Protokoll der Sitzung vom 23.06.2005

Kernbereiche der Justiz müssen als hoheitliche Aufgabe erhalten bleiben. Das sind Ihre Worte, Frau Ministerin. Justizvollzug ist als Ganzes eine solche Kernaufgabe. Sie sollten sich an Ihre eigenen Worte halten. Wir haben im Unterausschuss einen Änderungsantrag vorgelegt - er liegt Ihnen vor -, der sich mit verschiedenen Bereichen be

fasst: mit Sicherheit, Qualität und Arbeitsplätzen sowie mit der verfassungsmäßigen Zulässigkeit eines solchen Antrages. Was den letzten Punkt angeht, so empfehle ich Ihnen ganz besonders die Lektüre des Gutachtens von Professor Gusy aus Bielefeld.

Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen haben sich im Unterausschuss mit den ca. 20 Einzelpositionen, die uns das Ministerium einmal vorgelegt hat - ich denke, Sie kennen dieses Papier -, inhaltlich kaum befasst. Zu unserem Änderungsantrag haben sie gesagt, er habe eine Tendenz, die ihnen nicht gefalle. Man halte die Beratung und den Prüfauftrag, von dem im Antrag die Rede ist, nun für abgeschlossen bzw. erledigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sehen wir völlig anders. Natürlich hat unser Antrag eine andere Tendenz als der von CDU und FDP. Im Gegensatz zu Ihnen können wir unseren Antrag inhaltlich begründen. Ihre einzige Begründung ist, der Vollzug müsse billiger werden. Von Sicherheit und Qualität ist keine Rede mehr. Billiger - das hat mit Inhalt nichts, aber auch gar nichts zu tun. Sie wollen dieses Ziel mit schlechter qualifiziertem, billigerem Personal erreichen. Das ist aus unserer Sicht nicht kostengünstig, sondern einfach dumm. Ich könnte Ihnen unsere Stellungnahme zu jedem der rund 20 Einzelpunkte aus dem Papier des Ministeriums erläutern, aber dafür fehlt mir die Zeit.

Ich will deshalb nur auf einen Punkt ganz besonders eingehen. Nach Aussagen der Ministerin sollen Sicherheitsbereiche nicht privatisiert werden. Frau Ministerin, Sie haben diese Sicherheitsbereiche bis heute noch nicht definiert. Über den Datenschutz haben wir übrigens auch noch nichts gehört. Dieser hat auch etwas mit Sicherheit zu tun. Ihr Lieblingsbeispiel ist immer die Küchenprivatisierung. Ob der Betrieb in Zukunft kostengünstiger werden kann, kann man getrost bezweifeln. Bei drei Mahlzeiten am Tag mit allen Nebenkosten kommen die Anstalten auf einen Verpflegungssatz von 5,50 Euro pro Person und Tag. So preiswert kann kein Cateringunternehmen sein, es sei denn, die Verpflegung würde deutlich schlechter. Angebote von Großküchen, die verschiedentlich eingeholt worden sind, erwiesen sich als mehr als doppelt so teuer. Wenn Sie nun allerdings nach dem Motto, Suppe Kochen sei keine hoheitliche Aufgabe - in diesem einen Punkt gebe ich Ihnen sogar Recht: Suppe Rühren ist keine hoheitliche Aufgabe -, den Küchenbeamten gegen einen privaten, weil billigeren Mitarbeiter ohne Eingriffsrecht und ohne Weisungsbefugnis eintauschen wollen, dann

frage ich Sie: Wie steht es um die Sicherheit? Muss ich Sie an die schreckliche Bluttat in der JVA Uelzen vor einigen Jahren erinnern? Tatwerkzeug war damals ein Messer. Messer gibt es bekanntlich in jeder Küche. Eine Gabel an der Halsschlagader, ein großer Topf mit kochendem Wasser oder heißes Fett können durchaus gefährliche Waffen sein. Frau Heister-Neumann, Sie singen doch ständig das Hohelied der Sicherheit. Wie weit denken Sie denn eigentlich dabei? Sicherheit heißt doch nicht nur, dass die Mauer nach draußen besonders hoch ist. Sie haben, wie ich denke, auch eine ganz besondere Fürsorgepflicht und Sicherheitsverantwortung für Ihr Personal. Wenn Sie diesen Privatisierungsweg so weiter beschreiten, werden Sie persönlich das größte Sicherheitsrisiko für den niedersächsischen Justizvollzug.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU - David McAllister [CDU]: Was reden Sie denn da? Schämen Sie sich gar nicht?)

