Protokoll der Sitzung vom 21.01.2004

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Rebecca Harms [GRÜNE]: Gegen wen denn? Gegen 16 Frauen müssen Sie sich zur Wehr setzen?)

Frau Harms, gegen solche ungerechtfertigten Vorwürfe dürfte sich auch Ihre Parteifreundin, die Bundestagsvizepräsidentin Vollmer, verwahren.

Ich zitiere ausschnittsweise Frau Vollmer aus dem Tagesspiegel vom Sonntag, dem 18. Januar:

„Die Veränderungen selbst in einigen Stadtteilen Berlins, wo man das Kopftuch immer häufiger sieht, haben wir als kulturelle Folklore abgetan. Dabei handelt es sich um massive politisch-ideologische Veränderungen, die im Kopftuch ein Symbol finden für die vollständige Unterstellung der Frau unter die Autorität des Mannes... Von Millionen Frauen wird das Kopftuch nicht freiwillig gewählt, weder im Iran noch in Algerien noch in Afghanistan. Dahinter steckt mehr als kulturelle oder religiöse Vielfalt, nämlich eine handfeste politsektiererische Position...“

Frau Vollmer sagt weiter:

„Wir sollten das Kopftuch bei den Lehrerinnen an öffentlichen Schulen nicht dulden. Lehrerinnen haben eine Vorbildfunktion.“

Herr Busemann, ich möchte Sie kurz darauf hinweisen, dass Sie die Redezeit jetzt um das Doppelte überzogen haben.

Ich bin gleich fertig, Frau Vizepräsidentin. - Ich darf in dieser Situation auch Herrn Thierse zitieren. Er sagt schlicht und ergreifend: Ein Kreuz ist kein Symbol von Unterdrückung, das Kopftuch für viele muslimische Frauen schon. - Weil man bei dem, was man tut und was man in Zukunft machen will, immer wissen muss, welche Grundwerte man hat - denn wer keine Grundwerte hat, der macht sowieso falsche Politik -, habe ich einmal in das Berliner Programm der SPD von 1998 gesehen, das am 17. April 1998 novelliert worden ist. Darin sagen auch die Sozialdemokraten ausdrücklich: „Der demokratische Sozialismus in Europa hat seine geistigen Wurzeln im Christentum und in der humanistischen Philosophie.“

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Lesen Sie doch einmal weiter!)

- Ja, dann geht es noch ein bisschen weiter. Karl Marx kommt dann auch vor. Aber es kommt auch

die Erfahrung der Arbeiterbewegung und der Frauenbefreiung dazu. Alles das macht schon gewisse Grundsätze aus.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Das war schon 1959 im Godesberger Pro- gramm!)

Deswegen überlegen Sie doch einmal! Bisher war Ihre Position - und ich teile die meiner Amtsvorgängerin -: Kopftuch nein, und christliche Symbole wie bisher! - Insoweit vollziehen Sie einen Richtungswechsel, indem Sie dafür plädieren, dass alle gleich behandelt werden sollen in dem Sinne, dass sämtliche Symbole aus der Schule raus sollen. Ich bitte, vor dem Hintergrund der Historie Ihrer Partei und Ihres Programms zu überdenken, ob diese Auffassung richtig sein kann. Meines Erachtens bewegt sich der Bundeskanzler bei diesem Thema noch ein bisschen näher am eigenen Programm, wenn er sagt: „Meine Ansicht ist klar: Kopftücher haben für Leute im staatlichen Auftrag, also auch für Lehrerinnen, keinen Platz.“

Meine Damen und Herren, das Thema ist außerordentlich schwierig. Wir sollten uns vielleicht auch etwas mehr Selbstbewusstsein gönnen, was das Bekennen zu unseren Grundwerten und unseren schulpolitischen Aufträgen laut Gesetz anbelangt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es wäre schade, wenn schon beim Stil der Diskussion in der christlichen Welt das eintritt, was in der islamischen Welt offenbar der Fall ist, nämlich dass allein aufgrund der Art und Weise, wie man das Thema behandelt, eine Spaltung eintritt. Danke schön.

Ich erteile Frau Harms zwei Minuten zusätzliche Redezeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Zurufe von der CDU: Frau Präsiden- tin!)

- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! - Entschuldigung, gerade in dieser Debatte.

