Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist schlicht und einfach der, dass wir die Signale aus der Bevölkerung, von den Menschen dieses Landes einfach sensibler und ernsthafter aufnehmen, als Sie das tun.
Verehrte Frau Harms, Sie hören ja sonst gern auf Frau Käßmann. Heute passt das aber nicht - das ist sehr merkwürdig. Sie haben in Ihrem Beitrag nur zum Verfahren gesprochen. Sie haben überhaupt keine Position bezogen.
Sie haben mich für die FDP-Fraktion nicht einmal ein Wort sagen lassen und werfen uns schon Populismus vor. Das halte ich für absolut daneben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Verfassungsgericht hat uns das Heft des Handelns in die Hand gegeben. Wir kommen mit der Vorlage des Entwurfes zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes genau dieser Aufforderung nach. Das in der Öffentlichkeit teilweise ausgesprochen emotional behandelte Thema erforderte einen wirklich intensiven Abwägungsprozess. Genau dem hat sich die FDP-Fraktion gestellt. Wir unterhalten uns nicht erst seit dem Kopftuchurteil über dieses Thema, sondern wir befassen uns bereits seit Jahren mit dieser Frage.
Wir haben uns mit sehr kontroversen Positionen - das ist ein sehr schwieriges Unterfangen - auseinandergesetzt. Dazu gehörte auch die Einzelfallentscheidung, die Sie, Herr Jüttner, angesprochen haben. Wir haben versucht, uns dort einen ver
nünftigen juristischen Boden zu erarbeiten. Der war schlicht und einfach nicht dick genug, dass das Bestand hat, damit wir die Einzelfallentscheidung vorantreiben können. Sie ist juristisch nicht haltbar.
Wir haben in der Diskussion in der Fraktion allerdings auch die Erkenntnis gewonnen, dass das Hinauszögern - ich komme noch einmal auf die Geschäftsordnungsdebatte von heute Vormittag zurück - bezüglich der Verbesserung der einzelnen Argumente nichts bringt, was die Qualität betrifft.
Deshalb sind wir heute auch in der Lage, an dieser Stelle eine fundierte Aussage zu machen, weil wir alle Argumente von jeder Seite aus intensiv beleuchtet haben. Es galt in erster Linie, die Frage zu beantworten, welche Wirkung und welche Folgen eine wie auch immer formulierte Gesetzesänderung hat. Wir haben uns für die vorliegende Fassung der Gesetzesänderung entschieden, weil wir erstens zur Kenntnis genommen haben, dass das Verfassungsgericht das Kopftuch nicht als grundsätzlich religiöses Symbol eingestuft hat, und weil zweitens das Kopftuch als kulturelle Eigenheit im Islam nicht fest verankert ist.
Während wir uns in Deutschland, in Niedersachsen, außerordentlich schwer tun, verbieten Staaten mit überwiegendem oder großem muslimischen Bevölkerungsanteil das Tragen des Kopftuches in staatlichen Räumen.
An der strikten Trennung von Staat und Religion hat auch die aktuelle Regierung der Türkei nicht gerüttelt. Religiöse Gutachter legen der Frau im Islam keine Pflicht zur Bedeckung auf.
Wir stellen fest: Das Bekenntnis zum Kopftuch kann als ein Bekenntnis zu einem Geschlechterverständnis gewertet werden, das sich mit unserem Verständnis von Freiheit und Gleichstellung der Frau nicht vereinbaren lässt.
Lehrkräfte sind Repräsentanten unseres Landes in unseren Schulen. Wenn wir es zulassen, dass sie in dieser Funktion das Kopftuch tragen, dann eröffnen wir die Möglichkeit, die Unterdrückung der
Nein, ich bin gleich fertig. - Wie kürzlich eindrucksvoll im norddeutschen Fernsehen belegt, wird von einer islamistischen Minderheit deutscher Muslime das Recht und die Pflicht zur Teilnahme am Sportund Schwimmunterricht, also die Schulpflicht, verletzt. Die Beteiligung an Klassenfahrten, die ein besonderes Instrument der Integration darstellen, wird untersagt. Wenn wir z. B. beobachten - das ist mir persönlich passiert -, dass junge Mädchen, die sich gerade auf dem Weg dazu befinden, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren, durch ihre Familien sozusagen zwangsverheiratet werden, dann ist das nicht nur nicht mit unseren Vorstellungen zu vereinbaren, sondern wir empfinden es als unerträglich, und das wollen wir nicht.
Diejenigen, die sich zu dieser Form des Islam bekennen, wissen sehr genau, was sie durch das Sichtbarmachen der Religion über das Kopftuch bewirken, denn das Tragen des Kopftuchs bedeutet Eindeutigkeit und Abgrenzung. Hier ist ein deutlicher Unterschied zwischen Kreuz und Kopftuch auszumachen.
