Protokoll der Sitzung vom 24.10.2002

Der Antrag der Fraktion der CDU wurde in der 95. Sitzung am 24. Januar 2002 an den Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen zur Beratung und Berichterstattung überwiesen. Berichterstatter ist der Abgeordnete Schlüterbusch.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit den Stimmen der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen empfiehlt Ihnen der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen, den Antrag der CDU-Fraktion in der Drucksache 14/3038 abzulehnen. Mit dem gleichen Stimmenergebnis hat auch der mitberatende Ausschuss für Jugend und Sport entschieden.

Im Übrigen gebe ich den Bericht zu Protokoll.

(Beifall bei der SPD)

(Zu Protokoll:)

Auch wenn sich diese Ablehnung bereits in der ersten Plenarberatung des Antrages am 24. Januar 2002 abzeichnete, so hat der Ausschuss doch versucht, den vielschichtigen Problemen der Jugendkriminalität und deren konsequenter Bekämpfung

nicht nur im Wege der üblichen Ausschussberatungen nachzugehen. Vielmehr war er bemüht, durch die Anhörung von Jugendpsychologen, Jugendstaatsanwälten, Richtern, Kriminologen und des Leiters einer Jugendanstalt sich - auch über die Landesgrenzen hinweg - sachkundig zu machen.

Indes ist das Ergebnis dieser Anhörung zumindest nach Auffassung der Ausschussmehrheit keineswegs eindeutig.

So ist die in Nr. 1 des Entschließungsantrages enthaltene Forderung, Richtern bei der Verurteilung von jugendlichen Straftätern zukünftig auch die Möglichkeit zu geben, neben einer Bewährungsstrafe auch Jugendarrest als eine Art „Warnoder Einstiegsarrest“ anordnen zu können, ebenso auf Zustimmung wie auf Ablehnung gestoßen.

Kaum anders verhält es sich zu Nr. 2 des Antrages. Keiner der Sachverständigen hat die darin enthaltene Forderung, das Fahrverbot als Zuchtmittel des Jugendstrafrechts zu verankern, als wirklich Erfolg versprechend angesehen. Vielmehr überwog die Skepsis, dass als Folge dessen gerade ein „Abgleiten“ in Folgedelikte befürchtet werden müsse.

Einig waren sich die Sachverständigen zwar in der Beurteilung der in der Nr. 3 geforderten Verhängung einer Sanktion „Meldepflicht“; ebenso bestand allerdings Einigkeit darüber, dass es hierfür keiner gesetzlichen Regelung bedürfe, weil die Meldepflicht nach § 10 Jugendgerichtsgesetz auch heute schon verhängt werden könne.

Durchgängig kontrovers diskutiert worden ist die Frage, in welchen Fällen das Jugendstrafrecht oder aber das Heranwachsendenstrafrecht Anwendung finden solle. Insbesondere diejenigen Sachverständigen, die in ihrer praktischen Arbeit täglich mit straffälligen Jugendlichen in Berührung kommen, haben sich hier eher für ein einheitliches Heranwachsendenstrafrecht und damit für die Aufgabe der Unterscheidung zwischen Jugendstrafrecht und Erwachsenenstrafrecht ausgesprochen.

Für wenig Erfolg versprechend, weil im Regelfall kaum anwendbar, haben die Sachverständigen schließlich die in Nr. 5 des Antrages behandelten Vorschläge zur Einführung eines so genannten „Beschleunigten Verfahrens“ angesehen. Zumeist stehe schon das Erfordernis, sich ein umfassendes Bild von einem jugendlichen Straftäter machen zu müssen, einer Verfahrensbeschleunigung entgegen.

Die Sprecher der antragstellenden CDU-Fraktion räumten in den der Anhörung folgenden Ausschussberatungen zwar ein, dass die Anhörung kein einheitliches Meinungsbild ergeben habe, hielten jedoch angesichts der nach wie vor bestehenden Notwendigkeit zu einer konsequenteren Bekämpfung der Jugendkriminalität unverändert an ihrem Antrag fest.

