Protokoll der Sitzung vom 09.11.2011

(Heinz Rolfes [CDU]: Sind Sie für Steuererhöhungen?)

Die schwarz-gelbe Bundesregierung erwartet eine Neuverschuldung von über 85 Milliarden Euro bis 2015, noch ohne die Steuersenkungen vom Wochenende einzurechnen. Ja bitte! Da haben Sie noch genug zu tun, dafür zu sorgen, dass dieses Defizit gesenkt wird. Die Steuersenkung, die Sie hier vorhaben, ist absolut das falscheste Instrument und die falsche Medizin für unsere Wirtschaft.

Statt sich in Steuersenkungsfantasien zu ergehen, die von Ministerpräsident McAllister in vorauseilendem Gehorsam sogar schon abgenickt wurden, sollten CDU und FDP mit uns endlich einen Mindestlohn einführen und den dringend notwendigen Abbau von schädlichen Subventionen auf Bundesebene durchsetzen. So könnten Sie eine mehrfache Rendite einfahren, sowohl ökologisch als auch haushalterisch und ordnungspolitisch. Das wäre tatsächlich der Weg zu stabilem und nachhaltigem Wachstum in der Republik.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Jens Nacke [CDU]: Herr Hage- nah, Sie sollten mehr Zeitung lesen! Nicht nur die Bilder, so wie Herr Ad- ler!)

Als nächster Redner hat Herr Grascha für die FDPFraktion das Wort. Bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben im Moment die Situation, dass wir, wie Herr Rolfes ausgeführt hat, wirtschaftlich in Deutschland und in Niedersachsen in einer äußerst guten Situation stecken, aber währungspolitisch in einer durchaus schwierigen Situation sind und in einem schwierigen Umfeld Politik machen müssen. CDU und FDP machen deshalb sowohl in Niedersachsen als auch auf Bundesebene eine Politik mit Augenmaß und wirtschaftlicher Vernunft. Das ist in dieser Situation auch geboten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Unser Land hat sich in Europa mittlerweile vom „kranken Mann“ zum Stabilitätsanker entwickelt. Wir sind bei den Arbeitsmarktzahlen führend - mit der geringsten Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren und der geringsten Jugendarbeitslosigkeit. Auch das ist etwas, was insbesondere im Vergleich zu anderen europäischen Ländern besonders hervorzuheben ist. Wir sind beim Wachstum führend, und wir sind bei der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte führend. Es wäre sonst nicht zu erklären, warum Deutschland zurzeit im Vergleich zu anderen Ländern so geringe Zinsen zahlen muss.

Die Beschlüsse vom Wochenende - auch das hat der Kollege Rolfes schon gesagt - unterstützen diese Position und diese wirtschaftliche Stärke unseres Landes. Das gilt nicht nur für die Beschlüsse vom Wochenende, sondern natürlich auch für die Beschlüsse der vergangenen Jahre. Dazu möchte ich ausdrücklich auch die Hartz-IVReform, die Arbeitsmarktreform der SPD-geführten Bundesregierung, hier hervorheben. Meine Damen und Herren, ich weiß, dass Sie sich mittlerweile für diese Politik schämen und sich davon distanzieren.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Liebe Frau Geuter, Sie haben uns gerade zum Gralshüter von Recht und Verfassung gemacht. Das möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Aber wir sind mittlerweile auch Gralshüter der SPDArbeitsmarktpolitik.

(Zuruf von der SPD)

Es geht um die Frage der Steuergerechtigkeit. Da möchte ich schon einmal die Frage an die Opposition richten: Was ist eigentlich der Punkt? Droht der Untergang des Abendlandes, wenn wir ein

Stück weit Steuergerechtigkeit in Deutschland einführen?

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Was ist daran gerecht?)

Brechen damit die öffentlichen Haushalte zusammen? Oder ist es die andere Position - das ist das andere Argument, das wir immer wieder hören -, ist es eine wirkungslose Maßnahme? - Es kann nur eines von beiden sein.

