Protokoll der Sitzung vom 16.09.2011

Wir unterhalten uns ja nicht das erste Mal über Atomenergie und insbesondere nicht über Gorleben und die Asse. Die Quintessenz ist letzten Endes, dass man einfach sagen muss: Diese Technik ist unberechenbar. Wir werden die Probleme nicht in den Griff bekommen. Darum muss die Konse

quenz sein, dass ein Neustart bei einer bundesweiten transparenten Endlagersuche mit einem Aus für Gorleben verbunden sein muss. Nur so kann man Transparenz und Klarheit schaffen. Das haben Sie jetzt in der Hand.

Der zweite Punkt ist: Aufgrund der erhöhten Werte muss der Castortransport gestoppt werden. Sie haben es jetzt in der Hand. Ich bitte Sie inständig und ernsthaft, über unseren Antrag nachzudenken, ihn in die Fraktionen zu bringen und am kommenden Montag im Umweltausschuss positiv zu bescheiden.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Herzlichen Dank! - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich Herr Kollege Wenzel zu diesem Tagesordnungspunkt gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das vorgestern bekannt gewordene Schreiben von Ministerpräsident McAllister an den Bundesumweltminister offenbart tief greifende Zweifel am Konzept eines Atommülllagers im Salzstock von Gorleben und an der Sicherheit des Konzeptes, das dort geplant war. Das Schreiben markiert mit Blick auf die Geschichte dieses Projektes ganz offenbar eine Zäsur. Die Kommentarlage ist deutlich: „Niedersachsen stellt Gorleben infrage“, „McAllister rückt von Atommülllager Gorleben ab“, Süddeutsche Zeitung: „Abrücken von Gorleben“, Hamburger Abendblatt: „Es muss nicht Gorleben sein“, Focus: „Atommüll: Niedersachsen stellt Gorleben infrage“.

Meine Damen und Herren, als die Bundesregierung nach Fukushima den Betrieb der alten Reaktoren und die verlängerten Laufzeiten infrage stellte, zeichnete sich die Wende einer konservativen Regierung ab, die über Jahrzehnte auf Atomkraft gesetzt hatte. Kernenergie war ein Mantra, ein Glaubenssatz. Oft hatte man gar den Eindruck, sie war Teil der Werteordnung.

Trotzdem blieb nach dem Junibeschluss ein Problem: Gorleben und die Endlagerung. Vielleicht wird der vergangene Mittwoch einmal als der Tag gelten, an dem sich die niedersächsische CDU/FDPRegierung von Gorleben verabschiedete, als der

Tag, an dem die Legende vom sicheren Endlager einstürzte.

Das Problem ist allerdings: All die Ruinen und Brocken liegen noch in der Landschaft. Einige Architekten und Akteure arbeiten noch immer an diesem Projekt, obwohl es längst eingestürzt ist. Entscheidend wird daher sein, ob Niedersachsen, ob diese Landesregierung bereit ist, Konsequenzen aus den Worten des Ministerpräsidenten zu ziehen, ob sie bereit ist, die Brocken wegzuräumen und sicherzustellen, dass es tatsächlich zu einem Neubeginn kommt, zu einem Endlagersuchgesetz, das diesen Namen verdient.

Wir sehen im Moment, dass die Entwicklung noch in eine andere Richtung läuft. Die Vorbereitungen für den nächsten Castortransport und die Bauarbeiten im Bergwerk von Gorleben gehen unvermindert weiter. In der Haushaltsplanung des Bundes steht bis 2014 eine Summe 225 Millionen Euro. Die Antwort des Umweltministers auf unsere Mündliche Anfrage zu den Grenzwerten am Transportbehälterlager Gorleben ist bezeichnend, wenn nicht gar verräterisch.

Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zu den Ursachen der erhöhten Strahlenbelastungen am entscheidenden Messpunkt am Zaun des Castorlagers? - Keine Antwort ist offenbar auch eine Antwort, Herr Minister. Interessant ist aber auch, dass die Antwort zeigt, dass im Castorlager offenbar zweimal umgestellt wurde, einmal vor Juni und einmal im Juli, wie mir der Pressesprecher der BLG, Herr Auer, vor wenigen Tagen sagte.

