Protokoll der Sitzung vom 22.06.2000

grundgesetzkonform zu bewegen, um das, was mit Blick auf die Arbeitszeit als Vergewaltigung zu verstehen und mit Hinweis auf das Grundgesetz auch beanstandet worden ist, noch zu verbessern.

Liebe Frau Ministerin, immer wieder hat die CDUFraktion hier im Parlament deutlich gemacht, dass junge Lehrkräfte nach Möglichkeit nicht auf Zwangsteilzeitstellen eingestellt werden sollten, sondern dass ihnen volle Beamtenstellen angeboten werden sollten. Ich weiß, dass diese Forderung von Ihnen geteilt wird, die Finanzsituation die Umsetzung dieser Forderung wohl aber nicht zulässt. Ausschlaggebend für diese Sichtweise war, dass die qualifizierten Lehrkräfte - wie wir es nun feststellen - im bundesweiten Wettbewerb in Niedersachsen so nicht zu halten sind. Die Gegebenheiten sind offen. Die besseren Arbeitsbedingungen, volle Stellen, ziehen einfach. Dafür nimmt man dann auch logistische Probleme in Kauf. Nicht zu vernachlässigen sind seit März auch die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine solche Zwangsteilzeiteinstellungspraxis für junge Beamtinnen und Beamte, die einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten kann.

Nie war die Forderung, Berufsanfängerinnen und -anfänger im niedersächsischen Schuldienst volle Beamtenstellen anzubieten, so aktuell wie gerade heute. Ich brauche Sie nicht an die zahlreichen Presseveröffentlichungen gerade der letzten Tage aus dem berufspolitischen Feld zu erinnern.

Das Bundesverwaltungsgericht hat also festgestellt:

„Teilzeitbeschäftigung von Beamten ist bundesrechtlich nur zulässig, wenn ihre Freiwilligkeit auch beim Berufseinstieg gewährleistet ist. Die Ermäßigung der Arbeitszeit eines neu eingestellten Beamten aufgrund eines von ihm abverlangten Antrages ohne die Möglichkeit zur Wahl der vollen Beschäftigung ist mit dem hergebrachten Grundsatz... der hauptberuflichen vollen Dienstleistungspflicht des Beamten, der die Pflicht des Dienstherrn zur Gewährung des vollen amtsangemessenen Unterhalts gegenüberstehen... nicht zu vereinbaren ist.“

Damit ist klar: Die bisherige Einstellungspraxis kann nicht so bleiben. Wir dürfen Sie und die

Mehrheitsfraktion bitten, hier alles Mögliche zu tun, damit wir in der Landschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht zu einem Unikum werden.

Doch statt diese Kurve zu kriegen und die Fehlentscheidung der Dreiviertel-Zwangsteilzeitstellen sofort aufzuheben und allen jungen Lehrkräften volle Beamtenstellen anzubieten, folgt eine weitere - so würde ich fast sagen - Absurdität: Alle 2.200 Junglehrkräfte, die die Anordnung ihrer Teilzeitbeschäftigung noch anfechten können, bekommen zum 1. Februar 2001 ein großzügiges Vollzeitangebot. Für Hauptschulen, Sonderschulen und Berufsschulen wurden angesichts der Unterrichtsversorgung zwischenzeitlich volle Beamtenstellen angeboten. Für die übrigen allgemein bildenden Schulen, also für Grundschulen, Orientierungsstufen, Realschulen, Gymnasien und dergleichen, bleibt es bei der bisherigen Praxis. Im Gegenteil: Man wandelt Dreiviertel-Beamtenstellen in Dreiviertel-Angestelltenstellen um. Dies dürfte vor dem Hintergrund aller distanzierten Erkenntnisse und der finanziellen Situation des Landes meiner Meinung nach aber dennoch nicht der richtige Weg sein.

An vielen niedersächsischen Schulen entsteht die absurde Situation einer Dreiklassengesellschaft von Junglehrkräften: Erstens gibt es Junglehrkräfte mit Dreiviertel-Beamtenstellen, dann gibt es die, die auf das Angebot „1. Februar“ eingehen, und drittens gibt es die, die als Angestellte arbeiten. Diese ganze Absurdität trägt meiner Meinung nach nicht zur Solidarität und zum kollegialen Geist - -

(Plaue [SPD]: Was ist denn absurd?)

- Herr Plaue, das ist richtig absurd. Ich bedanke mich für Ihre Schützenhilfe. Das ist absurd. Genauso ist es.

