Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

Was die Frage der Deichsicherheit insgesamt angeht, so können wir auf das Niedersächsische Umweltministerium sehr stolz sein. Erstmals seit 1973 wurde von Umweltminister Sander wieder ein Generalplan Küstenschutz für die gesamte niedersächsische Festlandküste vorgelegt. Das hat die SPD in ihrer Regierungszeit nicht hinbekommen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Mit diesem jüngst veröffentlichten Generalplan wurde festgestellt, dass etwa 120 km Deiche Unterbestick haben und daher schnellstmöglich verstärkt werden müssen; das ist angesprochen worden. Das ist insbesondere im Bereich der Unterweser der Fall. Diese Deiche sind das schwächste Glied in der Kette und haben daher aus unserer Sicht oberste Priorität.

Die Einberechnung eines erhöhten Meeresspiegels ist ebenfalls ein wichtiger Impuls, der vom Generalplan Küstenschutz ausgeht, anders als der Kollege Klein hier behauptet hat. Letztendlich können wir aber nicht wissen, wie hoch der Meeresspiegel tatsächlich ansteigt. Sie wissen, dass das in diesem Zeitraum so ist. Die Experten haben ja unterschiedliche Prognosen dafür vorgelegt. Entscheidend ist doch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass wir die Deiche im Ernstfall erhöhen können. Diese Vorbereitungen trifft das Umweltministerium bei den vorliegenden Deichbaumaßnahmen. Dafür sollten wir es loben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zuruf von Hans-Jürgen Klein [GRÜ- NE])

- Herr Kollege, eigentlich sollten wir uns einig sein, dass der Küstenschutz eine Daueraufgabe bleibt. Diesem Küstenschutz werden CDU und FDP oberste Priorität beimessen. Lassen Sie uns daher in dieser Frage nicht streiten, sondern gemeinsam für die Menschen an der Küste arbeiten. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege Johannßen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keen nich will dieken, de mutt wieken. - Das ist der Wahlspruch des Hadelner Deich- und Uferbau-Verbandes, meines Heimatdeich- und Uferbau-Verbandes, und der Wahlspruch vieler Deich- und Uferbau-Verbände. Diese Verbände haben über Jahrhunderte Erfahrungen im Deichbau und in der Deichunterhaltung gesammelt. Auch meine Familie war über sechs Jahrhunderte in Dithmarschen und in Hadeln damit betraut. Aber selbst der größtmögliche und technisch beste Deich hat in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten nicht vor Katastrophen geschützt. Ich erinnere an die Sturmflut in Hamburg1962 und an die Sturmflut am 3. Januar 1976; seinerzeit stand ich am Deich. Da bin ich wohl einer der wenigen gewesen. Ich glaube, auch Erhard Wolfkühler war am Deich. Der Deich ist seinerzeit in Drochtersen gebrochen.

Die technischen Möglichkeiten sind aber häufig nicht in der Lage, den Auswirkungen, die die Menschheit geschaffen hat, entgegenzuwirken. Wir sehen und spüren vor Ort die Auswirkungen der letzten Elbvertiefung: Die Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit und die Wattabbrüche haben zu scharliegenden Deichen geführt, aber auch die Abbrüche im Vorland, die Verschlickung, die Schäden an Sielbauwerken und die Schäden am Deckwerk sind zu nennen. Diese Schäden nehmen seit der letzten Elbvertiefung massiv zu.

Die anstehende sechste Elbvertiefung bedeutet eine Vertiefung um insgesamt 8 m seit der ersten Elbvertiefung. Hans-Jürgen Klein hat auf die ande

ren, scheinbar natürlichen Veränderungen hingewiesen, die auch von den Menschen verursacht werden, wie den Anstieg des Meeresspiegels. Schauen Sie in Spiegel online: 50 cm bis 2050 bei gleichzeitiger Absenkung der Marsch um 15 cm durch Grundwasserentnahmen und dergleichen.

