Protokoll der Sitzung vom 25.05.2011

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Riese?

Ja, bitte, wenn sie denn zur Erhellung beiträgt.

(Christian Grascha [FDP]: Ihre Ant- wort soll zur Erhellung beitragen!)

Frau Kollegin Groskurt, stimmen Sie denn mit den Aussagen von Benedikt Kapteina - immerhin Vorsitzender der Jusos in Gladbeck - überein, dass Quote Diskriminierung bedeutet?

(Hey! bei der SPD)

Nein. - Das kann man nicht so schlicht und einfach mit Ja oder Nein beantworten. Denn dabei kommt es auch auf die vorherrschenden Bevölkerungsstrukturen an. Das muss man ganz differenziert betrachten.

(Christian Dürr [FDP]: Im Unterschied zwischen Gladbeck und Hannover?)

So schlicht kann man das nicht betrachten.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich frage Sie: Kennen Sie auch nur ein Beispiel für Fälle, egal auf welcher Ebene - Kita, Schule, Ausbildung, Studium, Arbeit -, in denen eine Quote die Vielfalt blockieren würde? - Ich kenne kein einziges Beispiel.

Ich plädiere hier nicht für eine starre prozentuale Quote, sondern fordere eine angemessene Beteiligung, die sich aus der tatsächlichen Bevölkerungsstruktur ergibt. In Niedersachsen leben deutsche Kinder, Frauen und Männer, Kinder, Frauen und Männer ausländischer Herkunft, Kinder, Frauen und Männer mit Behinderungen. Damit für all diese Menschen eine angemessene Beteiligung gesichert ist, brauchen wir in manchen Bereichen zur Unterstützung der Betroffenen eine Quote,

(Zustimmung bei der LINKEN)

und zwar um die von Ihnen angemahnte Vielfalt zu erreichen.

Sehr geehrte Damen und Herren, gerade reist Frau Dr. von der Leyen durchs Land und wirbt im wahrsten Sinne des Wortes händeringend dafür. Ich habe es bei der IHK in Osnabrück erlebt, wie sie dort gestanden hat. Ich zitiere:

„Wir müssen systematisch an die bisher brachliegenden Millionenpotenziale für unseren Arbeitsmarkt rangehen.“

Speziell für Sie, liebe FDP-Kollegen:

(Christian Grascha [FDP]: Kolleginnen und Kollegen!)

Zentrale Gruppen für das Schließen der Fachkräftelücke seien Frauen, ältere und junge Menschen und Menschen mit schlechten Startchancen. Zuwanderung könne zusätzlich helfen, die Lücken zu schließen.

Sehr geehrte Kollegen der FDP - ich spreche ausdrücklich nur die Kollegen an -, es wäre besser gewesen, wenn Sie Ihren Kolleginnen die faire Chance gegeben hätten, durch die eindeutig vorhandene und in diesem Haus bewiesene Leistung und Qualifikation das Thema der Aktuellen Stunde zu benennen. Dann hätten Sie sich dieses peinliche Thema erspart.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ich habe wirklich versucht, dem von Ihnen benannten Thema etwas Positives abzugewinnen. Das war beim besten Willen nicht möglich. Die von Ihnen benannte Aktualität erschließt sich mir nur aus den letzten Sonntagsereignissen. Sie meinen sich selbst mit der Überschrift „Vielfalt statt Quote“. Sie haben aktuell die Erfahrung gemacht, dass selbst eine 5 %-Quote sehr hoch ist bzw. unerreichbar sein kann.

(Beifall bei der SPD)

Diese Aktuelle Stunde trägt nicht dazu bei, Ihre Chance zu erhöhen, wenn nach Leistung und Qualität gewählt würde. Bezüglich der Frauenquote wette ich mit Ihnen: Die Frauen erreichen eher 40 % als Sie.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Lachen bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das Wort hat nun Frau Flauger von der Fraktion der Linken.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielfalt in der Zusammensetzung menschlicher Gruppen ist etwas Positives. Deswegen gehen wir bis zum ersten Wort Ihres heutigen Antrages zur Aktuellen Stunde mit. Aber dann hört die Gemeinsamkeit schon auf.

