Protokoll der Sitzung vom 25.10.2001

(Frau Körtner [CDU]: Heute Abend ist das erst!)

es war eine Veranstaltung der Stiftung der Kreissparkasse Hannover - - - Bitte?

(Frau Körtner [CDU]: Heute Abend ist das erst!)

- Nein, die war gestern. Da hat Altkanzler Helmut Schmidt einen hervorragenden Vortrag zur Perspektive für Europa für das Jahr 2009 und darüber hinaus gehalten. Es wäre gut gewesen, wenn das ganze hohe Haus die Gelegenheit gehabt hätte, daran teilzunehmen. Dann hätten wir uns die Redezeit heute ersparen können.

(Frau Pawelski [CDU]: Dann muss man aber die Termine und alles ab- stimmen!)

Wir, die Verantwortlichen in diesem hohen Haus, müssen die Exekutive beflügeln und sie unterstützen und dürfen sie nicht nur mies machen. Pepita ist kein Glencheck - das muss man einmal festhalten -, und in Europa erst recht nicht. Wir in Niedersachsen müssen mit unserer Größe ein ganz gesundes Selbstbewusstsein entwickeln, ohne in Großmannssucht zu verfallen.

Ich sage einmal: Wir haben mehr Einwohner als z. B. Dänemark. Dänemark spielt in Europa eine wesentlich größere Rolle als Niedersachsen. Wir müssen jetzt nicht mit Dänemark wetteifern - das will ich nicht sagen -, aber wir müssen unsere Situation erkennen, müssen erkennen, dass wir Verantwortung für 7,8 Millionen Menschen tragen. Wir liegen auf der einen Seite im Herzen Europas, sind Transitregion, und wir sind auf der anderen Seite Nachbar europäischer Mitgliedstaaten wie z. B. den Niederlanden.

Die Möglichkeiten, die wir da haben, müssen wir nutzen, können wir nutzen und sollten wir nutzen. Durch das Nordseeprogramm und das Ostseeprogramm haben wir die einmalige Möglichkeit, den Nord- und Ostseebereich zusammenzukoppeln, weil wir im Ostseebereich - was viele nicht wis

sen - über den Regierungsbezirk Lüneburg präsent sind. Wir könnten dort politisch eine Scharnierfunktion wahrnehmen. Denn Politik ist nicht die Summe des ausgegebenen Geldes. In der Politik sind weiterhin Ideen und andere Dinge, Visionen usw., gefragt.

Wir müssen in unseren Beiträgen das Gewicht unserer 7,8 Millionen Menschen - mehr als manche Staaten, die schon Mitglied der Europäischen Union sind oder noch in die Europäische Union eintreten wollen, Einwohner haben – in die Waagschale werfen, um am europäischen Friedensprozess teilzunehmen. Ich erinnere daran, dass die Europäische Union nicht nur die Wirtschaftspolitik und die Binnenpolitik gestaltet, sondern vor allen Dingen den Frieden gesichert hat. Es ist wichtig, gerade in der heutigen Zeit daran zu erinnern. Wenn das dazu führt, dass wir jetzt in Nordirland Bewegungsfreiheit bekommen - es ist nicht einzusehen, dass im ganzen europäischen Bereich Freizügigkeit herrscht und in Nordirland die Kinder nicht den Weg zur Schule nehmen können, den sie nehmen wollen -, sind wir hier auf gutem Weg. Wir sollten daran arbeiten, dass man dort jetzt ein bisschen zur Vernunft kommt. Hier besteht unsere Verantwortung. Deswegen bitte ich Sie, im Sinne Europas dem Antrag zuzustimmen, und alles, was in Ihren Kräften steht, zu tun, uns bei unseren Bemühungen zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege Mientus. - Meine Damen und Herren, jetzt hat Herr Eveslage das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf dem Europäischen Rat in Nizza sollten die Weichen für die Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union gestellt werden. Dies ist nur teilweise und in einem Minimalkonsens gelungen. Das Ergebnis von Nizza ist u. a. deswegen enttäuschend, weil Deutschland und Frankreich ihre führende Rolle als stärkste Motoren der europäischen Einigung nicht wahrgenommen haben.

In dem jetzt begonnenen so genannten Post-NizzaProzess kommt es darauf an, bis zur Regierungskonferenz 2004 die Ergebnisse von Nizza weiter

auszubauen und dort Versäumtes nachzuholen bzw. nachzubessern. Dies gilt schon für den bevorstehenden Gipfel in Laeken unter belgischer Präsidentschaft. Genau in diese Situation passt die vorliegende Entschließung.