Nach wie vor gibt es Schwachstellen im Deich. Ich erinnere an die Schleuse in Otterndorf. Dort ist die Bestickhöhe 1,50 m niedriger als in den links und rechts anschließenden Deichen. Ich habe mehrere Anfragen dazu gestellt, aber es gibt keine konkreten Aussagen, wann diese Schwachstelle ausgebessert werden soll. Der Deich ist also nicht in allen Bereichen in dem Zustand, in dem er bei den jetzigen Herausforderungen sein sollte.

Meine Damen und Herren, die Verfahrensträger bei der anstehenden Elbvertiefung geben sich reichlich Mühe, die Bevölkerung einzulullen oder positiv zu stimmen, auch was die Gutachten zu den Deichen angeht. Der Fluss solle „modelliert“ werden, heißt es vonseiten der Verfahrensträger. Dazu sagt Professor Reincke aus Hamburg - Moderator der Auseinandersetzung um die Elbvertiefung -: „So ein Strombaukonzept ist bislang noch nicht realisiert worden; das ist richtig. Als Wasserbauexperte muss ich sagen, das ist schon sehr mutig.“

Meine Damen und Herren, die Wissenschafter erzählen uns vor Ort, Schwingungen und Setzungen im Deich seien nicht durch Schiffsverkehre bedingt. Das widerspricht dem Gespür und den Erfahrungen der Menschen. Menschen am Deich erzählen uns: Wenn große Schiffe vorbeifahren, dann klappern die Gläser und die Tassen im Schrank. - Aber der Herr Gutachter sagt: Der Jogger auf dem Deich führt zu größeren Erschütterungen im Deich als das in 500 m Entfernung vorbeifahrende Containerschiff. - Das glauben die Menschen nicht. Denken Sie an die Physiker! Jeder Physiker wird Ihnen bestätigen: Die Hummel ist zu schwer und hat zu kleine Flügel, als dass sie fliegen könnte. - Aber der Laie, der Bürger, sagt „Sie fliegt doch“ und widerspricht diesen Wissenschaftlern.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich habe mit einem Zitat angefangen. Von uns an der Küste gibt es noch ein zweites passendes Zitat: „Des Wassers Gewalt, des Schicksals Gestalt sich ändern tut, drum

seid auf der Hut! Gott schütze die Marsch.“ Das steht an unserem Schöpfwerk in Otterndorf, dem größten in Europa. Gottesvertrauen, Zuversicht und Tatkraft haben die Menschen in den letzten Jahrhunderten sicherlich geschützt. Aber es reicht nicht mehr aus, diesen Herausforderungen mit Gotteszuversicht und Tatkraft zu begegnen. Wir brauchen auch die Unterstützung der Niedersächsischen Landesregierung.

Es gibt in dieser Niedersächsischen Landesregierung eine Arbeitsteilung: Der Umweltminister sieht Probleme bei der Elbvertiefung und bei der Deichsicherheit, und er artikuliert das auch vor Ort. Der Wirtschaftsminister spricht immer nur von den positiven wirtschaftlichen Auswirkungen auf Niedersachsen, die sicherlich auch vorhanden sind. Aber diese Zwiespältigkeit in den Aussagen, diese Arbeitsteilung, kostet Vertrauen in die Politik in Niedersachsen. Herr Ministerpräsident, nehmen Sie die Bedenken der Menschen vor Ort ernst! Geben Sie nicht Ihr Einvernehmen für die weitere Elbvertiefung, sondern zeigen Sie, dass Sie die Sorgen und Nöte der Menschen an Elbe und an Deichen ernst nehmen! - Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Wort hat noch einmal der Kollege Klein.

Herr Kollege Oetjen, im Interesse der Menschen hinter dem Deich müssen wir streiten. Ihre Worte der Beschwichtigung höre ich wohl - allein, mir fehlt der Glaube. Denn niemand zweifelt nach den bisherigen Erfahrungen daran, dass in den Planfeststellungsunterlagen der Genehmigungsbehörde die Deichsicherheit als erfüllt abgehakt werden wird. Viele befürchten - ich behaupte einmal: nicht zu Unrecht -, dass das für diese Landesregierung Grund genug sein wird, grünes Licht für diese Maßnahme zu geben, sie zu erlauben.

