Protokoll der Sitzung vom 11.05.2000

(Heinemann [CDU]: Wehret den An- fängen!)

Wenn ich mich nun schon darum bemühe, in der Logik der CDU zu bleiben und dies nachzuvollziehen, taucht automatisch ein zweiter Casus knacktus auf, nämlich der, dass wir im Zusammenhang mit der Parlamentsreform nunmehr ein weiteres Thema

haben, das reformiert werden soll. Das ist eine grundlegende Reform für die ganze Justiz in Deutschland. Mit sieben Minuten - von Ihnen reduzierter - Redezeit wird es aber nicht getan sein.

(Schröder [GRÜNE]: Drei!)

- Der Kollege Schröder hat nur drei Minuten Zeit. Das lässt fast den Schluss zu, dass Sie Ihren Entschließungsantrag selbst nicht ganz so ernst bzw. wichtig nehmen.

(Ontijd [CDU]: Das ist aber eine schlimme Unterstellung!)

Zu den Details der Reform: Auch aus unserer Sicht ist dieser Referentenentwurf korrektur- bzw. verbesserungsbedürftig. Wir, Herr Kollege Stratmann, wollen an einem von vornherein aber keinen Zweifel lassen: Wir wollen an einem Grundprinzip nicht rütteln, nämlich am Prinzip der Dreistufigkeit. Was sich auf anderen Rechtsgebieten nämlich bewährt hat, das wird sich auch auf diesen zivilrechtlichen Instanzenzug übertragen lassen. Hier werden wir keine Korrekturwünsche äußern. Demzufolge begrüßen wir auch das Ziel, die erste Instanz immens zu stärken; denn aus unserer Sicht machen die Bürgerinnen und Bürger in der Regel ihre Erfahrungen mit den Gerichten in der ersten Instanz. Hier sollte solch ein Rechtsstreit umfassend und nach Möglichkeit allerdings auch endgültig geregelt werden. Dazu brauchen die Richter mehr Zeit für die Bearbeitung des Verfahrens. Deshalb ist es auch sinnvoll, dass diejenigen Richter, die bisher bei den Landgerichten in der Berufungsinstanz eingesetzt waren, in die erste Instanz kommen. Hier wird eine Personalverstärkung erfolgen, was sicherlich im Sinne einer bürgerfreundlichen Justiz ist.

Lassen Sie mich nun ein paar Eckpunkte, ein paar Detailpunkte ansprechen, die Sie aufgrund der Anhörung im Rechtsausschuss hervorgehoben haben. Erwähnen möchte ich beispielhaft die obligatorische Güteverhandlung. Das ist eine Sache, die an das arbeitsgerichtliche Verfahren angelehnt ist. In Zukunft soll vor jeder mündlichen Verhandlung nach diesem Referentenentwurf eine Güteverhandlung beginnen. Das halten wir vom Grundsatz her zwar für richtig. Im Einzelfall kann dies aber auch sehr unpassend sein. Unsere Kritik richtet sich gegen diesen obligatorischen Charakter der Schlichtung. Hier könnten sich aus unserer Sicht - das sehen wir genauso, Herr Stratmann - in der Tat Probleme ergeben wie z. B. bei Massenver

fahren oder auch bei Verkehrsunfällen, wenn Versicherungen vor Gericht auftreten. Eine solche obligatorische Schlichtung sollte es nicht geben. Vielmehr muss das Gericht die Möglichkeit haben, von dieser vorgeschriebenen Güteverhandlung abzusehen.

Ein anderer Korrekturvorschlag unsererseits zu dem Entwurf bezieht sich auf die Ausweitung der Prozessleitung nach § 137. Durch diese Maßnahme sollen die Richterinnen und Richter zukünftig frühzeitig ihre Sicht der Dinge darlegen, und das Verfahren soll im Grunde genommen so laufen, dass ein Spiel mit offenen Karten erfolgen kann. Das halten wir für sinnvoll. Wir fragen allerdings, ob dies alles auch dokumentiert werden soll. Hier wird eine immense Papierflut auf die Richterinnen und Richter zukommen. Wir meinen, eine Dokumentationspflicht in diesem Sinne ist überflüssig.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit läuft und läuft und läuft. Meine Redezeit war begrenzt. Ich glaube, ich habe mit meinem Redebeitrag deutlich gemacht, dass wir am Grundprinzip der Dreistufigkeit festhalten, auch an der Stärkung der ersten Instanz. Wir werden an der Korrektur dieses Referentenentwurfs weiterhin mitarbeiten. Wir werden auch die Erfahrungen aus der Anhörung mit einbringen. Aber eines ist klar: 120 Jahre Zivilprozessordnung sind reformbedürftig. Das werden wir nicht in Abrede stellen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Stratmann [CDU]: Das ist doch kein Argument!)

