Protokoll der Sitzung vom 13.09.2000

Letztendlich versuchen Sie - meiner Meinung nach muss jeder einmal darüber nachdenken, ganz besonders Sie von der SPD -, mit immer weniger Geld bei immer mehr Schülern und immer weniger Lehrern den Eindruck zu erwecken, dass im Ergebnis immer mehr herauskommt. Ihre Politik stößt letzten Endes aber auf immer weniger Akzeptanz, da immer mehr Menschen Ihre Mogelpackung durchschauen.

(Beifall bei der CDU - Busemann [CDU]: So ist es!)

Herr Kollege Voigtländer, wenn Sie sich hier hinstellen, wundere ich mich immer; denn gerade Sie sollten es zum einen aufgrund Ihrer Vorkenntnisse, zum anderen aber auch deshalb, weil Sie mit einigen wenigen Kollegen aus der SPD-Fraktion über Land gefahren sind, besser wissen. Sie und einige Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben für Ihr Konzept, das Sie uns hier gerade noch einmal präsentiert haben, erhebliche Prügel einstecken müssen. Viele Watschen für die Reform BBS 2000, Einschnitte bei den berufsbildenden Schulen, Mogelpackungen hier und da - das war die Kritik. Daran hat sich nichts geändert. Sie haben aber an Ihrem Konzept bisher nichts weiter geändert. Ich glaube, dass die gesamte Kritik an Ihnen abgeprallt

ist und Sie überhaupt nicht zur Kenntnis genommen haben, dass die Berufsschulen vor Ort mangelhaft ausgestattet sind und eine mangelhafte Unterrichtsversorgung und frustrierte Lehrkräfte aufweisen. Hinzu kommt, dass auch Nachwuchslehrkräfte völlig fehlen.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Voigtländer?

Wenn sie denn kurz ist, bitte schön.

Ich weiß aber nicht, ob sie kurz ist. - Bitte schön!

Frau Kollegin Vockert, räumen Sie ein, dass eine kritische Auseinandersetzung gegenüber Schulen heutzutage selbstverständlich sein muss?

Selbstverständlich. Wenn Sie diese Kritik dann aber wenigstens aufgreifen und umsetzen würden. Das machen Sie aber nicht.

(Beifall bei der CDU)

Warum setzen Sie sich eigentlich mit den Schulen vor Ort auseinander und sprechen mit denen über das Modernisierungskonzept, wenn Sie anschließend die konstruktive Kritik aus den Schulen noch nicht einmal umsetzen? - Insofern können Sie die Dialogphase und die ganzen Gespräche doch vergessen.

Was machen Sie nun? Sie haben den Lehrerbedarf statistisch um 800 Stellen gesenkt, ohne die Unterrichtsversorgung auch nur um einen Deut zu verbessern. Aber Sie sprechen hier von 5.000 Unterrichtsstunden, Herr Kollege Voigtländer. Mit Sicherheit wird uns Frau Ministerin Jürgens Pieper gleich auch noch einmal vorhalten, dass wir die 207 neu geschaffenen Stellen auf jeden Fall anerkennen sollten, ist doch damit tatsächlich für eine Verbesserung gesorgt worden.

Unabhängig davon, Herr Kollege Voigtländer - Sie waren wenigstens so ehrlich und haben angespro

chen, dass die Schülerzahlen bis zum Jahr 2008 weiter steigen - -

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fasold?

Gleich. Ich möchte aber vorher meine Ausführungen beenden. - Bis zum Jahr 2008 werden die Schülerzahlen tatsächlich ansteigen. Bis zum Jahr 2015 wird es im Verhältnis zu heute 10.000 Schüler und Schülerinnen mehr geben, Herr Kollege Voigtländer. Was machen Sie im Bereich der Unterrichtsversorgung? Sie sagen: Wir haben durch die Aufstockung auf Vollzeitstellen 207 neue Stellen geschaffen. - Sie haben aber dabei überhaupt nicht berücksichtigt, dass die Schülerzahlen steigen. Sie haben mit keinem einzigen Wort darauf hingewiesen, dass es sowieso in vier Jahren dazu gekommen wäre, weil aufgrund des Rechtsanspruchs die Aufstockung automatisch erfolgen wird. Sie haben kein Rezept für den Bereich der Unterrichtsversorgung, keine einzige Antwort und kein Konzept. Das gilt es nach wie vor zu kritisieren.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde es übrigens interessant, wenn im Antrag der SPD-Fraktion - wir werden gleich darüber abstimmen - zu lesen ist, dass „die durch den technologischen Wandel bedingten Änderungen für den Unterricht“ aufgegriffen werden sollen. Tolle Formulierung! Jeder hat bestimmt genug Vorstellungskraft, sich etwas darunter vorzustellen Stichwort „neue Medien“.