(Minister Möllring: Die hat kein Kopf- tuch auf! - Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Herr Busemann, Sie haben soeben ein Stichwort geliefert, das mein Misstrauen gegenüber Ihrem Handeln verstärkt. Sie haben die wehrhafte Demokratie angesprochen. Ich weiß nicht so richtig, gegen wen Sie die Demokratie mit diesem Gesetz eigentlich verteidigen; denn genau genommen geht es in Niedersachsen um eine Lehrerin, bundesweit geht es um 16 Lehrerinnen. Sehen Sie denn durch diese 16 Lehrerinnen allen Ernstes unser Land in Gefahr gebracht? Ich glaube, dass Sie über die Angemessenheit dieses Gesetzes bisher überhaupt nicht nachgedacht haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Lassen Sie mich noch das ansprechen, was ich mir für unsere Schulen wünsche und worüber ich auch im Zusammenhang mit der Debatte um das Kopftuch noch einmal nachgedacht habe. Wir alle haben in der Diskussion über PISA und das, was in unseren Schulen unbedingt stattfinden muss, immer so gern über die Wertevermittlung geredet. Ich meine, dass wir zu kurz springen, wenn wir in diesem Zusammenhang immer nur auf unsere christlich-abendländische, jüdische Tradition pochen. Ich meine, dass humanistische Werte, dass die Aufklärung in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle spielen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das, was ich mir an unseren Schulen wünsche und was ich sehr oft wahrnehme, wenn ich an niedersächsischen Schulen bin, ist eine authentische Auseinandersetzung, die den Kindern und Jugendlichen vonseiten der Lehrkräfte ermöglicht wird, ohne dass das missionarisch oder politisch agitierend ist. Ich meine, dass wir in unseren Schulen in der Bundesrepublik in dieser Hinsicht einen sehr hohen Stand erreicht haben. Ich sehe diese Entwicklung, diese Diskussionskultur, diese Art der Wertevermittlung durch 16 Lehrerinnen mit Kopftuch nicht gefährdet.

Lassen Sie mich zum Schluss Folgendes anmerken: Sie reden so oft von der Gleichberechtigung, die Sie sich für die islamische Frau wünschen. Ich kann noch ein Lied davon singen, wie schwierig es gewesen ist, den Weg einer gleichberechtigten deutschen Frau zu finden, die evangelisch erzogen worden ist. Das war noch im Konfirmandenunterricht ein großes Problem. Es ist auch für deutsche Frauen ein weiter Weg gewesen. Ich meine, dass

wir Frauen diesen Weg nicht so erfolgreich gegangen wären, wenn er uns gesetzlich verordnet worden wäre. Ich glaube, dass der Wunsch der Frau, die Freiwilligkeit bei emanzipativen Prozessen, eine sehr große Rolle spielt, und wünsche mir, dass das in dieser Diskussion beachtet wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt hat Herr Gabriel das Wort für bis zu drei Minuten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin eigentlich ganz dankbar dafür, dass sich Herr Busemann noch einmal zu Wort gemeldet hat; denn ich finde, dass eine ganze Reihe von Aussagen getroffen worden sind, bei denen wir versuchen können, die Diskussion einerseits nicht zu überhöhen und andererseits damit angemessen umzugehen.

Herr McAllister, ich sage es Ihnen ohne jede Polemik: In der Art und Weise, wie Sie sich vorhin hierzu geäußert haben, geht es nicht. Ich will Ihnen nur einen Hinweis geben. Es müsste selbst Sie nachdenklich machen, wenn der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde die gleichen Auffassungen vertritt, wie wir sie hier vertreten haben. Möglicherweise liegt das nicht daran, dass wir alle politische Dummköpfe sind und nicht lesen können oder dass nur Sie im Besitz der einzigen Wahrheit sind, sondern daran, dass das Thema etwas komplizierter ist. Vielleicht muss man, wenn man ein kompliziertes Thema bespricht, gelegentlich versuchen, seine rhetorische Bandbreite vom Draufschlagen auf einen differenzierten Sprachgebrauch zu erweitern. Das wäre in solchen Fällen ganz hilfreich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Lassen Sie mich Ihnen einen Hinweis geben, wie kompliziert das ist. Herr Kollege Busemann, Sie haben das Schulgesetz zitiert. Auch ich zitiere einmal einen Absatz aus dem Schulgesetz, an dem deutlich wird, wie schwierig es ist, sich auf frühere Gesetze zu berufen. Im geltenden Schulgesetz, von Ihnen verabschiedet, von uns verabschiedet, also einvernehmlich verabschiedet, steht folgender Satz:

„Die Besetzung der Stellen der Lehrkräfte an öffentlichen Grundschulen und Hauptschulen richtet sich nach der bekenntnismäßigen Zusammensetzung der Schülerschaft.“