In der Zeit vom 9. bis zum 13. September hat die PTB gemessen. Das ist genau der Zeitraum, in dem man mir einen Zugang, um zu sehen, wo die Castoren nun stehen, verweigerte. Zum Messwert des NLWKN heißt es: Kontrollmessungen in der Umgebung zeigten keine Auffälligkeiten. - Sie ignorieren aber einen Messpunkt auf dem Dach der Messhauses, der ebenfalls über dem Grenzwert lag. Nein, meine Damen und Herren, so kommen Sie nicht durch. Diese Manipulation ist Rechtsbeugung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Ministerpräsident McAllister mit seinem Vorstoß ernst genommen werden will, dann muss er jetzt die Bedingungen für ernsthafte Verhandlungen über ein Endlagersuchgesetz und für einen Neubeginn bei der Endlagersuche schaffen. Allein aus rechtlichen Gründen muss der nächste Castor

transport abgesagt werden. Unverzichtbar ist zudem ein Baustopp in Gorleben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Wenzel. - Nun für die Fraktion DIE LINKE Herr Herzog, bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch die sieben Beiträge der Redner von CDU und FDP während der Aktuellen Stunde vorgestern ist wohl auch dem Letzten klar geworden, dass der sogenannte Atomschwenk bei den Regierungsparteien rein taktischer Natur ist und dass alle Folgen aus der Nutzung der Atomkraft abgespalten und verharmlost werden. Dagegen - das war bei Ihnen auf der rechten Seite heute der Fall -:

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Es hat doch noch niemand von der rech- ten Seite des Hauses gesprochen!)

Vernunft sucht man vergebens. Neue Ideen sind Fehlanzeige. Ihre Slogans, tausendfach plakatiert, sind noch nicht abgehängt und fallen Ihnen jetzt schon auf die Füße.

Die Versuche der Kollegen Bäumer und Hocker, den Stellenwert der Grenzwertüberschreitung am Zwischenlager Gorleben klein zu rechnen und herunterzuspielen, waren inhaltliche Nullnummern und einfach erbärmlich. Herr Bäumer, Herr Hocker, hätten Sie eine solche Atomanlage in Ihren Heimatkommunen, Ihnen würden die Menschen dort das schwarz-gelbe Atomfell über die verschlossenen Ohren ziehen, und das nicht nur an der Urne wie bei Frau Bertholdes im Wendland.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie schwadronierten hier von toten Pferden und forderten uns auf, die kommenden Castoren durchzuwinken. Ich sage Ihnen, das tote Pferd, Herr Hocker, ist die FDP. Das andere, Herr Bäumer, ist eine Aufforderung zu einer Straftat, nämlich der Bruch von Auflagen der Betriebsgenehmigung des Zwischenlagers.

(Martin Bäumer [CDU]: Herr Herzog, das ist Quatsch!)

Die Unbelehrbarkeit, die Sie hier an den Tag legen, Ihre Unfähigkeit, die messtechnischen Un

glaublichkeiten überhaupt zu erfassen, ist erschütternd. Sie leugnen weiter alle Folgen der Strahlung. Die Vor-Fukushima-Denke steckt noch bis in die Haarwurzeln in Ihnen. Sie begreifen nicht, wie mit manipulierten Abzugswerten der natürlichen Hintergrundstrahlung schon über Jahre die Schließung des Zwischenlagers verhindert wurde. Wie der sogenannte ungünstigste Messpunkt am Zaun wie beim Murmelspielen verschoben wird, aber eben nicht ermittelt wird, das will nicht hinein in Ihren vernagelten Kopf.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Die wollen nicht begreifen!)

