Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, alle Vorrednerinnen haben deutlich gemacht, wie kompliziert die Materie ist. Allerdings habe ich mich über die Ausführungen von Frau Litfin sehr gewundert.
Die Bekenntnisschulen haben folgendes Problem: Sie sind staatliche Grundschulen - Frau Vogelsang hat das gesagt -, die allerdings konfessionell gebunden sind. Sie haben einen Unterschied zu den „normalen“ staatlichen Grundschulen: Sie können sich nämlich die Grundschülerinnen und Grundschüler aussuchen. Stellen Sie sich vor, da sind zwei Grundschulen, nämlich eine Bekenntnisgrundschule und eine Gemeinschaftsgrundschule. Die eine Grundschule kann sich die Schülerinnen und Schüler aussuchen, also die katholischen Schülerinnen und Schüler, und kann dann noch andere aufnehmen. Das führt fast zwangsläufig dazu, dass wir auf der einen Seite eine Schule haben, die von einem bestimmten Bildungsbürgertum gewählt wird und dann zu einer Art Elitegrundschule wird, und auf der anderen Seite eine Restgrundschule haben.
Das ist genau das, was wir nicht wollen. Deswegen waren wir uns eigentlich bis heute immer einig, dass es sehr sinnvoll ist, eine Höchstgrenze für die Auswahlmöglichkeiten bei diesen Bekenntnisschulen einzuziehen. Ich bin jetzt sehr erstaunt, dass sowohl von der CDU-Fraktion als auch von der Fraktion der Grünen diese 15-%-Regelung in Bausch und Bogen abgelehnt wird.
- Flexibilität hat diese Lösung auch; denn die Bekenntnisgrundschulen können natürlich auch weniger als 15 % aufnehmen. Das Einzige, was sie nicht können, ist, mehr aufzunehmen. - Das hat - wie gesagt - auch seinen guten Grund und ist übrigens auch Teil unseres Schulgesetzes, in dem sehr deutlich steht, dass sie Schülerinnen und Schüler eines anderen Bekenntnisses nur in geringem Umfang aufnehmen können. Das heißt, man
Frau Vogelsang, mich verwundert das, was Sie gesagt haben; denn wir hatten im Dezember noch Einigkeit. Sie waren als einzige Person der CDUFraktion allerdings nicht so ganz davon überzeugt, dass es sinnvoller ist, diese Regelung nicht in das Wahlkampfgetümmel hineinzuziehen, sondern hinterher zu entscheiden. Die katholische Kirche war nach Aussage des Katholischen Büros damit sehr einverstanden. Sie will nämlich auch nicht, dass wir Elitegrundschulen bekommen. Das würde auch ihrem christlichen Ansatz widersprechen. Ich meine, ein solcher Antrag sollte - -
- Allein Ihr Dazwischengerufe zeigt, wie unsinnig es ist, so etwas in einer solchen Atmosphäre zu beschließen.
Meine Damen und Herren, mir liegen weitere Wortmeldungen zu diesem Antrag nicht vor. Ich schließe daher die Beratung.
Die Fraktion der CDU hat in Person von Frau Vogelsang sofortige Abstimmung beantragt. Das ist nach § 39 Abs. 3 Satz 2 unserer Geschäftsordnung möglich. Ich frage entsprechend unserer Geschäftsordnung zunächst, ob Ausschussüberweisung beantragt wird. - Das ist der Fall.
Ich bitte um Ihr Handzeichen, wenn Sie Ausschussüberweisung wünschen, meine Damen und Herren. Ich bitte noch einmal um Ihr Handzeichen. - Ich stelle fest, dass sich das erforderliche Quorum von 30 Mitgliedern für eine Ausschussüberwei
sung ausgesprochen hat. Der Ältestenrat schlägt vor, den Kultusausschuss mit der Federführung zu beauftragen.
Wenn Sie dem zustimmen möchten, bitte ich um Ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Meine Damen und Herren, bei einigen Gegenstimmen haben Sie so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 47: Einzige (abschließende) Beratung: "Jüdischer Buchbesitz als Raubgut" in öffentlichen Bibliotheken Niedersachsens Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 14/4081
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Habent sua fata libelli, heißt es seit der Spätantike: Bücher haben ihr eigenes Schicksal.
