Ich hoffe inständig, dass wir das nicht mehr erleben. - Herr Thiele, ich gehe dieser Tage gerne einmal mit Ihnen durch diese Dörfer. Ich kann Ihnen sagen: Die Menschen, die an diesen Tagen Ausnahmeregelungen zu erleiden haben, die nicht aus ihrer Haustür treten dürfen, die entlang der Transportstrecke wohnen, die ein Betretungsverbot für den öffentlichen Raum haben - - -
(Jens Nacke [CDU]: Wegen der Ver- rückten, die dorthin reisen! Das sind doch Ihre Fans! Das ist unglaublich! - Weitere Zurufe von der CDU)
Herr Wenzel, bitte warten Sie einen Moment! - Meine Damen und Herren, wir werden kein Zwiegespräch zwischen Herrn Wenzel und dem Plenum schaffen. Stellen Sie eine Zwischenfrage, machen Sie eine Kurzintervention. - Herr Wenzel hat jetzt das Wort. Bitte sehr!
Das sind Bürgerinnen und Bürger des Landkreises Lüchow-Dannenberg. Sie leben dort, sie gehen dort zur Schule, sie gehen dort zur Arbeit. Die Kinder erleben, dass sie an bestimmten Tagen nicht zur Schule gehen dürfen, sie erleben, dass die Erwachsenen nicht zur Arbeit kommen, sie erleben, dass sie in ihrem Dorf nicht auf die Straße treten können.
(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Hans- Henning Adler [LINKE]: Genauso ist das! Ihre Atompolitik ist dafür verant- wortlich!)
Davon spreche ich, wenn ich sage: Diesen Zustand müssen wir beenden. Wir haben ein Interesse an einem gesellschaftlichen Konsens.
Ich habe auf die Schritte hingewiesen, welche jetzt erforderlich sind, um diesen Weg zu gehen. Ich glaube, es gibt Chancen für alle Beteiligten, nicht nur für alle Fraktionen hier im Parlament, sondern insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger, nicht nur im Wendland, sondern auch in den angrenzenden Landkreisen und weit darüber hinaus im Land Niedersachsen.
Bis heute haben wir einen Weg zurückgelegt. Das merkt man an den Beiträgen aller Fraktionen. Aber wir sind diesen Weg noch nicht zu Ende gegangen. Darauf kommt es jetzt an.
Noch eines, meine Damen und Herren. Nach Fukushima gelten andere Spielregeln für Atomkonzerne. Wir werden die Energiewende nur schaffen, wenn wir zu einem Paradigmenwechsel, zu einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel bereit sind. Zukunftsfähige Demokratien zeichnen sich durch ein fundamentales Merkmal aus: Es sind lernfähige Gesellschaften. Lernfähige Gesellschaften brauchen nicht die alte Welt in neuer Verpackung, keine fossilen Ersatzkraftwerke, sondern die erneuerbaren Energien ohne Wenn und Aber, keine alten oder neuen Konzernstrukturen, sondern Bürgergenossenschaften, Stadtwerke, Bürgerwindkraftwerke, das Engagement der Bürger vor Ort, die dafür sorgen, dass dezentrale Energieversorgung wirklich gelebt und erlebt wird.
Wir brauchen auch keine Doppelnetzverwaltung bei Bund und Land, keine Bundesnetz-, Raumordnungs-, Planungs-, Netz- und Feststellungsverwaltungsbehörde - die brauchen wir nicht -, sondern Transparenz und offene Daten. Wenn wir das tatsächlich hätten, würden wir manche Diskussion überhaupt nicht führen, weil Wissenschaftler überprüfen würden, welche Konzepte uns die Netzbetreiber vorlegen, und dann würden wir das Sinnvolle vom Sinnlosen trennen, dann würden wir das volkswirtschaftlich Sinnvolle vom betriebswirtschaftlich Sinnvollen trennen, und dann hätten wir eine ganz andere rationale Debatte.
Meine Damen und Herren, die energieintensive Industrie in Deutschland wird nicht von der Energiewende bedroht, sondern von monopolartigen Strukturen der Stromkonzerne,
die jede Hemmung vermissen lassen, wenn es um ihre Interessen und die Durchsetzung ihrer Preise geht. Die zentrale Frage für Stahlwerke und energieintensive Betriebe besteht längst darin, wie der Emissionshandel gestaltet wird. Das war die Frage, als wir in Salzgitter waren. Hier versagt Ihr Energiekommissar und gibt allein den Steigbügelhalter für die großen Stromkonzerne.
