Protokoll der Sitzung vom 28.06.2011

Auch in Zeiten der Wirtschaftskrise ist nicht bzw. kaum gekürzt worden - ganz im Gegenteil. Sie erinnern sich: Wir haben im Bereich der frühkindlichen Bildung, der Ganztagsbetreuung und der Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund aufgestockt. Das, meine Damen und Herren Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE, ist sozialverträglich und sichert die Teilhabe aller jungen Menschen an Bildung und an einem selbstbestimmten Leben. Oder möchten Sie dort vielleicht Einsparungen realisieren? - Ich weiß es nicht.

Schülerbeförderung ist Ländersache, und da sollten wir einmal über den Tellerrand schauen. Meine Damen und Herren, nehmen wir doch mal Berlin, dort, wo der rot-rote Senat - also Ihre Kollegen - regiert! Groß angelegter Analysen bedarf es dort nicht; denn in Berlin gibt es keinen Rechtsanspruch auf Schülerbeförderung. So einfach ist das. Die Berliner Linke ist also von Ihrer hier vehement eingeforderten sozialen Gerechtigkeit weit entfernt.

(Beifall bei der CDU)

Betrachten wir auch einmal die Schülerbeförderung in Rheinland-Pfalz! Unter der rot-grünen Landesregierung orientiert sich die Erstattung der Beförderungskosten an der besuchten Schulform. Die Erstattung der Fahrtkosten für Kinder, die eine IGS

oder ein Gymnasium besuchen, orientiert sich an dem Einkommen der Eltern. Wird eine bestimmte Grenze überschritten, erfolgt keine Erstattung. Kinder, die eine Haupt- und Realschule besuchen, werden kostenfrei befördert. Ich denke, so werden Eltern dann in einigen Fällen vielleicht die preisgünstigste Schulmöglichkeit und eventuell nicht die beste wählen. Ist das leistungsgerecht bzw. sozialverträglich? - Wohl eher nicht.

(Beifall bei der CDU)

Die Zweiklassengesellschaft, die heute immer wieder als ein Menetekel heraufbeschworen wird, lässt dort grüßen.

Meine Damen und Herren, nach unserem Exkurs in andere Bundesländer: Wir in Niedersachsen können auf unsere bestehenden Regelungen zur Schülerbeförderung stolz sein. Das Wohl aller unserer Schülerinnen und Schüler ist uns wichtig; das wissen Sie. Gucken Sie sich nur einmal den Etat an, den unsere Landesregierung bzw. unser Minister immer wieder zur Verfügung stellt! Da sparen wir wirklich nicht. In Niedersachsen entscheidet auch nicht der Geldbeutel der Eltern darüber, ob junge Menschen das Gymnasium, die Oberschule oder andere Schulen besuchen. Hier ist soziale Gerechtigkeit, und wir bieten jeder Schülerin und jedem Schüler eine passgenaue Schulbildung.

(Zurufe von der SPD und von Kres- zentia Flauger [LINKE])

- Meine Damen und Herren, regen Sie sich nicht auf! - Die CDU kann den Antrag der Fraktion DIE LINKE nur ablehnen.

Ich möchte mit einem Zitat Mark Twains schließen, der die Formulierung des Antrags nett umschreibt:

„Tatsachen muss man kennen, bevor man sie verdrehen kann.“

(Zuruf von Patrick-Marc Humke [LIN- KE])

- Herr Humke, reden Sie nicht dazwischen!

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Flauger von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegin Meyer zu Strohen, nachdem Sie sich gerade darüber ausgelassen haben, dass Niedersachsen im Ländervergleich so gut dasteht, möchte ich Sie zunächst einmal darauf hinweisen, dass es in Nordrhein-Westfalen entsprechende Regelungen für die Schülerbeförderung in der Sekundarstufe II gibt, die wir hier in Niedersachsen leider immer noch vermissen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie dann sagen, hier gibt es keine soziale Ungerechtigkeit, die Zweiklassengesellschaft werde nur heraufbeschworen und Ähnliches, dann will ich Ihnen sagen: Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Ich möchte nur einmal darauf verweisen, dass die Anzahl der Gymnasialempfehlungen sehr stark von der sozialen Herkunft abhängt, und zwar nicht nur in anderen Ländern, sondern auch in Niedersachsen. Da brauchen Sie gar nicht so zu tun, als würde es diese Probleme hier nicht geben.

(Beifall bei der LINKEN - Wittich Schobert [CDU]: Welche Zahlen ken- nen Sie denn?)

