Protokoll der Sitzung vom 06.12.2006

- Das ist nur ein Zitat.

(Zurufe von der CDU: Von wem?)

- Es gibt viele Stellen, an denen man das nachlesen kann, Herr McAllister. Jetzt kommt wieder ein Originalzitat, sogar von Ihrem Innenminister höchstpersönlich. Er hat nämlich gesagt, er will an die Grenzen des Rechtsstaates gehen. Damit offenbart er doch wirklich ein merkwürdiges Verständnis von Rechtsstaat. Dieser Innenminister, Herr McAllister, hat Ihrer Landesregierung schon mehrfach schwere Niederlagen beigebracht, weil er dabei nämlich die Grenzen des Rechtsstaates nicht erkannt und gewahrt hat, sondern weil er sie überschritten hat und schließlich sogar vom Bundesverfassungsgericht gestoppt werden musste.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Dieser Minister hat aber nicht nur die Grenzen des Rechtsstaates strapaziert, er hat auch die Grenzen des Anstandes verletzt und Flugzeugpiloten zur Nothilfe provoziert, weil der Pilot eine Abschiebung, die von diesem Minister veranlasst war, nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Immer wieder schürt er das Misstrauen gegen geduldete Flüchtlinge und unterstellt ihnen Sozialhilfemissbrauch. Dabei, meine Damen und Herren - das ist mir ein ganz ernster Punkt -, zeigen Statistiken

eindeutig, dass Migranten mehr Beiträge in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen, als sie unter dem Strich herausbekommen. Deshalb verbietet sich an dieser Stelle jede Form von billigem Populismus.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, 8 345-mal wurde im letzten Jahr ein niedersächsischer Jugendlicher ohne Schulabschluss entlassen. Das sind fast 10 % aller Schüler eines Jahrgangs. Meistens sind es Hauptschüler. 15 bis 20 % eines jeden Jahrgangs - fast ein Fünftel - machen in Niedersachsen keine Berufsausbildung. Aber dieser Kultusminister dieser Regierung hat kein Rezept gegen die Probleme an den Hauptschulen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Was Sie jetzt im Haushalt haben, woran Sie noch einmal etwas herumflicken, das ist Stückwerk. Das wird aber den Problemen und Herausforderungen nicht gerecht. Deshalb sage ich hier ganz deutlich: Die Bildungspolitik dieser Landesregierung wird mittlerweile auch zu einer volkswirtschaftlichen Hypothek; denn wir reden nicht nur über die Zukunftschancen jedes Einzelnen, über Gerechtigkeitsfragen, über die Frage, wie jeder Einzelne Zugang zur Bildung bekommt und welche Lebenschancen wir ihm damit in unserer Gesellschaft eröffnen. Nein, meine Damen und Herren, wir reden auch über die volkswirtschaftliche Entwicklung in einem Industrieland.

Wir haben bei uns im Land Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel zugleich. Wir haben Firmen, die im globalen Wettbewerb stehen, die mit bestens ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in vielen Ländern dieser Erde konkurrieren. Diese Firmen brauchen hoch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, finden aber oft keine. In einer globalisierten Welt - so klein Niedersachsen ist: unsere Firmen stehen immer im Wettbewerb mit Wettbewerbern aus anderen Ländern - ist gute Ausbildung eine Frage der Gerechtigkeit, aber auch eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Hierbei versagen Sie aber kläglich.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Kinder, die von Herrn Busemann frühzeitig und ohne Abschluss