Fazit: Wer an der äußerlichen Darstellung ungleicher Rechte festhält, auch in Form des öffentlich getragenen Kopftuchs, ist im verfassungssensiblen Bereich wie dem Schuldienst fehl am Platze. Weil man am Arbeitsplatz Schule intensiven Einfluss auf das Denken und Fühlen formbarer junger Menschen haben kann, muss Neutralitätspflicht konsequent gewährleistet sein. Es geht uns darum, die Neutralität des Landes gegenüber unseren Schülerinnen und Schülern sicherzustellen und den Schulfrieden zu bewahren. Gleichwohl lehnen wir es ab, eine Leitkulturdebatte mit dem Kopftuchverbot zu verbinden. Nach unserer Auffassung kann man sich zu christlichen und abendländischen Werten bekennen. Sie sind aber nicht zwangsläufig Voraussetzung, um dem Bildungsauftrag unserer Schulen nachzukommen. Darauf haben wir bei der Formulierung des Gesetzestextes Wert gelegt.
Mit dieser Intention ist diese Gesetzesänderung vorgelegt worden. Damit schränken wir keineswegs die persönliche Ausübung der Religionsfreiheit ein. Wir verhindern aber eine über das rein Religiöse hinausgehende politische Botschaft.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, welch gewaltige gesellschaftspolitische Diskussion und Dimension das Thema rund um das Kopftuch jetzt erfahren hat. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass wir in Deutschland kontrovers über eine Fragestellung debattieren, die insbesondere in der islamischen Welt auch ausgesprochen kontrovers diskutiert wird, sodass man sagen kann, die Meinungen gehen weit auseinander. Dort ergibt sich ein gespaltenes Bild.
Es gab am letzten Samstag Demonstrationen, u. a. in Berlin. Dazu schrieb die Presse u. a.: „Die muslimische Welt ist in dieser Frage gespalten.“ In einem Zeitungsartikel dazu wurde berichtet, dass von bis zu 3 000 Demonstranten Parolen verbreitet und Transparente mit der Aufschrift „Mein Kopf gehört mir“ und „Gleichberechtigung der Religionen“ gezeigt wurden. Die Sprecher dieser Demonstration haben in der Pressekonferenz aber gleich klargestellt: „Das Tragen eines Kopftuchs ist kein religiöses Symbol, sondern ist Pflicht einer jeden Muslimin.“
Übrigens fiel mir bei der Demonstration auf, dass Frauen in der Minderheit waren und dass Männer und Frauen getrennt marschieren mussten.
Ich frage Sie: Ist das eigentlich die Gesellschaftsordnung, die wir unseren Kindern in diesen Tagen an den Schulen vermitteln sollen?
Das Thema hat eine gesellschaftspolitische und eine höchst verfassungsrechtliche Dimension, aber ich stehe als Schulminister des Landes Niedersachsen vor Ihnen, und ich bin insbesondere dafür verantwortlich, dass mehr als eine Million Schüle
rinnen und Schüler, in der Regel minderjährig, im Sinne des Bildungsauftrags unseres Schulgesetzes unterrichtet werden. Ich begrüße die Gesetzesinitiative der Regierungsfraktionen, weil sie die vom Bundesverfassungsgericht für notwendig erachtete rechtliche Klarheit bringt. Dabei geht es nicht vorrangig um eine Einschränkung der Religionsfreiheit. Es geht auch nicht um Kleiderfragen. Vielmehr geht es um eine Klarstellung darüber, was eine Lehrkraft im Dienst - wohlgemerkt: im Dienst - demonstrativ bezeugen darf und was nicht.
Im Hinblick auf das Tragen des Kopftuchs im Schuldienst ist nicht zu klären, warum das Kopftuch im Einzelfall getragen wird. Es kommt allein darauf an - Originalton Bundesverfassungsgericht -, als was das von muslimischen Lehrerinnen getragene Kopftuch von den Schülerinnen und Schülern wahrgenommen werden kann. Es ist also nicht der Einzelfall, mit welcher Denke, mit welcher Befindlichkeit sich die Lehrerin mit Kopftuch vor der Klasse verhält, sondern - die Juristen kennen den Begriff - der Empfängerhorizont gilt: Als was nehmen die Schülerinnen und Schüler das Tragen eines Kopftuchs wahr?
Das Kopftuch mag auch eine religiöse Überzeugung ausdrücken. Es ist bei Musliminnen, die sich weigern, es im Dienst abzulegen, aber gleichzeitig Ausdruck einer mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten und unseren Bildungszielen nicht zu vereinbarenden Haltung. Ich möchte verhindern, dass den Kindern oder Eltern unter dem Vorwand religiöser Überzeugung symbolisch eine Wertevorstellung demonstriert wird, die eine niedrigere Stellung der Frau in Gesellschaft, Staat und Familie verlangt und die außerdem ein fundamentalistisches, kämpferisches Eintreten für einen islamischen Gottesstaat fordert.