Das hat immer gegolten. Aber es lohnt sich, auf eine Art von Bücherschicksal besonders zu achten: Nach 1933 hat es zunächst unsystematisch und dann institutionell in Deutschland den Raub jüdischer privater Bücher gegeben, die vielfach in öffentlichen Bibliotheken gelandet sind. Dies ist sogar noch nach 1945 geschehen, als verschleppte Buchbestände in deutsche Bibliotheken ohne nähere Prüfung in die Bestände aufgenommen worden sind. So haben wir heute in ganz Deutschland, auch in den Landes- und Universitätsbibliotheken, eine große Zahl von geraubten Büchern, ohne dass dies noch bekannt ist. Inzwischen wissen wir, dass die damaligen Bibliotheken keine rühmliche Rolle bei der Inventarisierung gespielt haben.
Während die Rückgabe von geraubten Kunstschätzen - ich denke auch an den Hannoveraner Lissitzky - an die ehemaligen Besitzer oder deren Erben in der Regel systematisch, unter großer Aufmerk
Wir verhandeln zu Recht mit den Russen, den Georgiern, den Polen, den Litauern und anderen darüber, wie aus Deutschland verschleppte Buchbestände und Kunstschätze zurückgegeben werden können. Dies genießt wiederum große Aufmerksamkeit. Gleichzeitig ist aber die Sorge über die geraubten Bestände in unseren eigenen Bibliotheken weniger groß.
Das Problem zu benennen ist aber - so glaube ich im Namen aller hier im Hause vertretenen Fraktionen sagen zu können - eigentlich schon die Zielsetzung. Es ist unsere Aufgabe, solche Bücher aufzuspüren und den rechtmäßigen Besitzern oder deren Erben zurückzugeben. Vielfach haben einzelne Bibliotheken und Einzelpersonen damit begonnen: In Niedersachsen sind die Landesbibliothek und die Stadtbibliothek in Hannover sehr weit fortgeschritten, die Arbeiten in den Bibliotheken in Bremen, Marburg, Tübingen und Freiburg ebenfalls.
Es ist ohne weiteres einsehbar, dass die Identifizierung solcher Bücher unter den Millionenbeständen großer Bibliotheken zeitaufwendig ist, geschultes Personal erfordert und mit großer Mühsal verbunden ist. Dennoch muss von allen begriffen werden, dass dies eine moralische berufliche Pflicht ist und auch so angenommen wird.
Die gemeinsame Erklärung des Bundes, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur „Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ - wie das offiziell heißt - von 1999 hat vor zwei Jahren eine konkrete Handreichung zur Folge gehabt.
Mehr als 200 Wissenschaftler, Bibliothekare und Antiquare haben auf einem gemeinsamen Symposium, das der Landtag gemeinsam mit der Niedersächsischen Landesbibliothek in Hannover im November 2002 hier im Hause veranstaltet hat, darüber geklagt, dass die Umsetzung der Handreichungen zu schleppend und vor allem nicht systematisch genug erfolgt. Daher ist in einer Erklärung darauf hingewiesen worden, dass eine politische Willenskundgebung sehr nützlich sein könnte.
Dies ist der Hintergrund für den heutigen Antrag, den Frau Kollegin Litfin und ich formuliert haben und den die drei Fraktionen ohne Wenn und Aber unterstützen. Die Hinweise auf die konkreten Maßnahmen dieser Entschließung sind fachlich
begründet. Sie erfordern keine unmittelbaren Landesmittel, machen aber deutlich, dass über Forschungsaufträge, Diplom- und Magisterarbeiten, durch Erfahrungsaustausch und Ausbildungsordnungen der Problemlösung ein neuer Schub gegeben werden kann.
Es handelt sich um mehr als einen bürokratischen Akt. Bücher, deren Eigentümer beraubt und ermordet worden sind, zu finden und den Erben zurückzugeben, ist ein Akt von hoher symbolischer Bedeutung, ganz gleich, wie wertvoll das einzelne Buch sein mag. In nicht wenigen Fällen wird es das einzige original erhaltene Erinnerungsgut seiner oder ihrer Vorfahren sein.
Ich bin sehr dankbar, dass es in dieser Frage keinen politischen Dissens im Niedersächsischen Landtag gibt. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Anlässlich der Debatten um die Zwangsarbeiterentschädigung habe ich u. a. von Zeichen der Reue gesprochen. Wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit verweise ich auf die seinerzeitigen Ausführungen.
Die heutige Aussprache über den gemeinsamen Antrag aller Fraktionen des hohen Hauses bezüglich des geraubten jüdischen Buchbesitzes macht für mich erneut in erschreckender Weise deutlich, wie facettenreich, ja nahezu allumfassend grausam das nationalsozialistische Unrechtsregime entweder selbst gewirkt hat und was es in großen Teilen unseres Volkes seinerzeit bewirkt hat. Es ist ebenso erschütternd wie gesinnungsfinster-konsequent zugleich. Wer vor der Würde des anderen, vor dessen Leben nicht Halt macht, wer es zuvor auch noch qualvoll, womöglich bei eigenem Lustempfinden, drangsaliert, der macht natürlich auch vor dessen Gütern nicht Halt.