(Plaue [SPD]: Ich habe Sie gefragt, was daran absurd ist! Erzählen Sie einmal, was daran absurd ist! Eine völlig standesrechtliche Sicht der Dinge, die Sie da vortragen!)

Von daher ist es aus unserer Sicht völlig unverantwortlich, dies weiterhin billigend in Kauf zu nehmen. Herr Plaue, wenn Sie das Organ, das sonst in Ihrem politischen Leben zu Ihrer Bibel gehörte, nämlich das Organ der GEW, heute einmal lesen würden,

(Heiterkeit bei der SPD - Mühe [SPD]: Das ist ein schönes Organ! Ich wusste, dass das kommt! Lothar, ver- renn dich nicht!)

- das gehörte doch zu Ihrer Bibel - oder wenn Sie einmal die Veröffentlichungen des Hauptpersonalrats - das nehmen Sie doch sonst so ernst - nehmen würden - -

(Zuruf von Plaue [SPD])

- Ihr dürft euch ja in gar keiner Versammlung mehr sehen lassen, Herr Plaue. Ganz eindeutig. Von daher versuchen Sie, Ihre Klientel wieder ein bisschen besser zu pflegen, damit Sie bei den nächsten Landtagswahlen die Chance haben, die 5 %-Klausel zu überspringen.

(Plaue [SPD]: Alles hätten Sie sagen dürfen, das aber nicht! Das finde ich richtig gemein!)

Ihnen zum Trotz will ich nun aber doch einen Verband zitieren, der Ihnen nicht so sehr am Herzen liegt, damit Sie etwas näher an ihn herankommen. Der Philologenverband - -

(Zuruf von Plaue [SPD])

- Wenn die GEW schon nicht läuft, dann neuerdings vielleicht die Philologen. Ich weiß es ja nicht. Der Philologenverband urteilt also:

„Sollte diese Entscheidung des Kabinetts Bestand haben und die offensichtlich beabsichtigte Vorgehensweise nicht korrigiert werden, dann müsste man zu der Auffassung gelangen,“

- das stimmt ja wohl, Herr Plaue

„dass nicht mehr Recht und Gesetz das Handeln der Landesregierung“

- zumindest doch in dieser Lage

„bestimmen, sondern nur noch die jeweilige Haushaltslage.“

Das kann man sich nicht vorstellen. Den Begriff „Bananenrepublik“ will ich an dieser Stelle nicht übernehmen. Dazu fühle ich mich nicht gehörig. Aber zumindest gehen wir mit der Interpretation der Folgen dieses Rechtsspruches flexibel um. Das auf jeden Fall.

Wie wollen Sie - das ist meiner Meinung nach das Entscheidende - vor diesem Hintergrund wirksam

um Abiturientinnen und Abiturienten werben? Die Ministerin lässt sich ja zweifelsohne einiges einfallen. Das wird aber dadurch konterkariert, dass Planungssicherheit im persönlichen Bereich nicht besteht und dass man solche Verwerfungen in Kauf nehmen muss. Wie glaubwürdig sind dann die Werbekampagnen für den Lehrerberuf, wenn jedes Jahr - so sagen wir bei uns - eine neue Sau durchs Dorf gejagt wird? Das dürfte, glaube ich, nicht unserer Situation entsprechen.

Zu Recht gehen junge Lehrkräfte auch auf die Barrikaden, weil ihnen ursprünglich zum Schuljahresbeginn eine Dreiviertel-Beamtenstelle zugesagt wurde und sie jetzt mit einer völlig unattraktiven Dreiviertel-Angestelltenstelle vorlieb nehmen müssen. Dieses Angebot ist auch deshalb finanziell unattraktiv, weil sie sich gegenüber dem Beamtenstatus wesentlich schlechter darstellen. Sie wissen, dass sich hieraus eine Zuzahlung zur Rentenversicherung in Höhe von 270 DM ergibt.

Meine Damen und Herren, mit dieser Entscheidung wird das Land Niedersachsen im Kampf um die qualifizierteren Junglehrkräfte wirklich nicht attraktiver. Wir brauchen sie wirklich dringend - in den einzelnen Schulformen unterschiedlich. Sie alle wissen, dass die Landesregierung nicht rechtzeitig Vorsorge für den sich abzeichnenden Lehrermangel getroffen hat. Sie können die Einschreibungszahlen insbesondere in den Fächern Physik, Chemie, Mathematik usw. in wenigen Jahren wesentlich eher steigern, wenn man von unnötigen Ungleichbehandlungen innerhalb der Landschaft der Bundesrepublik abrückt. Die Folgen werden für das nächste Schuljahr schon zu spüren sein. Qualifizierte Kräfte werden abwandern.