Ich würde von Ihnen eigentlich gerne wissen - Sie müssen auch nicht antworten -, ob Ihre Buchhaltungskenntnisse so weit reichen, dass Ihnen bekannt ist, dass die Frage, ob man für Ausgaben Schulden machen muss, auch sehr stark davon abhängt, welche Einnahmen man hat. Vielleicht erinnern Sie sich, dass wir immer wieder - man kann es gar nicht oft genug sagen - darauf verwiesen haben, dass Länder, dass Staaten auch dafür verantwortlich sind, die für die notwendigen staatlichen Aufgaben erforderlichen Einnahmen durch entsprechende Steuererhebung zu erzielen. Sie vergessen das immer wieder und tun so, als gebe es nur die Ausgabenseite eines Haushalts.

(Beifall bei der LINKEN)

Was Sie hier machen, indem Sie Kindern und Jugendlichen auf ihrem Bildungsweg Steine in den Weg legen, sind soziale Schulden, die Sie immer wieder anhäufen. Das sollten wir endlich hinter uns lassen, indem wir für mehr soziale Gerechtigkeit auch im Bildungsbereich sorgen.

(Beifall bei der LINKEN - Wittich Schobert [CDU]: Ihre Rede erscheint mir wenig durchdacht!)

Meine Damen und Herren, ich darf den nächsten Redner aufrufen. Das ist der Kollege Poppe von der SPD-Fraktion. Bitte!

(Jens Nacke [CDU]: Ein neuer, lusti- ger Begriff, soziale Schulden! - Ge- genruf von Kreszentia Flauger [LIN- KE]: Der ist nicht lustig, der ist leider sehr traurig! Sie häufen die an! - Jens Nacke [CDU]: So wollen Sie sich jetzt rausreden?)

- Meine Damen und Herren, wenn das Zwiegespräch beendet ist, dann kann Herr Poppe anfangen. Ich gehe davon aus, dass ist jetzt so. Bitte schön, Herr Poppe!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt Anträge und Gesetzentwürfe, über die man sehr grundsätzlich streiten kann. Dieser Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE gehört dazu nicht; denn im Grundsatz gab es schon in der ersten Beratung und auch im Ausschuss Übereinstimmung: Schülerbeförderungskosten sollen übernommen werden, und zwar möglichst lange und möglichst vollständig. Auch für Sozialdemokraten gilt das Ziel, dass die Schullaufbahn eines Kindes nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen soll. Kein Kind soll zu hören bekommen: Wir können es uns nicht leisten, dass du weiter zur Schule gehst.

(Beifall bei der SPD)

In den Beratungen wurde auch schnell deutlich, dass die wichtigsten Ungerechtigkeiten, die zu dem Gesetzentwurf der Linken geführt haben, erst durch die verkorkste Schulstrukturreform von CDU und FDP entstanden sind.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Wit- tich Schobert [CDU])

- Hören Sie mal zu! - Wenn die Festlegung auf den 1. bis 10. Schuljahrgang bisher unstrittig war, dann deshalb, weil damit in der Regel der Sekundarabschluss I verbunden war. Nun beginnt aber nach der Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur die Sekundarstufe II die Oberstufe an Gymnasien und demnächst auch im Gymnasialzweig von Gesamtschulen schon nach neun Schuljahren. Damit käme die Erstattung bis Klasse 10 erstmals auch Schülerinnen und Schülern der Oberstufe zugute. Die Überlegung liegt nahe, warum das für das erste Jahr des beruflichen Gymnasiums oder beruflicher Schulen nicht gelten soll. Soll man also

nun die Berechtigung zur Erstattung der Schülerbeförderungskosten zeitlich verkürzen? - Das wäre wiederum gegenüber denjenigen ungerecht, die nicht das Gymnasium besuchen, sondern Hauptschule, Realschule oder Oberschule. Und damit habe ich noch längst nicht alle Streitfragen angesprochen, z. B. die Fälle, in denen nach der 9. Klasse des Gymnasiums ein Übergang an ein berufliches Gymnasium erfolgt.

(Zuruf von der SPD: Eine sehr diffe- renzierte Darstellung!)

Wie auch immer - hier wird es sehr kompliziert, Herr Kollege, und an vielen Stellen auch ungerecht. Selbst das Kultusministerium gibt in der Antwort auf eine der vielen Petitionen, die um die Kosten der Beförderung kreisen, zu, dass es nur die am wenigsten schlechte Lösung vorschlagen könne. Der Gesetzentwurf der Linken scheint auf den ersten Blick einen einfachen und handhabbaren Weg aus dieser Komplexität zu weisen, nämlich durch die Ausweitung der Berechtigung auf alle Schulformen außer der Berufsschule im dualen System. Diese wird ausgenommen, weil Auszubildende selbst über ein - wenn auch geringes - Einkommen verfügen.

Ist damit nun die Gerechtigkeitsfrage geklärt, oder würden wir mit einer solchen Regelung neue Ungerechtigkeiten schaffen? - Die Ausschussberatungen legen die Antwort nahe, dass eher Letzteres zu erwarten ist. Dabei spreche ich nicht nur, Frau Meyer zu Strohen, von Finanzen. Der Gesetzentwurf geht nicht von der Erfüllung der Schulpflicht als Grenze aus, sondern vom Ende des Schulbesuchs. Damit würde auch jede Wiederholung und jede Warteschleife im berufsbildenden System weiter gefördert. Ist das wirklich gewünscht?

