Protokoll der Sitzung vom 22.02.2012

Um das Gesagte abzurunden: Nach Bekanntwerden der Vorschläge der EU-Kommission sind wir gemeinsam vorgegangen. Wir haben eine Unterrichtung zu diesem Thema im Europaausschuss beantragt. Das Wirtschaftsministerium hat auf dieser Basis alles unternommen und das von uns gewollte Abstimmungsverhalten im Bundesrat an den Tag gelegt. Es haben alle 16 Länder im Verkehrsausschuss des Bundesrates gegen die weitere Marktöffnung gestimmt. Das ist sogar auch im Wirtschaftsausschuss des Bundesrates geschehen, nur bei Enthaltung von Berlin.

In dem Antrag, den CDU und FDP vorgelegt haben, steht, dass CDU und FDP diese klare Linie der Landesregierung und deren Aktivitäten sehr begrüßen. Genau dieser Passus aber fehlt leider im SPD-Antrag, was wir nicht zulassen können. Deshalb schlagen wir unseren Antrag zur Abstimmung vor. In ihm steht u. a., dass wir gemeinsam mit der Bundesregierung, mit Europaabgeordneten und den Sozialpartnern am Ball bleiben, damit diese EU-Maßnahme endgültig abgelehnt wird.

(Zustimmung bei der CDU)

Deshalb sind wir der Meinung, dass Sie unserem Antrag gut zustimmen könnten; denn dann hätten wir heute ein Ergebnis. Die Unterschiede sind kreativ-marginal. Das Wesentliche aber wird von uns gemeinsam getragen. Also stimmen Sie unserem Antrag zu. Ich beantrage hiermit ganz so, wie Sie es wollen, liebe Frau Kollegin Polat, sofortige Abstimmung.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zu dem Beitrag von Herrn Dr. Matthiesen hat sich Frau Emmerich-Kopatsch zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben das Wort für anderthalb Minuten.

Sehr geehrter Herr Dr. Matthiesen, ich glaube Ihnen, und ich weiß auch, dass Sie es ernst meinen und tatsächlich gegen die Verabschiedung dieser Richtlinie sind. Trotzdem haben Sie sich eben ganz elegant drum herum gewunden, als Frau Kollegin Polat gefragt hat, was denn der Satz „Die Landesregierung möge sich dafür einsetzen, den Bereich der Bodenverkehrsdienste nur in angemessenem Maße zu öffnen“ heißt. Wir sagen: Gar nicht mehr öffnen. Schluss! Aus! - Das haben auch Sie gesagt. Was ist denn in Wirklichkeit passiert? - Herr Rickert hat es nicht richtig dargestellt. Er wollte keine Gewerkschaftslyrik, und wir wollten im Antrag keine Neoliberalismusprosa haben. Deswegen gibt es keinen gemeinsamen Antrag. Geht es jetzt um Anträge? Geht es um Sprache oder darum, die Beschäftigten vor weiteren Nachwirkungen von EU-Verordnungen zu schützen? - Wir müssen uns darum kümmern, dass es den Leuten gut geht. Hier geht es doch nicht um Sprache. Stimmen Sie also unserem Antrag zu! Wir öffnen nicht.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächste hat sich Frau Flauger von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf der EU-Verordnung sieht vor, dass noch mehr externe Abfertigungsunternehmen an den Flughäfen eingesetzt werden können. Damit würde sich die Konkurrenz um den gleich groß bleibenden Kuchen noch weiter verschärfen, und in der Folge würde das Ausmaß von Lohndumping und Leiharbeit auf den Flughäfen noch weiter zunehmen. Diese Aussicht scheint selbst die CDU zu schrecken. Ich zitiere den CDU-Staatsminister Michael Boddenberg aus Hessen aus dem Bundesratsprotokoll vom 10. Februar:

„Vor dem Hintergrund der aufgeführten Punkte wäre eine andere Position als eine eindeutige Ablehnung des Verordnungsentwurfs der EU-Kommission unverantwortlich.“

Recht hat er. Was aber machen CDU und FDP hier? - Da ist nichts mit „eindeutig“. Sie werfen hier Wattebäuschchen in den parlamentarischen Raum: mit der Bundesregierung in Kontakt bleiben, Kontakt mit den Abgeordneten des Europaparla

ments aus Niedersachsen pflegen, in angemessenem Maße öffnen. - Was Sie öffnen wollen - wenn überhaupt oder so -, scheinen Sie aber nicht so genau zu wissen. Meine Damen und Herren, das ist kein ernst zu nehmender Antrag. Auf diesen Antrag kann ich überhaupt nicht sinnvoll eingehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Eines will ich zu beiden Anträgen generell sagen: Alles, was hier gefordert wird, sind nur Reparaturmaßnahmen an einem maroden Prinzip, dessen Folgen sich nun konkret an den Flughäfen zeigen.

