Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

- Entschuldigung, ich meinte die FDP-Fraktion -; denn Sie haben ja den Antrag zu dieser Aktuellen Stunde eingebracht. Ich habe den Eindruck, Sie wollen offenbar an diesem Punkt auf die leichte Tour Ihre vermeintliche Eigenständigkeit betonen. Doch wie sieht diese aus? - Vor mehr als eineinhalb Jahren wurde von Minister Hirche die Initiative zum Bürokratieabbau groß angekündigt. Es sollten Schneisen in den Paragrafendschungel geschlagen werden. - Geschehen ist nichts.

Im Schulbereich - daran möchte ich erinnern - ist es mit der Bürokratie noch schlimmer geworden.

(Klaus Rickert [FDP]: Was?)

- Fragen Sie bei den Schulen nach.

Noch ein Beispiel gefällig? - Herr Rösler, wo war Ihr Reformprofil, als hier im Landtag die Verschärfung des Polizeigesetzes mit Ihren Stimmen verabschiedet wurde, welches später in Teilen vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft wurde?

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Worin be- steht der Zusammenhang zum Föde- ralismus?)

- Sie sprachen von Reformen auch in Niedersachsen.

Meine Damen und Herren, die FDP erklärt, sie wolle der Föderalismusreform nicht zustimmen, wenn nicht bis Ende der Legislaturperiode des Bundes auch die Bund-Länder-Finanzbeziehungen entflochten würden. Das ist ein richtiges und wichtiges Anliegen.

Herr Rösler, Sie sprachen eben von mutiger Politik. Wo ist denn Ihr Mut? - Hier in Niedersachsen könnten Sie ihn schon jetzt beweisen, nämlich im Prinzip nach dem Motto: Wer bestellt, bezahlt auch die Musik. - Das Konnexitätsprinzip müsste nur endlich realisiert werden.

(David McAllister [CDU]: Dazu hatten Sie 13 Jahre lang Zeit! - Gegenruf von Wolfgang Jüttner [SPD]: Ihr habt das in euer 100-Tage-Programm ge- schrieben!)

Auch hier hat sich seit dem Regierungsantritt kaum etwas bewegt. Dabei war angekündigt, das Konnexitätsprinzip bereits in den ersten 100 Amtstagen der Landesregierung gesetzlich zu verankern.

(David McAllister [CDU]: Sie haben 13 Jahre lang nichts gemacht!)

Die Kluft zwischen reden und handeln schürt die Politikverdrossenheit.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Föderalismusreform ist noch nicht unter Dach und Fach. Sie wird aber gelingen müssen; denn an ihr entscheidet sich wesentlich, ob Politik noch die Kraft und den Mut zu strukturellen Veränderungen hat, ohne die Menschen dabei aus den Augen zu verlieren. Sie ist Grundlage für alle weiteren Reformschritte. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt erteile ich Herrn Wenzel das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Rösler, die FDP-Fraktion gackert wie ein Huhn, das gerade ein Ei gelegt hat, weil sie bei der großen Koalition in Berlin einmal mit am Tisch sitzen durfte.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Wo sind Sie jetzt eigentlich?)

Die neue große Koalition, so sie denn zustande kommt, benötigt die FDP-Stimmen im Bundesrat, um eine Föderalismusreform zu verabschieden. Herr Rösler, Sie haben Ihrem Ruf als handzahmer Koalitionspartner wieder einmal alle Ehre gemacht.

(Klaus Rickert [FDP]: Was? - Bernd Althusmann [CDU]: Das Gegenteil ist der Fall!)

Vor einem Jahr hätte es für das Reformwerk von Herrn Müntefering und Herrn Stoiber wahrscheinlich sehr großen Beifall gegeben. Heute, im Vorfeld der Bildung einer großen Koalition, meine Damen und Herren, ist die Erwartungshaltung größer. Diese Koalition macht nur dann Sinn, wenn sie Projekte anpackt, die die Koalitionen der letzten Jahrzehnte - zumal oft ohne Mehrheit im Bundesrat - nicht anpacken konnten oder wollten.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit für eine große Rochade? Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit für eine Neuaufstellung der föderalen Staatsordnung, die die Reformdefizite der letzten Jahrzehnte - 56 Jahre nach Gründung der Federal Republic, der föderalen Republik, unserer Bundesrepublik, und 16 Jahre nach der Wiedervereinigung - anpackt? Wann, wenn nicht jetzt, ist Zeit für eine Änderung der Finanzverfassung?

Viele Länderregierungen handeln nach dem Motto: nach mir die Sintflut, die Inflation oder der Bund. Die selbst gemachten Schulden sollen bitte andere bezahlen. - Deshalb brauchen wir künftig mehr Verantwortung im Länderfinanzausgleich und eine Finanzverfassung, die nur beschränkt Haftung für diese Schuldenkönige übernimmt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Wenzel, warten Sie einen Augenblick, bis es etwas ruhiger geworden ist. Es werden einfach zu viele Zwiegespräche geführt. Führen Sie sie bitte draußen, dann ist es hier etwas stiller. Das gilt auch für die Regierungsbank. - Danke schön.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Zahl der Bundesländer ist meines Erachtens zu groß. Viele Länder sind aufgrund ihrer hohen Verschuldung und der demografischen Entwicklung dauerhaft nicht überlebensfähig. Acht bis zehn Bundesländer würden eine sinnvolle Gliederung ergeben.