von der Schule verwiesen werden, sind leider auch gefährdet, in die Kriminalität abzugleiten. 90 % aller Jugendlichen in der Jugendstrafanstalt Hameln haben keinen Schulabschluss - 90 %! Diese Zahl sollte uns allen zu denken geben. Als Frau Heister-Neumann im Haushaltsausschuss ihren Haushaltsplanentwurf vorgestellt hat, habe ich eine Frage gestellt: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Chancenlosigkeit, fehlenden Perspektiven, sozialer Stigmatisierung und der Gefahr, in kriminelle Aktivitäten abzurutschen? - Das habe ich Frau Heister-Neumann gefragt. Die Antwort war: Nein, die Eltern sind schuld. - So einfach kann man es sich machen, wenn einem die Dinge auf die Füße fallen, meine Damen und Herren. Aber das werden wir nicht akzeptieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, nach dem Abgang von Frau von der Leyen wird das Sozialressort nur noch verwaltet. Gestaltet wird es ganz offenbar von anderen. Die Merkwürdigkeiten und abstrusen Regelungen beim Maßregelvollzug im Zusammenhang mit dem geplanten Verkauf der Landeskrankenhäuser kann Frau Ross-Luttmann hier im Plenum nicht erklären. Zudem legt sie uns jetzt im Haushaltsbegleitgesetz Passagen vor, die einzelne Kommunen beim Ausgleich für Krankenhilfe für Menschen ohne Krankenversicherung massiv benachteiligen und die nach Auskunft des Hauses lediglich auf Schätzzahlen basieren. Zwei Jahre nach Inkrafttreten der neuen Arbeitsmarktgesetze gibt es noch immer keine belastbaren Zahlen, und so treiben Sie die Kommunen auf den Klageweg. Meine Damen und Herren, das ist in keiner Weise zu akzeptieren. Wenn man ein solches Haushaltsbegleitgesetz vorlegt und hierbei bis auf den letzten Euro den Eindruck erweckt, es werde mit harten Zahlen gerechnet, dann kann man nicht gleichzeitig sagen: Das alles sind nur Schätzzahlen. - So haben wir nicht gewettet. Dieses Haushaltsbegleitgesetz ist das Papier nicht wert, auf dem es steht.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, Ihr Wissenschaftsminister verantwortet eine Hochschuloptimierung, die die Studenten reihenweise ins föderale Ausland treibt. Den Hochschulen wird wieder ein Teil ihrer Autonomie genommen, und die Hochschulmittel müssen - wie in Goslar - wie

der für regionalwirtschaftliche Wahlkreispflege herhalten. Nicht Stärken der Stärken wird praktiziert, sondern Kleckern im Kleinen. Die herausragende Bedeutung der Hochschulen für Wissenstransfer, Innovation und Kreativität hat Ihre Regierung, Herr Ministerpräsident Wulff, nicht erkannt. Wenn man im neuen Niedersachsen-Monitor schaut - Herr Möhrmann hat daraus zitiert -, wie es bei den angemeldeten Patenten aussieht, Herr Hirche, und vergleicht, was in Bayern, BadenWürttemberg und Niedersachsen passiert, dann kommen einem wirklich die Tränen, so elendig stellt sich der Vergleich für Niedersachsen - leider, so muss man sagen - dar.

Meine Damen und Herren, es gibt ja noch ein paar Häuser. Wer führt denn eigentlich das Landwirtschaftsministerium?

(David McAllister [CDU]: Wer wohl? Da ist er! Guter Mann!)

- Ich habe da so meine Zweifel, Herr McAllister. Sie haben uns jetzt ein Friedrich-Otto-RipkeGesetz, ein FOR-Gesetz, vorgelegt. Damit wollen Sie jetzt die Raumordnung auf den Kopf stellen. Dort, wo ländlicher Raum ist, sollen städtische FOC-Malls nach amerikanischem Vorbild entstehen, und dort, wo heute Stadt ist, soll künftig Einzelhandelswüste entstehen. Zuhause bei FOR - Friedrich-Otto Ripke - fangen Sie damit an. Die Quittung für dieses Mittelstandsvernichtungsprogramm werden wir aber erst in einigen Jahren zu sehen bekommen: tote und verwahrloste Innenstädte und glänzend hell erleuchtete Einkaufstempel auf der grünen Wiese.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dort darf man dann dank neuer Öffnungszeiten rund um die Uhr beten und einkaufen - aber am Grabbeltisch. Wahrlich eine schöne neue Heimat! So hatte ich mir die Stärkung des ländlichen Raumes aber eigentlich nicht vorgestellt.

Herr Ministerpräsident, so schlecht ist natürlich nicht alles in Ihrer Regierung. Einer scheint in Ihrer Truppe kerngesund zu sein. Ich meine den Landwirt vom Erdbeerhof.

(Zuruf von der CDU: Der ist immer kerngesund!)

- Er hat selber gesagt, dass er kerngesund ist. Das Gefühl, dass dieser Herr seinen Job verfehlt hat, kam mir aber nicht erst, als er sich zum Foto

shooting mit der Kettensäge präsentierte. Wenn es im Wachsfigurenkabinett von Madame Tussaud einen Raum für tragikomische Persönlichkeiten gäbe, würde ich ihn dafür glatt vorschlagen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie sehen: Es fällt mir wirklich schwer, die Aktivitäten dieses Herrn, der sicherlich eine ganz wichtige Säule im Kabinett von Herrn Wulff ist, ernst zu nehmen. Ob es nun das T-Shirt mit der Aufschrift „kerngesund“ oder der Auftritt im Wendland war: Alles passt ganz gut zusammen. Was mich aber wirklich beunruhigt, Herr Wulff, ist, dass Sie einem solchen Mann Verantwortung für die Reaktorsicherheit hier bei uns im Land und für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen übertragen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Herr Minister Sander demonstriert in seinem Handeln Ignoranz allererster Güte. Ansätze zur Förderung von Energiesparen, Energieeffizienz und Klimaschutz hat Herr Sander in großen Teilen in seiner globalen Minderausgabe versenkt und damit sein Desinteresse demonstriert.

