Protokoll der Sitzung vom 22.02.2001

Wir müssen darauf achten, dass die Kinder vor ökonomischen, sozialen und psychosozialen Folgen bewahrt werden. Das ist meiner Meinung nach auch die große Aufgabe der Landesregierung zusammen mit allen Trägern privater und freier Initiativen. Es muss - wie die Kollegin JanssenKucz schon gesagt hat - eine Vernetzung stattfinden. Die einzelnen Initiativen in der Jugendpolitik, in der Familienpolitik und natürlich auch in der Sozialpolitik müssen miteinander vernetzt werden. Insofern haben diese Große Anfrage und die Antwort darauf hoffentlich bewirkt, dass auch bei dieser Landesregierung die Sozialpolitik wieder irgendwo in den Bilanzen erscheint.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Das wäre schön!)

Kinder dürfen nicht länger als Armutsrisiko angesehen werden. Deshalb muss die Politik versuchen, gezielt Armutsprävention zu betreiben, und es muss gemeinschaftlich gehandelt werden. In unseren Augen ist es ganz wichtig, dass nicht noch mehr Zeit verstreicht. Seit Vorlage des Armutsberichtes 1998, von dem wir erwartet haben, dass daraufhin viele neue Maßnahmen in Angriff genommen werden, ist in Niedersachsen reichlich wenig passiert. Sie haben hier zwar einige Maßnahmen genannt; aber diese reichen längst nicht aus. Die sozialen Organisationen betonen in allen Gesprächen, dass seit Vorlage dieses Armutsberichtes wirklich nur sehr, sehr wenige Maßnahmen ergriffen worden sind. Die neue Ministerin hat nun aber viele Dinge angekündigt.

Wie gesagt, wir hoffen, dass die Konfliktpotentiale, die in den Familien bestehen, durch gezielte Prävention und durch gezielte Arbeit in den Beratungsstellen ausgeräumt werden. Aus diesem Grunde darf bei den Beratungsstellen auch nicht weiter mit der Rasierklinge gekürzt werden. Es darf nicht so sein, dass die Beratungsstellen alljährlich bei den Haushaltsberatungen Angst davor haben müssen, dass ihnen nicht mehr genügend Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Frau Ministerin, Sie haben vorhin kurz angedeutet, dass auch die CDU in den 16 Jahren ihrer Regie

rungstätigkeit auf Bundesebene nicht sehr viele Leistungen erbracht habe. Dazu möchte ich Ihnen sagen, dass all die familien- und frauenpolitischen Gesetze, die seinerzeit erarbeitet worden sind - ich nenne nur die Stichworte Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub, Freistellung für Krankheiten von Kindern -, von der CDU initiiert wurden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, in diesem Sinne hoffe ich, dass wir in Zukunft wirklich an einem Strang ziehen und gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Kindern in Niedersachsen ergreifen, damit Niedersachsen ein Vorzeigeland wird und nicht nur annähernd so eine Quote aufweist wie Deutschland insgesamt. - Danke schön.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, jetzt hat Frau Kollegin Hemme das Wort. Bitte schön, Frau Hemme!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kinderarmut kann nicht losgelöst gesehen werden von der Situation der Familie, in der Kinder leben und aufwachsen. Ich werde mich im Folgenden auf den Aspekt Familie beschränken.

Die Situation der Familie fächert sich auf z. B. in Finanzen, Wohnen sowie Art und Größe der Familie, wobei die Größe der Familie ein eindeutiger Indikator für Familienarmut ist. Bei fünf und mehr Personen liegt der Prozentsatz der von Armut betroffenen Familien - ermittelt im vergangenen Jahr - bei 28,5%. Wenn wir von Armut sprechen, dann sprechen wir selbstverständlich nicht von Armut im Sinne von Armut in der Dritten Welt. Armut bei uns hat aber einen genau so tief liegenden Level und genau so gravierende Auswirkungen auf Kinder und Familie.

Wenn wir den Schluss ziehen, dass Kinder ein Armutsrisiko sind, dann können wir im Grunde genommen nur noch sagen: Leute, lasst das mit dem Kinderkriegen. Dann geht es euch besser. Wenn wir uns ansehen, wie sich junge Frauen die Entscheidung für oder gegen Kinder nicht leicht machen, so ist dies auch ein Aspekt in der Entscheidungsfindung.

Wir wissen aber, dass dies das falsche Signal ist. So begrüßen wir es ausdrücklich, dass die Landesregierung die Verbesserung des Familienlastenausgleichs im Bundesrat unterstützt hat. Ich nenne die Stichworte Kinder- und Erziehungsgeld, Unterhaltsvorschuss und Wohngeld. Hier findet uns die Landesregierung weiterhin an ihrer Seite.