„Vielfalt statt Quote“ - damit erwecken Sie den Anschein, als seien Vielfalt und Quote Gegensätze. Das ist natürlich Unsinn. Ich will es am Beispiel der Frauenquote darstellen.

Die bisherigen Wünsche nach geschlechtlicher Vielfalt in der Wirtschaft haben sich nicht erfüllt. Zehn Jahre freiwilliger Selbstverpflichtung - das ist die Lieblingsmethode der FDP als Ersatz für politische Gestaltung - haben nichts gebracht. Immer noch hat kein einziges der hundert größten Unternehmen in Deutschland eine Frau an der Spitze. Wenn man den Finanzsektor außen vor lässt, dann haben wir mit Stand von Ende 2010 in den Vorständen der hundert größten Unternehmen gerade einmal acht Frauen. Man kann sie namentlich aufzählen. Wir können uns Deutschlands peinliche Position ansehen. Mit 2 % liegt Deutschland gleichauf mit Indien. Schweden hat 17 %. Dort hat man aber auch etwas getan.

Bei der anhaltenden Untätigkeit der aktuell amtierenden Frauenministerin in Deutschland hat man eher den Eindruck, ihr Amt wäre ihr peinlich und sie wäre es lieber früher als später wieder los. Frauen sind inzwischen besser ausgebildet. Aber offensichtlich gibt es unsichtbare Schranken, die verhindern, dass sie entsprechenden beruflichen Erfolg haben.

Sie, meine Damen und Herren von der FDP, zeigen mit Ihrer Formulierung des Titels Ihr Gesellschaftsmodell: „Faire Chancen für alle durch Leistung und Qualifikation“. Sie verweisen auf die individuelle Leistung, als sei sie bei Frauen schlechter als bei Männern, als könnte diese schlechtere Leistung eine Erklärung für das Fehlen von Frauen in Spitzenpositionen liefern und als könnte die geringere Leistung von Frauen eine Erklärung dafür liefern, dass von den Menschen, die in Niedersachsen ausschließlich geringfügig beschäftigt sind, ungefähr 70 % Frauen sind, oder dafür, dass Frauen auch die große Mehrheit der sehr schlecht oder gar nicht bezahlten Arbeiten in dieser Gesellschaft wahrnehmen.

Sie können die Verantwortung für diese Verhältnisse nicht so einseitig auf das Individuum schieben nach dem Motto „Jede ist ihres Glückes Schmiedin“. So bequem mag die Individualisierungsrhetorik für Sie ja sein, aber so falsch ist sie eben auch.

Aber statt dass Sie oder Ihr Koalitionspartner nach zehn oder mehr Jahren erfolglosen Zusehens endlich Taten folgen lassen, kommt die CDU-Frauenministerin im Bund damit, dass sie weiter tatenlos zusehen will, und droht:

„Wenn die Dinge in den nächsten Jahren nicht besser werden, dann müssen sich die Unternehmen noch

einmal selbst auf selber ausgesuchte Ziele verpflichten.“

Ich bin sicher, den Entscheidungsträgern in der Wirtschaft schlottern angesichts dieser massiven Drohung schon jetzt die Knie.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Hier in Niedersachsen streichen Sie gemeinsam mit der CDU das bisschen Quote im Niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetz, um auch hier nichts mehr zu tun.

Meine Damen und Herren von der FDP, begreifen Sie endlich: Der Markt regelt nicht alles. Man kann nicht alle Verantwortung auf den Einzelnen delegieren. Das war bereits klar, als unser Grundgesetz geschrieben wurde. Darum sind die Sozialstaatlichkeit und die Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums im Grundgesetz enthalten. Die FDP hatte das in früheren Jahren schon einmal etwas besser verstanden und wusste, dass das Grundgesetz bei solchen Ungleichheiten politisches Eingreifen fordert. Aber Sie haben das inzwischen offensichtlich verlernt.

