Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Herr Kollege Nacke, wenn Recht und Gesetz noch heute Familien auseinanderreißen, Abschiebehaft angeordnet wird, obwohl Zweifel bestehen, und Menschen durch die Abschiebung in politisch unsichere Gegenden zurückgeführt werden, dann müssen wir Recht und Gesetz im Interesse derjenigen Menschen, die davon betroffen sind, gemeinsam ändern. Das macht unsere Bundestagsfraktion mit Blick auf die Bleiberechtsregelung, und wir haben andere Vorstellungen von der Zusammensetzung und den Rechten der Härtefallkommission. Das wollte ich einmal einleitend sagen.
Wir haben hier gestern über die inhumane Flüchtlingspolitik und die Abschiebepraxis in Niedersachsen debattiert. Ich möchte nur auf einige Fälle eingehen. Ein Fall hat uns hier im Plenum lange beschäftigt, und er ist heute aktueller denn je. Das ist der tragische Selbstmord des Slawik K. bzw.
Meine Damen und Herren, dieser Mensch war verzweifelt. Er befand sich in Abschiebehaft. Er sollte alleine als älterer Mann, der hier seine Familie und sein Zuhause hatte und an seinem Wohnort voll integriert war, in sein Herkunftsland abgeschoben werden, in dem er keine Perspektive gehabt hätte. Dies alles, meine Damen und Herren, hat wahrscheinlich zum tragischen Selbstmord geführt.
Deshalb haben wir gemeinsam mit den Grünen den Entschließungsantrag „Abschiebehaft abschaffen, EU-Rückführungsrichtlinie umsetzen“ eingebracht, der sich gegenwärtig in den Ausschussberatungen befindet. Da müssen wir im Interesse der betroffenen Menschen etwas machen. Meine Damen und Herren, ich bitte hier um Ihre Unterstützung.
Jetzt, ein Jahr nach diesem tragischen Fall, wird durch den Bundesgerichtshof im Nachhinein festgestellt, dass die niedersächsische Abschiebepraxis rechtswidrig war. Im Fall des Herrn Slawik K. haben sich vorher auch Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Einzelpersonen gegen die Abschiebepraxis und die inhumane Härte zu Wort gemeldet. Fast ein Jahr später haben wir nun die höchstrichterliche Bestätigung. Der Rechtsanwalt Fahlbusch, der Flüchtlinge berät, hat gesagt, dass er in seiner Praxis rechtskräftige Entscheidungen zu 288 Menschen hat, bei denen eine Abschiebehaft nicht hätte angeordnet werden dürfen.
Meine Damen und Herren, kein Schicksal von Flüchtlingen ist gleich. Wir müssen Einzelfallprüfungen intensiv beraten. Die zurzeit zur Verfügung stehenden Instrumente reichen hierfür aus unserer Sicht aber absolut nicht aus, auch nicht Ihre Veränderung der Rechte der Härtefallkommission, Herr Minister Schünemann. Hierzu haben sich ja namhafte Leute zu Wort gemeldet. Beispielhaft erwähnen möchte ich Bischof Weber und Herbert Schmalstieg. Hier sind aus unserer Sicht sogar noch Verschlechterungen eingetreten.
Meine Damen und Herren, so etwas wie die Abschiebung der vietnamesischen Familie aus Hoya darf nicht mehr passieren. Auch hier ist eine Familie auseinandergerissen worden. Sie haben gesagt: Recht und Gesetz. - Sie hätten Ihren Spielraum unserer Auffassung nach aber erweitern können und diese Familie nicht abschieben müs
sen. Sie haben gesagt: Zuerst sind sie abgetaucht - entschuldigen Sie, dass ich das sage, Herr Minister -, dann haben sie sich nicht geäußert und sich auf reine formale Rechtssachen berufen. Erst als sich Kirchen, Wohlfahrtsorganisationen, Mitglieder Ihrer Bundestagsfraktion und namhafte Leute, die diese Abschiebepraxis aufgrund ihres christlichen Weltbildes nicht vertreten konnten, zu Wort gemeldet haben, kam plötzlich ein Wandel. Ich denke, das liegt wahrscheinlich auch an dem kleinen Koalitionspartner und seinem Positionspapier dazu. Die FDP hat dort versucht, entsprechend Druck zu machen. Deswegen haben Sie jetzt gesagt, dass Sie die Familie zurückführen. Sie ist leider noch nicht da. Wir werden darauf warten. So einfach scheint es im Endeffekt ja auch nicht zu sein.
Meine Damen und Herren, wir haben aktuell den Fall einer Familie aus Cuxhaven. Diese Familie hat keine Pässe. Die alten Pässe der Sowjetunion sind von der Ausländerbehörde damals eingezogen worden. Sie sind verschwunden. Das ist nicht ein Versagen der Familie, sondern der Ausländerbehörde.
Anhand dieses Beispiels wurde gesagt: Na ja, gut, sie sind 20 Jahre hier und können hier eingebürgert werden, wenn sie Pässe beschaffen. - Die Familie ist berufstätig. Sie bekommt keine Unterstützung. Meines Erachtens kann man denen nicht sagen, dass sie in die Russische Föderation einreisen müssten.
Das ist mit Geld verbunden. Das wollen wir nicht. Ihre Abschiebepraxis und Ihre Flüchtlingspolitik sind mit unseren Vorstellungen nicht vereinbar.
Meine Damen und Herren, zu Wort gemeldet hat sich jetzt Herr Oetjen. Herr Oetjen, Sie haben das Wort.
