Protokoll der Sitzung vom 16.03.2001

Unabhängig davon kann natürlich jeder jederzeit wieder einen Antrag auf Änderung der Tagesordnung stellen.

Damit ist diese Debatte beendet.

Wir kommen zu den geschäftlichen Mitteilungen des Schriftführers.

Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung Ministerpräsident Gabriel, von der Fraktion der SPD Frau Bührmann und Herr Dr. Fischer, von der Fraktion der CDU Herr Meier und von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Klein.

Wir kommen damit zu

Tagesordnungspunkt 31: Mündliche Anfragen - Drs. 14/2296

Es ist jetzt 9.16 Uhr.

Ich rufe auf die

Frage 1: Gesundheitsförderung im Justizvollzug

Die Fragestellerin Frau Merk hat diese Frage zurückgezogen.

(Zuruf von der CDU: Das ist aber schade! – Möllring [CDU]: Feigheit vor dem Feind! – Große Unruhe bei der CDU)

- Meine Damen und Herren, bitte beruhigen Sie sich! Wir wollen heute Morgen ja auch noch etwas schaffen.

Wir kommen zur

Frage 2: Botulismus und Bio-Tonne

Die Frage wird gestellt vom Abgeordneten Fischer und von der Abgeordneten Hansen. – Herr Fischer, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einem Pressebericht des „Göttinger Tageblattes“ vom 29. Januar 2001 sollen die beiden Wissenschaftler Klaus-Steffen Saternus und Helge Böhnel herausgefunden haben,

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

dass ein Zusammenhang zwischen dem so genannten plötzlichen Kindstod und Botulismus besteht. Bei mehr als 82 untersuchten toten Babys hätten die Wissenschaftler in mehr als 20 Fällen Botulinum als Gift oder als Erreger gefunden. Aufgrund seiner Forschungen kommt Böhnel zum Ergebnis, dass Erreger für Botulismus im Biomüll der Grünen Tonnen nachweisbar seien. Es drängt sich somit der Verdacht auf, dass Kompost den gefährlichen Erreger überträgt. Auch bei Kühen und Reitpferden soll immer häufiger Botulismus als Ursache für tödliche Erkrankungen diagnosti

ziert worden sein. Dabei wird befürchtet, dass die Konzentration der Erreger, die im Boden mühelos 100 bis 200 Jahre überleben können, in dem Maße zunimmt, wie Biokompost in den Kreislauf der Natur gelangt.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Welche gesicherten Erkenntnisse liegen ihr über die Gefahren von Botulismus für Menschen und Tiere vor?

2. Welche konkreten Maßnahmen beabsichtigt sie aufgrund der Berichterstattung im „Göttinger Tageblatt“ vom 29. Januar 2001 zur Erforschung und Vermeidung einer weiteren Ausbreitung von Botulismus zu ergreifen?

3. Wie bewertet sie die Forderung, dass wegen des denkbaren Gefahrenpotentials mit der Ablagerung von Kompost in der Nähe von Spielplätzen, Schulen und Kindergärten äußerst zurückhaltend und vorsichtig umgegangen werden soll?

Die Frage wird beantwortet von der Ministerin für Frauen, Arbeit und Soziales. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Botulismus wird eine Erkrankung bezeichnet, die durch ein lähmend wirkendes Nervengift des Bakteriums Clostridium botulinum hervorgerufen wird. Dieses Bakterium ist ein weltweit vorkommender Boden- und Sedimentkeim, der nur unter striktem Sauerstoffabschluss gedeiht. In Böden, Klärschlamm, Gülle und Grassilage beispielsweise findet das Bakterium günstige Lebensbedingungen. Es kann Dauerformen – so genannte Sporen - ausbilden, die gegenüber Umwelteinflüssen extrem widerstandsfähig sind. Unter für sie günstigen Umgebungsbedingungen keimen die Sporen wieder zu Bakterien aus, diese wiederum produzieren so genannte Toxine. Das Botulinus-Toxin gelangt über die Blutbahn zu den Nerven, wo es die Ausschüttung des Signalübertragungsstoffes Acetylcholin verhindert und damit letztlich die Muskelfunktion beeinträchtigt. Im fortgesetzten Stadium der Erkrankung setzt eine Lähmung der Atemmuskulatur ein, die zum Tod durch Sauerstoffmangel führen kann.