Vielen Dank. - Herr Kollege Schröder, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war schon interessant, als der Kollege Stratmann danach fragte, wo eigentlich der Reformbedarf nachgewiesen werde. Meine knappe Redezeit lässt es leider nicht zu, aus den letzten Haushaltsreden des Kollegen zu zitieren. Deshalb mache ich das jetzt nur im Telegrammstil: Justiz an der Grenze der Belastbarkeit, zu lange Verfahren, zu viele und zu unübersichtliche Rechtsmittel. - So ging das Jahr für Jahr von Haushalt zu Haushalt. Nun hören wir es gerade umgekehrt: Der Zivilprozess ist effektiv, kostengünstig und schnell. Ich frage mich, was hat

hier unserem Kollegen ein Damaskuserlebnis so besonderer Art beschert, dass er offenbar vom Saulus zum Paulus geworden ist, nur weil jetzt in Berlin geplant ist, mit einer umfassenden Reform den Zivilprozess bürgernäher, effizienter und transparenter zu gestalten.

Ich will deutlich sagen, was die gemeinsamen Absichten der Regierungskoalition sind: Wir wollen die Stärkung der ersten Instanz. Das sind die Amtsrichter, die mit 600 bis 800 Sachen pro Jahr die Hauptlast der Arbeit tragen. Wir wollen die Stärkung der Einzelrichter, wenn auch nicht so starr, wie im Referentenentwurf vorgesehen, sondern flexibler. Wir wollen die Stärkung der Vergleichsbereitschaft. Wir wollen die Stärkung des BGH, der im Augenblick durch Streitwertrevisionen zugeworfen wird, aber eigentlich die Aufgabe hat, Grundsatzfragen zu klären. Wir wollen mittelfristig einen transparenten dreistufigen Gerichtsaufbau, weil es auf Dauer nicht angehen kann, dass ein Kleinstamtsgericht mit drei bis vier Richterstellen für die Bürgerinnen und Bürger die notwendige Spezialisierung nicht vorhalten kann. Wir wollen die Stärkung der Prozessleitungsbefugnis der Gerichte. Wir wollen auch eine Verbesserung des Berufungsrechtsschutzes in Bagatellsachen und im Wege der Zulassungsberufung.

Einen krassen Dissens gibt es noch hinsichtlich der Vorschläge der Bundesjustizministerin zur Frage des Berufungszuganges. Unserer Überzeugung nach kann es nicht angehen, dass über die Frage der Berufung von den Berufungsrichtern entschieden wird, die ihre eigene Arbeitsbelastung praktisch nach Aktenlage steuern. Das ist mit uns nicht zu machen. Ein verpfuschter Prozess, der vor einem Amtsgericht möglicherweise noch ohne Anwalt geführt worden ist - das darf man ja machen -, muss auch in der Berufung wieder aufgerollt werden können. Da kann es nicht nur um die Frage der richtigen Rechtsanwendung gehen; denn auch ein auf einem völlig schrägen Sachverhalt aufgebautes Urteil kann rechtlich richtig sein. Hier muss es die Möglichkeit geben, die Tatsachen wieder neu zu würdigen. Wenn hier die Pläne so durchkämen, käme es zu einem Abbau des Rechtsschutzes, der weit über das hinaus geht, was die alte Bundesregierung durch ihre Entlastungsgesetze versucht hat. Dagegen gibt es unseren Widerstand. Ich bin aber ganz zuversichtlich, da wir erst am Anfang der Debatte stehen, dass der Entwurf noch erheblich geändert wird. Von daher sind wir auf einem guten Wege. - Schönen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister Dr. Weber, Sie haben das Wort. Wollen Sie das alles vorlesen, was Sie mitbringen?

