Protokoll der Sitzung vom 19.11.2004

Die erste Zusatzfrage stellt Frau Steiner.

Frau Präsidentin! In Anbetracht der Tatsache, dass wir nach der Bewertung der Elemente des Kopfpauschalensystems gefragt haben, würde ich gerne von der Landesregierung wissen: Wie beurteilt sie die Äußerung des sie beratenden Wirtschaftsprofessors Stefan Homburg, dass der neue Vorschlag schlecht sei, weil der Spitzensteuersatz nicht genug sinke, dass das Modell zu kompliziert sei und dass die Gesundheitskosten nicht vollständig vom Lohn abgekoppelt würden?

Frau Ministerin!

Ich beurteile das folgendermaßen: Professor Homburg sieht die Tatsache, dass der Spitzensteuersatz von 42 % nicht auf 36 % abgesenkt wird, sondern auf 49 % - -

(Sigmar Gabriel [SPD]: 49! Da freut sich Herr Möllring!)

- Entschuldigen Sie, ich sage öffentlich und für das Protokoll: 39 %. - Ich kann mich übrigens entsinnen, dass Sie eine Absenkung des Spitzensteuersatzes auf unter 42 % generell scharf kritisiert haben.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Genau!)

Der Sinn dieser geringeren Absenkung ist eindeutig: Wir wollen, dass darüber die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder finanziert wird. Das ist auch richtig so. Denn damit kommen auch die hohen Einkommen - das sind typischerweise die Einkommen, von denen Kinder nicht leben, weil sich sonst das Einkommen auf sehr viel mehr Köpfe verteilen würde und nicht in dieser Steuerprogressionsstufe enthalten wäre - für die Erziehung von Kindern in Deutschland in der Krankenversicherung mit auf. Das halten wir politisch für den richtigen Schritt. Ich verstehe die Argumentation von Professor Homburg aus finanzpolitischen Gründen - auch die Kopplung mit der Unternehmensbesteuerung -, dass er sagt, er hätte sich 36 % gewünscht. Das ist in Ordnung. Hier ist eine politische Entscheidung zugunsten der Generationengerechtigkeit getroffen worden.

Nun zu dem zweiten Punkt. Bitte helfen Sie mir auf die Sprünge und sagen Sie noch einmal, worum es dabei ging.

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Zu kom- pliziert und Gesundheitskosten nicht vollständig vom Lohn abgekoppelt!)

Recht hat er: Die Gesundheitskosten sind nicht vollständig vom Lohn abgekoppelt. Es ist nur ein halber Schritt statt des ganzen Schrittes getan worden, den ich mir persönlich gewünscht hätte. Es ist insofern nur ein halber Schritt getan worden, als die Gesundheitskosten nur in Höhe von 7 % vom Lohn abgekoppelt sind. Immerhin ist dies aber ein deutlich größerer Schritt in die richtige Richtung, als er bei der Bürgerversicherung getan wird, bei der die Gesundheitskosten überhaupt nicht vom Lohn abgekoppelt werden. Bei der Bürgerversicherung bleibt der volle Beitrag auf dem Lohn erhalten.

Ich akzeptiere die Wertung von Professor Homburg, dass das Modell zu kompliziert sei. Das Reinmodell mit den vier Schritten, das ich am Anfang vorgestellt habe, ist in der Tat formal einfacher zu kommunizieren. Ich knüpfe in diesem Zusammenhang an den dritten Teil Ihrer Frage an. Es gab offensichtlich den Wunsch, eine stärkere Sicherheit zu haben und die Arbeitgeber nicht aus der Verantwortung zu entlassen. Dies ist jetzt erreicht worden. Das ist sozusagen eine weitere Komponente, die einbezogen worden ist. Dass es sich um einen Schritt mehr handelt, akzeptiere ich vollkommen. Insofern können wir die Bewertung von Professor Homburg mit Gelassenheit ertragen.

(Beifall bei der CDU)

Die nächste Frage stellt Herr Meyer von der SPDFraktion.

Ich frage die Landesregierung, ob sie der Kritik des Bundestagsabgeordneten Seehofer zustimmt, der heute Morgen in einem Interview sinngemäß gesagt hat, eine Reform, bei der er, Seehofer, wegen seiner drei Kinder künftig 210 Euro weniger zu zahlen habe, sei ungerecht.

