Protokoll der Sitzung vom 24.10.2002

(Zustimmung bei der SPD)

Statt der von Ihnen hier praktizierten rechtspolitischen Schnellschüsse sollten wir uns verstärkt umfassender Anstrengungen zur Vorbeugung vor jugendlicher Kriminalität zuwenden. Dazu gehört der wichtige Bereich kommunaler Kriminalprävention vor Ort ebenso wie der wichtige Bereich der Förderung der Erziehung in der Familie, der Verbesserung der Sozialisationsbedingungen und die Stärkung der Verantwortungsbereitschaft der Jugendlichen selbst. Da sehe ich auch für Sie von der Union ein breites Betätigungsfeld, dem Sie sich zuwenden könnten.

Andererseits frage ich mich ernsthaft, warum Sie jetzt mit Ihrem Antrag kommen. Sie begründen ihn damit, es habe einen dramatischen Anstieg bei der Jugendkriminalität und insbesondere bei der Jugendgewalt gegeben.

(Ontijd [CDU]: Das stimmt doch auch!)

Das war bis 1998 richtig, ist es aber seit 1999 nicht mehr.

Herr Dr. Biester, Sie haben ausgeführt, bei Verkehrsdelikten würde Erwachsenenstrafrecht häufiger angewandt, als das bei anderen Delikten der Fall sei. Das hat eine ganz klare, in der Praxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte liegende Begründung: Die Verkehrsdelikte werden regelmäßig durch Strafbefehle geahndet. Da macht man diese Unterscheidung nicht.

Wir wissen, dass einer der Gründe für die gewachsene Jugendkriminalität bis 1998 die Einwanderungspolitik für Aussiedler war. Es gab in den 90er-Jahren erhebliche Integrationsprobleme gerade bei den jungen Aussiedlern der zweiten Generation. Die notwendigen Fördermittel zur Bewältigung der Sprach- und Integrationsprobleme hat die seinerzeitige konservative Bundesregierung trotzdem gekürzt. Für diese Entwicklung bis 1998 tragen Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, Ihren Teil an Mitverantwortung.

(Groth [SPD]: So ist es!)

Nun zu Ihren Anträgen im Einzelnen. Sie schlagen einen so genannten Warn- und Einstiegsarrest vor, der neben einer Bewährungsstrafe angeordnet werden soll. Dieser Antrag zeigt, dass Ihnen die Gerichtswirklichkeit nicht recht geläufig ist. So gut wie alle Jugendlichen, gegen die eine Bewährungsstrafe verhängt wird, haben bereits vorher den kompletten Sanktionenkatalog der Jugendgerichtsbarkeit kennen gelernt.

(Dr. Biester [CDU]: Dann muss der ja sehr wirksam sein!)

Sie gehören mithin der Gruppe der so genannten sanktionsgehärteten Jugendlichen an, die bereits im Jugendarrest waren. Diese Arresterfahrung hat sie aber offenbar nicht davon abgehalten, erneut straffällig zu werden. Wie Sie die mit einem weiteren Arrest nachhaltig beeindrucken wollen, müssen Sie mir mal erklären.

(Zustimmung bei der SPD)

Es bleiben also nur die Ersttäter, die mit einer Freiheitsstrafe zur Bewährung belegt werden. Bei ihnen hat das erkennende Gericht eine Prognoseentscheidung zu treffen, zu der das erwartete künftige Legalverhalten des jungen Täters vorausgesagt wird. In diesen Fällen eröffnet das Jugendgerichtsgesetz aber dem Jugendrichter neben der Bewährungsstrafe eine Reihe weiterer Möglichkeiten, auf die Straffälligkeit angemessen zu reagieren. Zum einen wird der Verurteilte einem Bewährungshelfer unterstellt. Bereits die daraus folgenden permanenten Kontakte erleben viele Jugendliche als äußerst belastend. Zum anderen können verstärkt Weisungen und Auflagen eingesetzt werden.

