Protokoll der Sitzung vom 01.07.2011

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN und Zustimmung von Stefan Wenzel [GRÜNE])

Für die Landesregierung erteile ich nunmehr Herrn Minister Bode das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Victor Perli [LINKE]: Was wusste Herr Hirche?)

- Bleiben Sie ganz ruhig. - Sehr geehrte Frau Flauger, nun mag es sein, dass ich Christian Wulff etwas besser kenne als Sie. Aber bitte glauben Sie mir: Deshalb ist es absolut unvorstellbar, dass Christian Wulff 2003 die Unterlagen von Sigmar Gabriel und Gerhard Schröder in der Staatskanzlei geschreddert hat. Das ist absolut unvorstellbar.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Das habe ich nicht gesagt! Darauf lege ich Wert!)

Da Sie den Eindruck erweckt haben, es hätte jemand Druck auf das Magazin „Panorama“ oder auf den öffentlichen Fernsehsender ausgeübt, einen

Beitrag nicht zu senden, kann ich Ihnen auch sagen, dass die Landesregierung diesen Druck selbstverständlich nicht ausgeübt hat. Falls von irgendjemand anderem Druck ausgeübt worden ist, so ist dies der Landesregierung nicht bekannt, und man würde dies auch nicht begrüßen. Vielmehr haben wir und auch unsere Mitarbeiter vor dem Fernseher gesessen und darauf gewartet, dass der Beitrag kommt, weil wir hofften, eventuell noch Dinge zu erfahren, auf die wir hätten eingehen können. - Das hat es also seitens der Landesregierung nicht gegeben.

Nun zu dem Vorwurf der unvollständigen Termine: Sehr geehrte Frau Flauger, Sie bekommen die Antworten auf das, was Sie gefragt haben. Wenn Sie die falsche Frage stellen, dürfen Sie sich über die Antwort nicht beklagen. In Ihrer Drs. 16/3706 heißt unter II. die Frage 10:

„Welche Gesprächstermine haben die jeweiligen Niedersächsischen Ministerpräsidenten seit … mit Carsten Maschmeyer... wahrgenommen?“

Die Veranstaltungen, die Sie hier aufgezählt haben, beispielsweise der Nord-Süd-Dialog, waren Veranstaltungen, an denen Carsten Maschmeyer vermutlich - ich weiß es selber nicht - als Gast teilgenommen hat. Es war kein dienstlicher Gesprächstermin zwischen den beiden. Deshalb war er hier auch nicht aufgeführt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Ursula Weisser-Roelle [LINKE] lacht - Zuruf von Victor Perli [LINKE])

Damit es dieses Missverständnis nicht gibt, haben wir Sie bei der Beantwortung dieser Frage darauf hingewiesen, welche Termin aufgezählt und welche nicht aufgezählt worden sind, weil Sie danach nicht gefragt haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Unternehmen AWD ist seit Beginn des Jahres 2011 durch Fernsehbeiträge des NDR in der Sendung „Panorama“ sowie durch sich anschließende weitere Medienberichte in die Schlagzeilen geraten. Die Kritik der Beiträge bezieht sich auf die Zeit, in der Herr Carsten Maschmeyer Geschäftsführer des AWD war. Kritisiert wurden zum einen die Kontakte von Herrn Maschmeyer zur Politik, zum anderen das Verhalten seiner Angestellten gegenüber Kunden sowie der Umgang mit der Presse.

Meine sehr geehrten Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE, diese Berichterstattung haben Sie zum

Anlass genommen, die Große Anfrage, mit der wir uns heute eingehend befassen, zu stellen. Sie haben vielleicht gehofft, dass die Antworten der Niedersächsischen Landesregierung in irgendeiner Form spektakulär ausfallen würden. Ich muss Sie, auch im Namen aller beteiligten Ressorts, jedoch enttäuschen. Die Antworten belegen, dass es, soweit wir dies aufgrund der lange zurückliegenden abgefragten Zeiträume umfassend und präzise beantworten konnten, nur übliche Kontakte zwischen der niedersächsischen Landespolitik und einem für Niedersachsen bedeutenden Unternehmen gegeben hat. Die Recherchen der Landesregierung haben weder hinsichtlich der Häufigkeit noch hinsichtlich der Intensität der Begegnungen außergewöhnliche Ergebnisse hervorgebracht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aufgrund der Vielfalt und Komplexität von Finanzprodukten ist es sicherlich als sinnvoll anzusehen, sich geeigneter Beratung zu bedienen.

