Protokoll der Sitzung vom 22.04.2005

Meine Damen und Herren, nun gibt es - viele wissen es - in Petersgroden einen Versuch, wie sich nach der Kleientnahme die Pütten regenerieren. Die wissenschaftliche Auswertung dieses Versuches ist noch nicht abgeschlossen. Aber natürlich wissen die Grünen jetzt schon ganz genau, dass

die Folgen für die Natur eindeutig negativ sind. So steht es in Ihrer Begründung.

(Zuruf von der CDU: Das sind doch Gutmenschen! Die wissen das! Das ist immer schon so gewesen!)

Meine Damen und Herren, ich kenne völlig andere Aussagen. Aber das ist auch irgendwie typisch für Sie. Wenn es zu irgendwelchen Neuerungen kommt, dann sprechen Sie zwar immer von den Chancen und Risiken. Aber den Chancen geben Sie nie eine Chance.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ob man den Deichfuß außendeichs oder binnendeichs verbreitert, das muss von Fall zu Fall in aller Ruhe geprüft werden. Aber sollte es sinnvoll sein, dann muss man eben auch einmal außendeichs gehen.

Natürlich müssen wir - da sind wir alle an Recht und Gesetz gebunden Ausgleich und Ersatz schaffen. Aber das hindert uns doch nicht daran zu hinterfragen, wie ein Eingriff eigentlich zu bewerten ist. Ein Eingriff bei der Kleientnahme binnendeichs ist im Grunde genommen doch der wesentlich größere Eingriff; denn binnendeichs entsteht ein großes Loch, außendeichs aber wird die Pütte wieder vollgespült und kann sich - zwar nicht von heute auf morgen wieder zu einer wunderschönen Salzwiese regenerieren.

(Hans-Joachim Janßen [GRÜNE]: 15 Jahre!)

Wenn Sie mir das nicht glauben, dann gebe ich Ihnen einen Tipp: Fahren Sie nach Cäciliengroden, und schauen Sie sich das selbst einmal an!

(Zuruf von den GRÜNEN)

- Dass Sie dort waren, weiß ich. Aber es geht auch um einige andere, die sich das einmal anschauen sollten. Wer das Ganze noch nicht begriffen hat, der sollte sich von den Leuten informieren lassen, die viel davon verstehen. Gehen Sie zum III. Oldenburger Deichband!

Übrigens, meine Damen und Herren, ist das genau der Grund, weshalb unsere Vorfahren - und die haben nachhaltig gewirtschaftet - den Klei von außen entnommen haben. Sie wussten nämlich, die Pütte wird sich wieder schließen, und es wird Klei nachgebildet werden. Im Binnenland wächst Boden nicht nach.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Naturschutzverbände, die Deichverbände, das NLWKN und allen voran der Umweltminister sind selbstverständlich an Recht und Gesetz gebunden. Aber ihnen allen ist es auch nicht verboten, nach vorn zu schauen und Dinge weiterzuentwickeln. Wir geben Gas, schauen nach vorn und sichern mit Blick in den Rückspiegel ab. Nur in den Rückspiegel zu schauen, bringt Sie, liebe Kollegen von den Grünen, erstens nicht weiter und zweitens in kürzester Zeit zum Crash. - Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt erteile ich Herrn Riese von der FDP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir am Montag dieser Woche in Bodenwerder den 60. Geburtstag unseres Umweltministers Hans-Heinrich Sander zusammen mit vielen Gästen aus Naturschutzorganisationen des Landes feiern durften, hat mich ganz besonders beeindruckt, wie sich der Präsident des NABU in Niedersachsen, Herr Helm, an das Mikrofon stellte und sang „60 Jahre und kein bisschen weise“. Damit meinte er allerdings in freundschaftlicher Frotzelei, dass der schwungvolle und naturfreundliche Umweltminister Hans-Heinrich Sander in schöner Weise mit den Naturschützern des Landes Niedersachsen die richtige Politik macht, nämlich für die Menschen und für Natur und Umwelt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Verehrter Herr Kollege Janßen und liebe Freundinnen und Freunde von der Fraktion der Grünen, man kann von Ihnen eine Menge lernen, nämlich darüber, wie man Politik nicht machen sollte. Es ist doch immer wieder das gleiche Muster: Sie bauen einen Popanz auf, dann fangen Sie an zu wettern, die Ängste der Menschen zu schüren und Ihre Lösungen als Heilmittel zu verkaufen - und das, bevor überhaupt irgendeine Gefahr eingetreten ist.