Wenn aber die reale Situation so ist, wie sie ist, Herr Kollege Voigtländer, nämlich dass für das gerade im Informationszeitalter wichtige Fach Informatik an den Berufsschulen im Jahresmittel ganze acht Studienplätze zur Verfügung stehen, von denen fünf besetzt sind, auf die die Industrie bereits wartet, und dass eine Schwundquote von 50 % zu berücksichtigen ist, sage ich Ihnen voraus, dass es in diesem Bereich keinen einzigen Lehrer geben wird, der das umsetzt, was Sie fordern, nämlich dass „die durch den technologischen Wandel bedingten Änderungen für den Unterricht“ aufgegriffen werden sollen. Das kann nicht stattfinden, meine Damen und Herren. Hier verschlafen wir zurzeit die Politik. Das Problem ist, dass die

Berufsschülerinnen und -schüler in diesem Lande das auszubaden haben. Das wollen, können und dürfen wir nicht zulassen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir uns die Frage stellen, was unsere Berufsschulen, Berufsschülerinnen und -schüler dieser Landesregierung bzw. der SPD wert sind, können wir nur zu dem Ergebnis kommen: Das ist gleich null.

Unsere Schülerinnen und Schüler haben - davon sind wir felsenfest überzeugt - etwas Besseres verdient.

(Beifall bei der CDU - Lanclée [SPD]: Ob man Ihnen das vor Ort wohl glaubt?)

- Ja, wir haben vor Ort im Landkreis Cuxhaven genauso wie in Braunschweig und Aurich diese Diskussion geführt, und wir haben die Kritik im Gegensatz zu Ihnen ernst genommen. Wenn wir nämlich wissen, dass an vielen Berufsschulen jede vierte Unterrichtsstunde nicht erteilt wird, Herr Lanclée, dann heißt die Lösung nicht wie bei Ihnen Bilanzkosmetik, sondern die Lösung heißt Einstellung zusätzlicher Lehrkräfte.

(Beifall bei der CDU)

Wenn - wie es der Kollege Voigtländer angesprochen hat - tatsächlich modernisiert werden soll, dann heißt das nicht differenzierte Ausbildungsangebote durch vorrangiges Kostendenken, wie Sie es betreiben, und Freigabe von Standorten im ländlichen Raum, sondern dann heißt es, flexibel auf die Situation vor Ort und auf die regionalen Bedürfnisse einzugehen, auch wenn es etwas kostet.

Wenn wir - darin sind wir uns einig, Herr Kollege Voigtländer - mehr Selbständigkeit stärken und die Eigenverantwortung fördern wollen,

(Glocke des Präsidenten)

dann heißt das nicht, dass wir durch die so genannte Budgetierung, diesem Allheilmittel, heimlich einsparen wollen, wie Sie dies im Konzept vorsehen, sondern dann müssen die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Frau Kollegin, aus Erfahrung weiß ich, dass Sie die Glocke des Präsidenten nicht sonderlich interessiert. Aber Sie müssen trotzdem zum Ende kommen.

Ich habe die 22 Sekunden im Kopf, danke. - Wenn wir verhindern wollen, dass unser duales Ausbildungssystem zum Auslaufmodell wird, dann hilft es nichts, uns irgendetwas vorzumachen - es hilft übrigens auch nichts, wenn Sie das ständig schönreden -, sondern dann müssen tatsächlich entsprechende Konsequenzen - auch im fiskalischen Bereich - gezogen werden. Wir stehen dazu und haben mit unserem Antrag die notwendigen Weichenstellungen vorgenommen. Sie haben noch Zeit, entsprechend umzukehren. Ich wünsche Ihnen im Interesse der Berufsschülerinnen und Berufsschüler, dass Sie auf den richtigen Weg kommen werden.

(Beifall bei der CDU - Frau Pawelski [CDU]: Gut!)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort hat jetzt Frau Kollegin Litfin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Voigtländer hat Recht. Auch in diesem Themenfeld bahnte sich eine andere Kultur der Auseinandersetzung an. Wir sind - und zwar alle Fraktionen gemeinsam - zu Anfang davon ausgegangen, dass im berufsbildenden System ein riesiger Veränderungsbedarf besteht. Wir haben bei den diversen Gesprächen, die wir mit Lehrern und Lehrerinnen und Schulleitern und Schulleiterinnen berufsbildender Schulen geführt haben, festgestellt, dass sich die Schulen dringend verändern wollen, weil sie merken, dass sie das müssen, wenn sie ihren Aufgaben auch in Zukunft gerecht werden sollen.

Das Problem - deshalb wird meine Fraktion leider beide Anträge ablehnen - ist, dass über diese Allgemeinplätze hinaus nichts weiter bekannt ist, was sich denn ändern soll. Niemand weiß heute, wie die Kompetenzzentren für die Region, wovon die Landesregierung spricht und die die SPD lobt, aussehen sollen. Die Schulen vor Ort wissen es

nicht, und ich habe die Befürchtung, dass die SPDLandtagsfraktion es auch nicht weiß. Vielleicht weiß es der Kollege Voigtländer, aber der Rest weiß es nicht, auch Eckhard Fasold nicht, der jetzt seine Wangen aufblasen muss. Ob die Landesregierung bzw. die Kultusministerin es weiß, steht für mich in den Sternen.