Hinzu kommt aber auch die große Anstrengung, nicht nur junge Menschen, sondern auch ihre Eltern mit Arbeitsmarktprogrammen wieder in Lohn und Brot zu bringen, um sie so in die Lage zu versetzen, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen; denn Arbeitslosigkeit - speziell Langzeitarbeitslosigkeit - ist ein weiterer Armutsgrund.

Es gehören aber auch veränderte Rahmenbedingungen dazu, die auf unterschiedlichen Gebieten greifen müssen, um z. B. Müttern - nicht nur allein erziehenden Müttern - die Möglichkeit zu erschließen, erwerbstätig zu werden, um entweder die Familie zu ernähren oder um zum Familieneinkommen beizutragen. Die von der Opposition vielfach gescholtene Verlässliche Grundschule ist dabei nur ein Anfang, der für weitere Schulstufen ausgebaut werden muss.

Dazu gehört aber auch die Veränderung anderer Rahmenbedingungen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik wie die Möglichkeit, mehr Teilzeitstellen einzurichten.

Wir wissen, dass mit der ungünstigen wirtschaftlichen Situation eine Benachteiligung auf anderen Gebieten einhergeht. Deshalb fördern wir Familienbildungsstätten, Maßnahmen zur Familienerholung und zu Familienfreizeiten - alles Einrichtungen, in denen wertvolle Arbeit zur Unterstützung der Familien geleistet wird. Nicht jede Familie ist in der Lage, sich aus den bunten Urlaubskatalogen schon im Herbst die Reise für den nächsten Sommer auszusuchen. So ist das für viele die einzige Möglichkeit, zusammen mit der Familie einmal aus der Umgebung herauszukommen.

Wenn Sie, meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, nach den Programmen der „Sozialen Stadt“ und danach fragen, was die Landesregierung in dem Zusammenhang ganz speziell für Kinder und Jugendliche und Familien in den betreffenden Kommunen tut, so muss ich Ihnen als betroffene Kommunalpolitikerin sagen, dass dies nun wirklich kommunale Sache ist. Die Räte vor Ort schneidern ihre Programme genau für das zu, was vor Ort gebraucht wird. Ich möchte in diesem

Zusammenhang für einen Zuschuss von 4,6 Millionen DM für zwei Gemeinden in meinem Landkreis ausdrücklich Dank sagen.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin der Überzeugung, dass jede Familie im Laufe der Zeit Krisen zu bewältigen hat. Die eine bewältigt das aus eigener Kraft, die andere braucht Hilfe. Hierfür stehen den Familien landesweit unterschiedliche Beratungsstellen zur Verfügung. In diesen Beratungsstellen wird auch bei Sucht oder Verschuldung geholfen.

Selbstverständlich ist noch viel zu tun, aber 16 Jahre Stillstand im Bund

(Unruhe bei der CDU)

sind selbst von uns nicht in kürzester Zeit aufzuholen. Deshalb unterstützen wir die jetzige Bundesregierung weiterhin in ihrem Bemühen.

(Beifall bei der SPD)

An diesen kurzen Ausführungen können Sie erkennen, dass Familienpolitik eine Querschnittsaufgabe ist. In vielen Politikfeldern ist die Familie zu berücksichtigen. Dies wird die SPD-Fraktion weiterhin engagiert tun.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Vockert möchte jetzt zu der Großen Anfrage sprechen. Bitte schön, Frau Vockert!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach den Reden der Ministerin Dr. Trauernicht und auch der Kollegin Hemme von der SPD-Fraktion müssten wir uns fragen: Wie ist es eigentlich mit der jetzigen Situation der Armut von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen, wohlgemerkt: in Niedersachsen und nicht in der Bundesrepublik Deutschland?

Wenn man hört, was an Lösungsansätzen angeboten wird - das haben wir auch in der schriftlichen Antwort auf die Anfrage nachlesen können; dort hieß es, dass es die RABaZ-Programme, die 1970 noch unter einer CDU-Regierung eingeführten Werkstattprogramme, RAN und zusätzlich durch ESF-Mittel geförderte Programme gibt -, könnte