Wenn man sich die Zahlen ansieht - es ist interessant, die Zahlen der aktuellen Steuerschätzung zu sehen -, stellt man fest, dass wir 2013 gesamtstaatlich 613 Milliarden Euro Steuereinnahmen haben werden. Das ist eine Rekordeinnahme. 571 Milliarden Euro 2011 waren ebenfalls schon eine Rekordeinnahme.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Lesen Sie doch einmal die Ausgaben vor!)

Wenn man davon jetzt 6 Milliarden Euro nimmt, um ein Stück weit Steuergerechtigkeit zu schaffen, kann man weiß Gott nicht vom Untergang des Abendlandes reden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Sagen Sie doch mal etwas zur Verschuldung!)

Es ist doch immer wieder bemerkenswert - das hat Herr Hagenah mit seinem Redebeitrag bestätigt -: Sie richten immer nur den Blick auf Hartz-IVEmpfänger auf der einen Seite oder auf Millionäre auf der anderen Seite. Mit diesem Blick kann man aber das Land nicht vernünftig regieren. Uns geht es um die wirtschaftliche Mitte, uns geht es um den wirtschaftlichen und den bürgerlichen Mittelstand in diesem Land.

Die kalte Progression - das ist ein interessanter Aspekt - werden wir jetzt dauerhaft angehen. Auch das ist ein Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik. Ein Arbeitnehmer in Deutschland, der beispielsweise 3 000 Euro Bruttoeinkommen hat und 3 % Tarifsteigerungen bekommt, durfte bisher weniger als 50 % von seiner Tariferhöhung behalten. Zukünftig wird er 75 % - also drei Viertel - dieser Tariferhöhung behalten können. Das macht den Unterscheid. Das schafft ein Stück weit Steuergerechtigkeit in diesem Land.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Etwas ist schon bemerkenswert, und diese Frage muss man an die Opposition stellen: Wie verhält

sich die Opposition eigentlich beim Grundfreibetrag? Stimmen Sie dem im Bundesrat zu? - Aus dem Wortbeitrag von Frau Geuter konnte ich das bisher noch nicht erkennen. Ich stelle hier nur fest: Die SPD verrät mittlerweile ihre ursprüngliche Klientel, nämlich die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Hans-Dieter Haase [SPD]: Ein unge- heuerlicher Vorwurf!)

Ich möchte noch auf einen weiteren Themenbereich zu sprechen kommen, nämlich auf die Pflegereform, die bisher noch nicht thematisiert worden ist. Auf der einen Seite schaffen wir hier zusätzliche Leistungen durch die Pflegepolitik. Wir kümmern uns insbesondere um Demenzkranke. Wir wollen Angehörige entlasten. Auf der anderen Seite - ich glaube, das ist das Entscheidende - erhöhen wir den Beitrag mit Augenmaß. Das ist in dieser wirtschaftlichen Situation sehr vernünftig. Angesichts der demografischen Situation ist es besonders wichtig, dass wir damit starten, eine kapitalgedeckte private Vorsorge in der Pflege einzuführen.

Ich komme zum Schluss. Es bleibt offen, wie sich die SPD verhält, ob sie die Erhöhung des Grundfreibetrages reduziert und ob sie weiterhin den Blick nur auf Hartz-IV-Empfänger und auf Millionäre richtet. Die Alternative zu dieser Politik ist: Wir wollen Wachstumskräfte stärken, wir sind für den wirtschaftlichen und für den bürgerlichen Mittelstand.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Ministerpräsident McAllister hat sich zu Wort gemeldet. - Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nur einige wenige Anmerkungen zu den Ergebnissen des Koalitionsgipfels vom Sonntag aus Sicht der Landesregierung machen.

