, Kollege Schack, aus dem stenographischen Protokoll des Landtags vom 15. Dezember 1999 -:
„Die Medienwirtschaft ist ein Wachstumsmarkt, dem wir in Zukunft mehr Aufmerksamkeit widmen müssen.“
„habe mich entschlossen, die bisher über drei Ressorts der Landesregierung verteilten Zuständigkeiten für Medien in der Staatskanzlei zu konzentrieren, um Handlungsfähigkeit zu erhalten und noch bestehende Chancen im Medien-Wachstumsmarkt zu sichern.“
Aus diesen Zitaten kann meines Erachtens zweifelsfrei abgelesen werden, dass der Ministerpräsident erstens die Medienpolitik zur Chefsache erklärt hat - darum bin ich, um es diplomatisch auszudrücken, ein bisschen irritiert, dass er bei diesem Thema nicht anwesend ist - und dass zweitens die Medienwirtschaft in Niedersachsen ausgebaut werden soll. Diese beiden Konsequenzen können daraus abgeleitet werden.
Erstens. Es droht die Gefahr - ich habe soeben schon darauf hingewiesen -, dass sich RTL ab 2003 in einem anderen Bundesland lizenzieren lässt - wie gesagt, es besteht die Gefahr; eine Entscheidung ist noch nicht gefallen, diese Drohung steht im Raum - und der Medienstandort Hannover bzw. Niedersachsen damit einen herben Rückschlag hinzunehmen hätte. Dass eine solche Entscheidung, sollte sie denn getroffen werden, fatale Nebenwirkungen für den gesamten Medienstandort Hannover haben würde, steht nicht nur für Branchenkenner fest. Deshalb muss es entscheidend darauf ankommen, das Verhältnis zu RTL möglichst umgehend und möglichst schnell wieder zu normalisieren.
Zweitens. Meine Damen und Herren, in einem Gespräch, das die Mitglieder des Arbeitskreises Medien meiner Fraktion in der letzten Woche mit führenden Repräsentanten des Nordwestdeutschen Zeitungsverlegerverbandes geführt haben, wurde deutlich, dass sich die Zeitungslandschaft in Niedersachsen gegenwärtig in einer sehr schwierigen Situation befindet. Insbesondere das Gesetz über die 325-Euro-Jobs und die weiter zu erwartenden Schwierigkeiten zur Eigenkapitalgewinnung durch
die Vorschriften von Basel II würden die wirtschaftliche Situation der Verlage in Niedersachsen zunehmend verschärfen. Die verschärften Wettbewerbsbedingungen würden mit Sicherheit dazu führen, so wurde uns mitgeteilt, dass die momentan in Niedersachsen zu verzeichnenden 13 publizierten Einheiten mittelfristig nicht in dieser Formation aufrechterhalten werden könnten. Zudem sei die Entwicklung der Anzeigenaufträge in Niedersachsen als „dramatisch“ zu bezeichnen. Bei einigen Verlagen sei es inzwischen so, dass sich die Betriebskosten auf der einen Seite und die Anzeigen- bzw. Verkaufseinnahmen auf der anderen Seite nur noch die Waage hielten.
Man gab von Seiten der Verleger unmissverständlich zu verstehen, dass es sich bei der momentanen Situation der Verlage nicht um eine zeitlich eng begrenzte Krise und auch um nicht um eine isoliert zu betrachtende Strukturkrise im Medienbereich handele, sondern um eine Krise des Einzelhandels und des Mittelstandes in Niedersachsen schlechthin, die jetzt mit einer zeitlichen Verzögerung von ca. einem halben Jahr dramatische Auswirkungen auf das Verlagswesen in Niedersachsen habe.
Drittens. In der nicht nur in der Medienbranche bekannten Zeitschrift Horizont - Auflage ca. 30 000; in der Branche kennt sie jeder - vom 1. November letzten Jahres beginnt ein groß aufgemachter Artikel über den Medienstandort Hannover wie folgt:
„Unter den Medienstandorten der Republik genießt Hannover den denkbar schlechtesten Ruf: gar keinen.“
Dies habe, so wird in dem Presseartikel weiter ausgeführt, sowohl „geografische als auch infrastrukturelle, als auch politische Gründe.“ Zwar sei „das Vorhandene durchaus respektabel“, aber die großen Vier, nämlich Berlin, Hamburg, München und Köln, würden in einer anderen Liga spielen. Vor allem als TV-Standort bleibe Hannover „randständig“; denn neben dem NDR wirkten die Engagements von SAT 1 und RTL wie „Pflichtveranstaltungen“.
Wenn man heute Entscheider in der Medienbranche fragt, welche Argumente für einen Standort ausschlaggebend sind, dann werden sich diese vor allem an zwei Standortfaktoren orientieren: Einerseits ist die Nähe zu einer Quelle für kreative Inhalte ausschlaggebend. Andererseits fordern kreativ arbeitende und denkende Menschen ein le
benswertes Umfeld. Bei beiden Kriterien muss es offensichtlich im Bewusstsein der in der Medienbranche Tätigen Defizite geben, wenn es um den Medienstandort Hannover bzw. Niedersachsen geht. Auch dies muss, Kollege Reckmann, bei den politischen Überlegungen und Planungen entscheidend mit berücksichtigt werden.