Nicht zufällig steht heute die einjährige Bilanz Ihrer Regierungszeit auf der Tagesordnung. Herr McAllister, deshalb will ich diesen Termin nicht ohne einige grundsätzliche Anmerkungen verstreichen lassen. Glauben Sie im Ernst, dass wir Ihrer Regierung und der in Berlin die Gestaltung des Wandels zutrauen? Wie tief ist der Wandel in Ihrer Partei verankert? Warum trauen Sie sich eigentlich keinen Parteitag zu? - Herr Thümler, wer nach Berlin schaut, wird vom nackten Grauen geschüttelt.
Der Spiegel schreibt in diesen Wochen über die „Nicht-Regierung“. Seit Monaten präsentiert sich Schwarz-Gelb als zerstrittener Haufen,
der den Euro, die Europäische Einigung und die Haushaltsstabilität in Gefahr bringt. Jetzt droht uns noch eine Steuersenkung auf Pump, und dies trotz maroder Haushalte im Bund, im Land und in unseren Kommunen. Herr McAllister, Sie kämpfen nicht für das Land. Wenn Sie das unterstützen, kämpfen Sie allenfalls für das Überleben Ihres siechen Koalitionspartners.
Das Bildungspaket hat gefloppt. Den Fachkräftemangel kriegen Sie nicht in den Griff. Die Bundeswehrreform und die Gesundheitsreform stehen auf der Kippe. Das Regierungsschiff in Berlin geht unter, und die Bundesländer sollen jetzt die Rettungsboote sein. Aber wie sieht es dort aus? - Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Baden-Württemberg gingen verloren. Sie rudern, aber es geht nicht voran, sondern nur nach unten: Lecks, wohin man blickt. - Ich hätte in diesen Tagen ein klares Wort erwartet: zu Gorleben, zur Nachrüstung von Atomkraftwerken, zur Beschleunigung der Ener
giewende, zu Steuersenkungen auf Pump oder zur Demografie, Zuwanderung und Flüchtlingspolitik. Auch zum Klimaschutz steht eine Erklärung aus.
Heute kommt es mehr denn je darauf an, nicht erst nach den Katastrophen die richtige Politik zu machen. Sie, Herr McAllister, haben Ihre Regierungserklärung mit der Behauptung begonnen, dass die Entwicklung in Japan bei uns in Deutschland ein intensives Nachdenken über die Risiken der Atomkraftwerke ausgelöst hat. Ich muss Sie korrigieren. Bei Ihnen in der CDU ist das intensive Nachdenken erst da losgegangen. Doch bei den Bürgerinnen und Bürgern, bei den Initiativen der AntiAtombewegung gibt es dieses intensive Nachdenken schon seit mehr als drei Jahrzehnten. Nicht nur das: Es gibt auch den Protest, den Widerstand und den Kampf im Parlament und bei Demonstrationen. Das ist der Unterschied einer Politik des Davor und des Danach. Der Wandel beginnt jetzt. Für den Wandel brauchen wir mutige Gestalter, und die kann ich in Ihrer Koalition nicht entdecken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen wird in Deutschland Industriegeschichte geschrieben. Wir treffen jetzt eine der folgenreichsten standortpolitischen Entscheidungen für unser Land. Ich will deutlich sagen: Ich danke dem Ministerpräsidenten für seine Ausführungen zur Energiepolitik. Vor allem danke ich ihm dafür, dass er niedersächsische Interessen mit aller Deutlichkeit in Berlin vertreten hat.
(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU - Kreszentia Flauger [LIN- KE]: Aber genutzt hat es nicht!)
Weil der Kollege Tanke vorhin nicht einen einzigen konkreten Punkt in der Debatte genannt, aber konkrete Punkte angemahnt hat, will ich das am Beispiel der Offshorewindenergie noch einmal deutlich machen.
Wir bekommen im EEG das Stauchungsmodell. Das heißt, die Vergütung für die Windenergieerzeugung ist zu Beginn höher und wird später abgesenkt.