Auch die Einbeziehung des Abendgymnasiums und des Kollegs gestaltet sich systematisch schwierig. Ferner sprechen wir bei der Einbeziehung der Fachschulen, der Berufsfachschulen und der Berufsoberschulen zum Teil von ganz anderen Entfernungen, als wir sie aus der Sekundarstufe I kennen. Und wenn dann nach dem Gesetzentwurf der Linken auch noch hinzukommt, dass die Träger der Schülerbeförderung ihre Erstattungspflicht nicht auf ihr eigenes Gebiet beschränken, sondern auch die Kosten erstatten sollen, die über ihren eigenen Wirkungskreis hinausgehen - so heißt es in den Erläuterungen zum Gesetzentwurf -, dann werden die Folgen und auch die finanziellen Folgen gänzlich unkalkulierbar.

(Beifall bei der SPD)

Wollte man aber diese Probleme vermindern und sich auf das Ableisten der Schulpflicht als Grenze einlassen, die in der Regel zwölf Jahre umfasst, entstehen neue Unstimmigkeiten; denn auch dabei gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel hätte ein Hauptschüler nach Ableisten des neunten Schuljahres und nach einjähriger Berufsfachschule die Schulpflicht abgeleistet und könnte nicht weiter gefördert werden. Gleiches gälte für solche, die den Wehrdienst oder ein Freiwilliges Soziales Jahr ableisten und danach an eine berufsbildende Schule zurückkehren wollten. Auch diejenigen, die den Weg über Haupt- und Realschule plus Oberstufe an Gymnasien, beruflichen Gymnasien oder Gesamtschulen zum Abitur wählten, würden im letzten Schuljahr nicht mehr kostenfrei befördert und damit ausgeschlossen.

Meine Damen und Herren, alle diese Fragen und auch die finanziellen Auswirkungen wurden im Ausschuss nicht bis ins Detail erörtert, da die Regierungsfraktionen nicht einmal zu einer Anhörung bereit waren. Unklar sind außerdem in manchen Einzelheiten die Folgen des Bildungspakets der Bundesregierung für diesen Gesetzentwurf. Jedenfalls konnten sie im Ausschuss nicht mehr erörtert werden; denn die Fraktion DIE LINKE beharrte auf Abstimmung.

Unter diesen Umständen kann die SPD-Fraktion bei aller Sympathie für die Zielsetzung, wie ich sie zu Beginn dargestellt habe, dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Korter das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Linken zielt darauf ab, die Schülerbeförderung für alle Schülerinnen und Schüler bis zur Sekundarstufe II kostenfrei zu stellen, indem das Land Niedersachsen die Beförderungskosten vollständig übernimmt. Die Zielsetzung dieses Gesetzentwurfs können wir als Grüne voll unterstützen, gibt es doch in der Regel eine allgemeine Schulpflicht von zwölf Jahren.

Momentan - das wurde von den Vorrednerinnen und Vorrednern schon ausgeführt - haben wir eine

ganze Reihe von Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten in der Finanzierung der Schülerbeförderung. Die sauberste Lösung wäre daher, alle Schülerinnen und Schüler bekämen den Schulbesuch bis zum Verlassen der allgemeinbildenden und der berufsbildenden Schulen, sofern sie nicht in Ausbildung sind, vollständig finanziert. Denn die Inanspruchnahme des Bildungsangebotes - auch das haben wir schon gehört - sollte nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Das aber ist häufig genug der Fall, wenn die Schule weit entfernt und das Familienbudget schmal ist. Eine vollständige Umsetzung dieses Anspruchs würde jedoch nach Angaben des Kultusministeriums jährlich zusätzlich 75 Millionen Euro kosten.

Auch wenn seitens der Fraktion DIE LINKE eine ganze Reihe von wünschenswerten Verbesserungen gefordert wird - wir haben das gerade von Herrn Perli gehört -, deren Finanzierung in der Regel nicht detailliert dargelegt ist, sehen wir Grünen durchaus die Notwendigkeit, eine Finanzierung der verschiedenen besonders wichtigen Projekte im Bildungsbereich mit einer Prioritätensetzung durchzurechnen und darzustellen. Wollen wir Ressourcen - die wir ja mit Schulden finanzieren müssen - zuerst in die frühkindliche Bildung, wo sie allen zugute kommen, in Ganztagsschulen und die Inklusion mit kleineren Klassen - alles Projekte, die für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen - stecken? Oder in die Schülerbeförderung? Oder alles zugleich?

Alles auf einmal - das muss man ehrlicherweise sagen, wenn man glaubwürdig bleiben will - lässt sich momentan nicht finanzieren, vielleicht Schritt für Schritt.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])