Einwanderungsland. Menschen aus fremden Ländern und Kulturen bereichern unsere Gesellschaft. Als Industrienation mit einem überdurchschnittlich hohen Wohlstand und vor dem Hintergrund der Geschichte in diesem Land haben wir eine besondere Verantwortung, das Grundrecht auf Asyl ernst zu nehmen. Wir haben auch eine besondere Verantwortung, Flüchtlinge in diesem Land akzeptabel zu behandeln, und zwar gerade vor dem Hintergrund, dass auch viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger selbst aus Familien stammen, die aus ihrer Heimat vertrieben worden waren und als Flüchtlinge hierher gekommen sind.
Vor diesem Hintergrund halten wir es für sinnvoll, dass wir von der UN anerkannte Flüchtlinge aus Nordafrika angesichts der dortigen dramatischen humanitären Situation im Rahmen eines Programms nach Europa holen, um die Situation vor Ort zu entschärfen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Als Liberale halten wir auch Regelungen im Asylrecht für verbesserungswürdig. Asylverfahren dauern in Deutschland zu lange. Wir alle wissen, dass der Zeitraum von der Antragsstellung bis zur Entscheidung zu groß ist. Wir haben langfristige Duldungen - manche sprechen von Kettenduldungen -, insbesondere von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten. Früher waren es Kriegsgebiete wie der Kosovo, heute sind es Kriegsgebiete wie Afghanistan und der Irak.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass wir uns als Gesellschaft darum bemühen müssen, diese Lebensschicksale, die Wirklichkeit der Menschen, die ihre Heimat verloren haben und hier leben, anzuerkennen; denn diese Menschen sind bei uns oft gut integriert, haben hier ihre Kinder bekommen, die zur Schule gehen, und haben hier Arbeit. Deshalb brauchen wir auch gerade in dieser Frage bessere Regelungen im Bleiberecht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Auf der anderen Seite müssen wir aber auch im Rahmen der Integration noch mehr tun als in der Vergangenheit. Sie wissen, dass wir 800 000 Euro zusätzlich in den Haushalt eingestellt haben, um zum einen Wegweiserkurse in den Landesaufnahmestellen durchzuführen und um zum anderen auch die Sprachförderung zu verbessern. Anders,
als es heute im rundblick stand, geht es auch um Sprachförderung; denn Sprache ist der Schlüssel für Integration. Deshalb ist jeder Tag, an dem Menschen die deutsche Sprache erlernen, ein gewonnener Tag im Sinne der Integration.
Bis wir die Verbesserungen im Bleiberecht erreicht haben, müssen wir unserer Überzeugung nach den Zugang zur Härtefallkommission erleichtern. Ich sage hier ganz deutlich - gerade ist ja auch schon von der Kollegin Leuschner darauf hingewiesen worden, dass es zu dem Thema Stimmen von Bischof Weber und auch von Herbert Schmalstieg gibt -: Wir als FDP-Fraktion sind dafür offen. Wenn konkrete praktikable Vorschläge aus der Mitte der Härtefallkommission vorgebracht werden, dann ist es unsere Aufgabe, diese zu prüfen und zu diskutieren und mögliche Verbesserungen auf den Weg zu bringen.
Der Herr Ministerpräsident hat gestern in seinem Wortbeitrag einzelne Abschiebefälle, die hier aufgezählt worden sind, sehr intensiv beleuchtet. Ich glaube, dass insbesondere der Fall der Familie Nguyen deutlich gemacht hat, dass auch ein Informationsdefizit bestanden hat, weshalb es sinnvoll ist, die betreffenden Familien im Rahmen des Verfahrens, wie es der Herr Innenminister vorgeschlagen hat, auf den Zeitraum von vier Wochen, in dem es nicht möglich ist, einen Abschiebetermin festzusetzen, hinzuweisen, damit der Härtefallkommission solche Fälle nicht mehr durchgehen.
Gerade dieser Vorschlag, der von Uwe Schünemann gemacht wurde, zeigt doch, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir pragmatisch im Sinne dieser Menschen handeln und Vorschläge einbringen, dass uns solche Fälle aber nicht einfach kalt lassen, sondern dass wir daraus lernen. Das ist der Weg, den wir fortsetzen müssen.
Der Fall Slawik C. ist ebenfalls schon angesprochen worden. Dieser Fall ist sehr tragisch. Der Bundesgerichtshof hat einen Formfehler im Rahmen des Verfahrens festgestellt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Bundesgerichtshof die Abschiebehaftgründe gar nicht erst geprüft hat. Das zeigt mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir natürlich für Verbesserungen im Sinne des Rechts, wie es die Kollegin Leuschner gesagt hat, arbeiten und kämpfen müssen.
Alle diese Fälle sind nicht zu kritisieren, sondern sie sind nach Recht und Gesetz abgehandelt worden.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Das ist in Teilen Rechtsbeugung, Herr Oetjen!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Recht auf Asyl ist im Grundgesetz verankert. Das ist eine klare Botschaft: Jeder, der - egal wo in der Welt - politisch oder auch aufgrund seines Geschlechts verfolgt wird, hat in Deutschland Asylrecht. Mir war es auch als Integrationsminister sehr wichtig, dass diejenigen, die sich legal, mit einem Aufenthaltsstatus, in Deutschland und gerade in Niedersachsen aufhalten, so schnell wie möglich integriert werden.
Ich glaube, dass wir hier in Niedersachsen sagen können, dass wir viel auf den Weg gebracht haben und in diesem Bereich wirklich vorbildlich sind.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Nach 20 Jahren schicken Sie die Leute nach Hause!)
Eine der wirklichen Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland seit über 65 Jahren ist, dass wir in einem Rechtsstaat leben.