Meine Damen und Herren, die Festschreibung der Rollen der Geschlechter in dieser Gesellschaft hält sich hartnäckig. Sie wird sich erst dann auflösen, wenn die Menschen im täglichen Erleben eines zunächst durch Quoten erzeugten Miteinanders spüren und erleben, wie gut Vielfalt tut. Da ist politisches Eingreifen gefordert und die Quote auch ein gutes und politisches Mittel der Wahl.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Quote würde Barrieren in den Köpfen aufbrechen. Wenn das wirklich passiert ist, können wir gern gemeinsam die Quotierungsregelungen wieder streichen.

Politik heißt gestalten. Bei Ihnen von der FDP habe ich aber mehr und mehr den Eindruck, Sie verweigern jede politische Verantwortung. Sie privatisieren, damit Sie weniger Verantwortung tragen müssen. Sie verweigern jedes lenkende Eingreifen. Sie verweisen auf den Markt. Aber auch wenn er es nicht regelt, tun Sie nichts. Sie erklären den einzelnen Menschen zum Alleinverantwortlichen für sein Schicksal. Meine Damen und Herren, das ist keine Politik, sondern Politiksimulation.

(Beifall bei der LINKEN)

Eines ist gut: Fast alle Wählerinnen und Wähler handeln inzwischen konsequent nach dem Motto: Wer wie die FDP nicht in politische Verantwortung

gehen will, den soll man auch nicht in politische Verantwortung wählen.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Ursula Helmhold [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion spricht nun der Kollege Nacke. Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Begriff Quotenregelung in eine der bekannten Suchmaschinen im Internet eingibt, dann wird man mit einer Vielzahl von politischen Handlungsfeldern konfrontiert. Das beginnt bei den Fangquoten für Fische und geht über die Zuordnung von Asylbewerbern auf Kommunen, die Regelung der Kandidatur für politische Mandate, die Integration Behinderter in den Arbeitsmarkt, die Lieferung von Milch an Molkereien bis zur Förderung weiblicher Führungskräfte. Sogar der Einsatz ausländischer Handballer in Bundesligamannschaften fällt unter dieses Stichwort.

Da stellt sich die Frage: Gibt es für all das, für diese sehr unterschiedlichen Politikfelder, über die wir hier vielfach gesprochen haben, eigentlich ein Muster? - Ich denke, man kann es darin ausmachen, dass es immer um die Begrenzung individueller Rechte geht, um ein übergeordnetes Ziel zu erreichen. Immer dann, wenn Menschen betroffen sind, geht es darum, bestimmte Gruppen zu bevorzugen. Damit tut sich eine Partei wie die CDU schwer, basiert unsere Arbeit doch auf dem christlichen Menschenbild, das zunächst den einzelnen Menschen betrachtet, das Zutrauen in den Menschen und in seine individuellen Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellt. Stärken und Schwächen zu akzeptieren, darauf basiert unsere politische Position. Das widerspricht zunächst einer Quote. Um es mit dem 1819 in Peine geborenen Schriftsteller Friedrich von Bodenstedt zu sagen: „Wer Weisheit übt, legt anderen keinen Zwang auf.“

Ich kann nachvollziehen, dass es einer Partei, die sich in der Tradition einer Arbeiter- oder Klassenpartei versteht und darin ihre Wurzeln sieht, vielleicht leichter fällt, die Bevorzugung einer Gruppe in den Mittelpunkt zu stellen. Aber, Frau Twesten, wenn Sie sagen, die Menschen warten darauf, dass wir ihre Potenziale wahrnehmen, dann entspricht das nicht unserem Menschenbild.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)