Dagegen bekräftigten die Vertreterinnen und Vertreter der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unter Hinweis auf die Ergebnisse der Anhörung die Ablehnung des Antrages. Selbst wenn man der Auffassung sei, es bedürfe zur Bekämpfung der Jugendkriminalität weiterer - auch rechtlicher - Schritte, so habe doch das Ergebnis der Anhörung gezeigt, dass es die im CDU-Antrag enthaltenen Vorschläge jedenfalls nicht sein könnten. Deshalb sei es auch nur folgerichtig, den Antrag abzulehnen. Wenn die CDUFraktion meine, andere Vorschläge unterbreiten zu sollen, so sei ihr dies nicht verwehrt. Dann reiche es jedoch nicht aus, auf dem vorgelegten Antrag zu beharren; dann müssten entsprechende Formulierungsvorschläge in die Beratungen eingeführt werden , über die man sich dann erneut auseinander setzen könne.

Soweit zum wesentlichen Inhalt der Beratungen im federführenden Ausschuss. Ich bitte Sie namens des Ausschusses, den Antrag in der Drucksache 14/3038 abzulehnen.

Damit sind wir in der Beratung. Die beiden großen Fraktionen haben bis zu acht Minuten Redezeit, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bis zu vier Minuten und die Landesregierung ebenfalls bis zu vier Minuten.

Das Wort hat zunächst Herr Dr. Biester für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausschussberatungen und auch die eine oder andere öffentliche Äußerung der Landesregierung haben es gezeigt: Bei dem Thema Bekämpfung der Jugendkriminalität prallen sehr unterschiedliche Auffassungen aufeinander. Das beginnt bereits bei der Beurteilung der Ausgangslage. Die Landesregierung bagatellisiert das Thema. Der Justizminister spricht davon, dass die Zahlen in der Jugend

kriminalität rückläufig seien. Der Innenminister äußert sich zu diesem Thema dahin gehend, dass er sehr einseitig und aus meiner Sicht auch diskriminierend dieses Phänomen den Aussiedlern zuschiebt.

Die Fakten sind jedoch andere. Sie haben soeben dankenswerterweise den Bericht zur inneren Sicherheit von 1992 bis 2001 vorgelegt. Ich zitiere aus Seite 168, auf der die Zahlen aufgeführt sind. Wir haben im Bereich der Gewaltkriminalität bei Jugendlichen, d. h. der Tätergruppe von 14 bis 18 Jahren, eine Zunahme von 98,2 % - das ist eine Verdoppelung - und bei Heranwachsenden, d. h. der Tätergruppe von 18 bis 21 Jahren, von 51 %. Nehmen wir die Raubdelikte, so ist bei Jugendlichen eine Zunahme von 146,3 % und bei Heranwachsenden von 66,4 % zu verzeichnen. Bei der gefährlichen Körperverletzung beträgt die Zunahme bei Jugendlichen 85,7 % und bei Heranwachsenden 51,1 %. Die Jugendkriminalität ist stetig angestiegen. Sie stagniert derzeit auf einem sehr hohen Niveau. Sie verschließen die Augen davor, wir wollen handeln.

Es sind gerade diese Gewaltdelikte und nicht, um das ganz klar zu sagen, das Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln, die uns bedrücken und die aus unserer Sicht eine staatliche Reaktion erfordern. Täter, die zu solchen Gewaltdelikten fähig sind, sind nicht mit den üblichen Zuchtmitteln des JGG wie Ermahnung, gemeinnützige Arbeit oder Vergleichbares zu erreichen.

Wie reagiert nun der Staat darauf? - Gerade bei diesen Gewaltdelikten werden Heranwachsende fast immer als Jugendliche und nicht als Erwachsene - und demgemäss nach Jugendstrafrecht behandelt. Das ist in den Beratungen im Rechtsausschuss sehr deutlich geworden.