Sie hätten gut daran getan, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, vor der Abfassung Ihrer Anträge nachzulesen, welche Position die von der CDU geführte Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage vom 23. Juli 1997 hatte. Darin heißt es u. a.:

„Um einem Anstieg der Jugendkriminalität entgegenzutreten, ist es erforderlich, bei den Ursachen anzusetzen.“

Weiter heißt es:

„Der Bundesregierung liegen keine empirischen Erkenntnisse dergestalt vor, daß durch eine härtere Bestrafung von Gewalttätern eine erhöhte gene

relle Abschreckungswirkung des Jugendstrafrechts gegenüber jungen Menschen erzielt werden kann.“

Noch etwas zu Ihrer Kenntnis in diesem Zusammenhang: In der Begründung zum Gesetz 1990 heißt es:

„Schließlich ist seit langem bekannt, daß die stationären Sanktionen des Jugendstrafrechts Jugendarrest und Jugendstrafe sowie die Untersuchungshaft schädliche Nebenwirkungen für die jugendliche Entwicklung haben können.“

Alles das war von der CDU-geführten Bundesregierung. Das waren vernünftige Ansätze, die Sie hier mit durchsichtigen Absichten über Bord werfen.

Nun zum nächsten Punkt Ihrer Anträge. Für ein Fahrverbot als selbständigem Zuchtmittel besteht kein praktisches Bedürfnis. Darin waren sich in der Anhörung alle Sachverständigen einig. Zum einen ist kaum zu überwachen, ob sich der Jugendliche daran hält, weil z. B. zum Fahren eines Mofa lediglich eine Betriebserlaubnis, eine Fahrerlaubnis dagegen nicht erteilt wird. Zudem soll unter dem Gesichtspunkt des Erziehungsauftrags des Jugendgerichtsgesetzes ein den Jugendlichen vermittelbarer Zusammenhang zwischen der Straftat einerseits und der Rechtsfolge andererseits bestehen. Gerade junge Menschen haben, wie die Praxis zeigt, ein starkes Gefühl für die Tat und ihre Folgen. Empfinden sie die Maßnahme als unangemessen, so führt dies leicht dazu, dass das Erziehungsziel verfehlt wird.

Noch ein Wort zur Meldepflicht.

Herr Kollege Helberg, das werden Sie jetzt nicht mehr vortragen können; denn Ihre Redezeit ist schon hinlänglich abgelaufen.

Ich komme zum Schluss. - Mit Ihrem Antrag haben Sie nun wirklich nichts ausgelassen. Nun wollen Sie auch noch das beschleunigte Jugendverfahren einführen. Dabei hat der Gesetzgeber dies in § 79 JGG aus überlegten Gründen ausgeschlossen. Ich rate Ihnen, die Große Anfrage der CDU in Berlin noch einmal nachzulesen; denn dann wer

den Sie erkennen, was von Ihrem Antrag zu halten ist, nämlich nichts. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile - auch wenn er schon nach vorn geeilt ist, so hat er es noch nicht -, möchte ich darauf hinweisen, dass wir vor der nächsten Abstimmung noch die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen müssen. Das könnte ich jetzt nur unter Außerachtlassung aller Gesichtspunkte tun, die dafür maßgeblich wären. Deshalb bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, in den Plenarsaal zu kommen. Ich weiß, dass dies jetzt sehr schwierig ist, weil unsere technischen Bedingungen im Moment etwas rückwärts gerichtet sind, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Sagen Sie den Kolleginnen und Kollegen aber bitte Bescheid, dass sie zur nächsten Abstimmung hier sein mögen, damit wir sie dann auch vornehmen können.

So, Herr Kollege Schröder, jetzt haben Sie das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit ihrem Entschließungsantrag fordert die CDUFraktion eine Gegenreform zu einem Jugendstrafverfahren, das sie selbst jahrzehntelang gestaltet und mitverantwortet hat und zu dem sie bis 1998 keinen größeren Änderungsbedarf gesehen hat. Sie, Herr Kollege Biester, müssen mir einmal erklären, was sich seit 1998 geändert hat außer der Tatsache, dass die Jugendkriminalität nicht weiter angestiegen ist und Sie in Bonn bzw. Berlin verdientermaßen in die Opposition geschickt worden sind.