Das Abtauchen des Kollegen McAllister vor Ort bei dieser Frage in der letzten Zeit ist durchaus registriert worden, meine Damen und Herren. Genau das darf aber nicht passieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

Meine Damen und Herren, denken Sie an die mangelhaften Prognosen der Wasserbauer in der Vergangenheit! Das reicht von den Fehleinschätzungen bei der letzten Vertiefung bis zu den sinnlosen Baggereien vor Fedderwardersiel. Denken Sie auch an die gescheiterte Moderation von Professor Reincke! Sein Lösungsvorschlag, an der gefährlichsten, am stärksten belasteten Stelle eine Unterwasserablagerung zur dauerhaften Stabilität anzulegen, ist geradezu abenteuerlich, meine Damen und Herren. Damit können Sie vielleicht den Betreiber des Brocken-Restaurants beruhigen, aber nicht die Menschen hinterm Deich.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das kann jedenfalls keine Grundlage für das Einvernehmen sein.

Meine Damen und Herren, denken Sie auch daran, dass wir nicht vertrauenswürdigen Partnern gegenüberstehen, wenn es um die Hamburger oder das Bundesverkehrsministerium geht. Ich erinnere an den Überfall mit dem Hamburger Hafenschlick an Tonne 3. Ich erinnere an die Verzögerungen und an die Täuschungen im Beweissicherungsverfahren zur 99er-Vertiefung. Ich erinnere an den Geheimvermerk des Umweltministeriums - der ja jetzt kein Geheimvermerk mehr ist. Darin steht deutlich, dass Niedersachsen und Schleswig-Holstein in der Bund-Länder-Koordinationsgruppe informationsmäßig verhungern, dass kritische Fragen beiseite geschoben werden und Gefahren verniedlicht werden. Denken Sie an die Vertiefungswerbebroschüre, die Hamburg gemeinsam mit den für die Genehmigung zuständigen Behörden herausgegeben hat! Wo ist denn da die Neutralität? - In diesem Geheimvermerk heißt es deutlich, dass diese Broschüre einseitig und fachlich nicht haltbar ist. Ich will Weiteres aus diesem Vermerk zitieren: Aus Sicht des Küstenschutzes wird sich der von Hamburg angestrebte Elbausbau nachteilig auf die Tidewasserstände und das Strömungsverhalten auswirken. - Zu Kompensationsmaßnahmen heißt es dort: Ob sich diese Maßnahmen dauerhaft bewähren, kann im Voraus nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilt werden. Es besteht die berechtigte Befürchtung, dass sich die Elbe mit einem vertretbaren Kostenaufwand kaum in der beabsichtigten Form lenken lässt.

Meine Damen und Herren, dann kann es für diese Landesregierung nur eine Entscheidung geben: Im

Zweifel für die Deichsicherheit und gegen die Elbvertiefung!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Dame und Herren, dieses Sprichwort „Wer nit will dieken, de mutt wieken“ gilt auch für Landesregierungen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Sie dieses Einvernehmen erklären, dann werde ich persönlich alles dafür tun, dass die Menschen hinter dem Deich das bis Januar 2008 nicht vergessen werden.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat jetzt Herr Umweltminister Sander.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich vorweg sagen: Die Deichsicherheit ist bei dieser Landesregierung in guten Händen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die Menschen an der Küste haben dieses noch nie zuvor so deutlich formuliert. Sie haben dieses Gefühl seit drei Jahren. Diese Landesregierung - auch wenn Sie, Herr Kollege Klein, Gegenteiliges noch so häufig wiederholen - nimmt den Klimawandel, den es gibt, sehr ernst.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Sie tut aber eines nicht: Sie macht den Klimawandel nicht zu einem Instrument, mit dem sie die Menschen insbesondere an der Küste und an der Elbe verunsichert.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren und Herr Kollege Klein, wir sind uns darin einig, dass wir die Prognosen sehr ernst nehmen müssen. Sie haben in Ihren Ausführungen aber selber gesagt, dass es sich um Prognosen handelt. Sie wissen so gut wie ich, dass es unterschiedliche Prognosen gibt. So besagt z. B. eine Prognose der UN, dass sich der Meeresspiegel bis 2100 um 9 bis 88 cm erhöhen werde. Diese Prognose der UN wird aufgrund neuer Erkenntnisse im Februar wahrscheinlich korri