Diese Zahlen sind eigentlich sehr erstaunlich. Bei den Straßenverkehrsdelikten werden heranwachsende Täter zu 39,65 % nach Jugendstrafrecht, aber zu 60,35 % nach Erwachsenenstrafrecht behandelt werden. Wie sehen die Zahlen bei Raub aus? - Bei Raub werden heranwachsende Täter zu 97,37 % als Jugendliche und nur zu 2,63 % als Erwachsene behandelt, bei räuberischer Erpressung zu 98,4 % als Jugendliche und nur zu 1,6 % als Erwachsene.

Wie kann es sein, das bei Straßenverkehrsdelikten zwei Drittel der heranwachsenden Täter keine Entwicklungsdefizite haben, also wie erwachsene

Täter behandelt werden, aber bei räuberischer Erpressung und Raub nahezu 100 % der Täter Entwicklungsverzögerungen haben sollen und deshalb nicht nach Erwachsenenstrafrecht, sondern nach Jugendstrafrecht behandelt werden sollen?

(Wegner [SPD]: Das können Sie sich nicht erklären?)

- Das kann ich mir erklären. Das ist der Wille des Richters, ein bestimmtes Strafmaß nicht zu übersteigen.

Wir wollen vor diesem Phänomen nicht die Augen verschließen, und man kann darauf auch nicht so reagieren, dass man - wie Sie, Herr Minister - sagt, das liegt außerhalb unserer Möglichkeiten, das ist Richterrechtsprechung, da können wir nicht ran.

Die Richter wenden die Gesetze an, die wir ihnen vorgeben. Ändern wir das Gesetz, ändern wir damit natürlich auch die Rechtsprechung. Die Lösung dieser Frage liegt auf der Hand: Wir brauchen in der Frage „Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht?“ schlicht eine Umkehr der Beweislast.

(Vizepräsident Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Wir meinen auch, das Täter, die solche Gewalttaten begehen, nicht mit 68er-Methoden, also nach dem Motto „lasst uns mal darüber reden“ zu behandeln sind, sondern wir meinen, dass hier zwingend ein Nachjustieren im Bereich des Sanktionenrechts erforderlich ist.

(Beifall bei der CDU)

Wir fühlen uns darin auch durch die Erkenntnisse aus den Ausschussberatungen bestärkt. Es waren die Praktiker, es war der Staatsanwalt, und es war der Richter, die unsere Vorschläge uneingeschränkt befürworteten, und es waren die Theoretiker, die der Meinung waren, dass Strafen überhaupt keinen präventiven Charakter hätten und dass man nur mit Präventionsmaßnahmen zurecht käme.

Um das ganz eindeutig zu sagen und damit hier keine Schieflage entsteht: Wir von der CDU meinen, wir brauchen beides. Natürlich brauchen wir präventive Maßnahmen, damit Jugendliche gar nicht erst in die Kriminalität hinabgleiten. Aber wir brauchen auch ein deutliches Strafensystem, damit der Jugendliche merkt, dass der Staat bereit ist, auf dieses Phänomen der Gewaltkriminalität zu reagieren.