Glücklicherweise erkranken nur wenige Menschen an Botulismus: In den letzten zehn Jahren sind nach dem Bundesseuchengesetz bundesweit jeweils 10 bis 20 Fälle pro Jahr gemeldet worden, in Niedersachsen waren es zwischen 0 und 5 Fälle pro Jahr. Botulismus ist sowohl nach dem früheren Bundesseuchengesetz als auch nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 des seit dem 1. Januar 2001 geltenden Infektionsschutzgesetzes eine meldepflichtige Krankheit. Mit In-Kraft-Treten des Infektionsschutzgesetzes besteht auch eine namentliche Meldepflicht.

Bei Untersuchungen verschiedener Materialien hat das Institut für Pflanzenbau und Tierproduktion in den Tropen und den Subtropen der Fakultät für Agrarwissenschaften der Universität Göttingen in den Jahren 1996/1997 festgestellt, dass auch Biokompost Botulinus-Sporen enthalten kann. Das Niedersächsische Umweltministerium wurde Anfang 1997 über diese Problematik informiert. Es beauftragte das Niedersächsische Landesamt für Ökologie mit der Untersuchung von Biokomposten aus verschiedenen niedersächsischen Kompostwerken, um einen ersten Überblick über die Tragweite dieser Problematik zu erhalten.

Die Untersuchungen ergaben, dass in fast allen der untersuchten 14 Proben Sporen von Clostridium botulinum nachgewiesen werden konnten. Weil es sich, wie man nachvollziehen kann, um ein überregionales Problem handelt, wurden das Umweltbundesamt und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt einbezogen und bundesweite Untersuchungen gestartet. Das bereits genannte Institut der Universität Göttingen führte diese Untersuchungen unter der Leitung von Professor Dr. Böhnel durch.

Die Ergebnisse wurden im Dezember 1999 vorgestellt, ließen aber abschließende Folgerungen zum weiteren Umgang mit Biokompost und für die Entsorgung von Bioabfall nicht zu. Für die von Professor Böhnel befürchtete Verbreitung von Clostridium-botulinum-Sporen kamen demnach nicht nur Biokompost, sondern auch Gülle, Klärschlamm und belastete Böden infrage. In einem Schreiben von November 1999 an die DBU stellte Professor Böhnel dann auch klar, er habe nie behauptet, dass die von ihm untersuchten klinischen Fälle von Botulismus bei Mensch und Tier nur auf Biokompost zurückzuführen seien.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Mündliche Anfrage wie folgt:

Zu 1: Auslöser des klassischen Botulismus sind nicht die Bakterien selbst, sondern ihre Giftstoffe, die Toxine. Gelangen sie in den Körper, kann das eine akute Vergiftung auslösen. In der normalen Darmflora von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen kann sich der Erreger aber nicht ansiedeln oder gar vermehren. Eine Infektion bei diesen Zielgruppen bleibt aus.

Erwachsene und Kinder können an Botulismus erkranken, wenn sie Lebensmittel essen, die mit Botulismus-Toxinen belastet sind. Die Sporen, die überall in Böden vorkommen, machen dagegen nicht krank, weil die aufgenommene Menge hierfür viel zu klein ist.

Bei Säuglingen verhält es sich nach Aussage von Fachleuten anders. Speziell innerhalb der ersten sechs Lebensmonate können die Sporen in ihrem Darm auskeimen, sich vermehren und das Botulinus-Toxin freisetzen, weil die Darmflora in den ersten Monaten noch besonders störanfällig ist. Der so genannte Säuglingsbotulismus hat daher eine echte Infektion zur Grundlage.

Bei Rindern hat die Zahl der BotulismusErkrankungen in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Hierfür wird von Fachleuten in erster Linie die Belastung von Silage mit BotulinusToxin verantwortlich gemacht.

Zu 2: Wie bereits in der Vorbemerkung ausgeführt, sind von der niedersächsischen Landeswaltung vor allem das Niedersächsische Landesamt für Ökologie sowie das Niedersächsische Landesgesundheitsamt mit den Fragen der Botulismus-Gefährdung befasst. In einem für den 19. April geplanten Fachgespräch beim Landesgesundheitsamt sollen die wissenschaftlichen Ergebnisse bzw. Zwischenergebnisse der bundesweiten Untersuchung der Göttinger Wissenschaftler im Beisein von Vertretern der zuständigen Ministerien und der Bezirksregierungen diskutiert und mögliche Folgerungen abgeleitet werden.

Auch in anderen Bundesländern gibt es Aktivitäten, die wir beobachten. An der Universität Münster läuft derzeit ein vom Bundesgesundheitsministerium gefördertes Programm, in dessen Rahmen 600 gestorbene Säuglinge u. a. auch auf Botulismus untersucht werden. Es soll 2003/2004 abgeschlossen werden.