- Das hören Sie doch. - Auch in anderen Bereichen gibt es verfassungsrechtliche und Sicherheitsbedenken. Ebenso bedürfen Haftungsfragen noch einer Klärung. Häftlinge werden z. B. bei ihrer Ankunft und nach jedem Ausgang körperlich durchsucht. Das ist eindeutig eine hoheitliche Aufgabe, die Sie nicht delegieren können.

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn Sie große Teile der Aufgaben des allgemeinen Vollzugsdienstes privatisieren, zerstören Sie nicht nur einen Ausbildungsberuf und ein Berufsbild. Sie degradieren unsere Bediensteten dann auch wieder zu Wärtern und Schließern. Wir waren froh, dass diese Zeit vorbei war.

(Beifall bei der SPD)

Das haben unsere Bediensteten auch nicht verdient. Sie können viel mehr, und wir brauchen ihr Können. Welches private Leiharbeiterpersonal wollen Sie eigentlich zukünftig haben? Vielleicht das Türstehermilieu auf der falschen Seite der Gitter? Damit können Sie dem Resozialisierungsauftrag des Strafvollzugsgesetzes mit Sicherheit nicht gerecht werden.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben zu diesem Thema im Unterausschuss eine Anhörung durchgeführt. Wir haben uns dabei u. a. mit dem hessischen Betriebsmodell befasst. Einer der Kernpunkte war, dass man durch Tech

nik und Elektronik viel Personal einsparen könnte. Elektronik also als Ersatz für Menschen? Dabei wird vergessen, dass der Mensch - auch der eingesperrte Mensch - ein soziales Wesen ist, das Ansprache braucht. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Unterausschuss, erinnern Sie sich an das, was der Anstaltsleiter aus Oldenburg uns sehr ans Herz gelegt hat: Wenn man Gefangene auf einen besseren Weg bringen will, muss man nah an ihnen dran sein. - Videoüberwachung resozialisiert nicht. Im Übrigen sind die Folgekosten der Elektronik immens hoch.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion in diesem Hause steht mit ihrer Ablehnung weiß Gott nicht allein. Der VNSB, die Vertretung der Bediensteten, ist eindeutig gegen die Privatisierung. Auch das wird niemanden wundern. Dass ver.di Ihre Vorstellungen ablehnt, werden Sie vermutlich auch ziemlich unbeeindruckt zur Kenntnis nehmen. Aber auch die beiden großen christlichen Kirchen in Niedersachsen lehnen Ihre Privatisierungstendenzen ab. Ich zitiere aus einem Kirchenpapier:

„Private werden zu Zwecken der Gewinnerzielung tätig. Dieses berechtigte Streben ist mit den Zielen des Strafvollzugs, nämlich der Resozialisierung der Gefangenen, nicht vereinbar. Die Gefängnisseelsorger beider großer Kirchen wenden sich nachdrücklich gegen die Privatisierungstendenzen.“

Wenigstens das sollte Ihnen zu denken geben.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte noch etwas zitieren. Es gibt einen Antrag, der mit den Worten beginnt:

„Auf den landesweiten Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten in den Justizvollzugsanstalten wird verzichtet.“

In der Pressemitteilung dazu heißt es: Die Privatisierungspläne des Justizministeriums sind aus der Not geboren. Sie werden der schwierigen Situation im Vollzug nicht gerecht. Wir brauchen Profis.

Wenn Sie glauben, dass das von der linken Seite des Hauses kommt, dann irren Sie. Das ist aus einem Originalantrag der CDU in Nordrhein-Westfalen, die im Übrigen im Wahlkampf versprochen

hat, im Falle eines Wahlsieges alle Privatisierungstendenzen zu stoppen. Warten wir einmal ab, was daraus wird. - Wir werden Ihren Antrag ablehnen.