(Kreszentia Flauger [LINKE] lacht)

Da in diesem Zusammenhang das Problem unseriöser und fehlerhafter Beratung auf diesem Markt durchaus kein unbekanntes Phänomen ist, gab und gibt es verschiedenste politische Initiativen auf nationaler und internationaler Ebene, diesem Problem zu begegnen. Der Politik kann daher nicht vorgeworfen werden, die Augen zu verschließen. Sie kann dem Verbraucher durch entsprechende gesetzliche Vorgaben jedoch auch nur bis zu einem bestimmten Punkt unterstützend zur Seite stehen. Es darf zudem nicht außer Acht gelassen werden, dass dem Verbraucher auch ein gewisses Maß an Eigenverantwortung zukommt und es in der letzten Anlagekonsequenz ausschließlich ihm obliegt, sich umfassend zu informieren und dann gegebenenfalls weitreichende finanzielle Entscheidungen für seine persönliche Anlage zu treffen.

(Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE])

Beurteilungen über einzelne Geschäfte und Anlageempfehlungen des AWD liegen uns nicht vor, sodass eine Beurteilung dieser Vorgänge nicht möglich ist.

Meine sehr geehrten Kollegen von der Fraktion DIE LINKE, nun erlauben Sie mir zu den Antworten der Landesregierung im Einzelnen einige Ausführungen.

Der erste Teil Ihres Fragenkatalogs widmete sich Fragen zur Bewertung der Geschäftstätigkeit des AWD durch die Landesregierung, insbesondere zu eventuellen Verstößen gegen Gewerbe- und Steu

errecht sowie zu Zivil- und Strafverfahren gegen den AWD und dessen Geschäftsführer. Die Beantwortung dieser Fragen war teilweise nicht oder nur sehr generell gehalten möglich, da sie Sachverhalte betrafen, die entweder außerhalb des Kenntnisbereichs der Landesregierung lagen oder vom Steuergeheimnis gedeckt waren oder, wie die Fragen, gerichtliche Verfahren betreffen, nur durch unverhältnismäßig hohen Aufwand zu beantworten gewesen wären.

Zu der Frage nach Erkenntnissen der kommunalen Gewerbeaufsicht kann festgestellt werden, dass keinerlei Erkenntnisse dahin gehend vorliegen, dass die gemeldeten Firmen Allgemeiner Wirtschaftsdienst, Gesellschaft für Wirtschaftsberatung und Finanzbetreuung mbH, AWD Gruppe Deutschland GmbH sowie AWD Holding AG nicht über die erforderliche gewerberechtliche Zuverlässigkeit verfügen. Weiterhin besteht kein Grund, daran zu zweifeln, dass die kommunalen Behörden ihrer Aufgabenwahrnehmung nach § 34 c der Gewerbeordnung - hierbei handelt es sich um die Aufsichtsfunktion - nicht zufriedenstellend nachkommen. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Der Antwort zu Frage 5 können Sie jedoch entnehmen, warum es trotz dessen vorstellbar wäre, diese Aufgaben auf die BaFin zu übertragen. Ein deutlich verändertes Aufgabenprofil würde die Durchbrechung des Grundsatzes rechtfertigen können, diese Aufgaben durch die Länder und damit durch die Kommunen vollziehen zu lassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte um Ihr Verständnis, dass zu den Fragen des Abschnitts II der Anfrage nach Gesprächsterminen, Auslandsdienstreisen, Sponsoringleistungen etc. aufgrund des langen Zeitablaufs - erfragt wurde der Zeitraum seit 1990 - nur eingeschränkt auf Unterlagen und Akten wie z. B. Terminkalender, Personalakten, Sachakten sowie Einladungs- und Gästelisten zurückgegriffen werden konnte. Diese Unterlagen sind auch nicht verschwunden, wie es teilweise behauptet wurde. Vielmehr ist es als ein normaler Vorgang zu werten, dass beispielsweise Terminkalender nicht archiviert werden. In der Regel konnten diese Fragen daher nur für den Zeitraum ab dem Jahr 2003 umfassend und präzise beantwortet werden.

