Es liegt auf der Hand, dass das dahinter stehende Interesse der Landesregierung dahin geht, diese als volljährig erklärten Menschen zum einen aus
dem Zuständigkeitsbereich der Jugendämter zu bringen - dies haben wir gerade gehört - und zum anderen ohne jugendschutzrechtliche Hindernisse aus dem Land zu schaffen. Bei Jüngeren wurden in Niedersachsen 85 ärztliche Überprüfungen durchgeführt, die in 63 Fällen zu Altersheraufsetzungen geführt haben.
Die Fraktion der Linken hat eine gleichlautende Große Anfrage in Schleswig-Holstein gestellt. Vergleichen Sie bitte einmal die Zahlen mit denen in diesem Bundesland!
Nach wie vor ist unklar, auf welcher Rechtsgrundlage die körperlichen Eingriffe bei radiologischen Handwurzeluntersuchungen vorgenommen werden bzw. wie rechtlich tragfähig ein gegebenenfalls vorliegendes Einverständnis der minderjährigen Betroffenen ist. Das ist die entscheidende Frage. Wir reden hier erst einmal von minderjährigen Personen.
Dieser ganze Verfahrensbereich inklusive der Tatsache, dass in Niedersachsen wie auch in anderen Bundesländern keine rechtsmittelfähigen Bescheide über die Altersfeststellung ergehen, ist grund- und menschenrechtlich äußerst fragwürdig.
Und dann frage ich mich, wie Sie hier von der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention sprechen können. Auch das wäre natürlich ein Thema für die Kinderministerin. Minderjährige werden hier zum Spielball der Behörden gemacht.
Sie können die Berichte von Terre des Hommes - die Bundeszentrale ist in Osnabrück - über Kindersoldaten lesen. Es ist wirklich sehr traurig, dass die Kinder dann in Deutschland noch mit solchen Verfahren konfrontiert werden. Das zeigen konkrete Fälle. Ich könnte Ihnen einige nennen. Sie werden zum Teil nicht gewissenhaft oder entgegen den Interessen der Betroffenen ausgeübt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Antwort der Landesregierung zeigt - wie auch schon frühere Antworten auf Anfragen meiner Fraktion -, dass die Rücknahme der Vorbehalte gegenüber der UNKinderrechtskonvention noch immer zu keinen Konsequenzen geführt hat. Sowohl die Bundes- als auch diese Landesregierung weigern sich in unverantwortlicher Weise, diese Konsequenzen im
Sinne des Kindeswohls zu ziehen. Deshalb möchte ich abschließend mit Erlaubnis der Präsidentin Artikel 3 der Konvention zitieren.
„Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“
Danke schön. - Für die Landesregierung hat sich noch einmal Herr Minister Schünemann zu Wort gemeldet. Sie haben das Wort. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, dass ich gleich noch einmal an das Redepult gehe. Aber es sind so viele Unterstellungen vorgebracht worden, die man einfach nicht hinnehmen kann.
Zunächst einmal ist dargestellt worden, dass wir Minderjährige in Haft nehmen würden, um sie dann abzuschieben. Das ist in Niedersachsen keine Praxis. Ich möchte diese Fälle gern einmal sehen. Dies kann allerdings in Ausnahmefällen bei Minderjährigen zwischen 16 und 18 Jahren der Fall gewesen sein, die mehrfach straffällig geworden sind. Nennen Sie mir bitte diese Fälle!
Ich kann Ihnen sagen, dass dies in Niedersachsen nicht die Praxis ist. Deshalb möchte ich gerne die Fälle sehen, bei denen nicht begleitete Kinder und Jugendliche vor ihrer Abschiebung in Haft genommen worden sind. Das kann ich zurückweisen. Wie gesagt: In Ausnahmefällen, wenn sie mehrfach
straffällig geworden sind, kann dies der Fall sein. Das ist aber etwas anderes. Es ist wohl klar, dass dann so etwas gemacht werden muss.
Der zweite Punkt: Hier ist dargestellt worden, dass die Ausländerbehörden ärztliche Untersuchungen anordnen, die in anderen Bundesländern keine Praxis sind. Das ist nicht richtig. Zum einen haben die Ausländerbehörden nichts damit zu tun; das machen die Jugendämter. Zum anderen ist eine Feststellung des Alters nur mit den Möglichkeiten machbar, die hier genannt worden sind. Auch in anderen Bundesländern kann nur diese Praxis umgesetzt werden.
Ich möchte noch einen dritten Punkt anführen, der schlichtweg zurückgewiesen werden muss. Sie haben hier dargestellt, dass Niedersachsen, anders als andere Bundesländer, den Ausländerbehörden keinen Spielraum geben würde, um humanitäre Entscheidungen zu treffen. Das ist nicht machbar, weil wir nach unserem Ausländerrecht, das bundesweit gilt, also auch in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz, keinen Spielraum in diesem Sinne haben. Insofern kann keine Landesregierung diesen Spielraum gegeben haben.