Gestatten Sie mir noch eine Schlussbemerkung. Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: Den demokratischen Zustand einer Gesellschaft kann man am Umgang der Gesellschaft mir ihren Gefangenen ablesen. - In diesem Sinne sage ich zu Ihrer Vollzugspolitik, dass sie nach dem Motto eines alten Hollywoodfilms läuft: Denn sie wissen nicht, was sie tun.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Jetzt hat der Kollege Nacke von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Meihsies, zunächst einmal darf ich mich recht herzlich für den sehr objektiven Umgang mit dem Thema bedanken. Das fand ich sehr wohltuend; das hat mir gut gefallen. Ich hoffe, es gelingt mir, mich an diesem Beispiel zu orientieren.

Der Justizvollzug in Niedersachsen ist ein wichtiger Teil der inneren Sicherheit. Dem Justizvollzug kommt daher zu Recht eine besondere Aufmerksamkeit dieses Parlaments zu. Wir alle wissen: Im Strafvollzug können Fehler dazu führen, dass sich Personen, die aufgrund einer richterlichen Entscheidung inhaftiert sein sollten, in Freiheit bewegen. Die Sicherheit der Haftanstalten und der sorgsame Umgang mit allen Belangen der Inhaftierung sind in der Tat staatliche Aufgaben zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit. Ich bin froh, dass ich bei meinen Besuchen in den Haftanstalten und bei meinen Gesprächen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Justizvollzuges stets auf Menschen treffe, die sich dieser hohen Verantwortung bewusst sind.

Genauso froh bin ich, dass die Gesamtverantwortung für den Justizvollzug bei einer Landesregierung und einer Ministerin liegt, die der Sicherheit der Menschen in Niedersachsen den notwendigen Stellenwert beimessen. Die Landesregierung kann sich in diesem zentralen Punkt der Unterstützung der CDU-Fraktion gewiss sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund wirken die Versuche der SPD-Opposition, der Landesregierung gerade in diesem Bereich Versäumnisse zu unterstellen, immer sehr hilflos. Einer dieser hilflosen Versuche ist beispielsweise der Antrag in der Drucksache 1617, auf den ich im Übrigen nicht weiter eingehen werde - Frau Kollegin Müller hat das interessanterweise in gleicher Weise gehandhabt -, da dazu in der ersten Beratung bereits alles gesagt wurde. Die Ausschussberatungen zu diesem Antrag haben keinen neuen Aspekt aufgeworfen.

Frau Kollegin Müller, eine Zwischenbemerkung: Ich finde es bemerkenswert, dass Sie nur auf den Antrag der CDU-Fraktion und nicht auf die beiden Anträge der SPD-Fraktion eingegangen sind.

Sie haben Recht: Von größerem Interesse für uns alle ist der Antrag in der Drucksache 131, der sich mit der Möglichkeit der Erfüllung von Aufgaben im Strafvollzug durch private Anbieter beschäftigt. Obwohl dieser Antrag lediglich einen weit gefassten Prüfauftrag an die Landesregierung enthält, haben wir diese Thematik - Frau Müller hat zu Recht darauf hingewiesen - insbesondere im zuständigen Unterausschuss ausführlich beraten. Zudem gab es eine interessante Anhörung. Diese Beratung hat aus meiner Sicht ergeben, dass wir alle aufpassen müssen, damit wir bei dem Thema Privatisierung nicht mit automatischen Reflexen reagieren. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, müssen aufpassen, dass Sie den Einsatz Privater zur Erfüllung staatlicher Aufgaben im Strafvollzug nicht automatisch ablehnen. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht privatisieren, koste es, was es wolle.

(Beifall bei der CDU)

Niemand von uns will radikale Lösungen. Niemand will beispielsweise den Betrieb einer Haftanstalt vollständig auf private Anbieter übertragen. Die Fragen lauten vielmehr:

Erstens. Ist es denkbar, dass ein privater Investor eine Haftanstalt schneller oder kostengünstiger bauen kann als das Staatliche Baumanagement, und rechnet sich das für das Land, wenn es eine solche Anstalt z. B. pachtet, statt sie zu kaufen? Wir haben dazu in der Anhörung interessante Anregungen aus Mecklenburg-Vorpommern und Hessen erhalten, die wir uns zunutze machen können. Die Landesregierung wird mit diesem Antrag

gebeten zu prüfen, ob sich hier für Niedersachsen die Chance ergibt, Geld zu sparen. Wenn das so ist - auch das hat Frau Müller dargestellt -, wird niemand hier im Haus Einwände dagegen haben.