Wir bekommen es auch bei der Offshorewindenergie hin, dass nur noch eine Behörde, nämlich das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg, für die Genehmigung zuständig ist. Das ist ein Abbau von Bürokratie und Investitionshemmnissen. Als Sie noch atompolitische Debatten im Niedersächsischen Landtag geführt haben, hat diese Landesregierung in die Offshorewindenergie und in die Häfen investiert. Das ist die Wahrheit! Während Sie Ideologie machen, machen wir Politik für unser Land!
Der Energiekonsens, den Schwarz-Gelb im Bund gerade auf den Weg bringt, ist nicht nur eine wichtige industrie- und energiepolitische Entscheidung. Er ist auch eine zentrale gesellschaftspolitische Entscheidung. Er beendet einen jahrzehntelangen gesellschaftlichen Disput um die friedliche Nutzung der Kernkraft. Deswegen will ich deutlich sagen: Ich begrüße diesen gefundenen Konsens. Wenn wir in der Energiepolitik damit nach vorne kommen, meine Damen und Herren, ist das mehr wert als das Beharren auf alten Positionen, um das an dieser Stelle deutlich zu sagen.
Herr Kollege Wenzel, Sie haben insbesondere zum Thema Gorleben einiges ausgeführt. Ich nenne das Stichwort „Beharren auf alten Positionen“. Wir sind sehr dicht beieinander, wenn Sie sagen, Sie wollen die Bilder, die wir in den vergangenen Jahren alle miteinander in Gorleben leider erleben mussten, nicht wiedersehen. Ich erinnere mich aber noch sehr gut daran, dass, als Rot-Grün damals die Laufzeitverkürzung auf den Weg gebracht hat, Herr Trittin gleichzeitig gesagt hat, dass es sich ab sofort für jeden Grünen verbietet, in Gorleben zu demonstrieren. Jetzt rufen die Grünen wieder zu Demonstrationen auf. Das passt politisch schlicht und einfach nicht zusammen, um das deutlich zu sagen.
Ich begrüße den in Berlin gefundenen Konsens. Ich habe die Hoffnung, dass er die energiepolitischen Grabenkämpfe endlich beendet. Alle Parteien in Deutschland wollten die Kernenergie auslaufen lassen. Der Disput ist über Jahre hinweg über das Wann geführt worden. Wir begrüßen den Konsens, weil er schlussendlich auf Technologien der Zukunft setzt. Wir begrüßen ihn vor allem, weil er Investitionssicherheit bedeutet. Das ist für den Industriestandort Deutschland wichtig. Ziel muss es sein, dass sich die Investoren gerade durch den breiten überparteilichen Konsens darauf verlassen können, dass es keine energiepolitischen Wendemanöver in Deutschland mehr geben wird. Diese Planungssicherheit ist mir besonders wichtig, weil sie zentral für die Attraktivität unseres Wirtschaftsstandortes ist.
Ich möchte deshalb auf eines ausdrücklich hinweisen. Die berechtigte Freude über den in Berlin gefundenen Konsens zur Energiepolitik darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Hauptteil der Arbeit jetzt erst auf uns zukommt. Wir fahren gerade mit dem Zug aus dem Bahnhof heraus. Aber die Strecke, die vor uns liegt, müssen wir alle miteinander noch gemeinsam bauen, meine Damen und Herren. Denn wenn wir die ältesten Kernkraftwerke sofort vom Netz nehmen und bis zum Jahr 2022 alle 17 deutschen Kernkraftwerke vollständig abschalten, dann stellt uns das alle vor knallharte technische Herausforderungen. Die Kernkraft erbrachte bis zum Moratorium 50 % der Grundlastversorgung, also 50 % der Mindeststrommenge, die nötig ist, damit das Stromnetz überhaupt funktioniert und eben nicht zusammenbricht. Deshalb bedeutet das, was wir jetzt machen, meine Damen und Herren, eine enorme Herausforderung für die Netzstabilität. Die Bundesnetzagentur warnt zu Recht davor, dass uns in Zukunft wichtige Reservekapazitäten fehlen könnten.
Uns ist wichtig - das will ich deutlich sagen, weil vorhin von Herrn Tanke der Eindruck erweckt wurde, dass das, was Deutschland macht, sozusagen richtungweisend ist, und dass sich die Welt bitte schön am deutschen Beispiel orientieren sollte -,
dass das im europäischen Dialog passiert. Denn auch für die europäischen Nachbarn ist die Netzstabilität in Deutschland von Bedeutung. Das muss man einmal deutlich sagen.