Doch um auf den heutigen Antrag zurückzukommen: Jedes einzelne geraubte Buch ist nicht nur ein stummer Zeuge begangenen Diebstahls, es ist zugleich ein stummer Schrei enteigneter oder oft gar bestialisch hingerichteter Menschen. Jedes ein
zelne Buch steht zudem für die ungezählten achtlos, verachtet verbrannten, jedes einzelne Werk birgt innen einen Teil des ursprünglich großen literarischen Schatzes geistig-kulturell herausragend Wirkender. Zugleich hat jedes von ihnen die Doppelfunktion des Vernichtungsindikators eines Großteils einzigartiger Literatur.
Mich macht es betroffen, aber es verwundert mich nicht, dass nach dem Krieg über Jahre hinweg auch nicht über dieses Mosaikstück begangenen Unrechts gesprochen wurde. Wenn es einem Unrechtsregime gelingt, große Teile eines Volkes derart zu blenden, wie es tragischerweise geschehen ist, ist es wohl lange Zeit blind oder bestenfalls schamlos sprachlos, was keine Entschuldigung, sondern der Versuch einer Erklärung sein soll.
Da wir uns aber in dem Bemühen einig sind, die Augen nicht vor dem dunkelsten Bereich unserer Geschichte zu verschließen, da wir in stellvertretender Verantwortung das begangene Unrecht als solches erkennen, ist es nur folgerichtig, von dem loszulassen, was uns nicht gehört. Alles andere wäre erneut unglaubwürdig, und wir selbst würden uns an dem Fortwirken des Finsteren durch Tatenlosigkeit tatkräftig beteiligen. Das Gegenteil müssen wir tun, wie der Herr Präsident ausgeführt hat, und zwar so umfassend und schnell wie irgend möglich.
Es schmerzt mich allerdings in besonderer Weise, dass wir in aller Regel wohl nur wenige Bücher der rechtmäßigen Besitzerin bzw. dem rechtmäßigen Besitzer werden zurückgeben können. Auch wenn dies nur in Ausnahmefällen möglich sein wird, sollten wir unbeschadet dessen dafür Sorge tragen, dass, soweit es irgend geht, rechtswidrig in öffentlichen Besitz gekommene Bücher ausfindig gemacht und dann in moralisch vertretbare Hände gegeben werden - entweder in die Hände der Nachfahren der Beraubten oder, im Einvernehmen mit den zuständigen Vertretern jüdischen Glaubens, in angemessene Einrichtungen wie z. B. jüdische Bibliotheken oder Gedenkstätten. Für Ostfriesland wäre eine solche Einrichtung gegebenenfalls das einzige erhaltene ostfriesische Synagogengebäude in Dornum, das seit gut zehn Jahren als Gedenkund Informationsstätte dient.
Darüber hinaus möchte ich auch Privatbesitzer sensibilisieren, zu überprüfen, ob sich in deren Bibliotheken eventuell Bücher befinden, die besser zurückgegeben würden, wobei klar ist, dass z. B. auch eine Biblia Hebraica, wie beispielsweise ich
sie besitze, rechtmäßig erworben worden sein kann. Es geht also nicht um voreilige Unterstellung, sondern um Sensibilisierung. Denn erkanntes Unrecht erfordert Konsequenzen in allen Bereichen, nicht als so genannte Wiedergutmachung; diese können wir ernsthaft gar nicht leisten. Aber jede einzelne Rückgabe ist ein Zeichen des guten Willens, nunmehr in Aufrichtigkeit miteinander umgehen zu wollen. Wenn dann die Nachfahren der Geschundenen uns die Chance für eine neue gemeinsame Zukunft eröffnen, die wir nicht einfordern, sondern bestenfalls erbitten können, dann wären nicht sie, sondern wir die wahrhaft unverdient Beschenkten.
Darum lassen Sie uns hier im Parlament unverzüglich gemeinsam die Voraussetzungen dafür schaffen, dass zu Unrecht in den Landesbesitz gekommenes Literaturgut alsbald hergegeben wird - als kleine Geste aufrichtigen Denkens und Handelns gegenüber unseren Mitbürgern jüdischen Glaubens in unserem Land und darüber hinaus.
Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir sofort abstimmen. - Ich danke Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren.