Etwa 90 % der gehörlosen oder früh ertaubten Kinder haben hörende Eltern. Daraus ergibt sich auch die Frage der Kommunikation innerhalb der Familie. Bei den unter Zweijährigen, die gehörgerichtet erzogen werden, ist das in der Familie auch ohne Kenntnis der Gebärdensprache möglich. Wenn ein Elternteil die Gebärdensprache zusätzlich kann, so ist das unter Umständen förderlich, muss es aber nicht sein. Deshalb sollte auch für die Früherziehung der Kinder ein möglichst breites und damit differenziertes Angebot vorgehalten werden. Ich muss sagen: Ich bin dafür dankbar, dass wir über diesen Absatz Einigkeit erzielt haben, sodass wir diese Möglichkeit jetzt vorhalten können.
Es spricht überhaupt nichts dagegen, das Hamburger Modell parallel dazu einzuziehen, sodass wir eine bilinguale Erziehung vorhalten können. Meiner Einschätzung nach ist dieses Modell aber eher für diejenigen geeignet, die erst spät mit einem Hörgerät oder einer Hörhilfe versorgt werden - bis hin zum CI; das schließt sich ja nicht gegenseitig aus. Man weiß aber, dass es, je später jemand versorgt wird, immer schwieriger wird, sich den bestehenden Anforderungen ohne eine Deutsche Gebärdensprache anzupassen. Die Schwierigkeiten
werden immer größer. Damit werden auch die Schwierigkeiten, sich vollständig anzupassen, immer größer. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Hörenden diejenigen, die früh implantiert und hörgerätetechnisch versorgt werden und die auch ein hohes Bildungsniveau haben, nicht als Hörbehinderte betrachten, sondern diese mit sich gleich stellen. Sie müssen aber auch den Anforderungen gerecht werden. Das heißt auf der andern Seite jedoch auch, dass jemand in der höheren Schule oder während des Studiums einen speziellen Fachoder Gebärdendolmetscher benötigt. In Niedersachsen gibt es derzeit offiziell 35 Gebärdendolmetscher. Diese Zahl lässt sich jetzt aber nicht mehr halten; denn der Hinweis auf das SGB IX ist insofern richtig, als es eine Formulierung zur Änderung des SGB I dahin gehend enthält, den Rechtsanspruch auf einen Gebärdendolmetscher zu sichern, was jetzt über die ambulante Eingliederungshilfe finanziert wird. Diese Einfügung im allgemeinen Teil des SGB I lautet:
„Hörbehinderte Menschen haben das Recht, bei der Ausführung von Sozialleistungen, insbesondere auch bei ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen, Gebärdensprache zu verwenden. Die Kosten werden von dem für die Sozialleistung zuständigen Leistungsträger getragen.“
Wir haben ja das Quotale System beschlossen. In dem Rahmen wird dies meiner Einschätzung nach auch geregelt.
Alles in allem - ich sehe, dass sich meine Redezeit schon dem Ende zuneigt - glaube ich, dass dieser Antrag für die Betroffenen den richtigen Weg weist. Ich glaube auch, dass dieser Antrag von uns zur rechten Zeit eingebracht worden ist. Das darf man an dieser Stelle durchaus einmal betonen.
Auf diese Weise erreichen wir für die Betroffenen tatsächlich eine Hilfe, auf die sie schon lange gewartet haben. Da wir unseren Änderungsantrag einstimmig beschließen werden, hoffe und glaube ich, dass die Betroffenen diese Hilfe erfahren werden. - Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich darf mich zunächst einmal im Namen der SPDFraktion dafür bedanken, dass es wieder geklappt hat, dass Frau Fries heute als Dolmetscherin da ist und dass der Ältestenrat die notwendigen Vorbereitungen dafür getroffen hat. Wir sollten häufiger bei behindertenspezifischen Themen mit Gebärdendolmetschern arbeiten. Dafür heute auch im Namen der SPD-Fraktion herzlichen Dank.
Nach dem ausführlichen Bericht des Kollegen Dr. Winn möchte ich mich nur auf drei oder vier Aspekte konzentrieren. Ich glaube, es ist wichtig, einleitend noch einmal auf den Grundsatzstreit der letzten 100 Jahre, den Schulenstreit in der Arbeit mit Gehörlosen, einzugehen. Es gab ja immer die Auffassung, dass Gehörlose nur über die Lautsprache, also über das Ablesen vom Mund, den Gehirnen die Signale geben, die das Gehirn in die Lage versetzen, Sprache zu lernen und damit auch lesen zu können. Das war die Logik der letzten 100 Jahre der sprechenden Pädagogik in der Arbeit mit Gehörlosen. Demzufolge war es verpönt, die Lautsprache auch nur mit Gebärden zu begleiten. Wir haben in einem früheren Antrag schon einmal klargestellt, dass dies einer neueren Sichtweise bedarf. Aber beides oder sogar alternativ die Deutsche Gebärdensprache neben der Lautsprache in der schulischen und beruflichen Ausbildung einzusetzen, galt bis zu den Entscheidungen im Europarat und in der Bundesregierung, bis zu der Koalitionsvereinbarung der jetzigen Regierung immer noch als unvereinbar. Es wurde gesagt, die Vermittlung bilingualer Sprache, also der Lautsprache und der Gebärde, stört das Lernvermögen des Gehirns, stört den Spracherwerb
Es gibt einen Menschen in der Bundesrepublik, der über Erkenntnisse verfügt, die er - so könnte man das nennen, ohne dass er dies je selbst beansprucht hat - in einem groß angelegten Feldversuch gewonnen hat. Das ist der in der Anhörung im Sozialausschuss aufgetretener Prof. Günther aus Hamburg, der übrigens der Hochschullehrer ist, der unsere grundständig ausgebildeten Sonderpädagogen in einem universitären, postgradualen Studiengang in Hamburg zu Gehörlosenlehrern fortbildet.
Dieser Prof. Günther hatte deutlich gemacht und anhand seiner Erfahrungen belegt, dass es nicht zu bemerken ist, dass sich dann, wenn beide Sprachen vermittelt werden, diese behindern bzw. dass die Schülerin oder der Schüler dadurch gehindert wird, Sprache zu erwerben.
Meine Damen und Herren, das mag denen, die dem Thema etwas ferner stehen, als nicht so wesentlich erscheinen. Aber Günther hat mit seinen jahrelangen Erfahrungen mit Gehörlosen den Beweis geführt, dass die Philosophie unzutreffend war, dass nur die Lautsprache vermittelt werden darf. Wir können jetzt Frieden schließen und bilingualen Unterricht, also mit Lautsprache und Deutscher Gebärdensprache - nicht nur die Lautsprache unterstützender Gebärde -, durchführen. Dabei können wir die Deutsche Gebärdensprache voll einsetzen.
Das setzt natürlich voraus, dass wir sie lehren, dass die Lehrer sie können, dass wir die Lehrer fortbilden und die Lehrenden in die Lage versetzen, den Schülern das auch zu vermitteln. Das war in der Welt der Gehörlosen, die sich ja oft in ihre Welt zurückziehen müssen, weil sie in dieser Welt der Laute kommunikationsgestört sind, ohnehin schon Usus und Praxis. Die theoretische Meinung wurde nicht gelebt. Jeder Gehörlose war in seiner Kommunikation, insbesondere in seiner Emotionalität, immer darauf angewiesen, mit Gebärden zu sprechen und zu leben. Das war dort schon längst Wirklichkeit. Die Wissenschaft hatte nachzuvollziehen.
Ich meine, die Anhörung im Niedersächsischen Landtag am 8. November 2000 hat einen beredten Beweis dafür erbracht, dass wir mit Gehörlosen bilingual arbeiten können und dürfen, ohne Schaden anzurichten. Bilingualer Unterricht ist förderlich. Ich meine, dies ist eine ganze wichtige Erkenntnis. Die hat uns dann ja auch einvernehmlich ermutigt, den Antrag zu formulieren, der Ihnen vorliegt.
Voraussetzung ist natürlich, dass wir heranwachsende und erwachsene gehörlose Behinderte häufiger als derzeit noch in die Lage versetzen, auf einen Dolmetscher zurückzugreifen. Wir unterstützen daher die Landesregierung ausdrücklich darin, über die Mittel hinaus, die sie als Hauptfürsorgestelle schon bereitgestellt hat, um Gebärdendolmetscher auszubilden, und zwar in immer wieder stattfindenden Projekten, die von den Verbänden organisiert werden, Mittel von Toto und Lotto
Ich will auch ausdrücklich das unterstützen, was Herr Dr. Winn gesagt hat. Wir haben von Herrn Prof. Lenarz in der Anhörung gesagt bekommen, dass eine frühkindliche Untersuchung auf einen erheblichen behandlungsbedürftigen Hörschaden zwischen 10 und 12 DM kostet. Eine Diagnose kann ein Leben als Behinderter verhindern. Man muss sich das einmal vorstellen.