Herr Busemann, wann fangen wir, wenn wir diese Vorgabe ernst nehmen, damit an, in einigen Stadtteilen unseres Land 70 % Muslime einzustellen? Ich denke, Sie merken, worauf ich hinaus will. Das Thema ist etwas komplizierter. Wir haben Regelungen, die einem jedenfalls angemessen Umgang mit dieser Situation nicht gerecht werden. Ich sehe als Hauptproblem, dass uns dann, wenn wir in der Debatte jetzt nicht aufpassen, etwas trennen wird, was uns eint, nämlich die Abwehr von Werten, die gegen unsere Verfassung sind, die für ein theokratisches System und für die Benachteiligung von Frauen sind. Uns eint, dass wir das nicht haben wollen - übrigens weder in der Schule noch sonst irgendwo im öffentlichen Dienst. Das wollen wir also nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber dies ist eine politische Abwehr. Wir müssen aufpassen, dass wir das Thema nicht zu einer Diskussion über Religionen machen. Das ist das eigentliche Problem, das wir haben. Wir müssen zusehen, dass wir klar machen, dass es hier nicht etwa um eine Religionszugehörigkeit geht, sondern ausschließlich darum, dass wir - wie in der Vergangenheit - politisch gegen unsere Verfassung gerichtete Einflussnahme auf Schülerinnen und Schüler nicht dulden wollen. Das eint uns, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man das nicht zu einer religiösen Auseinandersetzung machen will, dann allerdings muss man - da hat der Kollege Jüttner absolut Recht - dem Bundesverfassungsgericht folgen, das sagt: Wenn ihr das regelt, müsst ihr alle nicht etwa gleichsetzen - Herr McAllister -, sondern gleich behandeln. Herr McAllister, Sie haben immer so getan, als würden wir alle gleichsetzen wollen. Ich bin übrigens Lutheraner, nur nicht in der Landeskirche von Frau Käßmann, sondern in einer anderen, aber immerhin. Ich sage Ihnen: Ich will niemanden mit anderen gleichsetzen - das wäre übrigens jeder Religionsgemeinschaft gegenüber falsch -, aber ich will alle gleich behandeln. Das ist ein großer Unterschied.

(Ursula Körtner [CDU]: Das ist eben falsch!)

- Das ist nicht falsch, Frau Kollegin, sondern das schreiben unsere Verfassung und auch das Urteil vor.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Der eine Weg - für den manches spricht - ist, das per Gesetz zu regeln. Aber dann gibt es das Problem, dass alle aus der Schule herausgedrängt werden. Das ist meine Sorge, nicht mein Wille. Ich habe Sorge, dass wir als Nächstes ein Verfassungsgerichtsurteil bekommen, mit dem Ihr Gesetz in diesen Paragrafen aufgehoben wird und wir eine Gleichbehandlung aller im Sinne eines Herausdrängens aller Religionsgemeinschaften aus den Schulen erreichen.

(David McAllister [CDU]: Das haben Sie gefordert!)

Das will ich gar nicht. Ich glaube nicht, dass das notwendig ist. Diesen Weg kann man gehen, aber dann darf man eines nicht machen: Man darf in das Gesetz nichts von einer Bevorzugung christlicher und abendländischer Tradition hineinschreiben. Herr Kollege Busemann, Sie haben etwas aus § 2 des Schulgesetzes vorgelesen und anschließend von abendländischer Tradition gesprochen. Von abendländischer Tradition steht aber nichts im Schulgesetz. Nehmen Sie, wenn schon, doch wenigstens den Text des Schulgesetzes!

(Zustimmung bei der SPD)

Darin steht jedenfalls bezüglich abendländischer Tradition nichts von Gleichsetzung. Der Begriff ist auch schwammig. Finden Sie, dass ein katholischer religiöser Eiferer wie Herr Hohmann, wenn er denn Lehrer wäre, in der Schule gegen die Homosexuellenehe polemisieren dürfte und sich auf das christliche Abendland berufen könnte, wie er das - unter dem Beifall einiger, nicht aller Kollegen - im Bundestag getan hat? Ich weise nur darauf hin, dass dieser Weg etwas schwierig ist.

Der zweite Weg ist, dass wir auf ein solches Gesetz verzichten und im Einzelfall - um Einzelfälle handelt es sich - sagen: Wir wollen dich nicht im öffentlichen Dienst, weil du dich nicht mit unserer Verfassung im Einklang befindest - egal, wo du stehst.

Meine Bitte an die Landesregierung und an die beiden Koalitionsfraktionen ist, dass wir uns trotz der - jedenfalls am Anfang - hektischen Debatte in

der jetzt im Ausschuss möglichen Anhörung Ruhe und Gelassenheit gönnen, damit wir unsere und Sie Ihre Meinung überprüfen können, um zu sehen, ob wir richtig liegen. Das sollten wir tun, um am Ende das gemeinsame Ziel zu erreichen, dass die Schülerinnen und Schüler in unseren Schulen - ich wiederhole: auch alle anderen - nicht einem antidemokratischen Einfluss ausgesetzt werden. Aber dies ist eine politische Frage und keine Frage der Bevorzugung oder Benachteiligung von Religionsgemeinschaften, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)