(Heiterkeit)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, mein „Ja“ kommt auch ins Protokoll. Deswegen habe ich es noch einmal gesagt.

(Heiterkeit)

Ich meine, wir sollten uns die Dinge um 18.30 Uhr abends nicht schwerer machen, als sie sind. Alle Fraktionen haben bereits die Gelegenheit genutzt, mit mir zusammen im Rechtsausschuss über dieses Thema zu reden. Der Text der schriftlichen Stellungnahme - das ist eben schon angesprochen worden - ist Ihnen allen bekannt, dazu auch das begleitende Schreiben, das die Bundesjustizministerin von mir bekommen hat. Sie wissen deswegen, dass darin die grundsätzliche und sehr nachhaltige Zustimmung der Landesregierung zu Reformvorhaben in der Justiz enthalten ist.

Herr Schröder war so freundlich, mir schon an dieser Stelle das Wort aus dem Mund zu nehmen. Es war schon toll, wie die Justiz in den zurückliegenden zehn, 15 Jahren immer für ihre Verstaubtheit, ihre veralteten Arbeitsmethoden, die Langsamkeit der Verfahren und die gesamte Komplexität, die kein Bürger mehr verstünde, kritisiert worden ist. Gesetze selbst sollten vereinfacht werden. Wie auch immer: Man verstand die Justiz doch nicht mehr.

Ich finde es gut, dass gerade auch die Anwaltschaft heute entdeckt hat, dass die Verfahren gar nicht so lange dauern, jedenfalls im internationalen Vergleich, sondern dass wir eigentlich sehr gut dastehen

(Haase [SPD]: Spitze!)

und dass die Verfahrenszüge vielleicht doch nicht so kompliziert sind, dass sie niemand mehr durchschauen kann.

(Zuruf von Heinemann [CDU])

Meine Damen und Herren, das ist aber eigentlich immer wieder ein falscher Ansatzpunkt. Er vertei

digt nämlich. Er verteidigt etwas - wie es Juristen so machen -, was 100 Jahre - vielleicht auch nur 70 oder 80 Jahre; darauf will ich mich gar nicht im Einzelnen einlassen - gut war, denkt aber nicht daran, dass wir in den vor uns liegenden vier oder fünf Jahren ein System aufbauen müssen, das geeignet ist, Justiz auch im Jahr 2050 auszuüben, und zwar so, wie es die Bürger wünschen, und wir sollten nicht etwa erwarten, dass sich unsere Bürgerinnen und Bürger bitte schön in ihrem Verhalten, wenn sie nach Rechtsschutz suchen, so einrichten sollen, wie es die Justiz gern möchte. Das ist es, was wir noch leisten müssen.

Was Frau Däubler-Gmelin vorgelegt hat, ist, wie sich sogar aus den Antragstext - nicht aus dem Beschlussvorschlag - ergibt, in vielen Teil fast unumstritten. Es wird regelrecht gesagt: Jawohl, das ist die richtige Richtung, und über die Details müsse gesprochen werden. Das ist die Einladung, die auch ich an den verschiedensten Stellen an die niedersächsische Justiz ausgesprochen habe, nämlich sich der Diskussion auch wirklich zu bemächtigen, sie selbst zu gestalten und zu wissen, dass man nicht ängstlich verteidigend, rückwärts gewandt auf die letzten 70 bis 80 Jahre schauen sollte, sondern dass man mutig versuchen sollte, eine Perspektive für die Zukunft hineinzubringen und ein Gesetz zu schaffen, das versucht, den Stand der Rechtspolitik beispielsweise im Jahr 2020, 2030 oder 2035 vorwegzunehmen.

Meine Damen und Herren, wir müssen auf alle Fälle sehen, dass viele Problemkomplexe miteinander zusammenhängen. Die Anwaltschaft klagt über den großen Zustrom an jungen Juristen in den Anwaltsberuf, die dort nach ihrer Meinung gar nicht benötigt werden. Ich teile diese Auffassung. Wir klagen darüber, dass vieles, was im rechtwissenschaftlichen Studium stattfindet, eigentlich in der Praxis so nicht, aber anderes - das wir nicht machen - dafür ganz dringend benötigt wird.