Meine Damen und Herren, Lehrerinnen und Lehrern obliegt als Repräsentanten des Staates eine Dienstpflicht zur unparteiischen, dem Wohl der Allgemeinheit dienenden Amtsführung. Das Erscheinungsbild einer Lehrkraft darf nicht durch einseitige weltanschauliche, religiöse oder politische Bezüge geprägt werden. Unabhängig von der angestrebten Regelung besteht eine grundsätzliche Neutralitätspflicht des Staates für den religiösen und weltanschaulichen Bereich. Beamtinnen und Beamte verstoßen gegen das Neutralitätsgebot und gegen Dienstpflichten, wenn sie die ihnen als Repräsentanten des Staates obliegenden Dienst
Die vorgesehene Regelung setzt keine strengeren Maßstäbe an die Neutralität, sondern schafft nur die nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts notwendige bereichsspezifische gesetzliche Grundlage. Es werden auch nicht - wie manche jetzt gerne behaupten wollen - politische Bekundungen überhaupt verboten, sondern nur solche, die gegen die Neutralitätspflicht verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass das Grundgesetz den Ländern im Schulwesen dabei umfassende Gestaltungsfreiheit lasse. Es obliege dem Landesgesetzgeber, das unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen positiver Glaubensfreiheit der Lehrkräfte einerseits und der staatlichen Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der negativen Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler andererseits unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen und entsprechende gesetzliche Grundlagen zu schaffen.
In diesem Zusammenhang gibt das Bundesverfassungsgericht einen entscheidenden Hinweis, den ich - wenn Sie so wollen - durchaus als Auflockerung des Gleichheitsgebots in Artikel 3 des Grundgesetzes verstehe, weil es sagt - man könnte auch sagen: es ist ein Wink mit dem Zaunpfahl -: Auch die Schultradition, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre religiöse Verwurzelung können berücksichtigt werden. Länder können also durchaus auch unterschiedliche Gewichtungen vornehmen bzw. unterschiedliche Wege beschreiten. Ich bin etwas enttäuscht darüber, was der Jurist Mahrenholz gestern zu Artikel 3 gesagt hat. Wenn er diesen Passus gesehen hätte, hätte er das zumindest offener würdigen können, Herr Kollege, um gleich beiseite zu schieben: Nach Artikel 3 ein Verstoß - na ja.
Der bisher von allen im Landtag vertretenen Parteien getragene Bildungsauftrag der Schule - meine Damen und Herren, das ist § 2 des Schulgesetzes, in Ihrem Schulgesetz, das von Ihnen einstimmig beschlossen wurde, und auch von unserem Schulgesetz, das von uns einstimmig beschlossen wurde; somit ist es eigentlich von allen beschlossen - sieht vor, dass die Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage des Christentums, des europäischen Humanismus und der Ideen der libe
Die Schule hat dabei die Wertvorstellungen zu vermitteln, die dem Grundgesetz und der Niedersächsischen Verfassung zugrunde liegen. Wir haben uns damit ausdrücklich zur Vermittlung bestimmter Werte unserer christlich-abendländischen Tradition entschlossen. Das ist bei uns Gesetzeslage, das ist Bildungsauftrag, meine Damen und Herren. Unsere Tradition ist vom Christen- und vom Judentum geprägt. Deshalb ist es konsequent, dass das Tragen jüdischer und christlicher Symbole für Lehrkräfte im Unterricht, im Dienst - jedenfalls dem Grunde nach -, möglich bleibt.
Meine Damen und Herren, bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war doch auch unstreitig, dass etwa das Tragen von Plaketten einzelner Parteien und Bewegungen oder das Tragen von Kleidungsstücken, die sich gegen unsere Werteordnung richten, wie Uniformen oder Bhagwan-Gewänder, mit dem beamtenrechtlichen Neutralitätsund Mäßigungsgebot kollidiert. Selbstverständlich war doch auch schon bisher indoktrinierende, etwa rassistische oder volksverhetzende Verhaltensweise für Lehrerinnen und Lehrer verboten.
Lassen Sie mich noch etwas zu Ihnen, Frau Kollegin Harms, sagen. Bisher dachte ich, dass auch Sie Kinder vor radikalen oder einseitig indoktrinierenden Lehrkräften schützen wollen. Umso mehr hat es mich überrascht - mit dem Beitrag von eben fast ein bisschen verletzt -, dass Sie die beabsichtigte Regelung jetzt als Wiederauferstehung des wilhelminischen Geistes oder als ein neues Berufsverbot bezeichnen. Irgendwo las ich etwas von Untertanenstaat, vorhin war von Populismus die Rede. Dagegen verwahre ich mich sowohl für die Regierung als auch persönlich; denn wir sind Demokraten, aber wir sind - bitte sehr - in schwieriger Zeit auch wehrhafte Demokraten. Das muss erlaubt sein.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Rebecca Harms [GRÜNE]: Gegen wen denn? Gegen 16 Frauen müssen Sie sich zur Wehr setzen?)