(Hans-Joachim Janßen [GRÜNE]: Dann können Sie dem Antrag ja schadlos zustimmen! Wollen wir nicht gleich abstimmen?)

Leider haben Sie sich nicht mit den Äußerungen unseres Umweltministers zu der in Rede stehenden Thematik beschäftigt. Hätten Sie das getan, so hätten Sie gesehen, dass es einen roten Faden gibt, der sich durch alle seine Reden zum Deichbau zieht. Dieser rote Faden ist, dass, welche Überlegungen auch immer dort angestellt werden, auch unter Kostengesichtspunkten - die Kollegin Frau Zachow hat gerade ausgeführt, dass wir die Kostengesichtspunkte nicht außer Acht lassen dürfen - jede Maßnahme zur Veränderung des Bestehenden im Einklang mit den Rechtsvorschriften für Natur- und Umweltschutz stehen muss.

Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, zäumen das Pferd vom falschen Ende auf. Das lässt sich in Ihrem Antrag, dessen ersten beiden Sätzen sicherlich das ganze Haus zustimmt, im dritten Satz finden. Dort führen Sie nämlich aus:

„Um dem Naturschutz und dem Schutz der Bevölkerung vor Sturmfluten gleichermaßen gerecht zu werden...“

Sie erwähnen dann die zehn Grundsätze für effektiven Küstenschutz. Diese Reihenfolge, verehrter Herr Janßen, ist falsch. Wer an der Küste wohnt - das sollten Sie wissen -, kennt den alten Spruch: Well nich will dieken, de mutt wieken.

(Zuruf von der CDU: „Wer nicht dei- chen will, muss weichen“! - Ich wusste gar nicht, dass es den auch auf Hoch- deutsch gibt. Am Anfang aller Überlegungen muss dort der Küstenschutz stehen, weil die Küste und die Natur außendeichs und übrigens auch binnendeichs - aber in besonderem Maße außendeichs - ein hoch dynamisches System sind. Ihr Begriff von Natur, verehrter Herr Kollege Janßen, ist ein stati- scher und verträgt sich nicht mit den Realitäten. Die Natur ist dynamisch. Wenn wir dort an einer bestimmten Stelle eine Salzwiese besuchen und die Vögel zählen, die dort weiden, und ein Jahr später wiederkommen, so sind die Herbststürme und Sturmfluten über Land gegangen und hat sich die Salzwiese allein durch Naturereignisse in einer solchen Weise verändert, dass die Vogelarten sich andere Adressen haben suchen müssen. Das ge- hört seit Jahrtausenden, seit Jahrzehntausenden, seit Jahrhunderttausenden zu der Küstenland- schaft. (Ursula Helmhold [GRÜNE]: Dann kann der Mensch auch noch ein biss- chen zerstören!)

Die Kurzfristigkeit der Eingriffe, wie beispielsweise eine Kleipütte in das Deichvorland zu graben, ist demgegenüber verschwindend. Es geht um zehn Jahre, nach denen sich die Kleipütte wieder in Kleiland verwandelt hat. In dieser Zeit - das wissen Menschen, die sich mit Naturschutz beschäftigt haben, auch - ist gerade die Kleipütte eine sehr interessante Gaststätte für bestimmte Vogelarten, die dort optimale Bedingungen vorfinden.

In diesem Sinne werden wir im Ausschuss spannende Diskussionen über den Antrag führen. Aber ich bin sehr in Sorge, dass dieser Ausschuss im Niedersächsischen Landtag eine Mehrheit finden wird. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich erteile jetzt Herrn Haase von der SPD-Fraktion das Wort.

(Inse-Marie Ortgies [CDU]: Hans- Dieter, mach es ordentlich!)