(Haase [SPD]: Stimmt!)

In den Universitäten klagt man darüber, dass Studenten eigentlich nicht zu den Vorlesungen kommen, sondern lieber zum Repetitor gehen, weil dass für sie sicherer zu sein scheint.

Alles zusammengenommen scheint mir, dass vieles auch sachlich miteinander zusammenhängt. Wir sollten uns einem Reformprozess in der Justiz wahrlich nicht versperren, sondern uns dafür öffnen und richtig aktiv mitgestalten wollen.

Der Entschließungsantrag, so wie er jetzt vorliegt - schauen Sie sich einmal den Beschlussvorschlag an -, enthält nichts anderes als einen Abwehrkampf. Ich kann der Justiz insgesamt nur raten - darauf werde ich meine Politik auch ausrichten -, sich nicht in Verteidigungskämpfe zu verstricken. Die Moderne wird uns da schon überrollen, und dann werden Forderungen der Justiz gegenüber laut werden, die vielleicht viel grundsätzlicherer Natur sind, als ihr gut tut.

Lassen Sie uns mitgestalten. Daran will ich mitarbeiten. So habe ich mich bisher verhalten - auch in der Offenheit gegenüber dem Ausschuss. Sie werden im Ausschuss noch einmal über diese Themen diskutieren.

Ich meine, auf Bundesebene - das haben Herr Schröder und Frau Bockmann auch gesagt - sind wir im Stand eines Referentenentwurfs. Noch nicht einmal das Planspiel, das wir zusammen mit Nordrhein-Westfalen machen, hat begonnen, ist geschweige denn durchgeführt und ausgewertet. Der Kabinettsentwurf liegt noch nicht vor. Das Kabinett hat noch nicht diskutiert und noch nicht beschlossen. Der Bundestag hat noch gar nicht angefangen. Meine Damen und Herren, es ist viel zu früh, um zu sagen, so ist es, aber wirklich höchste Zeit, sich aktiv in die Diskussionen einzuschalten. Das geschieht in Niedersachsen derzeit, und das ist gut so.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Der Ältestenrat empfiehlt, den Antrag dem Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen zu überweisen. - Andere Vorstellungen sehe ich nicht. Dann ist das so beschlossen.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung: Unverzüglicher Autobahnlückenschluss der BAB 39 bei Braunschweig - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/1586

Dazu hat der Kollege Eppers das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz der fortgeschrittenen Zeit und des verständlicherweise nachlassenden Interesses handelt es sich hierbei aus unserer Sicht um einen entscheidenden und wichtigen Antrag.

Die „Braunschweiger Zeitung“ ist noch da. Ich begrüße herzlich Herrn Ahlers.

(Heiterkeit)

Das ist auch gut so und ist ein weiterer Beleg dafür, dass dieser Antrag von großer und entscheidender Bedeutung für die Verbessung der Verkehrsinfrastruktur in unserem Raum ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ende der 60er-Jahre, zu Beginn der 70er-Jahre wurde beschlossen, die Autobahn 39 von der A 7 zur A 2 zu bauen. Dieser Beschluss war auch eine Forderung des Volkswagen-Konzerns, der die Ansiedlung des Motorenwerkes in Salzgitter davon abhängig gemacht hat, dass die Verkehrsinfrastruktur zwischen den Städten Salzgitter, Braunschweig und Wolfenbüttel durch eine Autobahn verbessert wird.

Zugegebenermaßen gab es in diesen fast 30 Jahre im Bundesverkehrswegeplan - unabhängig davon, wer regiert hat - immer Finanzierungsschwierigkeiten. Dennoch ist es gelungen, diese Autobahn Schritt für Schritt weiterzubauen.

In unserer Region haben wir uns darauf verlassen, dass das, was die Niedersächsische Landesregierung vor der Landtagswahl 1998 versprochen hat, auch umgesetzt wird - nämlich den zügigen Lückenschluss für die letzten Kilometer zwischen Braunschweig und dem Autobahnkreuz Wolfsburg-Königslutter durchzuführen.