(Zuruf von Fasold [SPD])

Die Kultusministerin konnte es ja nicht unterlassen: Obwohl wir uns alle darüber einig waren, dass die Schulen sehr viel mehr Freiheit brauchen, um schnell und angemessen z. B. auf neue Berufsbilder, aber auch auf Veränderungen alter Berufsbilder reagieren zu können, um neue Angebote für Jugendliche konzipieren zu können, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, um neue Fachoberschulen, die gebraucht werden, einrichten und alte auflösen zu können, wird mit der neuen BbS-VO und insbesondere dem Klassenbildungserlass das Gegenteil gemacht: Freiheit wird genommen, die Schulen werden in ihrer Freiheit wieder eingeschränkt.

Die frei verfügbaren Personalressourcen in dem so genannten kleinen Deckungskreis sind geradezu lächerlich. Auch hierbei haben die Schulen nur die Freiheit, damit umzugehen, wenn sie mit dem zuständigen Dezernenten der Bezirksregierung gut auskommen. Ich meine, dass das nicht die Grundlage einer innovativen Schulpolitik sein kann.

Ich muss aber auch der CDU-Fraktion sagen, dass die Forderung nach zusätzlichen Ressourcen gut und schön und populär ist

(Zuruf von der CDU: Vor allen Din- gen ist sie richtig!)

- sie ist auch nicht falsch -, aber mehr des Gleichen allein hilft nicht; sondern die Frage ist, was anders gemacht werden kann. Über dieses „anders“ werden wir uns noch auseinander setzen müssen, weil keine der großen Fraktionen in ihren Anträgen Vorschläge unterbreitet hat, wie sie sich dies konkret vorstellt. Meine Fraktion hat das getan. Wir haben den Antrag zum Thema „Berufsschulen nach dänischem Modell“ gestellt, der sich noch in der Beratung befindet.

Ich habe die große Hoffnung, dass sich die großen Fraktionen diesem Antrag anschließen werden, um wenigstens auszuprobieren, ob auch unsere Berufsschulen anders, und zwar viel freier arbeiten können.

Frau Kollegin Litfin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Busemann?

Es tut mir Leid, Herr Kollege Busemann. Ich habe noch eine Minute und 25 Sekunden Redezeit.

Ich habe die Hoffnung, dass sich die großen Fraktionen dem Antrag anschließen werden, um ausprobieren zu können, ob die Berufsschulen viel enger mit den Betrieben, Kommunen, Kammern und allen Akteuren in ihrem Bereich, die in irgendeiner Form mit Berufsbildung zu tun haben, zusammenarbeiten zu können, um ausprobieren zu können, ob unsere Berufsschulen in der Lage sein werden, wie Schulen in Dänemark freie Angebote konzipieren zu können, in denen Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, Module zu erwerben, die ihnen dann auch nicht verloren gehen, sondern als Qualifikation bei einem neuen Weg, den sie einschlagen werden, angerechnet werden, und ob Schülern und Schülerinnen dann, wenn sie nach einem Vierteljahr feststellen, dass dieser Ausbildungsplatz nicht das Wahre für sie ist oder der Meister diese Feststellung trifft, sofort etwas anderes machen können und nicht auf den Beginn des nächsten Schul- bzw. Ausbildungsjahres warten müssen.

Lassen Sie mich noch etwas zu den Ressourcen sagen, die auf der Grundlage des neuen Klassenbildungserlasses verteilt werden. Die Berufsschule in Walsrode beschwert sich nicht zu Unrecht darüber, dass die Fachoberschule Technik in einer Zeit, in der wir einen wahnsinnigen Ingenieurmangel erleben, gezwungen ist, mit 32 Schülern und Schülerinnen in einer Klasse zu arbeiten, was schon einmal ziemlich unmöglich ist. Ich empfinde dies als verantwortungslos, wenn wir dann noch berücksichtigen, dass sie gezwungen ist, sowohl Realschüler und Realschülerinnen, die frisch von der allgemein bildenden Schule kommen, als auch junge Leute oder ältere Leute, die bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, eine Berufstätigkeit ausgeübt haben und sich weiterbilden wollen, in dieser einen 32er-Klasse zu unterrichten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, bevor ich Frau Ministerin Jürgens-Pieper das Wort erteile, möchte ich Ihnen noch mitteilen, dass die Fraktionen übereingekommen sind, dass wir noch vor der Mittagspause den Tagesordnungspunkt 14 - dabei geht es um den europaweiten autofreien Tag - besprechen und abschließen wollen. Ich bitte Sie, sich darauf einzustellen.

Frau Ministerin, Sie haben jetzt das Wort.