Bis zur Regierungskonferenz 2004 müssen u. a. folgende Fragen einer Lösung zugeführt werden:

Erstens. Wie kann eine genauere, dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten geschaffen und überwacht werden?

Zweitens. Welchen Status soll die in Nizza verkündete Charta der Grundrechte erhalten? Unsere heutige Entschließung zielt auf die Verankerung in den Europäischen Verträgen.

Drittens. Wie können die Verträge vereinfacht, d. h. klarer und verständlicher gemacht werden, ohne sie inhaltlich zu verändern?

Viertens. Welche tragende Rolle werden die nationalen Parlamente, die Regionen und die Kommunen bei der Architektur Europas haben?

Meine Damen und Herren, die Erweiterung um zwölf Staaten, wahrscheinlich um zehn schon im Jahr 2004, wird den Charakter der Europäischen Union entscheidend verändern. Die Einwohnerzahl wird um ein Drittel, die Fläche um 50 % erhöht. Die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede und die gesellschaftliche und kulturelle Heterogenität innerhalb der Union werden zunehmen. Deshalb muss mit der Erweiterung eine Konzentration auf die wirklichen europäischen Handlungsnotwendigkeiten einhergehen. Ohne eine klare Abgrenzung der Kompetenzen der Union zu den Mitgliedstaaten und ohne eine dezentrale, bürgernahe Aufgabenerledigung in den und durch die Regionen wird die Europäische Union der 25 bzw. 27 Mitgliedstaaten nicht zu regieren sein.

Es muss Klarheit geschaffen werden, ob es ein einvernehmliches europäisches Gesellschaftsmodell für eine nachhaltige und soziale Entwicklung gibt und wie dieses Modell gefördert werden kann.

(Rabe [SPD]: Richtig, Herr Eveslage, sehr richtig!)

Beim Nachdenken über diese Fragen wird deutlich, dass in dem Prozess der Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union neben dem Prinzip der Subsidiarität die Bürgernähe eine entscheiden

de Schlüsselfunktion haben wird. Eine Europäische Union, die von den Bürgerinnen und Bürgern nicht als notwendig erachtet wird, deren Funktionen nicht transparent sind, die dem Gestaltungswillen der Menschen nicht mit demokratischen Beteiligungsverfahren Rechnung trägt und die den einzelnen Menschen keinen klar erkennbaren Vorteil bringt, wird niemals von der Bevölkerung akzeptiert werden.

(Beifall bei der CDU)

Ohne Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger kann die Europäische Union dauerhaft nicht existieren. Das Weißbuch „New Governance“ - auf Deutsch: Europäisches Regieren - von Präsident Prodi zielt deshalb ganz bewusst auf die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger und der ihnen nahe stehenden Institutionen und Gebietskörperschaften ab. Die Kommission will den innerhalb der Verträge bestehenden Spielraum nutzen, um die Umsetzung der EU-Politik vor Ort zu verbessern. Neben den Mitgliedstaaten haben deshalb die Regionen und Kommunen und ihre Organisationen eine besondere Verantwortung für die politische Gestaltung Europas.

Diese Erkenntnis liegt der heutigen Entschließung, die im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten dankenswerterweise einstimmig verabschiedet worden ist, zugrunde. Niedersachsens Chancen, Herausforderungen und Verpflichtungen im Hinblick auf die Erweiterung und die Vertiefung der Europäischen Union werden hier angesprochen.

Als Region mit Gesetzgebungskompetenz ist unser deutsches Land Niedersachsen zum einen Adressat europäischer Politik. Die nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raums, die EU-Förderung im Rahmen von INTERREG III, LEADER+ und EQUAL, die Förderung im Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, insbesondere in den Ziel-2Gebieten und im Europäischen Sozialfonds geben Niedersachsen erst die finanzielle Basis für politische Gestaltungsfähigkeit im eigenen Land.

(Beifall bei der CDU)

Ohne die Milliarden Euro aus Brüssel müsste der Finanzminister dieses Landes längst den Landesbankrott festgestellt haben.

Meine Damen und Herren, unser Land ist aber nicht nur Empfänger und ausführendes Organ europäischer Politik, sondern auch Gestalter im

europäischen Entwicklungsprozess. Auch wir als Region stehen - wie der Mitgliedstaat Deutschland - in der Verantwortung für den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt der Europäischen Union und können und müssen uns stärker als bislang einbringen und direkte Aufbauhilfe leisten, z. B. in unseren Partnerregionen im Beitrittsland Polen und im künftigen Nachbarstaat Russland.