Natürlich mache ich es ordentlich, Inse. Das ist kein Thema.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Lieber Herr Riese, akzeptieren Sie bitte endlich - das muss auch einmal deutlich gesagt werden -, dass Umweltpolitik - dazu gehört für mich auch der Küstenschutz - bereits vor Ihrem Amtsantritt in Niedersachsen praktiziert wurde,

(Bernd Althusmann [CDU]: Aber nicht so gut!)

und zwar sehr erfolgreich und im Konsens.

(Bernd Althusmann [CDU]: Eben nicht! Biosphärenreservat „Elbtalaue“, Nationalpark usw.!)

Die Unruhe, die Sie in den letzten Wochen an der Küste mit Ihren Äußerungen zum Kleiabbau in den Salzwiesen des Vorlandes ausgelöst haben, können Sie selbst wahrscheinlich gar nicht ermessen. Ich bin sicher, das interessiert Sie letztlich auch

nicht wirklich; denn Sie meinen ja, das Rad immer wieder neu erfinden zu müssen, obwohl wir längst einen riesigen Fuhrpark haben.

Worum geht es eigentlich? - Sie, Herr Minister, wollen wieder einmal etwas regeln, was überhaupt keiner neuen Regelung bedarf bzw. längst erfolgreich geregelt ist. Schauen wir dazu ein paar Jahre zurück: Am 11. April 1995 beschließt die damalige SPD-Landesregierung auf Vorschlag des eingesetzten Kabinettsauschusses „Deichsicherheit und Küstenschutz“ zehn Grundsätze für einen effektiven Küstenschutz. Ziel des Ausschusses und der formulierten Grundsätze war es, nicht notwendige bürokratische Erschwernisse im Küstenschutz abzubauen und eine effektivere Durchführung der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zu erreichen. Ich glaube, in diesem Haus herrscht Konsens darüber, dass dies ist in den Jahren danach auch gelungen ist. - Nicken bei Frau Ortgies.

(Widerspruch bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Sie werden nun sicherlich die Auseinandersetzungen um Cäciliengroden anführen. Dazu möchte ich Ihnen folgende Pressemitteilung des Umweltministeriums vom 26. Februar 1999 nicht vorenthalten:

„Frühzeitige Information und Beteiligung bei Deichbauvorhaben, standardisierte Verfahren und Flächenpools für Kompensationsmaßnahmen, ein regional differenziertes Vorlandmanagement und die Einsetzung eines Schlichters in besonders ausgeprägten Konfliktfällen - mit diesen Komponenten ist ein besserer Ausgleich der Interessen von Umweltschutz und Küstenschutz bei Deichbaumaßnahmen möglich. Harte Konfrontationen, wie es sie in der Vergangenheit teilweise gegeben hat,“

- das ist nicht so verklärend wie vorhin, Frau Zachow

„sind vermeidbar. Zu diesem Ergebnis kommt eine Projektgruppe aus Vertretern von Naturschutzorganisationen, Deichverbänden und Behörden, die sich im Auftrag des Niedersächsischen Umweltministeriums mit der Umsetzung der zehn Grundsätze zum Küstenschutz beschäftigt haben.“

Weiter heißt es dort:

„Wir haben aus dem Fall Cäciliengroden gelernt. Eine Eskalation des Streits bis hin zu Demonstrationen und Gerichtsverfahren ist nicht nötig.“

Sie sehen also, Herr Sander: Alle Beteiligten sind schon viel länger als Sie auf dem richtigen Weg.

(Zustimmung von Ursula Helmhold [GRÜNE])

Aber es geht noch weiter:

„In der Projektgruppe sei das Verständnis für die Belange der jeweiligen anderen Seite gewachsen und eine Annäherung der Positionen möglich geworden. Für die Zukunft setze man deshalb auch bei Interessengegensätzen auf ein konstruktives Miteinander.“

Deichbände und Naturschutzverbände - ich betone: beide - waren sich einig:

(Inse-Marie Ortgies [CDU]: Stimmt! - Bernd Althusmann [CDU]: Und dann kamen Sie!)