Wir haben die Information von Lenarz in der Stadt Delmenhorst zum Anlass genommen, neben der Screening-Region Hannover - hier wird ja ein flächendeckendes Screening aller Neugeborenen versucht, um diese einfache, nicht schmerzhafte Untersuchung wenige Tage nach der Geburt durchzuführen und nachzuschauern, ob das Kind behandlungsbedürftig ist, um dann die notwendigen Rehabilitations- und Behandlungspläne zu entwickeln - mit dem Städtischen und gemeinnützigen Katholischen Krankenhaus sofort ein flächendeckendes Screening zu beginnen. Seit dem 1. Februar wird bei uns jedes neugeborene Kind untersucht, und die Eltern werden sofort beraten. Ich kann das Ihnen allen, die Sie vielleicht auch in der Sozialhilfe Ausgaben einsparen wollen - das ist sicherlich ein nachrangiger Aspekt, aber vielleicht ist das für den einen oder anderen ein Handlungsmotiv -, nur raten: Machen Sie das dort, wo Sie mit Krankenhausträger sind, ähnlich. Es kostet wenige 1 000 DM, eine solche Anlage zu installieren, aber es hilft wirklich maßgeblich wie sonst kaum in einem anderen Sektor der Behindertenpolitik.
Letzte Bemerkung: Wir haben uns im Zuge der Beratungen, in die ja auch noch eine Denkschrift des Landesrechnungshofs zur Arbeit in den Gehörlosenzentren hineinwirkte, darauf verständigt, uns im letzten Absatz zu der Arbeitsweise in den LBZ zu äußern. Wir waren sehr dafür, die dort vorhandene Kompetenz dort auch zu lassen und nicht die Frage zu stellen, ob Kommunen oder andere es ähnlich erledigen könnten. Diese Zentren müssen Kompetenzzentren bleiben. Aber sie müssen zur fachlichen Kompetenz auch die Ressourcenkompetenz in die LBZ verlagern. Das haben wir im letzten Absatz zum Ausdruck gebracht, und darin stimmen wir auch völlig mit den Anregungen des Landesrechnungshofes überein. Wir hoffen, dass sich das allmählich entwickelt, weil wir auch erwarten, dass diese Zentren weit mehr, als es
derzeit bei hierarchisierter Arbeitsweise möglich ist, Kostenteilungsvereinbarungen mit anderen Zuständigen suchen und finden. Wir versprechen uns davon auch eine Motivation in den Zentren, aber auch, dass man vielleicht die eine oder andere Refinanzierung bekommt, wenn man die Ressourcenkompetenz an den Ort des Geschehens verlagert.
In diesem Sinne bin ich dankbar für die intensive Beratung im Ausschuss. Sie war sehr qualifiziert. Ich wäre dankbar, wenn alle den heutige vorliegenden Text mit der Ergänzung, die wir natürlich mittragen, weil es auch so besprochen worden ist, unterstützen würden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Einführung der Gebärdensprache in den Landesbildungszentren ist immer wieder auf die lange Bank geschoben worden, und zwar aus Gründen, die hier schon genannt worden sind, nämlich weil sich die Befürworter der möglichst umfassenden Heranführung an die Lautsprache mit Hilfe der Cochlea-Implantate auf der einen Seite und die Befürworter eigener Kommunikationsformen und Kommunikationsstrukturen, nämlich mit Hilfe der Gebärdensprache, auf der anderen Seite unversöhnlich gegenüberstanden, auch in der Politik. Das hat die Lösung dieses Problems leider viel zu lange blockiert.
Die Anhörung im Ausschuss hat tatsächlich sehr viel Sachlichkeit in die Debatte gebracht und deutlich gemacht - darauf möchte ich noch einmal ausdrücklich hinweisen -, dass es auch für gehörlose Kinder mit Implantaten entscheidend ist, dass sie die Möglichkeit haben, sich auch mithilfe der Gebärdensprache auszudrücken. Das ist für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit, für ihre emotionale und kommunikative Entwicklung sehr bedeutsam. Allein mit der Lautsprache ist das ganz offensichtlich nicht möglich, obwohl sie die natürlich zusätzlich erlernen können und sollen.
angesprochen hat, nicht noch weiter verbreitert werden müssen. Sie müssen dringend verbessert werden,
damit die Kinder, bei denen es diese Möglichkeiten mithilfe eines Cochlea-Implantats gibt, auch alle Möglichkeiten zur Verfügung gestellt bekommen.