Frau Polat, Sie haben den Fall angesprochen, der heute in den Medien steht. Ich darf darauf hinweisen, dass dieser Fall auch hier im Landtag mehrfach diskutiert worden ist. Ich mache auf Folgendes aufmerksam: Bevor die Härtefallkommission damit befasst worden ist, gab es ein Petitionsverfahren. Dieser Fall wurde im Petitionsausschuss behandelt. Er ist einstimmig - nicht nur im Ausschuss, sondern anschließend auch hier im Landtag; ich glaube, es gab eine Enthaltung; das ist trotzdem einstimmig - mit „Sach- und Rechtslage“ beschieden worden. Danach ist der Fall noch einmal behandelt worden, und zwar in der Härtefallkommission. Auch dort ist es nicht zu einem Ersuchen gekommen, sodass ich als Innenminister keine Möglichkeit gehabt habe, anders zu entscheiden. Aus diesem Grunde sollte man sich jeden Fall genau anschauen.
Ich darf nur darauf hinweisen, dass es eine Initiative dieses Innenministers, aber auch der Landesregierung gewesen ist, dass wir gerade Jugendlichen die Möglichkeit geben, bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs unabhängig von den Eltern ein Aufenthaltsrecht zu erhalten, weil man sie nicht für Fehlleistungen der Eltern in Haft nehmen kann.
Insofern ist es meiner Ansicht nach nicht zu kritisieren, dass man hier einer Volljährigen die Möglichkeit gegeben hat hierzubleiben. Deshalb sollte man die Fakten auf den Tisch legen und nicht so tun, als sehe ein sehr kleiner Teil die Humanität nicht. Ich kann vielmehr nochmals feststellen: Im Petitionsverfahren ist hierzu einstimmig „Sach- und Rechtslage“ entschieden worden. Anschließend gab es weitere Verfahren: Asylfolgeantrag, Gerichtsverfahren. Diese sind so beschieden und entschieden worden, dass schließlich abgeschoben werden musste.
Ich habe eine Nachfrage zu Ihrer Aussage, unter Ihrer Landesregierung gebe es in Niedersachsen keinerlei Praxis, Minderjährige in Abschiebehaft zu nehmen. Sie sagten, das geschehe nur in Ausnahmefällen.
Mir liegt dazu Ihre Antwort auf eine Kleine Anfrage von Frau Polat und mir vor. Darin geben Sie die Anzahl der Minderjährigen - die Daten standen nur für die männlichen zur Verfügung - in Abschiebehaft an: 78 im Jahre 2003 - auch damals hatten Sie schon regiert -, 65 im Jahr 2004, 43 im Jahr 2005, 7 im Jahr 2006, für die Jahre 2007 und 2008 in der Tat keine männlichen. Sie sagen ausdrücklich, über weibliche Minderjährige in Abschiebehaft könnten Sie keine Angaben machen.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie für die Jahre 2009, 2010 und 2011 ausschließen, dass Minderjährige in Abschiebehaft genommen wurden und werden und dass das auch zukünftig nicht mehr erfolgen soll?
Ich habe dargestellt, dass wir Minderjährige, die nicht von Familien begleitet sind, nicht in Haft nehmen, es sei denn - das ist der Ausnahmefall -,
es liegt Straffälligkeit vor, weshalb es angezeigt ist, sie in Abschiebehaft zu nehmen. Das habe ich hier gesagt, das ist mir mitgeteilt worden.
- Wenn diese Minderjährigen straffällig geworden sind und eine Gefährdung besteht, kann es sein, dass sie vor einer Abschiebung in Abschiebehaft genommen worden sind. Aber dabei - so ist mir das dargestellt worden - handelt es sich um Einzelfälle.
Zusammenfassend ist mir sehr wichtig, zu sagen, dass hier in diesem Hause immer wieder dargelegt wird, als wenn Ausländerbehörden oder vielleicht auch diese Landesregierung ganz gezielt inhuman handelt. Was dann bei den Abschiebungen passieren muss, stellt immer eine sehr schwierige Situation dar, gerade auch für diejenigen, die das durchzuführen haben.
Aber wir leben hier in einem Rechtsstaat, in dem man viele Möglichkeiten hat, den Rechtsweg zu beschreiten. Dieser ist so gestaltet, dass es oftmals zu sehr langen Verfahren kommt, was wiederum für die Betroffenen sehr schwierig ist. Das darf man aber nicht den Behörden und dem Rechtsstaat vorwerfen, sondern das ist auch eine Folge dessen, dass man dieses Recht in Anspruch genommen hat. Das ist auch nicht zu kritisieren.
Hier darzustellen, dass man schlichtweg inhuman handelt, kann man nicht hinnehmen. Das ist nicht richtig. Das Recht gilt nicht nur in Niedersachsen, sondern auch in anderen Bundesländern ganz genauso.
Insofern muss man sich jeden Einzellfall genau anschauen. Bevor man hier die Betroffenheit erzeugt, sollte man sich daran erinnern, was man im Petitionsverfahren und im Landtag selbst beschlossen hat.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines möchte ich vorausschicken: Wir würden die Härtefallkommission nicht so kritisieren, wenn die Vorgaben andere wären, unter denen sie zu handeln hat. So geht es beispielsweise um das Thema, das wir heute angesprochen haben: Warum soll es nicht möglich sein, dass ein Härtefallverfahren auch noch angestrengt werden kann, kurz bevor jemand für die Abschiebung ins Flugzeug gesetzt wird? Das wäre die Lösung.