Protokoll der Sitzung vom 12.12.2007

Herr Wenzel, wenn Sie von tödlichen Risiken und entleerten Landkreisen sprechen, dann malen Sie wirklich ein Horrorszenario an die Wand. Da hat Herr Althusmann völlig recht: Das hilft den Menschen, die in Niedersachsen wohnen, überhaupt nicht weiter.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir brauchen eine vernünftige Abwägung sämtlicher Ursachen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Noch hundert Jahre!)

Wir dürfen das Problem auf keinen Fall kleinreden. Wir nehmen diese Studie sehr ernst und müssen jetzt mit faktenbasierten Diskussionen genauso sachlich vorgehen, wie wir es im Sozialausschuss bei den Leukämiefällen in der Elbmarsch bereits gemacht haben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das Wort hat noch einmal der Kollege Wenzel.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, wenn unter einem Apfel

baum Äpfel liegen, stammen die dann von dem Apfelbaum, oder hat sie jemand dorthin getragen?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Heinz Rolfes [CDU]: Das ist Niveau!)

- Das ist die Frage, Herr Rolfes.

Im 19. Jahrhundert hat es ähnliche Fälle gegeben. Damals gab es z. B. Cholerafälle, die sich niemand erklären konnte; man wusste ja noch nichts von Bakterien. Irgendwann hat ein Arzt gesagt, das liegt an den Wasserquellen. Er hat sich schließlich mit seiner Meinung durchsetzen können, die Wasserquelle wurde geschlossen, und die Zahl der Cholerafälle ging signifikant zurück. Dem Ganzen ging ein Expertenstreit voraus.

Ähnlich ist es hier. Allerdings läuft der Expertenstreit schon seit 30 Jahren. Um diesen Streit zu beenden, hat das Bundesamt für Strahlenschutz eine Studie in Auftrag gegeben. Diese war bewusst so designt, dass hinterher niemand hätte sagen können, dieses oder jenes sei vergessen worden. Es haben sich alle Experten zusammengesetzt, Atomkraftbefürworter und Atomkraftgegner. Es ist ein Expertengremium ausgeschrieben worden. Alles, was wir an Sachverstand von beiden Seiten im Land haben, war dabei und hat diese Studie erarbeitet.

Jetzt haben wir das zitierte Ergebnis, und Sie bekritteln das schon wieder! Natürlich können Sie sagen, Sie wollen noch einmal 30 Jahre lang forschen. Aber ich glaube nicht, dass man das noch verantworten kann. Schließlich müssen wir den Eltern sagen, was wir für die Sicherheit ihrer Kinder tun, welche Vorsorge wir leisten.

Wir alle wissen, wie schwierig die Diskussion ist. Wir alle wissen, was wir im Fall von Krümmel tun, um die Ursachen zu finden. Wir müssen den ganzen technischen Sachverstand nutzen. Aber wir dürfen auch nicht die Augen vor dem verschließen, was heute schon bekannt ist, meine Damen und Herren.

An dieser Stelle ist aus meiner Sicht auch eine Stellungnahme des Ministerpräsidenten notwendig. Darum bitte ich Sie ganz herzlich, Herr Wulff. Davor können Sie sich nicht drücken!

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Minister Sander.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits im Jahre 1992 - man muss sich auch immer die Daten vor Augen halten - hat das Deutsche Kinderkrebsregister eine Studie über Krebserkrankungen von Kindern in der Umgebung von Kernkraftwerken veröffentlicht. Dabei wurden Daten von Kindern unter 15 Jahren ausgewertet. Diese Studie hat einen viel diskutierten Nebenbefund gehabt, nämlich den, dass bei Kindern unter fünf Jahren Leukämie gehäuft im Umkreis von 5 km um Kernkraftwerke aufgetreten ist.

Um diese Ergebnisse nochmals zu untersuchen und mögliche Erklärungen dafür zu finden, wurde die Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken durchgeführt. Wesentlicher Bestandteil dieser Studie waren die Daten von 1992.

Meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche hat mir Herr Bundesumweltminister Gabriel mitgeteilt, dass die zweite Studie nunmehr abgeschlossen sei. Sie bestätige für den Zeitraum von 1980 bis 2003 - auf diesen Zeitraum bezieht sich die Studie -, dass in einem Umkreis von 5 km um 16 Kernkraftwerke eine summarisch - man könnte auch sagen: statistisch-mathematisch erhöhte Rate an Leukämieerkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren aufgetreten ist. Die zweite Studie bestätigt also die Ergebnisse, die bereits bekannt sind. Rein rechnerisch bedeuten die erhöhten Raten, dass pro Jahr im Durchschnitt aller 16 Anlagen 0,075 Krebserkrankungen und davon wiederum 0,05 Leukämieerkrankungen bei Kindern zusätzlich beobachtet wurden. Nach Auffassung der Autoren der Studie sind die daraus abzuleitenden Risikoabschätzungen mit Unsicherheiten behaftet. Grund dafür sind die zugrunde liegenden Fallzahlen.

Meine Damen und Herren, bei Studien mit relativ kleiner Zahlenbasis besteht grundsätzlich die Ungewissheit, ob die Ergebnisse auf kausale Zusammenhänge oder aber auf die wissenschaftlichen Grenzen der verwendeten mathematischen Methoden zur statistischen Erfassung geringer Fallzahlen zurückzuführen sind.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: 592 Fälle!)

Noch bevor am Montag die Zusammenfassung der Studie ins Internet gestellt worden ist, gab es im politischen Raum weitreichende Forderungen. So hat der Kollege Harden gefordert, dass sämtliche Atomkraftwerke sofort abgeschaltet werden.

(Zustimmung bei der SPD)

Herr Kollege Harden, die Landesregierung und ich haben Verständnis für Ihre Sorgen. Ich weiß, dass Sie persönlich sich im Zusammenhang mit der Bürgerinitiative verdient gemacht haben, um immer und immer wieder für dieses Thema zu sensibilisieren. Das gestehen wir Ihnen voll zu. Ihre Forderung ist aber nicht die Lösung des Problems.

(Zuruf von der SPD: Sondern?)

Der Kollege Wenzel hat noch einen draufgesetzt und gefordert, wir sollten klären, ob den Kernkraftwerksbetreibern nicht die Betriebserlaubnis entzogen werden müsse. Der Tod von Kindern sei durch die Betriebserlaubnis von Atomkraftwerken nicht gedeckt. Herr Kollege Wenzel: Für die Landesregierung ist der Tod eines jeden Kindes, der eventuell im Zusammenhang mit Leukämie und Kernkraft steht, einer zu viel. Das müssen Sie dieser Landesregierung zugestehen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Glocke des Präsidenten)

Dann kam der Kollege Jüttner. Er fing, wie immer, moderat an. In der Neuen Presse vom 10. Dezember war zu lesen, diese Studie habe eine entwaffnend neue Qualität. Das ist wörtlich zitiert. Folgeuntersuchungen seien notwendig. Darin stimmen wir Ihnen völlig zu. Sie müssen schnell und ordentlich erfolgen, und zwar unter Umständen auch unter Beteiligung eines breiteren Kreises von Wissenschaftlern. Nicht nur Strahlenexperten, sondern auch Mediziner aus unterschiedlichen Bereichen müssen der Forschungsgruppe angehören. Danach kam aber die Forderung, dass alle Kernkraftwerke abgeschaltet werden müssten.

Herr Minister, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

(Bernd Althusmann [CDU]: Sie kön- nen weiterreden! - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Als Vertreter der Landesregie- rung kannst du weiterreden!)

Herr Präsident, das Thema ist meines Erachtens so wichtig, dass der Sachverhalt seitens der Landesregierung klargestellt werden muss.

Herr Minister, nach der Verfassung habe ich keine Möglichkeit, Ihnen das Wort zu entziehen. Wir haben abgesprochen, dass seitens der Landesregierung fünf Minuten geredet wird. Wenn Sie überziehen, kann und werde ich Ihnen nicht das Wort entziehen.

Wir haben wenig Verständnis dafür, dass Sie, noch bevor die Studie veröffentlicht ist, solche Forderungen stellen.