Wie Sie aus der vorliegenden Drucksache ersehen können, wurden selbstverständlich die Erkenntnisse sorgfältig aufgeführt, die aus den vorhandenen Unterlagen ersichtlich waren. Dazu gehört auch, welche Sponsoringleistungen durch den AWD in

den Jahren seit 2001 erbracht wurden. Darauf möchte ich jetzt etwas ausführlicher eingehen. Lassen Sie mich deshalb in diesem Zusammenhang erläutern, dass Sponsoringleistungen ab dem 1. August 2001 beim Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport zentral systematisch erfasst werden. Davor wurden möglichen Leistungen nicht zentral, sondern fachbezogen in verschiedenen Ressorts registriert. In der Regel liegen hierzu keine Unterlagen mehr vor.

Die Landesregierung kommt mit der jährlichen Veröffentlichung der zentral systematisch erfassten Sponsoringlisten ihrer Selbstverpflichtung aus der Richtlinie zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung in der Landesverwaltung, der Antikorruptionsrichtlinie, nach. Daher sind die folgenden Zahlen weder geheim noch ungewöhnlich:

Die AWD Holding AG hat zwischen 2004 und 2010 regelmäßig als Sponsor das Sommerfest der Landesregierung in der Landesvertretung in Berlin mit einem Beitrag von jeweils 25 000 Euro unterstützt. In 2009 stellte sie zudem ca. 2 000 Teebecher mit aufgedrucktem AWD-Logo für die Gäste des Sommerfestes zur Verfügung.

Nachreichen möchte ich in dem Zusammenhang eine aktuelle Information, die seit Montag vorliegt und sich deshalb nicht in der schriftlichen Beantwortung der Anfrage wiederfinden kann: In diesem Jahr, also 2011, hat die AWD Holding AG das Sommerfest in Berlin mit 20 000 Euro unterstützt.

Ferner hat sie die folgenden Veranstaltungen der Landesvertretung in Brüssel mit diesen Beträgen gesponsert: Das Grünkohlessen 2004 und 2005 mit jeweils 2 500 Euro, das Grünkohlessen 2006 mit 4 500 Euro sowie das Spargelessen 2006 mit 4 000 Euro. Im Jahr 2005 hat die AWD Holding AG den Tag der Niedersachsen durch eine Geldleistung in Höhe von 9 860 Euro an das Ministerium für Inneres und Sport unterstützt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ungewöhnlich sind diese Zahlen deshalb nicht, weil die zuvor genannten Veranstaltungen auch von anderen Unternehmen in ähnlicher Höhe und Regelmäßigkeit finanziell unterstützt wurden, sei es durch Geld- oder durch Sachspenden.

Tatsache ist, dass derartige Veranstaltungen wie der Tag der Niedersachsen, den wir ganz aktuell am bevorstehenden Wochenende sicher wieder sehr erfolgreich und diesmal in Aurich begehen werden, oder die diversen Sommerfeste, Spargel- und Grünkohlessen ohne das Engagement der

Privatwirtschaft nicht realisiert werden können. Das war früher - auch zu SPD-Zeiten - so, das ist zu unseren Zeiten so und das wird auch in Zukunft nicht anders sein.

Der abschließende Teil der vorliegenden Anfrage beinhaltete Fragen nach einer Bewertung des Verhaltens des AWD gegenüber der Presse und nach Informationen über Gerichtsprozesse gegen den NDR und dessen Journalisten. Die Beantwortung dieser Fragen war ebenfalls aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nur eingeschränkt möglich. Es steht der Landesregierung weder zu, die Reaktion von Herrn Maschmeyer und seinen Anwälten auf die „Panorama“-Beiträge zu kommentieren, noch ist es Aufgabe der Landesregierung, diese Vorgänge zu bewerten. Es obliegt der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Rahmen der zivil- und strafrechtlichen Auseinandersetzungen, zu einer Bewertung zu kommen.

