Protokoll der Sitzung vom 04.04.2003

Herr Hagenah, Sie vergleichen hier zwei unterschiedliche Sachen miteinander. Wenn in Frankreich etwas Erfolg hatte und mehr Arbeitsplätze geschaffen hat, dann frage ich mich, warum sich diese Bundesregierung weigert, das auch in Deutschland zu versuchen.

(Beifall bei der CDU)

Wir reden zwar immer über Arbeitslosigkeit, wenn wir aber etwas Konkretes vorliegen haben, sagen wir immer: Wir wollen das nicht, weil dem Staat dann möglicherweise etwas wegbricht. - Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Jeder Arbeitslose, der in Arbeit kommt, ist ein Gewinn für diesen Staat. Deshalb muss man alles daran setzen, dies zu versuchen.

Ferner kämpfen wir um Existenzgründungen, Herr Hagenah. In diesen Kampf stecken wir viel Geld hinein. Wir müssen doch auch versuchen, die existierenden Betriebe zu erhalten. Wenn ein Betriebsübergang für den Übernehmer aufgrund der Erbschaftsteuer nicht mehr finanzierbar ist, dann muss hier etwas geändert werden, ganz unabhängig davon, ob man Erbschaftsteuer kriegt oder nicht; denn wenn der Betrieb kaputtgeht, kriegen wir überhaupt keine Erbschaftsteuer. Dann lieber einen reduzierten Erbschaftsteuersatz und die Betriebe und die Arbeitsplätze erhalten!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wenn ich mehr Geld für den Staat generieren will - sprich: mehr Steuern einnehmen will -, weiß ich,

dass ich das jemandem wegnehmen muss, und zwar unseren Bürgern und unseren Betrieben. Denn anders geht es nicht; ich kann das Geld nicht aus dem Nichts holen. Wenn ich dieses Geld von jemandem holen will, dann muss das so gerecht geschehen, dass es auch tatsächlich eingeht und nicht, wie es bei der Körperschaftsteuer im letzten Jahr passiert ist, dass gut gemeint eben nicht gut ist, sondern das Gegenteil eingetreten ist, dass also mehr Geld ausgegeben als eingenommen worden ist. Die Gewerbesteuer und die Finanzierung der Kommunen sind ein viel zu sensibles Gut, als dass man hierbei aus der Hüfte schießen sollte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Aller!

Herr Kollege, Sie haben bei den vielen Antworten, die Sie eben gegeben haben, nicht in einer deutlich gemacht, wie man den Kommunen unmittelbar hilft. In Ihrer anderen Rolle haben Sie von Sofortmaßnahmen gesprochen, die den Kommunen, vor allen Dingen in Niedersachsen, sofort Geld in die Kassen spülen sollen.

(Widerspruch bei der CDU)

Können Sie uns skizzieren, wie Ihre Maßnahmen aussehen, die den niedersächsischen Kommunen kurzfristig helfen?

Wir würden es begrüßen, wenn sich die Bundesregierung endlich dahin gehend bewegen und den Vorstoß Bayerns unterstützen würde, die Gewerbesteuerumlage zu reduzieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen für Zusatzfragen zu dieser Frage liegen mir nicht vor. Wir kommen deswegen zu

Frage 2: Zukunft des Kinderkrankenpflegedienstes KIMBU in Göttingen

Das ist die Frage der Abgeordneten Herrn Schwarz und Frau Dr. Andretta. Wer trägt sie vor? - Herr Schwarz!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit fünf Jahren gibt es in Göttingen einen speziellen häuslichen Pflegedienst für Kinder, der auch ein Elternhaus für Eltern schwerstkranker Kinder betreibt. Die Existenz von KIMBU ist gefährdet, obwohl die Kosten der häuslichen Versorgung von Kindern nur einen Bruchteil der Pflegesätze in einer Klinik ausmachen. Nach § 37 SGB V haben Versicherte zwar Anspruch auf häusliche Krankenpflege durch geeignete Krankenpflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird. In der Praxis weigern sich aber die Krankenkassen, speziell für die Kinderkrankenpflege kostendeckende Pflegesätze zu gewähren. So haben die Krankenkassen in diesem speziellen Fall bisher Sondervereinbarungen mit KIMBU abgelehnt, sodass die Betriebskostendefizite bislang über Spenden abgedeckt werden mussten. Da das Spendenaufkommen aber rückläufig ist, stellt sich die Frage nach dem Erhalt dieses medizinisch und sozial sinnvollen Projektes.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, auf die Krankenkassen dergestalt einzuwirken, dass zukünftig kostendeckende Pflegesätze für die häusliche Kinderkrankenpflege gesichert werden können?

