Protokoll der Sitzung vom 11.12.2002

(Beifall bei der SPD)

Ich bin der Überzeugung, dass wir richtig gehandelt haben, die Gesetzgebung des Bundes als Richtschnur für die landesrechtlichen Regelungen zu nehmen.

Wir haben übrigens mit den Ländern vereinbart, dass wir versuchen, gleiche Verhältnisse in den Ländern zu schaffen, indem wir uns an den bundesgesetzlichen Regelungen orientieren. Das heißt, dass wir die zentralen Begriffe dieses Gesetzes zur Behinderung, zur Barrierefreiheit und zum Benachteiligungsverbot in Übereinstimmung mit den Bundesregelungen definiert haben. Wir vermeiden damit Definitions- und Rechtsunsicherheit. Das gebietet bereits die Prämisse, dass die Gleichstellung behinderter Menschen in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung fällt.

Darüber hinaus übernehmen wir die Ziele und wesentlichen Verpflichtungen, die der Bund für seinen Zuständigkeitsbereich vorsieht, für alle Träger öffentlicher Verwaltung im Lande. Gleichstellungspolitik gewinnt dadurch eine klare Struktur und ist nachvollziehbar.

Die Fraktion der Grünen hat im Mai 2000 einen Gesetzentwurf zur Durchsetzung der Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen eingebracht. Er ist nach meiner fachlichen und politischen Überzeugung jedoch nicht mehr geeignet, die Basis für die weitere parlamentarische Beratung eines Landesgleichstellungsgesetzes zu bilden. Das liegt daran, dass nicht wenige Regelungen des Entwurfs der Grünen mittlerweile durch die Gesetzgebung des Bundes überholt sind und dass Begriffsdefinitionen wesentlich von denen des SGB IX und des Bundesgleichstellungsgesetzes abweichen. Dies führt zu Rechtsunsicherheit.

Darüber hinaus bleibt der Gesetzentwurf der Grünen in einigen Bereichen hinter dem der Landesregierung zurück. Erwähnen möchte ich dabei nur die Themen Zielvereinbarung, Gebärdensprache, Bescheide und Vordrucke für behinderte Menschen sowie barrierefreies Internet.

Schließlich will ich auch deutlich sagen: Der Entwurf enthält Regelungen, die zwar einen rechtlich weitergehenden Gehalt haben mögen, wie z. B. die Regelungen zur integrativen Erziehung und Beschulung von Kindern und jungen Menschen. Angesichts der Erfolge und Fortschritte, die wir auf der Basis der regionalen Konzepte gemacht haben, halte ich solche gesetzgeberischen Interventionen jedoch nicht für wegweisend.

(Frau Schliepack [CDU]: Warum nicht?)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Anhörung ist erneut deutlich geworden, in welchem Spannungsfeld wir uns beim Thema Gleichstellung behinderter Menschen bewegen. Einerseits hat uns die große Mehrheit der Verbände behinderter Menschen und der Landesbehindertenbeauftragte bestätigt, dass eine Vielzahl ihrer Erwartungen mit dem Gesetzentwurf erfüllt wird. Andererseits wurde natürlich auch Kritik geäußert, wurden weitergehende Vorschläge gemacht, mit denen wir uns in der Gesetzesbegründung ausführlich auseinander setzen.

Es verblüfft auch nicht, dass den Forderungen der Verbände nach weitergehenden Regelungen die kritische Haltung von Trägern öffentlicher Verwaltung im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes gegenübersteht. Das ist das zentrale Spannungsverhältnis.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin der Überzeugung, dass sich dieser Gesetzentwurf sehen lassen kann. Er trägt sowohl den Interessen behinderter Menschen an einer Gleichstellung als auch den Interessen der Träger öffentlicher Verwaltung Rechnung. Er ist ausgewogen. Die Gleichstellung behinderter Menschen ist ein wichtiges Thema. Darin sind wir uns einig. Sie ist mir ein politisches Herzensanliegen. Ich werde mich mit allem Nachdruck dafür einsetzen, dass dieser Gesetzentwurf zugunsten der behinderten Menschen in Niedersachsen Realität wird. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. - Mir liegt eine Wortmeldung von Frau Jahns vor. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem das Bundesgesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen am 1. Mai 2002 in Kraft getreten ist, ist eben der niedersächsische Gesetzentwurf eingebracht worden. Das heißt, die Landesregierung kommt jetzt ihrer Verpflichtung nach, einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen. Wie wir eben von Frau Ministerin Dr. Trauernicht gehört haben, haben Bündnis 90/Die Grünen bereits im Jahre 2000 einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Es gab auch einen Entwurf des Behindertenberaters des Landes Niedersachsen, Herrn Finke,

(Plaue [SPD]: Beauftragter!)

den sich die Grünen zu Eigen gemacht haben. Mit diesem Gesetzentwurf sind uns viele Regelungen vorgelegt worden, die nunmehr keine Berücksichtigung mehr finden. Insofern ist der Gesetzentwurf, den wir heute zu beraten haben, nicht der große Wurf, wie es verbreitet wird.