Der nächste Landeshaushalt allerdings wird erweisen, ob die Mehrheit in diesem Parlament den ideellen Absichtserklärungen in diesem Entschließungsantrag nun auch reales Handeln nachfolgen lässt. Der Kollege Mientus hat auf die große Bedeutung hingewiesen, dass man nicht nur Deklarationen verfasst, sondern auch politisches Handeln nachfolgen lässt.

(Mientus [SPD]: Es findet sogar statt, außerhalb des Landeshaushalts!)

Wir werden Sie, verehrte Mitglieder der SPDFraktion, bei der Haushaltsberatung an dieser Erklärung des Herrn Mientus messen.

(Zuruf von der SPD: Bisher war es ei- ne so gute Rede, Herr Eveslage!)

Niedersachsen hat neben den Mitsprache- und Mitentscheidungsmöglichkeiten über den Bundesrat sowie über die Europaministerkonferenz und neben den Einwirkungsmöglichkeiten der gewiss noch ausbaufähigen und verbesserungsbedürftigen Vertretung in Brüssel aber auch Möglichkeiten der unmittelbaren Mitsprache im europäischen Konzert. Es hat nämlich Sitz und Stimme im Kongress der Gemeinden und Regionen Europas des Europarates - Herr Rabe, ich grüße Sie als Mitglied

(Rabe [SPD]: Herzlichen Dank!)

in Straßburg und im Ausschuss der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften der Europäischen Union in Brüssel. Beide Vertretungen gilt es im Interesse des Landes zu nutzen. Ich sage „im Interesse des Landes“, nicht im Interesse irgendeiner Partei. Ich warne von dieser Stelle aus nachdrücklich davor, sich weiterhin etwa im AdR parteipolitisch im Sinne englischer oder französischer Sozialisten instrumentalisieren zu lassen, wie es im September-Plenum des Ausschusses bei der Auseinandersetzung um die Daseinsvorsorge leider geschehen ist.

Der Ausschuss der Regionen wird als Sprachrohr regionaler und kommunaler Interessen nur ernst genommen werden, wenn diese seine Existenz begründende Interessenvertretung sein Handeln bestimmt und nicht die Parteipolitik, die in die Parlamente gehört.

(Beifall bei der CDU)

Die vorliegende Entschließung, meine Damen und Herren, stellt auf die Möglichkeiten Niedersachsens ab. Dabei haben wir das Land im Blick. Doch das Land ist nichts ohne seine Städte, Gemeinden, Samtgemeinden und Landkreise. Die Kommunen waren mit ihren grenzüberschreitenden Partnerschaften in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts die Wegbereiter der europäischen Völkerverständigung. Die deutsch-französische Freundschaft ist dafür das beste Beispiel; die Aussöhnung mit Polen ist die Aufgabe der Gegenwart.

(Beifall bei der CDU)

Die Kommunen waren die ersten Wegbereiter der Europäischen Union und sind noch heute die Gebietskörperschaften, die den Bürgern Europas am nächsten sind. Wer Europa im Sinne von Subsidiarität und Bürgernähe von unten bauen will, kommt an den Kommunen als Fundament Europas nicht vorbei. Ich appelliere deshalb an uns alle, die zahllosen grenzüberschreitenden Aktivitäten der Kommunen und ihrer Verbände in Niedersachsen im Prozess der Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union zu nutzen und zu unterstützen. Niemand kann die Menschen über trennende Grenzen hinweg besser zusammenbringen als die Städte, Gemeinden und Landkreise mit dem starken bürgerschaftlichen Engagement in den vielen Vereinen und Organisationen.

(Beifall bei der CDU - Kethorn [CDU]: Sehr richtig!)

- Danke, Herr Kethorn. - Kommunikation zwischen den Menschen ist die Basis für die Verständigung zwischen den verschiedenen Völkern und Kulturen auf unserem großen Kontinent.

Für den europäischen Einigungsprozess sind Staatsverträge und Regierungskonferenzen sicherlich wichtig und unverzichtbar. Eine dauerhafte Friedensordnung aber kann sich nur auf Freundschaft und Partnerschaft zwischen den Menschen und Völkern gründen.

(Beifall bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Dazu leisten die Kommunen einen Beitrag, den kein anderer leisten kann. Dies sollten wir, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, bei allen europapolitischen Aktivitäten des Landes bedenken. - Herzlichen Dank.

(Starker Beifall bei der CDU - Zu- stimmung bei den GRÜNEN)