Darüber hinaus ist es im Hinblick auf eine Gesamteinschätzung der Gefährdungssituation erforderlich, ein noch laufendes Forschungsprojekt des

Umweltbundesamtes zu Botulinus-Sporen in Komposten auszuwerten. Auch diese Ergebnisse liegen zurzeit noch nicht vor. Dennoch kann man im Vorfeld auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse vorsorglich handeln.

Im Bioabfall und im Kompost gedeihen die Botulinus-Bakterien normalerweise nicht. Stark eiweißhaltige Abfälle, z. B. Babywindeln, Katzenstreu und Fleischreste, bieten den Keimen in Verbindung mit Sauerstoffmangel jedoch optimale Bedingungen und gehören daher nicht in die Biotonne. Das Niedersächsische Umweltministerium hat deshalb die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger aufgefordert, im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit die Bürgerinnen und Bürger durch geeignete Maßnahmen darüber zu informieren, dass menschliche und tierische Exkremente, etwa Babywindeln und insbesondere Katzenstreu sowie tierisches Eiweiß, nicht über die Biotonne, sondern über die Restmülltonne zu entsorgen sind.

Zu 3: Nach den bisherigen Forschungen des Umweltbundesamtes bilden Botulinus-Bakterien und -Sporen im Kompost kein Toxin. Eine direkte Gefährdung von Kindern und Erwachsenen durch Kompost ist daher praktisch ausgeschlossen. Ein Gefahrenpotential durch die Ablagerung von Kompost in der Nähe von Spielplätzen, Schulen und Kindergärten wird daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebenfalls nicht gesehen.

(Beifall bei der SPD)

Eine Zusatzfrage stellt die Abgeordnete Hansen.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Mich treibt eine Sorge um, und Ihr Vortrag hat mich eher noch besorgter gemacht. Heute Morgen war in der Zeitung zu lesen, dass nach Aussage des Umweltbundesamts und auch des Landesamts davon keine Gefahren ausgehen. Ich frage die Landesregierung: Wie stehen Sie zu dieser Aussage in der heutigen Zeitung?

(Frau Elsner-Solar [SPD]: Solange Sie das Baby nicht aus der Biotonne füttern! - Gegenruf von Frau Zachow [CDU]: Geschmacklos! - Weitere Zu- rufe von der CDU)

Wer antwortet? - Herr Umweltminister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur Wenige sind, wie Frau Hansen und ich, in der Lage, schon morgens einen Blick ins "Göttinger Tageblatt" zu werfen. Deshalb können Sie alle das nicht kennen, was Frau Hansen hier berichtet hat.

(Frau Hansen [CDU]: Das steht si- cherlich auch in der "HAZ"!)

- Nein, Frau Kollegin, das ist ein regionales Thema gewesen; das hat bei der "HAZ" augenscheinlich niemanden interessiert. Der Hintergrund ist, dass dieses Thema im Dezember in Göttingen hochgekommen ist und dass dort darüber geforscht wird.

Wir sind in der Tat in einer Situation, in der kontinuierlich zu überprüfen ist, welche Wege Abfall nimmt. In den vergangenen Jahren haben wir uns nicht nur in Niedersachsen schwerpunktmäßig darauf geeinigt, dass es sinnvoll ist, Kreisläufe zu schließen und nicht alles in Verbrennungsanlagen zu geben. Das führt an einzelnen Stellen dazu, dass zumindest Gefährdungssituationen nicht auszuschließen sind. Deshalb ist es verständlich, dass nachgefragt wird.

Nach heutigem Kenntnisstand - das hat Frau Trauernicht auch ausgeführt - ist davon auszugehen, dass sich aus normalem Bioabfall keine Problemlagen ergeben. Aber natürlich muss dies kontinuierlich weiter beobachtet werden. Deshalb gibt es auch den Hinweis, dass eiweißhaltige Materialien nicht in den Bioabfall gehören, weil dadurch Probleme auftreten können. Das ist zu gewährleisten. Es ist meiner Meinung nach jedoch gefährlich, daraus im Umkehrschluss die Konsequenz zu ziehen, dass alle Verwertungsstrategien im Abfallbereich problematisch sind.

Das heißt: Das Problem ist nicht zu verharmlosen; das Thema wird weiterhin wissenschaftlich bearbeitet werden. Wir haben aber nichts zu dramatisieren. Auch Professor Böhnel hat darauf hingewiesen, dass es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Botulismus und Kindstod gibt. Deshalb wird weiter geforscht, und es gibt eine Kooperation aller beteiligten Stellen, damit an dem Thema weitergearbeitet wird.