Der Kreistag Lüchow-Dannenberg, Herr Hocker, wird nächste Woche einen Beschluss mit glasklaren Forderungen an die Atomaufsicht, das SanderMinisterium, senden. Seit Sonntag gestärkt durch eine Zweidrittelmehrheit gegen Atom, werden wir nicht mehr akzeptieren, wie unser Landrat abgewimmelt wird.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Wir verlangen, bei den jetzt geplanten Messungen von PTB und NLWKN, sofern sie nicht schon heimlich gemacht worden sind, durch eigene Sachverständige hinzugezogen zu werden. Wir wollen klare Auskunft über das Umstellen der Castoren im Lager. Verschlusssachen und Betriebsgeheimnisse waren gestern.

Wir wollen, dass sich alle Rechenkünstler von Behörden und Betreiber in einer öffentlichen Sitzung unseres Atomausschusses den Argumenten der Sachverständigen der Fachgruppe Radioaktivität stellen. Wir werden zum Thema „verlorene Mädchen“ eben dort das Landesgesundheitsamt den Verfassern der Studie gegenübersetzen, die den Effekt von Gorleben feststellten. Ich sage Ihnen jetzt schon: Schweigen ist feige, verschweigen ist Lobbydienst für den Betreiber, Nichterscheinen ist ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau zu diesen Sitzungen, Herr Hocker, Herr Bäumer, lade ich Sie jetzt schon ein. Da können Sie eine Menge lernen. Sie können lernen, damit aufzuhören, sich mit politischem Silberblick an den Fakten vorbeizumogeln.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Selbstverständlich wird der Lüchow-Dannenberger Kreistag die Verhinderung der Beladung der Castoren in La Hague fordern und natürlich auch die

umgehende Aussetzung des Castortransports, wenn nötig, mit rechtlichen Schritten. Wat mutt, dat mutt.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Silberlocke!)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Hocker das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für den Silberblick, Herr Kollege Herzog. Mit einer Silberlocke lässt sich so etwas manchmal recht leicht sagen.

Ich muss Ihnen eines sagen: Bei dem Castortransport 2011 müssen die Grenzwerte eingehalten werden. Das ist doch aber gar nicht die Frage. Ihr politisches Kalkül spricht aus jedem Wort, das Sie hier von sich geben. Sie möchten den Castortransport gerne ein Jahr später stattfinden lassen, und zwar 2012.

(Zuruf von der LINKEN: Gar nicht!)

Dass Sie daraus politisches Kapital schlagen wollen, ist auch offensichtlich. Es ist beschämend, wie Sie aus diesem Thema tatsächlich noch Wahlkampfmanöver ableiten.

(Detlef Tanke [SPD]: Solche Unter- stellungen sind beschämend, Herr Kollege!)

Ich glaube nicht, dass Sie damit in Zukunft erfolgreich sein werden, meine Damen und Herren.

Zum Thema sekundäres Geschlechterverhältnis. Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass es da eine Abweichung gibt. Sie beträgt im Landkreis Lüchow-Dannenberg ungefähr 5 %. Darüber gibt es keinen Zweifel. Aber die Frage ist ganz einfach, ob das wirklich Anlass zu der Skandalisierung sein kann, die Sie hier zu initiieren versuchen. Es gibt andere Landkreise in Niedersachsen, in denen es genauso große oder sogar noch größere Abweichungen, Herr Kollege Herzog, beim sekundären Geschlechterverhältnis gibt. Es gibt sogar Regionen und Gemeinden in Niedersachsen, in denen mehr Mädchen geboren werden, obwohl eine kerntechnische Anlage meilenweit von diesen Regionen entfernt ist. Man nennt so etwas Abweichungen vom Mittelwert. Man nennt so etwas Varianz. Man nennt so etwas Standardabweichung. Wenn

man vielleicht ein paar Semester Statistikvorlesungen genossen hat, dann kann man da auch mitreden, Herr Kollege Herzog.

(Kurt Herzog [LINKE]: Das habe ich im Gegensatz zu Ihnen gemacht!)

- Woher wissen Sie, dass ich keine Statistikvorlesungen besucht habe? Ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert und habe mir vier Semester lang Statistikanhörungen anhören dürfen.