Wie sieht die Meinung der Landesregierung z. B. zu der Frage aus: Können Strafen überhaupt wirken? Wir fordern in Nr. 5 unseres Entschließungsantrags ein beschleunigtes Jugendverfahren. Als der Antrag erstmalig im Januar beraten wurde, äußerte sich der Minister Pfeiffer insofern dazu, als er alle unsere Vorschläge in Bausch und Bogen verwarf und in einer Presseerklärung am 25. Januar wörtlich verbreiten ließ: Die Forderungen der CDU-Fraktion sind samt und sonders untauglich, der Kriminalität und Gewalt von und unter Jugendlichen wirksam zu begegnen. - Neun Monate später gibt sich der Minister geläutert. In seiner Presseerklärung vom 12. September 2002 führt er nun aus, dass beschleunigte Jugendverfahren für jugendliche Intensivtäter durchaus geeignet seien. Es heißt, damit bekämen die jugendlichen Täter die Konsequenzen ihres strafbaren Handelns unmittelbar zu spüren, was sowohl - man höre und staune einen präventiven als auch einen erzieherischen Effekt habe. Was gilt denn nun, Herr Minister? Wirken Strafen präventiv oder nicht präventiv? Wollen Sie beschleunigte Jugendverfahren, oder wollen Sie diese nicht? - Ihre Haltung in diesem Punkt ist bisher schwammig und inkonsequent.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir erinnern auch an ein Verbrechen im September 2002 in Baden-Württemberg. Da hat ein Sexualstraftäter zum Messer gegriffen und eine junge Frau aus sexuellen Motiven angegriffen. Dieser Täter hatte gerade eine zehnjährige Jugendstrafe wegen dreifachen Mordes verbüßt. Zum Zeitpunkt der Begehung der Tat war er Heranwachsender. Er ist natürlich nach Jugendstrafrecht behandelt worden und dementsprechend für einen dreifachen Mord nach zehn Jahren aus der Haft entlassen worden. Diesem Opfer, meine Damen und Herren, werden Sie nicht erklären können, dass der Staat diese neue Tat nach so kurzer Zeit nach einem vorher begangenen dreifachen Mord nicht verhindern konnte.

Wir fordern deshalb in unserem Antrag: Erwachsenenstrafe für Heranwachsende als Regelfall und Jugendstrafe als Ausnahme, beschleunigte Verfahren aus präventiven Gründen, Einführung einer Meldepflicht und eines Fahrverbotes als Sanktionen im Jugendgerichtsgesetz und ein Jugendarrest auch neben einer verhängten Jugendstrafe zur Bewährung, damit die Sanktionen unmittelbar auch für den Jugendlichen spürbar werden. Meine Damen und Herren, dies ist neben Präventivmaßnahmen angemessen, geboten und geeignet, der be

trüblichen und bedauerlichen Gewaltkriminalität wirksam entgegenzuwirken.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Herr Kollege Helberg, Sie haben jetzt das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Jugendgerichtsgesetz ist zuletzt 1990 geändert worden. Es ist dabei in den Grundstrukturen erhalten geblieben. Zugleich hat es aber den Erziehungsgedanken wesentlich verstärkt. Es sind z. B. weitere erzieherisch wirkende Rechtsfolgen in den Katalog der Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel eingefügt worden. Ferner sind die Jugendstrafe von unbestimmter Dauer abgeschafft und die Strafaussetzung zur Bewährung vorsichtig erweitert worden. Neben weiteren Änderungen ist auch der erzieherische Aspekt verbessert worden. Es war seinerzeit gewissermaßen eine Gesetzesänderung mit Augenmaß von der CDU-Regierung, die von Praxis und Wissenschaft gleichermaßen respektvoll beurteilt worden ist.

(Plaue [SPD]: Hört, hört!)

Daran gemessen ist Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, geradezu dürftig, erkennbar von der populistischen Erwartung geleitet, damit das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung parteipolitisch zu instrumentalisieren.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie wollen die Menschen glauben machen, mit den von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen werde der Schutz vor jugendlichen Straftätern nennenswert verbessert. Dabei sind tatsächlich die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen weder einzeln noch im Ganzen dazu geeignet.

Hinter Ihrem Antrag steht offenbar die Erwartung, mit ansteigender Härte jugendstrafrechtlicher Sanktionen ließen sich Erst- oder Wiederholungstäter abschrecken. Das lässt sich aber weder aus empirischer Sicht noch aus der Erfahrung in der Praxis spezialpräventiv begründen.

Wir sind selbstverständlich daran interessiert, uns jederzeit auch mit Ihnen über wirksame Konzepte bei der Kriminalitätsbekämpfung zu unterhalten.

Das gilt z. B. für das vorgezogene Jugendverfahren. Denn eine angemessene Reaktion auf jugendliche Delinquenz ist notwendig. Aber eindeutig aus Populismus eingebrachte Anträge lehnen wir ebenso entschieden ab.

(Zustimmung bei der SPD)