Zweitens. Gibt es Teilbereiche beim Strafvollzug, die wir sinnvoll auf private Personen übertragen können, um uns deren Kenntnisse zunutze zu machen und - ich finde, das ist kein schlechtes Anliegen - um Geld des Landes zu sparen? - Ich will dabei der Versuchung widerstehen, heute einzelne Prüfbereiche zu nennen. Das würde den Antrag unnötig einschränken. Wer möchte, kann der Niederschrift über die Anhörung die eine oder andere Anregung entnehmen.

Niemand soll aber glauben, ein solches privates Engagement gebe es noch nicht. Ich nenne zwei Beispiele: Der Einkauf von Gegenständen für den privaten Gebrauch durch Inhaftierte ist regelmäßig an einen privaten Kaufmann oder eine Kauffrau vergeben. Niemand will das ändern, obwohl dabei eine Privatperson regelmäßig eine Haftanstalt betritt und Waren an Inhaftierte aushändigt. Es versteht sich von selbst, dass diese Person vertrauenswürdig und zuverlässig sein muss. Darüber hinaus wird sie vertraglich verpflichtet, die Informationen, die sie aufgrund ihrer Tätigkeit über die Inhaftierten erhält, vertraulich zu behandeln. An diesem Beispiel wird deutlich, dass dabei eine sorgfältige Auswahl notwendig ist. Hier zeigt sich zugegebenermaßen - auch das will ich zugestehen, Frau Kollegin Müller - die Schwäche des Begriffs „Sicherheitsrelevanz“; denn im Grunde genommen ist jeder Bereich in einer Haftanstalt sicherheitsrelevant.

(Werner Buß [SPD]: So ist es!)

Dennoch würde wohl niemand - zumindest wäre es unter den Fachleuten so - den Einkauf als sicherheitsrelevanten Bereich bezeichnen.

Das zweite Beispiel: Die Beratung von drogenabhängigen Inhaftierten fand bis zum letzten Jahr zum Teil durch so genannte externe Berater statt. Diese externe Beratung wurde aus Kostengründen eingestellt und wird jetzt voll und ganz von Bediensteten des Justizvollzuges wahrgenommen. Diese Entscheidung wurde von der Opposition kritisiert, obwohl hier im Grunde genommen Aufgaben von Privatpersonen auf staatliche Bedienstete übertragen wurden.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das hatte doch ganz andere Gründe!)

Diese Beispiele machen deutlich, dass die Antwort auf den zweiten Punkt des Antrages nicht einfach ist, da dies immer nur für den Einzelfall beantwortet werden kann. Ich gehe sogar so weit, dass die Frage der Privatisierung einzelner Teilbereiche in den Haftanstalten unterschiedlich beantwortet werden kann. Eine Privatisierung, die in der einen Haftanstalt genau das Richtige sein kann, beispielsweise weil sie eine Investition nicht mehr notwendig macht, kann für die Nachbaranstalt genau der falsche Weg sein.

Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht sind es nur drei Punkte, die der Privatisierung im Justizvollzug Grenzen setzen:

Erstens. Dort, wo die Inhaftierten einem speziellen Über- und Unterordnungsverhältnis unterworfen sind, müssen die Entscheidungen von Beamten getroffen werden. Darin besteht Einigkeit.

Zweitens. Wir dürfen im Zuge der Privatisierung keine Zugeständnisse an die Sicherheit der Haftanstalt machen. Auch darin besteht Einigkeit.

Drittens. Die Privatisierung muss Geld sparen.

Ich habe eine große Zuversicht in die Kreativität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzug. Vielleicht besteht gerade in der modernen und dezentralen Organisation im Strafvollzug eine besondere Chance, individuelle Lösungen aufzuspüren und umzusetzen. Ich bin schon jetzt sehr gespannt auf das Ergebnis der Prüfung durch die Landesregierung. Frau Müller, wird sind eigentlich erst am Anfang.

(Elke Müller [SPD]: Sie haben doch gesagt, die Prüfung sei abgeschlos- sen!)

Wenn konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen, werden wir diese insbesondere im Unterausschuss ausführlich beraten.