Protokoll der Sitzung vom 10.05.2000

Da der Weg der gegenseitigen Geduld keine Einbahnstraße ist, bitte ich um Verständnis dafür, dass insbesondere wir in der SPD-Fraktion die vorliegenden Vorschläge mit den Vorschlägen der Bundesregierung abgleichen wollen, dass wir mit unseren Vorschlägen einen weit angelegten Diskurs einleiten wollen und dass wir diesen in Ruhe führen wollen.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss. - Ich wäre gern noch auf Einzelheiten der Vorlage eingegangen, um verfassungsrechtliche Prüfnotwendigkeiten zu belegen doch ich freue mich, wenn es uns gelingt, eine große Übereinstimmung zu erreichen, sodass wir diesen gesellschaftlichen Diskurs, wenn es nötig sein sollte, in einen entsprechenden Gesetzentwurf münden lassen können. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Herr Kollege Schwarzenholz, Sie erhalten eine Redezeit von bis zu drei Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Broschüre des Behindertenbeauftragten, die ich mitgebracht habe, stammt vom September letzten Jahres und enthält den von den Grünen einge

brachten Gesetzentwurf. Am 1. Dezember des letzten Jahres hat der Behindertenbeauftragte des Landes ein Hearing veranstaltet, bei dem das Haus entsprechend vertreten war. Den Diskurs, den Sie eingefordert haben, gibt es seit längerer Zeit. Ich sage auch der Ministerin Dank, dass sie diesen Diskurs befördert hat. Aber liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Antrag der SPDFraktion ist ja im Prinzip eine Niederlage derjenigen, die ein gesetzliches Handeln für erforderlich halten. Denn eine Regierungsfraktion wäre natürlich in diesem Zeitraum in der Lage gewesen, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Es war ausreichend debattiert und auch mit den Fachverbänden ausreichend erörtert, und es war auch hinreichend klar, welches die unstrittigen Punkte sind und in welchen Punkten es noch Klärungsbedarf im Detail gibt. Ein Gesetzentwurf der Regierungsfraktion wäre ein reformpolitisches Signal gewesen, das dem Vorgehen einen ganz anderen Nachdruck verliehen hätte. Jetzt besteht im Prinzip die Situation, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Druck gemacht hat, dass ich aber nicht zu erkennen vermag, inwieweit in der SPD-Fraktion der notwendige Klärungsprozess tatsächlich vorankommt.

Wenn der Ministerpräsident z. B. in der Finanzdebatte des Bundes höhere Steuersenkungen fordert und dadurch im Prinzip versucht, die selbstorganisierte Armut des Staates systematisch auf die Spitze zu treiben, gleichzeitig aber hier erklärt, es gebe keinen finanzpolitischen Handlungsrahmen, um Menschenrechte umzusetzen - Behindertenpolitik ist Menschenrechtspolitik -, dann frage ich mich: Inwieweit soll diese selbstorganisierte Armut des Staates dazu herhalten, in einem der reichsten Länder dieser Erde die Verwirklichung von Grundprinzipien nicht zu ermöglichen, von Grundprinzipien, für die wir eigentlich einstehen sollten?

Neulich hatte ich die Gelegenheit, mit einem der beiden Rollstuhl fahrenden Bundestagsabgeordneten in Hannover ein paar Lebensexperimente durchzuführen. Als Nichtbehinderter hat man doch einen anderen Blick. Als ich eben hierher gekommen bin, habe ich mich gefragt: Was würde passieren, wenn wir hier wie im Bundestag zwei Rollstuhl fahrende Abgeordnete hätten? Zunächst einmal müssten wir den ganzen Plenarsaal umbauen. So ist das in unserer gesamten Gesellschaft.