Nach einhelliger Auffassung der Verbände bleibt dieser Gesetzentwurf weit hinter den Regelungen des Bundesgesetzes zurück, was z. B. die Begriffsbestimmung der Barrierefreiheit oder auch die Integration betrifft.

Leider muss ich auch feststellen, dass im Titel des Bundesgesetzes die Formulierung „Gleichstellung behinderter Menschen“ verwendet wird. Wir sind uns jedoch seit einigen Jahren darüber einig, dass wir diese Begriffe nicht mehr verwenden wollen, sondern dass es sich vielmehr um Menschen mit Behinderungen und nicht um behinderte Menschen handelt. Auch die Verbände haben im Rahmen der Anhörung hierauf aufmerksam gemacht. Die Landesregierung hat sich aber auf das Bundesgesetz berufen und gesagt, dass entsprechend den Begriffsbestimmungen im Bundesgesetz auch im niedersächsischen Gesetzentwurf der Begriff „behinderte Menschen“ verwendet werden müsse. Besonders betroffen gemacht hat mich § 2, dessen Überschrift „Behinderte Frauen“ lautet.

(Frau Schliepack [CDU]: Schlimm ist das!)

Ich glaube, das wird dem heutigen Anspruch nicht mehr gerecht.

(Beifall bei der CDU)

An dieser Stelle hätte die Formulierung „Frauen mit Behinderungen“ verwendet werden sollen, zumal Frauen in diesem Bereich ohnehin sehr benachteiligt sind.

(Frau Schliepack [CDU]: Ich kenne auch viele behinderte Männer!)

Auf Bundesebene mussten durch das Gesetz mehr als 50 verschiedene Gesetze geändert werden. Ich möchte nur am Rande erwähnen, dass auch die Hufbeschlagverordnung geändert werden musste.

Ziel des Gesetzes ist - das ist als Entwicklungschance bzw. als Einstieg zu werten -, Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Das ist etwas, was uns allen am Herzen liegt. In den vergangenen Jahren hat es hier einen Paradigmenwechsel gegeben, dem durch diese gesetzlichen Bestimmungen in der Weise Rechnung getragen wird, dass wir Gesetzesvorschriften weiterentwickeln und die Teilnahmemöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben verbessern können.

Im Baurecht sind in den letzten Jahren viele Regelungen getroffen worden, die dazu geführt haben, dass die Kommunen bereits bestimmte Maßnahmen durchgeführt haben. So ist bei den Neubauten und Umbauten in vielen Kommunen dem Umstand Rechnung getragen worden, dass es Menschen mit Behinderungen gibt. Viele Einrichtungen sind entsprechend gestaltet worden.

Wichtig ist, dass durch die Änderung der Niedersächsischen Bauordnung weitere Voraussetzungen geschaffen worden sind.

Für uns als CDU-Fraktion ist es ein guter Vorstoß, dass Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen Menschen mit Behinderungen zugänglich gemacht werden. Das ist in diesem Gesetzentwurf positiv geregelt. Es ist natürlich die Frage, wie die Kostenregelung für diese Aufgabenübertragung aussehen soll.

Dass Zielvereinbarungen mit Trägern öffentlicher Verwaltung zur Herstellung von Barrierefreiheit in Gebäuden und Einrichtungen getroffen werden können, ist eine neue Möglichkeit, durch die Behörden bzw. Trägern öffentlicher Verwaltung die Chance gegeben wird, auf Menschen mit Behinderungen Rücksicht zu nehmen und in diesem Bereich Verbesserungen vorzunehmen.

Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen wird durch das Recht auf Verwendung von Gebärdensprache und anderer Kommunikationshilfen wesentlich verbessert. Dadurch wird eine Steigerung der Lebensqualität erreicht. Leider hat die Landesregierung keinen Vorschlag zur Finanzierung der durch diese Aufgabenübertragung entstehenden Kosten gemacht. In einer Beziehung hat sie geregelt, dass die Auslagen, die z. B. bei der Zurverfügungstellung von Dolmetschern entstehen, nicht nach dem Verwaltungskostengesetz abgegolten werden können.

Eine Abschätzung der Kosten fehlt völlig. Aus der Begründung ist ersichtlich, dass auch die Kommunen nicht in der Lage waren, die Kosten zu beziffern. Aber ich denke, es muss zumindest eine Regelung geben, durch die den Kommunen eine Lösungsmöglichkeit in Aussicht gestellt wird. Entweder muss ein Kostenträger gefunden werden, oder die Landesregierung muss im Rahmen des Finanzausgleichs dafür sorgen, dass die Kommunen eine Finanzierungsmöglichkeit haben.