(Beifall bei der SPD - Sigmar Gabriel [SPD]: Was sagen Sie dann erst, Frau Ministerin?)

Frau Ministerin!

Ich teile diese Kritik nicht. Ich finde es vollkommen richtig, dass wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches das Gericht uns ins Stammbuch geschrieben hat, umsetzen. Wir setzen dieses Urteil im Gegensatz zu Ihrer Partei, die das bis heute noch nicht getan hat, um. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sagt zu Recht, dass die Kindererziehung bei jeder Reform der sozialen Sicherungssysteme als den finanziellen Beiträgen gleichwertiger Beitrag berücksichtigt werden muss. Dies haben Sie bisher in keiner Weise umgesetzt. In der Krankenversicherung tun wir den ersten Schritt in der Richtung, dass jemand mit drei Kindern wie Herr Seehofer in Zukunft in der Tat weniger Beiträge zahlt, denn durch die Erziehung der Kinder leistet er bereits einen Beitrag zur Sicherung des Krankenversicherungssystems für die nächste Generation. Ohne diese Erziehungsleistung gäbe es die Krankenversicherung in der bisherigen Form in der nächsten Generation nicht.

(Beifall bei der CDU)

Frau Janssen-Kucz, bitte!

Wie stark steigt eigentlich die Kopfprämie, wenn die Gesundheitskosten weiter steigen? Dazu haben Sie nichts gesagt. Sie haben mit den 109 Euro ja nur ein Lockangebot gemacht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

Frau Ministerin!

Ich hätte gerne etwas dazu gesagt, Frau JanssenKucz, wenn Sie dies in Ihrer mündlichen Anfrage angesprochen hätten. Jetzt haben Sie eine entsprechende Frage gestellt, und ich will diese auch gern beantworten.

Meines Erachtens muss eines im Sinne einer Konsensgrundlage in der Diskussion klar sein: Wenn wir über die Einnahmeseite der Krankenversicherung und ihre Reformmöglichkeiten - angefangen bei der Bürgerversicherung bis hin zur Pauschalprämie, welches Modell auch immer - sprechen, sprechen wir in der Tat immer auch über die Verfestigung und Verstetigung der Einnahmeseite der Krankenversicherung. Dies hat überhaupt nichts mit der Ausgabeseite der Krankenversicherung zu tun. Es ist in der Tat eine wichtige Frage, wie man die Ausgabeseite der Krankenversicherung weiterhin begrenzt. Es handelt sich hier um einen stetigen Prozess, den wir - egal, um welche Versicherungsform und welche Strukturen es geht - auf die Dauer weiterführen müssen. Sonst müsste ich leicht polemisch die Frage stellen, wie denn in der Bürgerversicherung durch die Umstrukturierung der Finanzierung die Begrenzung der Krankheitskosten gewährleistet sei. Diese Frage wird durch die Reform der Einnahmeseite bei keinem Modell angegangen. Sie muss auf der Ausgabeseite angegangen werden. Dazu gehören die Instrumente des Wettbewerbs auf dem Markt. Dazu gehören die Instrumente, die wir im Konsens bei der Gesundheitsreform, die gerade stattgefunden hat, bereits eingeführt haben. Dies sind Fragen, denen sich die Politik immer wird stellen müssen. Es ist ähnlich wie in einem Unternehmen, das permanent seine Qualitätskriterien überprüfen muss. All dies hat aber nichts mit der im Augenblick geführten Diskussion über die Einnahmeseite der Krankenversicherung zu tun.

Oder wollen Sie sagen, dass die Beiträge in der Bürgerversicherung davon unberührt blieben, wenn die Krankheitskosten in Zukunft steigen? Das kann ja wohl nicht sein. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Die Krankheitskosten sind ein fixer Begriff. Entweder wir zahlen sie so, wie sie anfallen, oder wir überlegen uns, wie wir das Geld effizienter im System einsetzen können. Die Prämie in Höhe von 169 Euro, über die heute diskutiert wird, ist schlicht und einfach der Spiegel dessen, was wir heute in der gesetzlichen Krankenversicherung für Krankheitskosten ausgeben. Wenn man die Wirkungen des GMG schon einbezieht, wie das Professor Rürup getan hat, und die Kosten pro Versicherten rechnet, kommt man auf den Betrag von 169 Euro. Das ist der Spiegel dessen, was heute Realität ist. Wenn wir in Zukunft - dies wird zu Recht gefordert die Ausgabeseite begrenzen wollen, müssen wir bei den Ausgaben und bei den