Gleichwohl hat die Anhörung gezeigt, dass diese Implantate nur ein Weg sind und nicht bei allen Kindern funktionieren. Das dürfen wir dabei nicht vergessen. Wir dürfen auch nicht die Menschen aus den Augen verlieren, in deren Kindheit diese Möglichkeiten noch gar nicht existierten.
Meine Damen und Herren, wir müssen bei der Neuordnung der Landesbildungszentren, die auch in dem Antrag angesprochen wird, eine gründliche Überarbeitung der Aufgabenstellungen sowohl in schulpolitischer Hinsicht als auch in sozial- und gesundheitspolitischer Hinsicht ins Auge fassen, und zwar nicht nur vor dem Hintergrund einer schwindenden Zahl von Internatsschülerinnen und -schülern. Wir müssen das auch vor dem Hintergrund ins Auge fassen, dass eine ganz andere Didaktik und eine ganz andere Pädagogik für die Unterrichtung von Kindern notwendig sein werden, die bilingual erzogen werden. Das wird, meine ich, eine intensive Aufgabe, die wir meiner Ansicht nach auch begleiten sollten.
Ich bin sehr froh, dass die rot-grüne Bundesregierung einen Gesetzentwurf zum SGB IX vorgelegt hat, der ja für fast alle Lebenssituationen die Hinzuziehung von Gebärdendolmetscherinnen und -dolmetschern vorsieht. Ich meine, dass diese Bundesinitiative gemeinsam mit dem, was wir jetzt auf Landesebene voranzubringen versucht haben, die Lebenssituation von gehörlosen Menschen und auch von Menschen, die Hörschwierigkeiten haben, deutlich verbessern wird.
Darüber hinaus werden wir uns auch mit den Bedürfnissen insgesamt derjenigen Schwerhörigen auseinander setzen müssen, denen nicht über das Cochlea-Implantat geholfen werden kann. Der Landesverband der Schwerhörigen hat uns darauf intensiv hingewiesen. Ich meine, dass wir darauf unzureichend eingegangen sind und da noch eine weitere Aufgabe haben. - Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass sich dieses Hohe Haus noch einmal mit den besonderen Problemen hörgeschädigter Menschen befasst und mit dieser Entschließung eine Offensive für die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe hörgeschädigter Menschen starten will. Ich bin dankbar für die sachliche Debatte dieses so sensiblen Themas.
Das Europäische Parlament und die Ministerpräsidentenkonferenz haben sich mit den Kommunikationsproblemen hörgeschädigter Menschen befasst und gefordert, die Anerkennung der Gebärdensprache voranzubringen. Die Bundesregierung will mit dem SGB IX Bedingungen schaffen, die den Gebrauch der Gebärdensprache wesentlich erleichtern helfen.
Die Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache bedeutet natürlich, dass Kinder und Jugendliche, die gehörlos aufwachsen, diese Sprache im Rahmen ihrer schulischen Bildung erlernen und auch anwenden können. Das widerspricht nicht der Aufgabe der Schulen, Laut- und Schriftsprache zu vermitteln. Berichte aus Schulen, in denen beide Ansätze praktiziert werden, beweisen, dass sich beide Ansätze ergänzen.
Die Deutsche Gebärdensprache wurde, ähnlich wie etwa die amerikanische, als eigenständige Sprache mit eigener Grammatik entwickelt. Mit ihrer Hilfe können Gehörlose ohne Lautsprache kommunizieren.
In den vier Schulen für Gehörlose in Niedersachsen, die alle Teile der Landesbildungszentren für Hörgeschädigte sind, wird zurzeit unterschiedlich intensiv das System manueller Kommunikation eingesetzt: die lautsprachbegleitende Gebärde. Sie unterscheidet sich von der Gebärdensprache vor allem dadurch, dass sie der Grammatik der Lautsprache folgt.
Erstens. Alle Gehörlosen im schulpflichtigen Alter müssen sich die Sprache im Rahmen ihrer schulischen Ausbildung aneignen.
Zweitens. Lehrkräfte an den Schulen für Gehörlose müssen Kenntnisse in der Deutschen Gebärdensprache und ihrer Vermittlung erwerben oder ausbauen können.
Drittens. Gebärdensprachkenntnisse müssen zu einem verpflichtenden Teil der Ausbildung der Sonderschullehrerinnen und -lehrer mit einer Qualifikation im Schwerpunkt Hören werden.