Die Verfasstheit der Europäischen Union, die Sie alle mit dem Lissabon-Vertrag abgesegnet haben, sieht nun einmal eine einseitige Ausrichtung auf Wettbewerb vor. Alle wissen, dass dieser Wettbewerb in lohnintensiven Branchen über Lohndumping auf dem Rücken der Menschen ausgetragen wird, wenn man dem keine Schutzmaßnahmen entgegensetzt. Das haben Sie alle nicht getan. Die Linke hat dagegen immer klar gefordert, dass soziale Grundrechte Vorrang vor wirtschaftlichen Freiheiten haben müssen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Liebe SPD, wir stimmen Ihrem Antrag zu. Ich möchte aber auch klar sagen: Sie haben mit Ihrer Agenda-2010-Politik das Lohndumping und die Leiharbeit, die Sie jetzt in Ihrem Antrag beklagen, erst möglich gemacht und gewollt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Bevor Sie sich auf der rechten Seite des Hauses zu doll freuen - ich glaube, im Moment hören Sie gar nicht zu -, will ich Ihnen sagen: An Ihnen arbeite ich mich zu diesem Thema nicht mehr ab; denn es hat keinen Zweck. Sie hätten am liebsten alles noch schlimmer gehabt. Deshalb äußern Sie sich an dieser Stelle am besten überhaupt nicht dazu.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe SPD, unter Ihrem Kanzler Schröder wurde die Leiharbeit massiv gefördert. Sie haben das Synchronisationsverbot abgeschafft. Sie haben die Kampfkraft der Gewerkschaften mit dem Damoklesschwert von Hartz IV geschwächt. Ihr ExKanzler hat 2005 stolz gesagt: Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt. - Gut, dass sich wenigstens die Linke diesem Wahnsinn entgegenstellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Schluss will ich Hubertus Heil aus einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau vom 17. Februar zitieren: Wasser sucht sich seinen Weg. Wie es den Anschein hat, Lohndrückerei auch.

Liebe SPD, das ist richtig. Aber Sie haben fleißig Löcher in den Gesetzesdeich gebuddelt. Jetzt dürfen Sie sich über die Flut an Lohndrückerei und Leiharbeitexzessen, die dann durchbricht, nicht wundern und dürfen diese Flut auch nicht beklagen; zumindest nicht, ohne auch die eigene Mitverantwortung am Dammbruch wenigstens einzuräumen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mir nicht mehr vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 8.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der SPD in der Drs. 16/4358 ablehnen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Niemand. Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Beschlussempfehlung gefolgt worden.

Die Fraktionen der CDU und der FDP haben für ihren Antrag in Drs. 16/4452 beantragt, die zweite Beratung und damit die Entscheidung über den Antrag sofort anzuschließen. Der Landtag kann dies nach § 39 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung beschließen, sofern nicht gemäß § 27 Abs. 2 Satz 1 GO mindestens 30 Mitglieder des Landtags für eine Überweisung des Antrags an einen oder mehrere Ausschüsse stimmen. Ich frage zunächst, ob Ausschussüberweisung beantragt wird. - Das ist nicht der Fall.

Dann lasse ich über diesen Antrag befinden. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Erste war die Mehrheit. Damit ist so entschieden worden.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 und 14 auf:

Abschließende Beratung: Es geht um mehr: Breiten Konsens für Europastrategie zur Überwindung der Folgen aus der Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise schaffen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/4044 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien - Drs. 16/4466

Erste (und abschließende) Beratung: Europäische Union, Mitgliedstaaten und Regionen: Gemeinsam die Staatsschuldenkrise bewältigen! - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/4449

Eine Berichterstattung zu dem Antrag der SPDFraktion ist nicht vorgesehen.

Zunächst hat sich für die SPD-Fraktion der Kollege Aller zu Wort gemeldet. Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Aller.

Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einleitend eine kurze Rückbesinnung auf die vorangegangene Antragsdiskussion. Unser Antrag zum Thema Europa ist mehr als vier Monate alt. Der nachgeschobene Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP als Reaktion auf unseren Antrag ist aber gerade 14 Tage alt und hat wie schon der eben behandelte Antrag zum Bodenpersonal auf den Flughäfen nur eine einzige Funktion, nämlich die, die Möglichkeit zu schaffen, dem SPD-Antrag nicht zustimmen zu müssen und mit einem anderen Antrag, der inhaltlich jedoch viel schwächer ist, die eigene Position durchzudrücken. Ich halte es für wahrscheinlich, dass dieses Spielchen bis zur Wahl immer wiederkehren wird; in der Sache aber hilft das uns, glaube ich, überhaupt nicht weiter.

(Beifall bei der SPD)

Was das Thema an sich angeht, liege ich, glaube ich, richtig, wenn ich feststelle, dass heute Morgen ganz viele glücklich und zufrieden waren, dass sich die Finanzminister der Eurozone auf das 130-Milliarden-Euro-Paket geeinigt haben. Ich kann mir - wenn das nicht geklappt hätte - gar nicht vorstellen, was in den nächsten Tagen und Wochen in Europa insgesamt - und nicht nur in der EWU -

losgewesen wäre. Deshalb sehe ich auch denen, die sich mit dem Paket kritisch auseinandersetzen, gelassen entgegen; denn echte, durchsetzbare Alternativen gibt es derzeit, glaube ich, nicht.