Viertens. Viele Städte, Regionen und Bundesländer haben - ich meine, zu Recht - verstärkt damit begonnen, in ihrer Wirtschaftförderung einen Schwerpunkt bei der Ansiedlung von Produzenten der Informations- und Kommunikationstechnik, also der IuK-Technik, sowie der IuK-Dienstleister und -Inhaltsproduzenten zu legen. Aus dem letzten DIW-Wochenbericht geht in diesem Zusammenhang hervor - das ist ja wohl eine Statistik, die allgemein anerkannt ist -, dass die regionale Konzentration der IuK-Produktion in Deutschland weiter zunimmt. - Schön. Allein in den drei größten IuK-Regionen München, Stuttgart und Frankfurt war zusammen mehr als ein Fünftel der IuKBeschäftigten tätig. Die Regionen Berlin, Hamburg und Köln kamen zusammen auf weitere 15 %. Die regionale Konzentration der überregional aktiven IuK-Unternehmen ist nach der Statistik des DIWWochenberichts aus der letzten Woche noch höher. Nun kommt es: In der Rangfolge der 15 größten IuK-Regionen Deutschlands im Jahr 2000 - Zahlen aus 2001 liegen mir leider nicht vor - liegt die Raumordnungsregion Hannover leider nur auf Platz 11 zwischen Mannheim und Duisburg. Im Jahr 1980 lag Hannover noch auf Platz 10.
Bezüglich der Veränderung der IuK-Beschäftigung in den 15 größten IuK-Regionen Deutschlands zwischen 1980 und 1998 müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der Beschäftigten in der Metropolregion Niedersachsens - in Hannover - in diesem Bereich um 4 % abgenommen hat - ganz im Gegensatz zu den Regionen München, Köln, Hamburg, Düsseldorf und auch Duisburg, wo die Beschäftigtenzahl zwischen 10,7 und 2,3 % gestiegen ist. Wir sehen also, dass auch auf diesem wichtigen Gebiet, das zu den konstitutiven und grundlegenden Bereichen eines Medienstandortes zu rechnen ist, in Hannover bzw. in Niedersachsen einiges im Argen liegt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich methodisch darum bemüht, nachweisbare Zahlen, Fakten und Quellen zu nennen, sodass mir nicht vorgeworfen werden kann, ich würde hier diesbezüglich methodisch und politisch im Nebel herumstochern. Mit anderen Worten: Die Aussagen zum
Problembereich RTL, zur unbefriedigenden Situation der Printmedien und der TV- und Filmwirtschaft in Niedersachsen und der alles andere als rosig zu bezeichnende Stellenwert der IuK-Technik in Niedersachsen lassen den berechtigten Schluss und die daraus abzuleitende Forderung zu: Es muss möglichst schnell eine Medienoffensive für unser Land geben,
damit wir aus diesem zukunftsrelevanten Gebiet nicht noch weiter von anderen Bundesländern und Regionen Deutschlands abgehängt werden.
Medienpolitik ist Chefsache, Herr Ministerpräsident! - Er ist leider abwesend, was ich sehr bedaure. - Das ist bezeichnend für das, was in der Regierungserklärung gesagt worden ist und was tatsächlich gemacht wird. Daher möchte ich die Gelegenheit von dieser Stelle aus nutzen, Sie sehr, sehr herzlich zu bitten, im Interesse Niedersachsens im Rahmen Ihrer konkreten Politik für unser Land und im Rahmen Ihrer konkreten Möglichkeiten über den Bundesrat dafür Sorge zu tragen, dass hier einiges geändert wird, dass Niedersachsen endlich in diesem Sinne vorankommt
und dass wir in der Zukunft medienpolitisch nicht weiterhin die Rolle einer grauen Maus im Vergleich auf Bundesebene zu spielen haben. - Danke schön.
Meine Damen und Herren, bevor wir in der Debatte fortfahren, darf ich auf der Besuchertribüne A eine Gruppe von Stipendiaten aus Belarus begrüßen, die sich im Rahmen des niedersächsischen Stipendienprogramms für ein Vorpraktikum in unserem Land aufhält. Wir wünschen den 13 Stipendiaten einen guten Aufenthalt und viele schöne Eindrücke in einem schönen Land.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt nichts im Argen, sondern wir, die wir seit 1986 im Landtag sind und über Medienpolitik diskutiert haben, waren uns eigentlich immer einig, dass wir natürlich in Niedersachsen nicht mit Berlin, nicht mit Hamburg, nicht mit Köln und nicht mit München konkurrieren können.
Niedersachsen oder speziell Hannover zu einem konkurrenzfähigen Medienstandort auszubauen. Das ist überhaupt nicht möglich. Wir hatten damals aber gesagt, dass man bestimmte Nischen besetzen kann. Das hat die Landesregierung in vorbildlicher Weise gemacht.
Wenn Sie das Verhältnis von Herrn Ministerpräsidenten Gabriel zu RTL ansprechen, kann ich nur sagen: Dieses Verhältnis ist hervorragend,
und es gibt einige positive Dinge zu vermelden. Irritationen sind an keiner Stelle vorhanden. Ich muss deutlich sagen, dass Sigmar Gabriel hier eine hervorragende Politik gemacht hat, wie in anderen Feldern auch.