Meine Damen und Herren, der Rechtsausschuss hat zu diesem Antrag eine umfassende Anhörung von Praktikern und Wissenschaftlern durchgeführt. Nach dieser Anhörung hatte ich eigentlich erwartet, dass die CDU-Fraktion ihren Antrag zurückzieht; so allein stand sie da mit ihren Forderungen. Sie, Herr Kollege Biester, müssen wohl aber bei einer anderen Anhörung gewesen sein; denn Sie haben hier eben erklärt: Mag ja sein, dass die Theoretiker mit ihrem 68er-Gerede an alten Illusionen eines Reformjugendstrafrechts festhalten, aber die Praktiker. Wir haben z. B Frau Oberstaatsanwältin Hopf - Leiterin der Abteilung Ju

gend bei der Staatsanwaltschaft Hannover - angehört, die die Forderung der CDU-Fraktion nach Abschaffung des Heranwachsendenstrafrechts und die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf junge Menschen zwischen 18 und 21 Jahren entschieden abgelehnt hat. Ist das eine Theoretikerin, Herr Kollege Biester?

Ferner haben wir Herrn Brandler - seit 30 Jahren Jugendrichter am Amtsgericht - angehört, der ebenfalls alle Forderungen der CDU-Fraktion mit überzeugenden Begründungen abgelehnt hat. Ist auch er einer der von Ihnen genannten Theoretiker, Herr Biester? - Ich glaube in der Tat, dass Sie bei einer anderen Veranstaltung gewesen sein müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Möglicherweise haben Sie bis heute auch nicht zur Kenntnis genommen, welchen Verlauf die Diskussion auf dem diesjährigen Deutschen Juristentag genommen hat. Der Deutsche Juristentag gilt ja nicht gerade als Speerspitze grün-roter Reformfantasien. Auch dort ist über die Weiterentwicklung des Jugendstrafrechts verhandelt worden mit dem eindeutigen Ergebnis, dass die Vorschläge und Forderungen der CDU-Fraktion auch dort keine Zustimmung erfahren haben. Im Gegenteil, Herr Kollege Biester: Aus fachlicher Sicht ist es sinnvoll und konsequent, das Heranwachsendenstrafrecht nicht abzuschaffen, wie Sie es wollen, sondern das Jugendstrafrecht obligatorisch auch auf all diejenigen jungen Menschen auszudehnen, die 18 bis 21 Jahre alt sind.

Das, was Sie immer wieder wiederholen, dass das Jugendstrafrecht aber zu mild sei und dass an den betreffenden Personenkreis viel härter herangegangen werden müsse, ist falsch.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Jugendstrafrecht - ich sage es jetzt zum ich weiß nicht wie vielten Mal - ist nicht das mildere Sanktionssystem, sondern es ist vielfältiger und individueller, und es bietet mehr Möglichkeiten, auf Täter einzugehen, als dieses relativ primitive Schema von Geld- oder Freiheitsstrafe. Deswegen ist es gerade für Menschen, deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist und auf die man noch einwirken kann, das bessere Sanktionssystem. Es wird Zeit, dass die CDU-Fraktion einmal nachvollzieht, welche Diskussionen z. B. der Juristentag und andere Fachkreise zu diesem Thema führen, damit sie endlich wieder einmal an die Spitze der

Debatte gelangt und ihr nicht um Jahre hinterher läuft. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister Pfeiffer, Sie haben jetzt das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Biester, auch wenn Sie es immer wieder wiederholen, wird es dennoch nicht richtiger. Es stimmt schlicht nicht, dass die Jugendgewalt stetig ansteigt. Erfreulicherweise hat es in diesem Bereich in den letzten Jahren nicht nur in Niedersachsen, sondern auch in anderen Bundesländern ausweislich der Polizeistatistiken einen Rückgang gegeben. Schauen Sie sich einmal die Statistik für Niedersachsen an. Dann werden Sie feststellen, dass es im Jahr 2001 gegenüber dem Jahr 2000 bei den Kindern einen Rückgang um 8 %, bei den Jugendlichen um 2 % und bei den Heranwachsenden um 7 % - jeweils pro 100 000 gerechnet - gegeben hat. Bei den Raubdelikten, die Sie gerade aufgegriffen haben, hat diese Tendenz schon 1999 eingesetzt.