Aber auch aus der Staatskanzlei gibt es beim Klimaschutz keine Impulse, sondern Realitätsverweigerung. Wir schlagen Ihnen deshalb einen mit 150 Millionen Euro ausgestatteten Klimainnovationsfonds vor, der den Herausforderungen begegnet, der Handwerk und Mittelstand wettbewerbsfähig macht, der Projekte an der Schnittstelle von Wirtschaft und Forschung marktfähig macht und der die Unternehmen in die Lage versetzt, das Wissen unserer Universitäten so schnell wie möglich in Produkte umzusetzen. Hier versagt Ihre Regierung kläglich, wie man an der Zahl der Patentanmeldungen sehen kann.

Herr Ministerpräsident, ein weiteres wichtiges industriepolitisches Projekt Ihrer Regierung befindet sich in einer prekären Situation. Nach dem Transrapid-Unfall in Lathen hat Ihre Regierung versucht, die Verantwortung für den Unfall auf zwei nachgeordnete Mitarbeiter in der Leitstelle abzuschieben. Bei der Aufklärung konnte sich Wirtschaftsminister Minister Hirche noch nicht einmal gegen seine eigene Behörde durchsetzen. Der Untersuchungsausschuss muss und wird jetzt eindeutig klären, welche Fehler beim Sicherheitskonzept für den Transrapid gemacht wurden und welche Verantwortung Minister Hirche dafür trägt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben die Auswahl getroffen, Herr Wulff. Ihre Regierungsmannschaft, die hier links und rechts sitzt, steht für das Beste, was CDU und FDP derzeit zu bieten haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Dr. Harald Noack [CDU])

- Man sieht, Herr Dr. Noack, sie steht auf sehr dünnem Eis, und auch die Riege der Nachwuchspolitiker verspricht nicht mehr Substanz.

Herr Ministerpräsident, Sie haben wirklich viel am Hals. Nun sind Sie gestern in der Samt- und Seidenstadt Krefeld auch noch zum Krawattenmann des Jahres gewählt worden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Das könnte dir nicht passieren, Stefan!)

- Nein, mir nicht, aber Herrn Möllring z. B. auch nicht. Zitat:

„Als Mann aus Politik und Gesellschaft demonstrieren Sie, dass Lässigkeit in der Haltung nicht Nachlässigkeit im Habitus der Bekleidung bedeutet.“

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

So heißt es in der Laudatio, Herr Wulff. Vielleicht nicht Nachlässigkeit in der Bekleidung, aber Nachlässigkeit in der Politik - das werfen wir Ihnen vor. Es mag sein, dass Sie in Krefeld gekrönt werden. Hier in Niedersachsen regieren Sie sich aber um Kopf und Kragen, und dann nutzt es nichts, wenn Sie sich jeden Morgen für diese fiese Politik einen feinen Schlips umbinden. - Herzlichen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Dr. Philipp Rösler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich meinen Kollegen Herrn Jüttner ein bisschen in Schutz nehmen. Ich stelle es mir so vor: Er ist voller Hektik

in den Plenarsaal gelaufen, war etwas nervös angesichts dessen, ob es wenigstens diesmal mit den Redezeiten richtig klappt, hat dann vor lauter Aufregung die Rede vergessen, hat Herrn Möhrmann gebeten, an seiner Stelle die Rede zu halten, aber leider hat Herr Möhrmann die Rede aus dem letzten Jahr hier vorgetragen.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Inhaltlich sind wir bereits ein Haushaltsjahr weiter.

Zum vierten Mal in Folge senken wir die Nettokreditaufnahme hier in Niedersachsen. Wir haben sie dreimal um 350 Millionen Euro gesenkt; diesmal senken wir sie um 500 Millionen Euro. Das Beste ist, dass die Summe der Investitionen wiederum die Neuverschuldung übersteigt. Herr Kollege Möhrmann, erstmals seit 2002 hat Niedersachsen damit wieder einen verfassungskonformen Landeshaushalt.