Gestern Nachmittag haben wir per Fax noch einmal das Bundesumweltministerium, Herrn Gabriel, aufgefordert, uns die Studie zu übersenden. Abends, um 19.30 Uhr, haben wir die Information bekommen: Die Studie ist noch nicht zusammengestellt. Wir können sie Ihnen noch nicht geben. Heute Morgen kam von der Büroleiterin von Herrn Gabriel telefonisch die Auskunft: Wir sind noch nicht soweit. Wir können Ihnen die Studie noch nicht geben.

(Axel Plaue [SPD]: Immer nur aussit- zen! Das ist unglaublich! - Weitere Zu- rufe von der SPD )

Herr Kollege Jüttner und Herr Kollege Wenzel, da Sie immer in dieser Form operieren und polemisch arbeiten, will ich Ihnen eines sagen: Ich lebe in der Nähe eines Kernkraftwerkes, allerdings 10 km entfernt. Auch ich habe Kinder, und diese haben ebenfalls Kinder; auch unter fünf Jahren. Glauben Sie, dass die Menschen in meiner Region das Thema nicht genauso ernst nehmen wie Sie? Wir können das Problem aber nicht mit Hektik lösen, sondern wir brauchen klare Ansagen, wie die Untersuchungen durchzuführen sind.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD)

- Das passt Ihnen nicht. Das weiß ich. Das muss ich Ihnen aber einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Redezeit, die die Landesregierung jetzt zusätzlich in Anspruch nimmt, geht selbstverständlich zulasten meiner Kollegen z. B. bei den Debatten über den Schienenpersonennahverkehr oder die Managergehälter. Ich halte dieses Thema für noch wichtiger, weil es um die Gesundheit der Menschen geht.

Ich halte es schon für nachdenkenswert, wie Sie hier auftreten, indem Sie den Hinweis des Niedersächsischen Umweltministers, dass die Studie noch nicht vorliegt, dass sie noch nicht zusammengestellt ist, schlichtweg in Abrede stellen. Das ist die Äußerung, die uns gegenüber gemacht worden ist.

(Zuruf von der SPD)

- Ich bitte Sie ganz herzlich! Irgendwo müssen wir doch noch auf einem gewissen Niveau miteinander argumentieren. Das muss man doch erwarten können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Heiner Bartling [SPD]: Das erzählen Sie uns? Das ist eine Unverschämt- heit! - Weiterer Zuruf von der SPD: Wer hat denn mit dem Niveau ange- fangen?)

Das Einzige, was dem Internet bislang zu entnehmen ist, ist die Zusammenfassung, die Summary. Diese Summary endet in der Schlussfolgerung mit folgender Aussage: Die Studie kann keine Aussage darüber machen, durch welche biologischen Risikofaktoren diese Beziehung zu erklären ist. Die Exposition gegenüber ionisierender Strahlung wurde weder gemessen noch modelliert. Ob Confounder, Selektion oder Zufall bei dem beobachteten Abstandstrend eine Rolle spielen, kann mit dieser Studie nicht abschließend geklärt werden.

Wir machen das, was Herr Gabriel und Frau Trauernicht als Vertreterin der Atombehörde in Schleswig-Holstein gesagt haben, sich nämlich intensiv mit dieser ernst zu nehmenden Studie auseinanderzusetzen.

Für die Zeit zwischen 1980 und 2003 wäre statistisch zu erwarten gewesen, dass 17 Kinder an Leukämie erkranken. Im Umfeld der 16 Kernkraftwerke sind aber 37 Kinder erkrankt, also 20 mehr, als statistisch zu erwarten gewesen wäre. Es muss aufgeklärt werden, inwieweit dies damit zusammenhängt, dass die Erkrankungen im Umfeld von Kernkraftwerken aufgetreten sind.

Nun stellt sich die Frage, ob im Umfeld eines jeden der 16 Kernkraftwerke eine höhere Erkrankungsrate zu verzeichnen ist oder aber nur im Umfeld von ein oder zwei Kernkraftwerken, beispielsweise in der Leukämieregion um Krümmel herum. Dort gibt es eine auffällige Clusterbildung, über die wir seit 20 Jahren beraten.