Das ist nicht von allein geschehen. Dafür gibt es im Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung auch Erklärungen, die deutlich machen, warum sich das nicht nur in Hannover, sondern auch in München, auch in Leipzig und auch in Hamburg so entwickelt hat. Überall ziehen jetzt die Präventionsmaßnahmen. Außerdem wirkt sich aus, dass die Schulen plötzlich ihre Mitverantwortung für diesen Bereich entdeckt haben und gemeinsam mit der Jugendhilfe sehr viel gestalten. Ferner haben die Präventionsräte Maßnahmen ergriffen, die sich gegen Jugendgewalt richten. Schließlich werden die Familien vernünftiger. Die innerfamiliäre Gewalt geht zurück.

All diese Faktoren tragen zur stärkeren Ächtung der Gewalt bei. Ein Viertel der Jugendlichen, die vor Jahren danach gefragt worden sind, wie ihre Eltern denn reagieren, wenn sie erfahren, dass sie jemanden zusammengeschlagen oder beraubt haben, hat gesagt, dass ihre Väter das prima fänden, weil man sich so durchsetzt. - Das aber ist Vergangenheit. In der Gegenwart hat sich das Klima gewandelt. Dazu haben alle beigetragen, die Gewalt in der Öffentlichkeit geächtet haben. Diese

Erfolge, die hier erzielt worden sind, darf man nicht kaputt reden.

Der Abgeordnete Schröder hat es bereits gesagt: Der Deutsche Juristentag hat sich mit all den Vorschlägen befasst, die die CDU-Fraktion in ihrem Antrag aufführt. Keiner dieser Vorschläge hat dort jedoch eine Mehrheit gefunden. Dies gilt auch für den Vorschlag, die Heranwachsenden mehrheitlich oder sogar komplett nach Erwachsenenstrafrecht abzuurteilen. Warum denn nicht? - Weil die Praktiker, die beim Juristentag vertreten sind - dort sitzen nur ganz wenige Wissenschaftler; die Mehrheit der Abstimmenden sind gediegene Praktiker -, wissen, dass das Jugendstrafrecht nicht milder, sondern nur differenzierender ist.

Schauen Sie einmal nach Hameln. In Hameln sitzen etwa wegen Raubes reihenweise junge Männer für vier, fünf oder sechs Jahre ein, zu denen sie als Wiederholungstäter verurteilt wurden. Dieser Personenkreis wird in punkto Freiheitsstrafe nicht anders behandelt, als dies ein Jugendrichter tut, der allgemeines Strafrecht anwendet. Es ist doch der selbe Mensch, der da sagt: Heute nehme ich das JGG bei diesem Täter aufgrund seiner psychischen Beurteilungen, und bei diesem Täter nehme ich das allgemeine Strafrecht. Er verhängt doch nicht eine längere oder kürzere Freiheitsstrafe nur deshalb, weil er das Jugendstrafrecht anwendet, sondern er verhängt eine Freiheitsstrafe, die er für richtig hält. Er hat nach dem Jugendstrafrecht aber die Möglichkeit, Jugendarrest anzuordnen. Darüber hinaus hat er viele andere Perspektiven. Deshalb wird es eingesetzt.

Von daher kann ich meinem Vorredner nur zustimmen: Ihr Antrag bringt uns nicht weiter. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht mehr vor.

Bevor wir die Abstimmung durchführen, darf ich feststellen, dass das Haus jetzt beschlussfähig ist.