2. Was wird die Landesregierung unternehmen, um die Existenz von KIMBU kurzfristig zu sichern?

3. Wie wird die neue Landesregierung den Beschluss des Landtages zur flächendeckenden Versorgung und Betreuung schwerstkranker Kinder vom 13. Juni 2001 weiter umsetzen?

Für die Landesregierung antwortet die Sozialministerin.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Andretta, sehr geehrter Herr Schwarz, lassen Sie mich Ihnen zunächst sehr herzlich dafür danken, dass Sie dieses wichtige Thema auf die heutige Tagesordnung gesetzt haben. Es geht um Kinder, die von einem tragischen Schicksal betroffen sind, nämlich schwerstkrank sind. Ich bin sicher, dass ich nicht nur die Auffassung der Landesregierung, sondern die Position aller Fraktionen in diesem Haus wiedergebe, wenn ich betone, dass wir alles in unserer Macht Stehende unternehmen müssen, um die Situation dieser Kinder so weit wie möglich zu verbessern.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Lassen Sie mich einige Ausführungen zur rechtlichen Situation machen, bevor ich zu dem angesprochenen Fall komme:

Es trifft zu, dass Menschen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, auch häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte erhalten können, wenn z. B. dadurch stationäre Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt wird. Gerade für schwerstkranke Kinder ist dies von außerordentlicher Wichtigkeit, weil sie auf diese Weise in der vertrauten Umgebung im Kreis der Eltern und der Geschwister bleiben können.

Die Krankenkassen erbringen in der häuslichen Pflege eine Sachleistung, in der Regel im Rahmen von mit Pflegediensten geschlossenen Verträgen. Diese Verträge regeln alle Einzelheiten über die Versorgung sowie die Preise und deren Abrechnung zwischen Kassen und Leistungserbringern. Grundsätzlich sind alle Leistungen wirtschaftlich und preisgünstig zu erbringen. An der Aushandlung der Verträge ist das Land in keiner Weise beteiligt. Das Land kann auch im Rahmen der Rechtsaufsicht bestehende Verträge nicht ohne Weiteres beanstanden.

In den letzten Jahren ist es zwischen den Krankenkassen und den Pflegediensten immer wieder zu Auseinandersetzungen über die Verträge gekommen. Insbesondere hat dabei die Frage im Mittelpunkt gestanden, ob die ausgehandelten Vergütungen ausreichend sind. Aus meiner Sicht ist es dringend erforderlich, dass auch im Bereich der häuslichen Krankenpflege eine neutrale Schiedsstelle angerufen werden kann, um sodann zu einer Ent

scheidung über die Höhe der Vergütung zu kommen. Das Land Niedersachsen wird die von den CDU-geführten Bundesländern eingebrachte Bundesratsinitiative mit diesem Ziel unterstützen.

Nun zu KIMBU in Göttingen! Eine Rückfrage in meinem Haus hat ergeben, dass es dort bislang keine Hinweise darauf gibt, dass die Existenz des Kinderkrankenpflegedienstes KIMBU durch unzureichende Vergütung gefährdet ist. Auch Herr Gericke, der Vorsitzende des Vereins, hat dem Ministerium bislang keinen entsprechenden Hinweis gegeben. Herr Gericke ist Teilnehmer am Runden Tisch, der sich nach der Landtagsentschließung vom 13. Juni 2001 gebildet hat und sich mit der Verbesserung der Betreuung und Versorgung schwerstkranker Kinder befasst. Außerdem ist Herr Gericke in einer Arbeitsgruppe dieses Runden Tisches aktiv, die daran arbeitet, die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege für diese schwerstkranken Kinder zu gestalten. Es gibt also kontinuierliche Kontakte. Dennoch haben wir keinen Hinweis auf Schwierigkeiten bei den Vertragsvereinbarungen erhalten - im Übrigen auch nicht von den beiden Gremien der Krankenkassen, die in diesem Fall beteiligt sind.

Ich nehme Ihre Anfrage und die darin geschilderten Probleme sehr ernst. Mein Haus hat deshalb bei der AOK nachgefragt und schriftlich bestätigt bekommen, dass der Kinderkrankenpflegedienst KIMBU über eine individuelle Vergütungsregelung verfügt, und zwar über dem Niveau der anderen Leistungserbringer. Ich freue mich, dass die AOK zugleich ihre Verhandlungsbereitschaft bekundet und KIMBU angeboten hat, bei Bedarf in neue Vergütungsverhandlungen einzutreten. Doch offenbar hat es eine solche Aufforderung an die AOK vonseiten des Pflegedienstes bislang noch nicht gegeben.