Die erste Anmerkung gilt dem Thema Steuern. Wir haben es heute Morgen erörtert, und es ist allen bekannt: Die Koalition hat beschlossen, bei der Einkommensteuer den Grundfreibetrag zu erhöhen und zugleich die kalte Progression abzumildern. Den Grundfreibetrag anzuheben, ist verfassungsrechtlich geboten und muss ohnehin spätestens

zum 1. Januar 2014 erfolgen. Die Kosten in Höhe von 4 Milliarden Euro sollen sich Bund und Länder teilen. Ich sage hier eines ausdrücklich: Die Anhebung des Grundfreibetrages ist in der Tat ein Beitrag zu mehr Fairness und Steuergerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Insbesondere die Einlassungen der SPD in den letzten 48 Stunden geben Anlass zu Zweifeln. Ich dachte, dass es bisher einen Konsens zwischen Regierung und Opposition darüber gibt, den Grundfreibetrag der Entwicklung des Existenzminimums anzupassen. Die letzte Anpassung erfolgte durch die Große Koalition 2009. Die Begründung lautete damals wie jetzt auch: Wir tun etwas für die Bezieher von kleineren und mittleren Einkommen. Dass ausgerechnet Sozialdemokraten sich dagegen aussprechen, verwundert und überrascht sehr und ist überhaupt nicht nachvollziehbar.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine zweite Anmerkung: Die Bundesregierung plant, die kalte Progression abzumildern. Die Kosten in Höhe von 2 Milliarden Euro, die entstehen, um die kalte Progression abzumildern, will der Bund vollständig übernehmen. Insofern gibt es schon der Sache nach für Landesregierungen keinen Grund, dies im Bundesrat abzulehnen. Davon unabhängig - ich wiederhole es - war und ist die kalte Progression die größte Ungerechtigkeit im deutschen Steuersystem. Sie ist einfach leistungsfeindlich. Deshalb muss sie wirksam bekämpft werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das sehen nicht nur Union und FDP, Bundesregierung und Landesregierung so. Ich zitiere aus der Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2011 der sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute vom 13. Oktober 2011 - also ganz aktuell. Dort steht auf Seite 61 geschrieben:

„Die gute Finanzlage des Staates ist zum Teil aber auch auf die höhere Inflation zurückzuführen, die bei einem progressiven Einkommensteuertarif dauerhafte Mehreinnahmen generiert (kalte Progression) , denen keine erhöhte Leistungsfähigkeit der Besteuerten gegenübersteht. Aus Sicht der Institute sollten diese Mehreinnahmen nicht der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte dienen oder andere Konsolidierungsmaßnahmen erset

zen, sondern an die Steuerzahler zurückgegeben werden...“

Wir haben es Schwarz auf Weiß, dass diese Politik richtig ist. Der Einstieg in den Ausstieg aus der kalten Progression ist ein Gebot der Steuergerechtigkeit und der Leistungsunterstützung im deutschen Steuersystem.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nun möchte ich noch eine Anmerkung zum Begriff „Steuergeschenke“ machen, den Sozialdemokraten, Grüne und erwartungsgemäß auch Linke in den letzten 48 Stunden öffentlich genannt haben. Wer von Steuergeschenken spricht, verrät auch eine Einstellung zum Thema Steuern und Abgaben. Ich finde, Albrecht Scheuermann hat das in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung von gestern zutreffend kommentiert. Ich zitiere:

„Ganz verquer wird es, wenn gesagt wird, ‚Steuergeschenke’ passten nicht in die Zeit. Steuern sind zwangsweise auferlegte Abgaben zur Finanzierung der Staatsausgaben. Von einem Geschenk zu sprechen, wenn der Staat seinen Zugriff auf das Geld der Bürger etwas lockert, zeugt von einem seltsamen Staatsverständnis -“

(Jens Nacke [CDU]: Richtig!)

„als habe der Staat Anspruch auf alles, was die Bürger erwirtschaften, und als sei er gnädig, wenn er nicht alles einsteckt.“

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, recht hat Albrecht Scheuermann! Sie verraten ein ganz verqueres Staatsverständnis.