(Hermann Eppers [CDU]: Nenne doch mal welche!)

- Das kann sich jeder selbst ausrechnen. Ich brauche keine Namen zu nennen.

Schon im Grundgesetz ist festgelegt, dass das Bundesgebiet neu gegliedert werden kann, um zu gewährleisten, dass die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können. Dabei sind Fragen der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit, der Raumordnung und der Landesplanung zu berücksichtigen. Das hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes schon so angedacht.

Wie lange, meine Damen und Herren, will man noch dabei zuschauen, dass kleinere Bundesländer immer stärker in eine Verschuldung gleiten, die sie aus eigener Kraft nicht mehr abwenden können? - Durch eine Neuordnung der Bundesländer spart man direkte Kosten für Verwaltungsaufgaben. Aber noch viel wichtiger sind die Synergieeffekte, die durch eine sinnvolle Kooperation und einen Verzicht auf Doppelung bei verschiedenen Infrastrukturprojekten und in vielen anderen Bereichen ermöglicht werden.

Leider zeichnet sich zurzeit keine Mehrheit für diese Mutter aller Reformen ab. Zusammen mit der FDP haben sich die Unterhändler von CDU und SPD nur auf eine kleine Föderalismusreform verständigt. Die FDP hat sich mit ein paar warmen Versprechungen abspeisen lassen. Jetzt hat Herr Minister Hirche - er ist leider nicht da -, der für die FDP-Länder verhandelt hat und mit am Tisch saß,

den Hebel in der Hand, weil die Stimmen der FDP zumindest im Bundesrat gebraucht werden, sofern es sich um Bundesländer handelt, in deren Landesregierungen sie - ich sage ganz deutlich: zurzeit noch - eine Rolle spielt. Jetzt haben Sie noch einen Hebel in der Hand, den Sie ansetzen könnten.

(Glocke des Präsidenten)

Wenn Sie sich aber mit warmen Versprechungen abspeisen lassen, dass künftig Gespräche über die Länderfinanzverfassung und die Länderneuordnung geführt werden, dann prophezeie ich Ihnen schon heute eine Bauchlandung.

Der Entwurf dieser kleinen Föderalismusreform macht zudem deutlich, dass die neue Koalition im Bund nur als Kellner daherkommt: Der Koch und der Wulff haben in die Suppe gespuckt.

(Hermann Eppers [CDU]: Was?)

Die sich abzeichnende „Münte/Merkel-Regierung“ musste den Ländern offenbar fast alle Zuständigkeiten in der Bildungspolitik opfern - auch die, die sinnvoll und notwendig sind, um eine bundesweit einheitliche Bildungsplanung zu gewährleisten. Auch eine Neuauflage des überaus erfolgreichen Ganztagsschulprogramms der noch amtierenden Bundesregierung soll ohne Not totgemacht werden. Meine Damen und Herren, wenn Sie diesen Weg gehen, werden Sie es nicht schaffen, im Bildungsbereich mehr Gerechtigkeit herzustellen. Wenn wir uns die Situation in Frankreich ansehen, dann wissen wir, wie wichtig es ist, dieses Thema anzugehen, unsere Schulen und Hochschulen bundesweit zu verbessern und zwischen dem Bund und allen Ländern sehr eng zusammenzuarbeiten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Für eine Gesamtbewertung ist es noch zu früh. Aber das Teilergebnis der Föderalismusreform und die Aufblähung der Zahl der Ministerien und der Staatssekretärsposten lassen befürchten, dass man in Berlin zu kurz springt. Die Messlatte liegt sehr hoch. Sie muss auch hoch liegen.

Herr Wenzel, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. - Denn die Gefahr des „Attentismus“ ist groß. So nannte kürzlich der ehemalige Bundespräsident Herzog eine Situation, in der sich beide Großkoalitionäre nur gegenseitig misstrauisch beäugen bzw. belauern und auf eine günstige Situation zum Ausstieg warten. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt erteile ich Herrn Rösler von der FDP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schade, dass die SPD keinen kompetenten Redner zum Thema Föderalismus aufbieten konnte und sich deswegen an dieser Stelle auf allgemeine Ausführungen zu Reformen beschränkt hat.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von der SPD: Das ist eine Beleidigung!)

Herr Rösler, Beleidigungen sind hier im Landtag nicht zulässig.

Insbesondere bei parteiinternen Reformen kennen Sie sich ja inzwischen aus. Deswegen möchte ich jetzt auf meinen Kollegen Herrn Wenzel eingehen, der ja auch nicht besonders viel zu Inhalten gesagt hat, sondern eigentlich nur beleidigte Leberwurst gespielt hat,

(Zustimmung bei der CDU)

weil seine Partei weder in der Bundesregierung noch in einer Landesregierung vertreten ist.