Ich würde Sie, meine sehr geehrten Kollegen Frau Andretta und Herr Schwarz, gern bitten, uns ihre Erkenntnisse und Informationen zur Verfügung zu stellen, wonach die Krankenkassen Sondervereinbarungen mit KIMBU abgelehnt hätten bzw. KIMBU keine kostendeckende Vergütung erhalte.

Im Übrigen muss ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass kostendeckende Pflegesätze rechtlich nicht gesichert sind. Denn hierbei gilt nicht das Selbstkostenprinzip, sondern die Pflegesätze sind, wie ich ausgeführt habe, zwischen den Vertragspartnern frei zu verhandeln. Weil die Erfahrung gezeigt hat, dass das nicht immer rei

bungslos und konfliktfrei läuft, tritt die Landesregierung für die gesetzliche Verantwortung einer Schiedsstelle ein.

Ihre Fragen beantworte ich wie folgt:

Zu 1: Die Landesregierung verfügt über keine rechtliche Möglichkeit, auf die Krankenkassen im Sinne kostendeckender Pflegesätze für häusliche Krankenpflege einzuwirken. Das heißt aber nicht, dass die Landesregierung in ihren Gesprächen mit den Krankenkassen das Thema nicht erörtert. Vielmehr bekunden wir unser Interesse, dass die häusliche Kinderkrankenpflege hinreichend finanziell abgesichert wird.

Zu 2: Die Landesregierung hat ein großes Interesse daran, dass von schwerer Krankheit betroffene Kinder auch in Zukunft in ihrer häuslichen Umgebung gepflegt werden können. Wir bitten auch die Vertragspartner, sich ihrer großen Verantwortung bewusst zu sein und das in ihren Verhandlungen zum Ausdruck zu bringen. Ich freue mich, dass die AOK Verhandlungsbereitschaft gezeigt hat. Ich bin sicher, dass KIMBU dieses Angebot aufgreifen wird.

Zu 3: Die Gespräche zur Umsetzung des Landtagsbeschlusses vom 13. Juni 2001 werden in sehr engagierter Weise geführt. Bekanntermaßen hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die Leistungen der häuslichen Krankenpflege festgelegt. Die zuständige Aufsichtsbehörde, das Bundesgesundheitsministerium, hat diese Richtlinien nicht beanstandet. Protest hat es allerdings von verschiedenen Seiten gegeben, insbesondere vom Bundesverband Häusliche Kinderkrankenpflege e. V. Nach Auffassung der Kritiker werden die Belange der Kinder, die durch Einrichtungen der ambulanten Kinderkrankenpflege betreut werden, in den Richtlinien nicht hinreichend berücksichtigt.

Ich freue mich, dass der bereits erwähnte Runde Tisch erst vor wenigen Tagen, nämlich am 12. März 2003, die Kriterien für die häusliche Krankenpflege schwerstkranker und behinderter Kinder verabschiedet hat. Sie werden jetzt über die Krankenkassen und Pflegedienste in die Beratungen auf Bundesebene eingebracht. Ich freue mich, dass die Krankenkassen bereits signalisiert haben, dass sie auf der Basis dieser gemeinsamen Arbeitsergebnisse bereit sind, Vereinbarungen mit den Pflegediensten zu treffen.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Frau Ministerin. - Zu einer Zusatzfrage erteile ich Frau Dr. Andretta das Wort.

Frau Ministerin, Sie haben die Situation von KIMBU in Göttingen als finanziell zumindest nicht besorgniserregend bzw. als ausreichend bezeichnet. Welche Angaben können Sie über die Situation der speziellen Kinderpflegedienste in Niedersachsen generell machen? Davon gibt es ja mehrere.

Frau Ministerin!

Für die anderen Kinderkrankenpflegedienste gelten die gleichen Bedingungen, d. h. freie Verhandlungen zwischen den Vertragspartnern. Wir sind in den Gesprächen am Runden Tisch derzeit dabei, diese Situation eingehend zu klären. Wenn Handlungsbedarf besteht, wird dem nachgegangen unter dem Aspekt, dass, wie ich eben geschildert habe, das Land nur sehr begrenzt fähig ist, in diese Verhandlungen einzugreifen, und nur eine Moderatorenrolle hat, die ich aber sehr gerne wahrnehmen werde.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen für Zusatzfragen liegen nicht vor.

(Zurufe von der SPD: Doch! – Gegen- ruf von Anneliese Zachow [CDU]: Die können den Arm nicht hochhe- ben!)

- Bitte!

Frau Ministerin, ich freue mich, dass auch Sie die Notwendigkeit der Betreuung kranker Kinder sehen.

(Zurufe von der CDU)