Das Griechenland-Problem muss gelöst werden; aber das ist eben nur eine Etappe auf dem Weg zu einem solide finanzierten Europa und zu einer Überwindung der Folgen - das sage ich jetzt ganz bewusst - der Finanzkrise, der Wirtschaftskrise und der Schuldenkrise. Da liegt einer der entscheidenden Unterschiede zwischen unserem Antrag und dem Antrag von CDU und FDP. Sie reduzieren dieses Problem, das wir in Europa und weltweit haben, auf das Problem „Staatsschuldenkrise“ und am liebsten nur auf das Problem „Staatsschuldenkrise in Griechenland“. Das ist falsch, weil die Zusammenhänge zwischen dem, was sich ohne Zweifel an Schulden aufgebaut hat, und dem, was Finanzkrise und Wirtschaftskrise ausmacht, völlig außer Acht gelassen werden. Deshalb ist unser Antrag in sich schlüssiger und weist auch den richtigen Weg.

Wir brauchen einen Konsens - den fordern wir - bei der Überwindung der Folgen dieser Krisen. Die Folgen sind offenkundig. Wir sind Getriebene der Finanzmärkte. Nicht die Politik setzt die Zeit und die Inhalte, sondern die Finanzmärkte und im Zweifelsfall die Ratingagenturen. Wir haben das gemerkt: Jedes Mal, wenn ein Teilergebnis in der politischen Abstimmung gestanden hat, haben die Ratingagenturen wieder nachgelegt, und die Politik musste wieder springen. Das geht so nicht weiter.

Das Zweite, was ich feststellen muss, sehen ganz eindeutig inzwischen viele so: Man beobachtet in der großen Finanzpolitik, dass Hunderte von Milliarden Euro innerhalb von wenigen Tagen hin- und hergeschoben werden, um ein Paket zu schnüren. Das ist die eine Sache. Sicherlich ist das derzeit unvermeidlich bei der Bewältigung der Schuldenkrise und im Hinblick auf die Vermeidung der Folgen, die es gäbe, wenn man es nicht in den Griff bekäme. Gleichzeitig ist es aber so, dass - festgemacht am Beispiel Griechenland - die Bevölkerung dafür zahlt. Sie zahlt dafür, dass die Politik - einschließlich der Europapolitik - und die Finanzaufsicht - das gilt auch für die Stabilitätskriterien - nichts getan haben, was gegriffen hat. Dass die Bevölkerung für das zahlen muss, was wir jetzt an Notoperationen vornehmen müssen, ist auf Dauer nicht hinnehmbar.

Die Rückwirkungen auf die deutsche Gesellschaft sind in den Zeitungen nachzulesen. Auch hier wird

mit den Folgewirkungen dessen Angst gemacht, was die Finanzmärkte im Augenblick sozusagen bei der Bereitstellung der Milliardenbeträge abwickeln. Weil ich diesen Zusammenhang kenne, komme ich auf den Punkt, den wir für uns eigentlich einmal klarstellen wollen: Welche Rolle spielt der Niedersächsische Landtag bzw. spielen die Fraktionen in diesem Landtag bei der Debatte um die Zukunft Europas? Wenn man die Reden hört, glauben wir immer, dass wir ein gewichtiges Wort mitreden. Wenn man aber nun guckt, wie wir uns in diese konkreten Themen „Finanz- und Wirtschaftskrise“ sowie „Schuldenkrise“ eingebracht haben, dann sieht man, dass wir vor vier Monaten mit unserem Antrag genau im richtigen Zeitpunkt auf dem Markt waren. Wir haben einige Punkte festgemacht; aber dieser Antrag kam nicht von der Rampe.

Jetzt, nachdem das Ergebnis - insbesondere zu der Staatsschuldenkrise Griechenlands - auf dem Tisch liegt, kommt ein Antrag der CDU und beendet plötzlich auch diese Debatte. Das geschieht aber zu einem Zeitpunkt, zu dem wir alle Möglichkeiten der Einflussnahme - jedenfalls als Parlament - nicht genutzt haben. Ich kann das für die Zukunft nur fordern: Das muss anders werden. Ich will das auch ausdrücklich hier noch einmal zu Protokoll geben.

(Beifall bei der SPD)

- Danke schön für den Riesenbeifall.

Es wird völlig unterschätzt, dass es inzwischen darauf hinausläuft, dass wir eine Wirtschafts- und Währungsunion und eine Europäische Union haben, die im Begriff ist, von 27 auf 28 Mitgliedsstaaten zu wachsen. Aber das, was Eurokrise und Eurowirtschaftsraum angeht, stellt praktisch nur noch die Hälfte dessen dar, was sich in Europa gesamtpolitisch abspielt.