Ich werde jetzt abkürzen.

(Mühe [SPD]: Das ist auch vernünf- tig!)

- Lieber Kalle Mühe, auch dies ist wirklich wichtig. Du als Gewerkschaftsangehöriger müsstest hierfür ein offenes Ohr haben. Ganz sicher. Nicht: Bildung fängt da an. Sondern: Bildung ist wirklich Nummer eins. Zieht euch noch einmal die Rede von Gerhard Schröder rein, die er in Köln zur Bildungspolitik gehalten hat. Das war ein Glaubensbekenntnis, das uns sprachlos gemacht hat. Das sollten Sie noch einmal nachlesen.

Ferner stellt sich für uns die Frage, welche zusätzlichen Kosten auf den Landeshaushalt zukommen, wenn Lehrkräfte als Angestellte beschäftigt wer

den. Hier frage ich, was eigentlich mit der Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidentin Simonis ist, von der Ihre Parteikollegen laut „Welt“ vom 4. Juni ja behaupten:

„Die SPD-Fraktion hält den Sonderweg von Simonis, Lehrer fünf Jahre als Angestellte zu beschäftigen, bevor sie verbeamtet werden, offenbar nicht länger für vermittelbar. Würde Schleswig-Holstein Lehrer bei Einstellung verbeamten, so könnten jährlich rund 50 Millionen DM eingespart werden.“

Ich habe die SPD zitiert. Ich frage mich, inwieweit Frau Simonis dies durchhalten will. Gleichzeitig erkennt sie den Beamtenstatus nämlich nur für wenige Berufsgruppen an.

Von daher möchte ich doch darum bitten und den Niedersächsischen Landtag dazu bewegen, diese Entscheidungen der Landesregierung zu überdenken und zu korrigieren. Die Landesregierung brüskiert die jungen Lehrkräfte, indem sie diese unterschiedlichen sozialen Bedingungen schafft. Sie schränkt mit der Einstellungspraxis junge Abiturienten und Abiturientinnen ab. Sie macht die Einstellungspraxis für Niedersachsen nicht attraktiv genug und nimmt zusätzlich mit der Einstellung im Angestelltenverhältnis unnötige finanzielle Belastungen in Kauf.

Deshalb bitten wir abschließend darum, diese Fehlentscheidung zu korrigieren, auch wenn wir wissen, Frau Ministerin, dass bei 5.000 Stellen, die für das kommende und vielleicht sogar für das Jahr darauf umgewandelt werden müssten, der Einstellungskorridor zu wäre – das ist mir klar - und dass als Folge dieses geschlossenen Einstellungskorridors ein Abbau bzw. zahlreiche Versetzungen notwendig wären. Aber das kann uns nicht davon entheben, dass es die gerichtliche Entscheidung am Beispiel Hessen gibt. Die gilt auch für Niedersachsen.

Versuchen Sie, einige Experimente finanzieller Art zu streichen und sich in die Rangordnung und Mannschaftsaufstellung jener Länder einzureihen, die für ihre Kinder das Notwendige tun, um für die Zukunft konkurrenzfähig zu sein. Tun Sie mir den Gefallen, zeigen Sie Einsicht. Sie würden damit weiterkommen. Denken Sie daran, dass heute Fronleichnam ist. Der liebe Gott geht an Ihnen nicht vorbei. – Danke.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der SPD: Wären Sie mal lieber bei der Prozession geblieben!)

Herr Kollege Koch, der Kollege Domröse möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sie haben noch Zeit.

Herr Koch, weil heute Fronleichnam ist und Sie das angesprochen haben, frage ich Sie: Haben Sie auch gebetet: „Lieber Gott gib mir die Kraft, dass ich weit gehende Haushaltsanträge stellen darf, sodass ich reinen Herzens vor dem Herrn mit dem Finger auf die Ministerin zeigen kann“?

Lieber Herr Dr. Domröse, ich will Ihnen nicht zu nahe treten und Ihre Kirchenferne oder Kirchennähe feststellen. Ein Betgeheimnis gibt es nicht, sondern im Gegenteil, eine Fürbitte wird öffentlich geäußert – ganz nebenbei -, und diese Fürbitte würde auch über keine Kanzel kommen. – Danke.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Litfin!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten uns an dieser Stelle lieber nicht auf den lieben Gott verlassen, sondern wir sollten sehen, dass wir aus eigener Kraft zurande kommen.

(Eveslage [CDU]: Hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand!)

Ich glaube auch, dass es der liebe Gott lieber sieht, wenn wir es erst einmal aus eigener Kraft versuchen und uns nicht auf ihn verlassen.