Als ich zu Beginn des Jahres eine Landtagsanfrage zur Situation von Gehbehinderten und von Roll

stuhlfahrern in der Deutschen Bahn in Niedersachsen eingebracht habe, habe ich zwar eine Antwort bekommen. Aber ich empfehle Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich diese Drucksache einmal anzugucken. Die Spitze war, dass das Wirtschaftsministerium, das diese Antwort, die auch relativ viele Ausflüchte enthielt, federführend bearbeitet hatte, nicht einmal bereit war, mir zu sagen, welche Bahnstationen in Niedersachsen behindertengerecht sind. Am Montag ist mir diese Liste mit mehrmonatiger Verspätung vorgelegt worden, nachdem der Landtagspräsident und der Ministerpräsident interveniert haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend Folgendes feststellen: Zu dem Gesetzentwurf von Herrn Finke gibt es natürlich viele Veränderungs- und Verbesserungsvorschläge. Das ist gar keine Frage. Angesichts der Tatsache, dass jetzt ein Gesetzentwurf in der Beratung ist, sollte die SPD-Fraktion noch einmal sehr kritisch auf ihren eigenen Antrag gucken. Das ist ein Warteschleifenantrag. Der Diskurs, den Sie eingefordert haben, läuft schon seit mehreren Jahren.

Die Zeit läuft auch, Herr Kollege.

Er hat sich im letzten halben Jahr entsprechend zugespitzt. Ich fordere Sie auf, diesen Gesetzentwurf als konstruktive Beratungsgrundlage anzunehmen.

Vielen Dank. - Frau Pothmer hat jetzt eine Redezeit von bis zu zwei Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur noch zu ganz wenigen Bemerkungen etwas sagen. - Frau Elsner-Solar hat uns ja vorgeworfen, wir hätten nachgeklappt. Das stimmt in gewisser Weise insofern, als jetzt wir zunächst einmal nicht damit gerechnet haben, dass Sie zu einem Zeitpunkt, zu dem seit einem guten halben Jahr ein konkreter Gesetzentwurf des Behindertenbeauftragten vorliegt, eine solche schlappe Initiative ergreifen. Aufgrund Ihres Vorgehens haben wir uns gezwungen gesehen, die Arbeit des Behindertenbeauftragten durch Vorlage eines eigenen Ge

setzentwurfs zu unterstützen. Insofern ist das richtig. Was ist das nun aber für ein Vorwurf uns gegenüber, wir würden versuchen, an der Spitze der Bewegung zu stehen? - Natürlich! Ich glaube, dass es unsere Aufgabe ist, dies zu wollen. Ich möchte aber einmal darauf hinweisen, dass auch die etwas damit zu tun haben, die nicht in die Strümpfe kommen, Frau Elsner-Solar. An der Spitze der Bewegung zu stehen, ist bei dieser SPDLandesregierung verdammt leicht. Das ist das Problem.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich frage mich in der Tat, wie sich der Behindertenbeauftragte des Landes, Karl Finke, in dieser Diskussion gefühlt hat. Karl-Heinz Mühe dankt ihm, tritt ihm, indem er diesen Gesetzentwurf ignoriert, gleichzeitig aber gegen das Schienbein. So seid ihr Sozialdemokraten eben. Frau ElsnerSolar vergleicht ihn mit dem landesweit größten Lobbyisten, also mit einem Wirtschaftsunternehmen. Ich habe das Gefühl, dass dies auf eine tiefe Zerrüttung zwischen SPD-Fraktion, Landesregierung und Behindertenbeauftragten hinweist. Das zeigt auch, dass Sie die Arbeit des Behindertenbeauftragten in einer Art und Weise würdigen, die ihm seine Arbeit nur sehr, sehr schwer ermöglicht.

Was die Diskussionsnotwendigkeit und die Diskussionsgrundlage angeht, so hat Herr Schwarzenholz dazu schon vieles gesagt; in diesem Fall auch Richtiges. Natürlich ist eine Diskussion immer dann am konstruktivsten, wenn sie sich auch an konkreten Vorlagen orientiert.

Und innerhalb der entsprechenden Redezeit stattfindet.