giert bzw. angepasst. Es gibt in Bremen eine sehr bekannte Persönlichkeit - über sie war vor kurzem im Spiegel etwas zu lesen - , die gesagt hat, dass wir insbesondere das Projekt „Klimawandel und präventives Risiko- und Küstenschutzmanagement“ - kurz KRIM - nicht genügend beachten. Dieser Herr hat allerdings nicht zur Kenntnis genommen, dass Niedersachsen dieses Projekt intensiv begleitet. Wir gehen bei der Frage des Anstiegs des Meeresspiegels in 100 Jahren von einem Mittel von ungefähr 25 cm aus. Wenn wir jetzt aufgrund neuer Daten zu der Überzeugung kommen, Herr Kollege Wenzel, dass der Meeresspiegel schneller ansteigt, so sind wir aufgrund unserer Maßnahmen, wie wir Küstenschutz betreiben, dagegen gewappnet. Von unseren rund 600 km Deichen - Herr Kollege Oetjen hat darauf hingewiesen - haben nach den Erkenntnissen auch des Generalplans Küste im Augenblick nur rund 120 km nicht den Bestick, der erforderlich ist. Das werden wir so schnell wie möglich ändern. Das heißt, auf einer Länge von 480 km gibt es eine zusätzliche Deichhöhe. Sollten wir in 20 oder 30 Jahren feststellen, dass der Meeresspiegel aufgrund des Klimawandels stärker ansteigt, dann sind wir, weil wir den Deich heute schon auf eine Erhöhung ausrichten, in der Lage, die Deiche sehr kurzfristig entsprechend zu erhöhen. Derzeit macht das aber keinen Sinn.

Es ist sehr interessant, den Wandel zu verfolgen, der bei Ihnen von Plenarsitzung zu Plenarsitzung ab und zu festzustellen ist. Erst werfen Sie mir vor, wir betrieben zu viel Küstenschutz. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten tue ich das. Ich will noch mehr Küstenschutz. Wir mussten deswegen auch über die Grundsätze und darüber, ob sie alle richtig und effektiv sind, nachdenken. Wenn wir den Küstenschutz dann entsprechend betreiben, stellen Sie sich wiederum hin und sagen, wir müssten oben noch mehr drauflegen. Wir tun das, wie gesagt, bereits im Bereich der Deiche. Im Bereich der Siel- und Schöpfwerke gehen wir sogar noch vorsorgender vor. Wir setzen dort bei der Gründung 1 m zusätzlich drauf. Das heißt, wenn wir in 50 Jahren eine Erhöhung vornehmen müssten, brauchen wir das Bauwerk nicht abzureißen. Wir sind im Grunde genommen vielmehr in der Lage, diese Schöpfwerke weiter zu benutzen.

Meine Damen und Herren, wir werden die bestehenden Defizite natürlich schnell beseitigen. Wir brauchen dafür Unterstützung. Das Land Niedersachsen hat die Mittel in den letzten Jahren auf dem Volumen von 45 Millionen Euro gehalten. Im

letzten Jahr wurden sogar fast 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Wir hätten in diesem Jahr gern noch mehr Mittel eingesetzt. Der Bund hat die Mittel aber gekürzt. Wir haben es durch eigene Anstrengungen im Haushalt erreicht, dass wir auch in diesem Jahr weiterhin 45 Millionen Euro zur Verfügung stellen können.

Lassen Sie mich etwas zu der aktuellen Situation sagen. Natürlich haben wir am 1. November insbesondere in der Emsmündung einen erheblichen Sturm gehabt. Dieser Sturm hat besonders ein Problem deutlich werden lassen, nämlich die ganze Teek-Problematik, welche Sie im Grunde genommen durch falsche Politik im Deichvorland erst hervorgerufen haben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das hat dazu geführt, dass die Deichverbände gar nicht mehr die finanziellen Mittel haben, um die erforderlichen Maßnahmen gerade im Herbst so schnell wie möglich durchzuführen. Wir gehen auch dort an die Aufgabe heran, Maßnahmen zu treffen.

Herr Minister, Ihre Redezeit ist abgelaufen.