Die verfassungsrechtlich geschützte Rede- und Pressefreiheit, die sicher niemand der hier Anwesenden infrage stellen würde, schützt einen Rundfunksender wie den NDR vor jeglichen staatlichen Eingriffen. Unter Beachtung des Gebotes der Staatsferne haben daher weder der Ministerpräsident noch andere Mitglieder der Landesregierung zu den rechtlichen Auseinandersetzungen Stellung genommen und werden dies auch in Zukunft nicht tun, genauso wenig wie die Landesregierung die weiter andauernde Berichterstattung kommentieren wird.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Mir liegt zunächst die Wortmeldung von Herrn Grascha von der FDP-Fraktion vor. Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Grascha.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses bedanken. In dem Fall war es besonders schwierig, weil mehrere Ministerien betroffen waren. Von daher von meiner Fraktion ein besonderes Dankeschön dafür.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es gibt nach meiner Einschätzung bei dieser Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE drei Sichtweisen. Die erste Sichtweise ist eine gesetzliche. Die

zweite Sichtweise ist eine gerichtliche. Die dritte Sichtweise ist sicherlich die spannendste, nämlich eine politische Bewertung.

Bei der gesetzlichen Bewertung haben heute und auch in der Vergangenheit politische Verantwortungsträger festgestellt, dass der Finanzdienstleistungsmarkt stärker reguliert werden muss. Wir haben in der Vergangenheit schon entsprechende Regelungen verabschiedet, wonach Qualifikationen stärker geachtet werden, die Zulassung stärker beschränkt wird und Beratungsdokumentationen eindeutiger erfolgen. Diese Verschärfungen wurden durchgeführt. Weitere gesetzliche Verschärfungen sind vorgesehen. Darauf hat der Minister hingewiesen. Das ist sicherlich vor dem Hintergrund des Verbraucherschutzes richtig.

Es gibt ein weiteres Feld, nämlich das gerichtliche Feld. Darauf ist der Minister eingegangen. Es ist schwierig, in einzelnen Fälle der Falschberatung hineinzugehen. Das ist auch gar nicht unsere Aufgabe. Es ist nicht die Aufgabe des Parlaments, sondern es ist die Aufgabe von Gerichten, das zu klären. Von daher müssen wir einfach die ausstehenden Gerichtsentscheidungen abwarten.

Das Spannendste ist sicherlich die politische Bewertung. Frau Flauger ist darauf eingegangen. Es geht um die Frage, was eigentlich vor 2003 passiert ist. Die Antwort der Landesregierung darauf finde ich spannend. Das ist vor allem vor dem Hintergrund zu sehen, was alles nicht darin steht und nicht darin stehen kann. Offensichtlich gab es am Ende der Ära Gerhard Schröder einen sehr erfolgreichen Mitarbeiter in der Niedersächsischen Staatskanzlei, nämlich den Papierschredder. Hier ist offensichtlich gründlich an der Vernebelung des Systems Schröder/Steinmeier gearbeitet worden.

(Johanne Modder [SPD]: Ganz vor- sichtig! - Weitere Zurufe von der SPD)

Dafür gibt es sicherlich Zitate. Die Berichterstattung in den Medien dazu ist sehr interessant. Es wird davon gesprochen, dass eine Begleitung des Wahlkampfes 1998 durch die Staatskanzlei stattgefunden hat. Dies geschah offensichtlich am Parteiengesetz und an der Verfassung vorbei. So sagte beispielsweise die ehemalige enge Mitarbeiterin von Gerhard Schröder, Bettina Raddatz, zu ihrer damaligen Arbeit - ich darf zitieren, Herr Präsident -:

„Es gibt nichts zu beschönigen. Ich habe unzulässigerweise aus der