Stimmt, ich komme zum Schluss. - Die Diskussion ist längst im Gang. Ich sage noch einmal: Es ist sehr deutlich geworden, dass Sie ein Landesantidiskriminierungsgesetz nicht wollen. Das zeigt sich auch an Ihren Presseerklärungen: Wir warten zunächst einmal ab, was die Bundesregierung macht. - Andere Bundesländer gehen hier anders vor. Berlin hat bereits ein solches Gesetz. Das zeigt, dass es auch anders geht. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht mehr vor. Ich schließe damit die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung für beide Beratungsgegenstände. Auf Empfehlung des Ältestenrates hin soll der Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen beide Beratungsgegenstände federführend beraten. Folgende Ausschüsse sollen mitberatend beteiligt werden: der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen, der Ausschuss für innere Verwaltung, der Ausschuss für Gleichberechtigung und Frauenfragen, der Ausschuss für Haushalt und Finanzen, der Kultusausschuss, der Ausschuss für Wissenschaft und Kultur, der Ausschuss für Jugend und Sport, der Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr und auf Antrag der SPDFraktion hin auch noch der Ausschuss für Städtebau und Wohnungswesen. - Gibt es weitere Wünsche? - Das ist nicht der Fall, meine Damen und Herren. Dann ist die Ausschussüberweisung so beschlossen worden.

Ich habe nun die große Freude, Ihnen allen einen guten Appetit wünschen zu können. Wir sehen uns um 14.30 Uhr wieder. Ich unterbreche die Sitzung.

Unterbrechung: 12.56 Uhr.

Wiederbeginn: 14.30 Uhr.

Ich darf meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, dass einige Kollegen und Kolleginnen es geschafft haben, ihr Eis rechtzeitig in den Magen zu befördern, um jetzt hier zu sein.

(Dr. Domröse [SPD]: Ich habe noch keines gegessen, Frau Präsidentin!)

- Mit Ausnahme von Wolfgang Domröse, der mir herzlich Leid tut.

Wir wollen jetzt unsere Sitzung fortsetzen. Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 7: Zweite Beratung: Erhaltung der Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe (GA) „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/1392 neu - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drs. 14/1527

Der Antrag wurde in der 45. Sitzung am 17. Februar 2000 an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur federführenden Beratung und Berichterstattung überwiesen. Berichterstatter ist der Kollege Kethorn, dem ich das Wort erteile.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit den Stimmen der Mitglieder der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen empfiehlt der Ausschuss, den „Erhaltung der Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe (GA) ‚Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes‘“ überschriebenen Antrag der CDU-Fraktion abzulehnen.

Da ich davon ausgehe, dass die Sprecher der jeweiligen Fraktionen ihre Gründe für die Zustimmung bzw. Ablehnung nennen werden, verzichte ich darauf, den Bericht über die Ausschussberatungen hier vorzutragen.

(Zu Protokoll:)

Ein Ausschussmitglied der CDU-Fraktion hob zu Beginn der Ausschussberatungen hervor, dass seine Fraktion das ProLand-Programm der Landesregierung zur Entwicklung des ländlichen Raumes für richtig und angesichts der Kürzungen und Belastungen, die die Landwirtschaft in jüngster Vergangenheit habe hinnehmen müssen, für dringend erforderlich halte. Voraussetzung für den Erfolg des Programms sei aber, dass den Ankündigungen der Landesregierung auch Taten folgten und die Gegenfinanzierung der von der Europäischen Union in Aussicht gestellten Strukturhilfemittel in Höhe von rund 1,1 Milliarden DM durch Bund, Land und Kommunen sichergestellt sei. Die CDU-Fraktion wolle daher mit diesem Antrag erreichen, dass Bundes- und Landesregierung die Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe in erforderlicher Höhe in die jeweiligen Haushalte einstellten.

Der Sprecher der Regierungsfraktion entgegnete, seine Fraktion habe keinen Zweifel daran, dass es gelinge, den GA-Landesanteil auch 2001 im Haushalt in erforderlicher Höhe bereitzustellen, nachdem die Gegenfinanzierung für das laufende Haushaltsjahr gesichert sei. Er verwies des Weiteren auf die Absicht der Bundesregierung, die GAMittel sogar um 375 Millionen DM, die durch die Reduzierung der Gasölbetriebsbeihilfe freigesetzt würden, zu erhöhen. Für den im Antrag enthaltenen Appell bestehe vor diesem Hintergrund keine Notwendigkeit.

Diese Position wurde im Grundsatz vom Vertreter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützt. Sein Eindruck sei, ließ er verlauten, dass auch die Bundesregierung sehr darauf bedacht sei, keine Kürzungen im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zuzulassen. Aus seiner Sicht seien seitens der Landesregierung vielmehr Überlegungen erforderlich, wie sichergestellt werden könne, dass den vor allem auf die Förderung angewiesenen finanzschwachen Gemeinden die Kofinanzierung für den kommunalen Bereich ermöglicht werde. Darüber hinaus sei für eine ausreichende Personalausstattung vor Ort Sorge zu tragen, damit das Programm ProLand seinen vollen Nutzen entfalten könne.