Strukturen im Gesundheitswesen ansetzen. Das hat aber mit der Einnahmeseite nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Gabriel!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, da Sie hier so freundlich die RürupVorschläge mit denen der CDU vermischen, würde ich Sie gern zweierlei fragen. Erstens. Sie haben den Spiegel-Artikel „Umverteilung von oben nach unten“ zitiert. Ist Ihnen klar, dass in diesem Spiegel-Artikel das Rürup-Modell vorgeschlagen wurde, das eine Steuererhöhung von 11,9 % vorsieht, und zwar für alle Menschen in Deutschland, um Ihr Modell zu finanzieren? Wenn Sie sich zu diesem Artikel bekennen, frage ich Sie, ob auch Sie der Überzeugung sind, dass diese Steuererhöhung nötig ist.

Zweitens. Stimmen die Berechnungen des Spiegel im gleichen Artikel, dass der Spitzenverdiener Herr Ackermann - dieser wurde als Beispiel angeführt -, bevor er 44 000 Euro mehr an Krankenversicherungsbeitrag bezahlen muss, eine Steuersenkung von 180 000 Euro bekommt, die Sie durch die Senkung des Spitzensteuersatzes veranlassen würden?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Frau Ministerin!

Herr Gabriel, der Spiegel hat das Prinzip der Pauschalprämie, wie ich es eben erklärt habe, ganz korrekt herausgearbeitet.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Ich habe et- was anderes gefragt!)

- Ich weiß. Ich komme auf Ihre Frage zu sprechen.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Okay, das ist ja schön!)

Sie werden mir erlauben, dass ich zumindest einen Satz dazu formuliere. Ich könnte auch mit Nein antworten, aber dann würden Sie sagen, diese Antwort auf Ihre Frage wäre zu kurz und reiche Ihnen nicht.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Wenn Sie Ja sagen würden, wäre es auch sehr kurz und es würde reichen!)

- Diesen Gefallen tue ich Ihnen heute Morgen nicht.

In dem Spiegel-Artikel wird ganz korrekt das Grundprinzip herausgearbeitet und die Frage gestellt, ob wir die Krankenversicherung dahin gehend umstellen, dass es einen Preis für alle gibt. Das, was heute die gesetzlich Versicherten, also nur die lohnabhängig Beschäftigten auf ihren schmalen Schultern tragen - -

(Widerspruch bei der SPD)

- Halten Sie es nicht für richtig, einen Solidarausgleich in unserer Gesellschaft vorzunehmen? Doch, das halten auch Sie für richtig. Dieser Solidarausgleich wird heute von den lohnabhängig Beschäftigten und nicht von den Beziehern hoher Einkommen getragen.

(Beifall bei der CDU)

Das ist die soziale Sauerei, die hier stattfindet.

Es erstaunt mich in der Tat, dass aufseiten der SPD kein Bedauern geäußert wird, dass die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten die Last der Umverteilung tragen müssen, dass sie die Last des Familienlastenausgleichs tragen müssen.

(Bernd Althusmann [CDU]: So sind sie!)

Wir sagen, dass in Zukunft von jedem die durchschnittlichen Krankheitskosten per Beitrag zur Versicherung bezahlt werden müssen. Für diejenigen, die diese Belastung nicht tragen können, sollen aber eben nicht nur die lohnabhängig Beschäftigten den Solidarbeitrag aufbringen. Für den Familienlastenausgleich sollen nicht nur die lohnabhängig Beschäftigten den Solidarbeitrag aufbringen. Es sollen vielmehr alle in das System einbezogen werden, und zwar nach Leistungsfähigkeit.

Dieses Prinzip hat der Spiegel aufgegriffen. Er hat verschiedene Vorschläge zur Finanzierung vorgelegt. Der von Rürup vorgeschlagene Weg ist nicht

unser Weg. Das ändert nichts an unserem Grundprinzip, dass wir auch für eine Umverteilung außerhalb des Solidarsystems eintreten. Als Sie von Herrn Ackermann sprachen, rekurrierten Sie auf den Steuersatz von 36 %. Wir haben gerade darüber gesprochen, dass es diesen Steuersatz nicht mehr gibt.