man denken, Frau Ministerin, dass die Armut von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen erheblich zurückgegangen sein müsste. Aber wenn wir uns die Statistik anschauen, dann sehen wir, dass das nicht so ist. Sie müssten dann aber doch von sich aus die Schlussfolgerung ziehen: Entweder haben die Programme, die Sie genannt haben und die wir auch ohne Wenn und Aber unterstützen, hinsichtlich der Beseitigung der Armut von Kindern und Jugendlichen nicht gegriffen, oder sie sind zahlenmäßig nicht ausreichend. - Frau Ministerin, darauf müssten Sie antworten, statt ständig nur auf das zu verweisen, was in den vergangenen Jahren gemacht worden ist. Wie gesagt, dies ist unbestritten eine Leistung, aber kein Beweis dafür, dass die Kinder- und Jugendarmut zurückgegangen ist. Sie sind also gefordert, zu agieren, und das in einem erheblichen Maße. Sie selber haben ja gesagt, dass der Anstieg der Arbeitslosigkeit eine Ursache ist.

Frau Kollegin Vockert, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Lau?

Bitte schön, Frau Lau!

Frau Vockert, können Sie mir einmal erklären, wieso Ihr ehemaliger Bundeskanzler noch vor vier Jahren das Bestehen von Kinderarmut abgestritten hat?

Wenn ich das zitieren würde, was die jetzige Bundesministerin zum Thema Kinderarmut sagt, könnten wir uns wiederum streiten. Ich verteidige diese Aussage überhaupt nicht, Frau Lau. Ich finde diese Aussage auch nicht richtig. Wir stimmen sicherlich darin überein, dass es in einem reichen Industrieland eine Schande ist, zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass es Armut von Kindern und Jugendlichen hier überhaupt gibt. Darin sind wir uns wohl parteiübergreifend einig. Jetzt geht es um die entsprechenden Lösungsansätze, Frau Lau.

Dafür ist von der Landesregierung schon etwas mehr zu fordern als das, was Sie, Frau Ministerin, uns in der Antwort auf die Anfrage weismachen wollen, nämlich dass Sie dieses Problem im Prinzip erkennten und dass da schon eine ganze Menge gelaufen sei. Die Lösungsansätze haben Sie uns damit nämlich noch nicht genannt.

Sie nennen uns als Lösungsansatz - das will ich zum Abschluss noch sagen - Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung, und in dem Zusammenhang führen Sie auch die Tageseinrichtungen für Kinder an. Frau Ministerin, es ist sinnvoll, dass wir uns auch Gedanken darüber machen, wie wir die Erwerbstätigkeit und die Kinderbetreuung besser vereinbar machen können. Wenn Sie in diesem Zusammenhang auf Tageseinrichtungen für Kinder verweisen und dies als Leistung des Landes hinstellen, dann müssen Sie aber zur Kenntnis nehmen, dass diese Landesregierung, die immerhin seit zehn Jahren in der Verantwortung steht und irgendwann einmal versprochen hat, dass 100 % Personalkostenzuschüsse gezahlt werden, die Kommunen finanziell ausblutet und ihnen nicht das Geld zur Verfügung stellt, damit sie tatsächlich dafür sorgen können, dass hier flexibel reagiert werden kann.

(Frau Somfleth [SPD]: Und wie viele Kindergärten gab es zu Ihrer Regie- rungszeit?)

Ich will noch einen Punkt nennen, weil er angesprochen worden ist.

(Glocke der Präsidentin)

Es heißt, das Kindergeld - Frau Ministerin Trauernicht, das haben Sie selber gesagt - sei von der jetzigen Bundesregierung erheblich angehoben worden. Ich will jetzt nicht auf die Geschichte eingehen, dass die SPD dies im Jahre 1982 auch schon einmal herunterschrauben wollte; völlig schnurz. Die SPD-geführte Bundesregierung hat also das Kindergeld angehoben. Bei diesem Tagesordnungspunkt, Frau Ministerin, geht es aber um das Thema „Armut von Kindern und Jugendlichen“. Die betroffene Bevölkerungsgruppe, nämlich die Eltern, die Sozialhilfe beziehen, profitiert jedoch in keiner Weise von der Erhöhung des Kindergeldes; denn dieses Geld wird sofort wieder von der Sozialhilfe abgezogen.

(Glocke der Präsidentin)

Sie müssen also entsprechend agieren und dürfen nicht ständig reagieren bzw. sich herausreden. Es ist ein Armutszeugnis, das Sie sich selber ausgestellt haben. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Janssen-Kucz, Sie haben noch einmal ums Wort gebeten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle begrüßen, dass sich die Landesregierung und Ministerin Dr. Trauernicht um die Situation von Kindern und Jugendlichen in diesem Lande kümmern wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich finde es positiv, dass Sie die positiven Beispiele aus der rot-grünen Bundesregierung noch einmal so deutlich dargestellt haben.