Seitens der Landesregierung wurde versichert, dass nach derzeitigem Stand selbst im Falle geringfügiger Kürzungen das ProLand-Programm durch Umschichtungen im Haushalt innerhalb der Gemeinschaftsaufgabemittel mit Sicherheit finanziert werden könne.

Eine Annäherung der unterschiedlichen Standpunkte ergab sich in der weiteren Diskussion nicht.

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt Ihnen daher mit den Stimmen der SPD-Mitglieder und bei Zustimmung des Vertreters der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Vertreter der CDU-Fraktion, den Antrag abzulehnen. Die mitberatenden Ausschüsse für Umweltfragen und für Haushalt und Finanzen haben sich der Beschlussempfehlung mit demselben Stimmenverhältnis - der Ausschuss für Haushalt und Finanzen in Abwesenheit des Vertreters der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - angeschlossen.

Die Begründung für die Fraktion der CDU werden Sie jetzt von dem Kollegen Biestmann hören.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Rahmen der Agenda-Verhandlungen ist die EU-Strukturförderung neu konzipiert worden. Es sind Förderziele zusammengefasst und neue Förderschwerpunkte gebildet worden. Durch ein weitgehendes Kohärenzgebot sind zukünftige Gebietskulissen in der Regionalförderung - die so genannte Ziel-2-Förderung - auf nationale Förderkulissen abgestimmt worden. Letztere sind die so genannten GA-Mittel zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Im Klartext heißt das: Nur Gebietskörperschaften im nationalen GA-Fördergebiet kommen in der Regel für die EU-Regionalförderung infrage.

Hinzu kommt, dass die bisherige Ziel-5bFörderung zur Entwicklung des ländlichen Raumes wegfällt. Unter diesem Förderziel sind Maßnahmen für den ländlichen Raum aus mehreren EUFörderfonds zusammengefasst und finanziert worden. Ich erinnere an die Wirtschaftsförderung, wie etwa Gewerbegebietserschließung oder Abwasseranlagensanierung, die zukünftig für viele Landkreise verloren geht, mit einem Fördervolumen von bisher 1 Milliarde DM.

Wir haben wiederholt kritisiert, dass durch Wegfall der Ziel-5b-Förderung der ländliche Raum seinen eigenständigen Förderansatz in der EURegionalförderung verliert. Gleichwohl erkennen wir an, dass die EU infolge der AgendaPreisbeschlüsse zu erwartende dramatische Strukturprozesse in der Fläche durch erhöhte Förderansätze in der horizontalen Förderung - also gebietsunabhängig und sozusagen für alle - abfedern will.

Dieses EU-Gemeinschaftsprogramm in Niedersachsen wird als ProLand-Programm bezeichnet, beinhaltet die Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes und hat folgende Förderschwerpunkte: Verbesserung der Produktionsstrukturen, Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung, Agrarumweltprogramm und Umweltmaßnahmen.

Insgesamt stellt die EU mit diesem Programm innerhalb von sechs Jahren 1,1 Milliarden DM Fördermittel zur Verfügung, die allerdings Komplementärmittel von Land und Bund von zusam

men 1 Milliarde DM voraussetzen und in einigen Fördersegmenten eine zusätzliche Mitfinanzierung von Kommunen und privaten Investoren in Höhe von 1 Milliarde DM bedingen. Nur so kann das gesamte Fördervolumen von gut 3 Milliarden DM ausgeschöpft werden.

Meine Damen und Herren, hierdurch wird deutlich, dass das so genannte ProLand-Programm wesentlicher Bestandteil einer politisch gewollten EUStrukturförderung zur Erleichterung von Anpassungs- und Umstellungsprozessen im ländlichen Raum darstellt und weniger ein Landesförderprogramm ist. Dies so deutlich zu sagen ist wichtig, um die politische und gesellschaftliche Akzeptanz eines integrierten Europas mit den Instrumenten der Förderpolitik zu fördern.