Auch durch die Anpassung von Bescheiden und Vordrucken entstehen zusätzliche Kosten für die Träger öffentlicher Verwaltung, die gedeckt werden müssen. Unserer Ansicht nach ist die Anpassung der Bescheide für die Menschen mit Behinderungen sehr wichtig; denn es ist ein großer Fortschritt, dass Menschen mit Behinderungen aufgrund der verbesserten Bescheide und Vordrucke die Möglichkeit haben, ihre Behördengänge selbst zu erledigen bzw. dass sie für sie mit einem geringeren Aufwand verbunden sind. Das Land hat aber auch die Möglichkeit, Verordnungen zu erlassen, um so entsprechende Regelungen zu treffen.

Die Verbandsklage, meine Damen und Herren, ist ein neues Instrument in diesem Bereich. Wir begrüßen es, dass nach diesem Gesetz die Menschen mit Behinderungen bei Rechtsverletzungen die Möglichkeit haben, sich selbst zu vertreten, und Gestaltungs- oder Leistungsklage erheben können. Aber welche Bedeutung hier die Verbandsklage hat, das müssen wir noch im Rahmen der Beratungen klären.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat im Rahmen des Anhörungsverfahrens viele und zum Teil sehr umfangreiche Stellungnahmen von den Verbänden und den Betroffenen-Organisationen bekommen. Leider - das ist aus der Begrün

dung zu erkennen - sind diese Anregungen und Bedenken kaum berücksichtigt worden.

Insbesondere fehlt in der schriftlichen Begründung des Gesetzentwurfs eine Darstellung der finanziellen Auswirkungen. Gerade die Zielvereinbarungen werden für die Träger öffentlicher Verwaltung erhebliche Kosten nach sich ziehen. Aber ich meine, dass wir hierfür auch Lösungsmöglichkeiten finden.

Es wird damit eine große Chance vertan, den Menschen mit Behinderungen eine noch höhere Lebensqualität durch gleichwertige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen bzw. zu gewährleisten. Aber vielleicht haben wir ja die Möglichkeit, dies im Rahmen der Beratungen zu erweitern.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Welche Be- ratungen?)

Es wäre schön gewesen, wenn wir die Beratung des Gesetzentwurfs noch in dieser Legislaturperiode hätten abschließen können. Aber da er so kurz vor Ende der Legislaturperiode eingebracht wurde, ist das natürlich nicht mehr machbar. Wir hatten zwar zunächst überlegt, auf eine Anhörung zu verzichten. Aber dadurch, dass im Rahmen der Anhörung der Landesregierung so viele Verbände Stellungnahmen abgegeben haben, die wir nicht auswerten können, ist es für uns zwingend, eine Anhörung durchzuführen, um diese Anregungen mit einzubinden.

Letztlich wollen wir alle gemeinsam eine Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen erreichen und deshalb ein Gesetz verabschieden, das den Namen Gleichstellung von Menschen mit Behinderung verdient.

(Beifall bei der CDU)

Insofern meine ich, dass wir diese Themen in den Ausschussberatungen zusammen mit den Verbänden erörtern und den Gesetzentwurf, der zurzeit noch nicht viel Aussagekraft hat, noch erweitern werden. Ich hoffe, dass wir dann eine gemeinsame Lösung für die Menschen mit Behinderung erreichen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Frau Jahns. - Frau Kollegin Pothmer, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Jahns, da bin ich ganz anderer Auffassung als Sie. Wir werden ja überhaupt keine Gelegenheit mehr haben, diesen Gesetzentwurf seriös zu beraten und noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.

(Schwarz [SPD]: In der nächsten aber! Wir werden doch alle wieder- gewählt!)

Dieser Gesetzentwurf ist - das muss man einmal deutlich sagen - reine Makulatur. Es macht von daher überhaupt keinen Sinn, inhaltlich auf ihn einzugehen.

(Wernstedt [SPD]: Es ist doch schön, Sie dazu reden zu hören!)

Das wäre aber dringend nötig. Darüber haben wir ja geredet. Auf eine Ausschussberatung können wir überhaupt nicht verzichten, weil dieser Gesetzentwurf - ganz anders als der Gesetzentwurf, der auf der Bundesebene entstanden ist -, eben nicht - -

(Schwarz [SPD]: Ich habe zehn Sit- zungen im Januar angeboten!)

- Uwe, du warst doch derjenige, der gleich gesagt hat, dass es überhaupt keinen Sinn macht, diesen Gesetzentwurf zu beraten. Das kam doch ausgerechnet von dir!